So ein ungeimpftes Leben
Die Restaurants öffneten wieder und wir freuten uns, jetzt mal ausgehen zu können. Wie lange sind die Öffnungen jetzt her? Gemacht haben wir wenig. Kein Kino. Kaum ein Lokalbesuch. Und jetzt kommen wir nirgends mehr ohne viel Aufwand hinein. Das Leben wird nie mehr so, wie es war. Eigentlich kein Grund traurig zu sein.
Neulich telefonierte ich mit Tom. Was man da so bespricht, ist ja klar. Es gibt kein anderes Thema mehr. Nirgends. In Hamburg hatten sie gerade diese protofaschistische Albernheit verabschiedet, die sie 2G nennen. Nicht dass ich zuversichtlich gewesen wäre, aber ich fragte Tom, ob er denn die Einwände der Justizministerin Lambrecht vom Wochenende vernommen hätte: Sie sei der Ansicht, dass diese Diskriminierung Ungeimpfter grundgesetzwidrig sei. Tom war unbeeindruckt. So ein Wischiwaschi kriegt man ja ständig zu hören – und tagsdrauf ist schon wieder alles anders.
Er hatte recht. Fünf Tage nachdem Frau Lambrecht sich kritisch äußerte, ließ sie vernehmen, dass sie bei 2G keine Probleme sähe. Schließlich sei das das Hausrecht jedes Wirts. Ob diese Einschätzung nun so ohne Weiteres genau so zutrifft: Wo ist der Kritiker, der sich da rantraut? Hausrecht steht doch nicht über den Gesetzen eines Landes. Wäre dem so, könnte ich bei mir daheim ungestraft jeden verprügeln, der so dumm war, bei mir einzukehren. Hat mich der Kurswechsel der Justizministerin enttäuscht? Nein, denn ich war schon vorher gleichgültig geworden, was meine Chancen an einem sozialen Leben oder kultureller Teilhabe betrifft.
Dieses pralle Leben, auszugehen, sich ins Getümmel zu stürzen, hier eine Bekanntschaft, dort eine Bekanntschaft, schwatzen, feiern: Das war einmal. Es wird auf absehbare Zeit nie wieder so sein wie früher. Das wird die Szene, die Landschaft fundamental verändern. Die Unbeschwertheit ist weg – und es wird lange dauern, vielleicht Generationen, bis sie so zurückkehrt wie wir sie kannten. Was sich neu ausprägen wird ist eine Parallelgesellschaft, ein Rückzug ins Private, in dem man sich trifft, bedächtig feiert, sich Genüsse gönnt. Ohne Kellner und ohne Koch, ohne Bartender und Musikant. Kultur kann man auf diese Weise natürlich auch konsumieren: Man macht sie entweder selber, liest sich was vor, musiziert; guckt Netflix statt Kino.
Wir werden uns in ein neues Biedermeier zurückziehen, in dem man den öffentlichen Raum meidet, um eine kleine, übersichtliche Öffentlichkeit ins Private, in die eigenen vier Wände, den Garten zu verlegen. Wenn man sich in der Öffentlichkeit zeigt, dann eher im Park, dort wo der Innenraum kein von Seuchenschutzbeauftragten umkämpfter Platz ist. Wer braucht denn einen Wirt, wenn er picknicken kann? Wenn jeder etwas mitbringt und wo man nicht brav am Tisch sitzen, sondern im Schatten unter einem Baum an der ausgebreiteten Decke auch mal liegen kann? Klar, das wird nicht das fette Leben sein, nicht wie die geile Musik in einem dunstigen Keller: Aber auch gut. Anders gut. Früher hat man doch auch privat gefeiert. Wir waren in meiner Kindheit kaum im Lokal. Wann fing das eigentlich an, dass man dauernd zum Essengehen lief, so ganz ohne Anlass? Das ist eigentlch dekadent, wenn man es recht bedenkt.
Open Thread zu Thüringen
Was in Thüringen gerade passiert, beschäftigt viele Menschen. Wir machen deshalb hier die Möglichkeit auf, sich zu den Ereignissen auszutauschen.
Es darf also munter diskutiert werden.
Roberto & Tom.
Dauerwerbesendung für den Rechtsruck
Nein, die AfD ist es nicht, die Werbung für sich selbst macht. Ihre Werbeanzeigen sind ja gemeinhin nur lächerlicher Weltanschauungsstriptease. Werbung machen alle anderen für sie. Diesmal: Das Umweltbundesamt.
Dieses will nun die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte erhöhen. Milch und Fleisch würden so nicht mehr mit sieben, sondern mit 19 Prozent besteuert. Die erhöhten Preise sollen gewissermaßen als Regulator funktionieren und den Bürgern mehr Bedacht im Umgang mit und beim Konsum von tierischen Lebensmitteln abverlangen. Der ermäßigte Steuersatz, der auf Grundnahrungsmittel gilt, soll aufgehoben werden und die Ware soll wie diverse Luxusgüter besteuert werden. Das fordert das Umweltbundesamt nicht etwa aus Jux, versteht sich. Das hat mit dem Klimaschutz zu tun. Der Endverbraucher soll ihn bezahlen, während Billigfluglinien zeitgleich verstärkt Zugang zu den großen Flughäfen erlangen, damit Flugreisen auf Dauer wettbewerbsbedingt noch günstiger werden. Da passt mal wieder nichts zusammen.
Man dementiert die Sache natürlich, wiegelt ab, dass man Strafsteuern auf keinen Fall wolle. Und das kann man sogar glauben, denn der Landwirtschaftsminister hat einen guten Draht zur Schweinefleischindustrie im Lande. Er sähe es ja laut eigener Aussage gerne, dass Schweinefleisch regelmäßig in Schulmensen kredenzt wird. Wahrscheinlich passt das auch gerade ganz gut zur parteilichen Linie, als CSU-Mann muss er Identität stiften und das Deutsche am Tisch gegen die vermeintliche Überfremdung definieren. Aber das ist eine andere Baustelle.
Solcherlei Meldungen, ob sie nun später zum Gegenstand politischer Debatten werden oder nicht, ob sie nun verwirklicht werden oder nur in der Schwebe bleiben, das sind die eigentliche Dauerwerbesendung der AfD, betrieben von ihren inoffiziellen Sponsoren, den etablierten Parteien und ihren Ministerien. Es sind nämlich genau diese arrogant in die Öffentlichkeit posaunten Pläne, die den Menschen da draußen offenbaren, dass ihre Sorgen keine Lobby haben. Sie geben ohnehin wenig für den Binnenkonsum aus, knapsen sich von Monat zu Monat und nun soll ein Glas Milch zum Luxusgut werden. Natürlich ist der Milchpreis heute ein Witz und klar ist auch, dass der Wettbewerb, angefacht durch etwaige Discounter, dieses Produkt noch weiter hinabzieht, wenn man nicht beständig regulativ eingreift. Aber es ständig den Menschen anzulasten, die sich seit Jahren in Lohnzurückhaltung üben und Angst haben, abgehängt zu werden, wenn sie es nicht gar schon sind, das ist natürlich Ausdruck eines elitären Snobismus, der die Leute rasend macht.
Dasselbe gibt ja auch beim Fleischpreis. Natürlich ist der viel zu niedrig, in ihm sind nicht die Kosten für die erzeugten Umwelt- und Klimaschäden eingerechnet. Wie schon die Atomindustrie für etwaige Schäden sich nicht rückversichern musste – jetzt zahlt es eben der Steuerzahler -, so müssen auch die Methanriesen da nicht vorbauen. Aber mal salopp von oben herab zu verkündigen, dass trotz prekärer Situation einer großen Zahl der Verbraucher, eine Steueranpassung das schon richten würde, das treibt die Leute genau dahin, wo die etablierten Parteien sie doch nicht haben wollen: In die Arme des Rechtspartei.
Solange man ignorant solcherlei Meldungen verbreitet, kann die AfD noch so dämliche Werbekampagnen im Netz und auf Plakate platzieren, noch so unglaublich hirnverbrannte Slogans formulieren, man wird das gar nicht als die wirkliche Werbung der Partei wahrnehmen. Die kommt nämlich aus den Amtsstuben von Ministerien und aus den Räumen etablierter Parteien, wenn die so tun, als gehe es den Deutschen allgemein so gut, dass sie jederzeit mit einer neuen Belastung fertig werden. Luxussteuer für Reiche lehnt man in diesen Gefilden fast geschlossen ab. Luxusmehrwertsteuer auf Lebensmittel für alle Bürger, auch für Hartz-IV-Bezieher und prekär Beschäftigte, darüber lässt sich aber offenbar debattieren.
Wer so agiert, der muss es sich gefallen lassen, als der inoffizielle Sponsor der AfD bezeichnet zu werden. Und das, obwohl die Kanzlerin doch in diesem Jahr um die Herzen der Abgehängten buhlen wollte. Aber es geht nicht um die Herzen – es geht um die Köpfe. Und wenn es in denen rattert und raucht, weil man dauernd grübelt, wie man das alles noch stemmen soll mit dem bescheidenen Salär, dann wird das schwierig. Wer den Wahlkampf so angeht, der hat sich in eine Dauerwerbesendung verabschiedet: Für die AfD.
Das sind die Guten
Besorgniserregend ist ja nicht nur, dass man Meinungsunterschiede nicht mehr akzeptiert und den Diskurs vereitelt. Besonders schlimm ist, dass sich jene, die Rufmord betreiben, die drohen und Listen führen wollen, sich auch als die Guten fühlen und sich nichts dabei denken, wie sie zu dem mutieren, was sie ablehnen: Zum Faschisten.
Man brauchte die witzigen und zynischen Filmchen, die Liefers, Tukur und Co. produziert haben, eigentlich gar nicht, um sich einer Tatsache klar zu werden: Das Gute in dieser Welt hat ganz klare Vorstellungen dessen, was gut ist und wie man gut zu sein hat – und vor allem, worüber man lachen darf und worüber nicht. Dieser Pfad der Tugend kennt keine Abzweigungen, keine Nebenwege. Wer sich da verirrt, der ist schlecht, gleitet ins Böse ab.
Frank Zander mag zum Beispiel ein guter Mensch sein. An Weihnachten lädt er Obdachlose zur Ente und Klöße ein, will ihnen einmal im Jahr einen schönen Abend bereiten. Dafür wurde der Mann völlig zurecht belobigt und geehrt. Wenn da nur dieser Gassenhauer aus den Achtzigern nicht wäre, in dem es heißt: »Ja, wenn wir alle Englein wären / Dann wär die Welt nur halb so schön / Wenn wir nur auf die Tugend schwören / Dann könnten wir doch gleich schlafen gehn.« Das könnte er heute nicht mehr ohne Weiteres trällern, denn klare Vorgabe ist doch: Wir wollen Englein sein. Tugendhaft. Politisch korrekt. Langweilig.
Insofern ist es gar nicht so überraschend, dass uns die Wokeness, diese Diktatur boshafter Guter, als eine kuriose Form religiöser Eiferei und Zelotentums vorkommt. Sie stammt aus einem Milieu, das nach Sinnstiftung giert und die alten übersinnlichen Götter durch neue säkularisierte Götter ersetzen will. Jedem Zweifler, jedem, der nicht gewillt ist, dieser neuen Kirche beizutreten, muss die Hölle bereitet werden. Denn auf der Hölle der Anderen gründert das Engelreich der »Woker«.
Berufsverbot und schwarze Listen
Die Guten von heute erinnern sich an dieses Lied namens »Der Ententanz« vielleicht nicht mehr. Das ist ganz gut so, denn es stammt von einem alten weißen Mann. Und das ist per se schon verdächtig. Fast beneide ich sie um diese Unwissenheit, denn jetzt, da ich mich an das Lied erinnere, kriege ich es nicht aus meinem Kopf, meiner Erinnerung. Ich musste als Kind beim Kinderfasching dazu tanzen. Das war schrecklich. Wir hatten es seinerzeit halt auch nicht leicht. Das Reich der Engel, ein Platz an dem nur Harmonie ist, Wohlgefälligkeit, an dem die Gerechtigkeit waltet, kein Verbrechen geschieht, kein schlechter Gedanke gedacht, kein böses Wort gesagt wird: Für viele scheint dies das letzte Ziel der Menschheit zu sein. Die Utopie, die Wirklichkeit werden kann, wenn wir nur wollen, wenn wir uns strikt an das Gute halten, an das Wahre, an das Schöne. Und vor allem, wenn wir bereit sind, das Böse und Unschöne zu stoppen, es aufzuhalten, ihren Anfängen zu wehren: Sie aus Berufen zu schmeißen, in ihrem Umfeld zu diffamieren, sie zu stigmatisieren und auf schwarze Listen zu setzen. Nachfragen, hinter ihre Absichten zu schauen, ihre Motive verstehen: Das wäre nur verlorene Energie bei der Schaffung der Engelsburg, bei der Konstruktion des Guten als Reich auf Erden. Man muss sich Ressourcen einteilen, daher darf man nicht zu viel Kraft darauf verwenden, auch jene zu inkludieren, die man für Menschen hält, die sich in der neuen tugendhaften Welt vielleicht nie integrieren können, weil sie zu verkorkst dazu sind. Jene merzt man aus. Nicht durch physische Vernichtung, das Gute ist ja zunächst immer gewaltlos. Durch Aus- und Eingrenzung, durch üble Nachrede und Shitstorms. Das klingt alles wie der Plan einer Sekte der letzten Stunden, wie die universale Eschatologie von Leuten, die von sich weisen würden, besonders religiös zu sein. Aber wir kommen an der Erkenntnis nicht vorbei, dass wir an sich in sehr spirituellen, sehr religiösen Zeiten leben. Meist nur ohne Gott oder Kirche. Es ist eine Profanitätsreligiosität, die sich hier Bahn bricht, ein Fatalismus des Selbstgerechten, der hier Orthodoxie generiert. Wer das Gute tut, der braucht keine Rücksicht nehmen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Und es zu tun, es zu leben: Das ist die einzige Rückfrage, die man sich stellen muss. Ist die beantwortet, gibt es kein Halten mehr. Wer daran zweifelt, hat sich dem Teufel ergeben.Die historisch Bösen meinten es auch mal gut
Das Gute. Was ist das eigentlich? Wahrscheinlich hat jede andere Zeit ihr Gutes. Und vor allem, in jeder Zeit gibt es mehrere Gruppen, die das Gute für sich beanspruchen. Die Männer (und Frauen), die sich zum Beispiel vor vielen Jahrzehnten gegen die Emanzipationsbestrebungen von Frauen formierten, waren ja auch nicht im Auftrag des Bösen unterwegs. Für sie gab es gute Gründe – und Gründe für das Gute, für das, was sie als gut erachteten. Die Frau am Herd zu belassen, weil sie die gute Seele für die Familie sein soll: Wieso konnten diese Emanzen das nicht als guten Grund einsehen? Sie wollten doch die Frau nicht einschränken, sie meinten es doch wirklich nur gut. Jene, die die Gleichstellung der Geschlechter forderten, nähmen privates Chaos in Kauf, fanden sie. Ist so ein Plan nicht von Bösem beseelt? Ja, sind das nicht egoistische Triebe? Müssen besonders die Kinderchen ausbaden, was Mama an Flausen in den Kopf gesetzt bekommt? Die gute alte Ordnung: Die war doch nicht ganz schlecht, oder? Wer in der menschlichen Historie, welche Einzelperson oder Gruppe, welche Bewegung oder Kaste, hat sich je zum Bösen bekannt und ist mit diesem Bekenntnis frisch ans Werk gegangen? Die Kreuzritter in Osteuropa? Das waren die Guten, sie mussten Seelen retten. Kolonialherren etwa? Sie waren voller Inbrunst davon beseelt, den Afrikanern die Zivilisation zu bringen: Wie kann das denn böse sein? Und dann die Inquisition erst: Die mag gefoltert und Scheiterhaufen befeuert haben, tat das aber nach eigener Anschauung als Liebesdienst an der Schöpfung. Kann denn Liebe Sünde sein? Und ja, sagen wir es doch, weil wir Vergleiche nicht scheuen: Die Nationalsozialisten in Deutschland oder die Faschisten in Italien waren doch total, ja totalitär davon überzeugt, dass sie einen neuen Menschen schufen, ein neues Bewusstsein installierten, einen neuen, fortschrittlichen Staat etablierten. Einen, in dem technische Neuigkeiten Einzug finden und in dem sich wieder Werte durchsetzen sollten. Predigten sie denn, dass es das Böse sei, was sie wollten? Ganz im Gegenteil: Das Gute war das Ziel. Sie wollten es gut, ja besser machen als ihre Vorgänger, die man als die Schlechten ansah.Antifaschistische Faschisten oder Wenn man zu dem wird, was man ablehnt
Das Gute ist heute relativ flüchtig. Man braucht keine Partei dazu, keine politische Macht im klassischen Sinne. Man braucht Aufmerksamkeit, Kriegsbereitschaft in den Netzwerken, um dort der Wokeness Gehör zu verschaffen. In den USA nennt man solche Aktivisten passenderweise auch Social Justice Warriors – wobei man das nicht mit der sozialen Gerechtigkeit verwechseln sollte, die uns Naiven von Gestern noch im Kopf umgeht. Es geht um Diffamierung, um Aufzeigen falscher Lebenseinstellungen. Man übt sich in strikter Symbolik und grenzt sich von allem ab, was irgendwie aus dieser gestrigen Welt alter weißer heterosexueller Kerle stammen könnte. In diesem Sinne etabliert man einen im Kern selbst mit den Versatzstücken des Rassismus hantierenden Antirassismus, gendert sich die Wirklichkeit zurecht und sucht zwischen allen Zeilen wahnhaft nach antisemitischen oder rassistischen Eventualitäten. Wie das geht, hat neulich der Volksverpetzer gezeigt, als er Luisa Neubauer beisprang und klarmachte, dass Hans-Georg Maaßen Antisemit sei, weil er das Wort »Globalisten« benutzte. Und das sei ja bekanntlich ein antisemitischer Code. In diesem Wahn, im dauernden Einsatz für das Gute zu sein, für eine bessere Welt zu stehen, überspannt man den Bogen nicht mehr nur gelegentlich, sondern quasi dauernd. Man stigmatisiert Gesellschaftsgruppen, bedient Klischees, fordert totalitäre Maßnahmen, eben schwarze Listen und Berufsverbot, wendet Cancel Culture als sozialen Mord an und zerstört Existenzen ohne mit der Wimper zu zucken. Schlechtes Gewissen gibt es dabei nicht. Wenn man das Richtige tut, sind das alles nur Kollateralschäden. Sie werden so zum Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft. Und so mausert man sich zum eigenen Alptraum: Zu dem, was man verabscheut, was man bekämpft. Man wird zum Abbild des Feindes. Vielleicht sogar noch eine Nuance schlimmer, weil man ja noch immer vom Sendungsbewusstsein der eigenen moralischen Integrität überzeugt ist. Die Warriors werden zum Irrwisch, drehen durch in ihren Methoden, ein Engelreich auf Erden installieren zu wollen. Kein Opfer ist dafür zu groß – solange andere Opfer bringen. Es ist eine Ideologie, die ganz tief ins Religiöse lotst. Es tut mir leid, dass ich schon wieder Religiosität ins Spiel bringe – so wie neulich beim Thema Wissenschaft. Aber wir können uns unsere Zeit nicht ohne denken, befürchte ich. Es gibt da diese tiefe Sehnsucht nach Spiritualität und transzendenter Sinnstiftung.Oberflächlicher US-Dualismus
Eines mag übrigens in unserer Zeit mit unseren zeitgenössischen Guten neu sein: Nie zuvor waren die, die meinten, sie stehen für das Gute in der Welt, derart laut und derart einer Doppelmoral verhaftet. Die Moral schwang stets nebenher mit, sie war Nebenschauplatz. Heute ist sie der Hauptgrund, der eigentliche Antrieb. Man möchte unbedingt gut sein, spricht dauernd davon. Die Wokeness ist in vielen Fällen viel weniger ein konkreter Gesellschaftsauftrag, als eine Form der Selbstdarstellung. Man definiert sich über moralische Attribute und stellt gewissermaßen den Gegenpol zum Yuppie von einst dar, der als Ausbund der Verkommenheit und Morallosigkeit galt. Bahn brach sich diese aufgeweckte Durch-die-Welt-gehen-wollen (woken bedeutet aufgewacht) in US-amerikanischen Universitäten. Der amerikanische Alltag dreht sich stark um die ewigen Dualismus menschlicher Existenz: Um das Gute und das Böse. Amerikanische Fernseh- oder Kinoproduktionen inszenieren den Zwiestreit beider Entitäten viel passionierter und langatmiger, als es europäische Produktionen je könnten. Dieses Ringen um richtig und falsch ist historisch bedingt, die One Nation under God ringt wie einst Luther mit ihren Teufeln. In einer Dokumentation über amerikanische Polizisten, kann es daher durchaus mal vorkommen, dass ein Cop erzählt, er wollte auf der richtigen Seite stehen im Leben, das Gute tun, sein Leben im Kampf gegen das Böse verbringen. Daher sei er Polizist geworden. Welcher deutsche Beamte würde seinen Beruf zu so einer Berufung erheben? Der Dualismus zwischen den beiden Antagonisten im Welttheater, dem Guten und dem Bösen, prägt den Alltag außerhalb der USA wesentlich weniger.Die Tyrannei der Verweichlichung
Die Geschichte der Alten, die auf die Jugend oder aber auf die sich verändernde Welt herabsehen, ist eine Geschichte voller Verweichlichungsvorwürfe. Wahrscheinlich war allerdings keine Gesellschaft je so zartbesaitet, ales es die hiesige ist. Daher gleich eine Triggerwarnung: Weiterlesen kann Tränen verursachen, ihr Weicheier!
Du liebe Güte, wir halten ja nichts mehr aus! Der neue Mensch lebt in der Hoffnung, seinen Alltag unter Anleitung etwaiger Triggerwarnungen frei von seelischem Schaden zu vollziehen. Um sich vorab rüsten, um sich einstellen zu können, mag er es getriggert zu werden. Oder einfach nur um zu türmen, dem Unangenehmen aus dem Weg gehen zu können. Wenn er Ovids Metamorphosen lauscht, dann will er bitte vorab darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass darin Vergewaltigungen stattfinden. Damit man es nicht aushalten muss, wenn man es nicht aushalten will. Überhaupt aushalten, ausgezeichnetes Stichwort: Das haben wir offenbar ganz generell verlernt. Vertritt jemand Ansichten, die man als nicht modern, als nicht zeitgemäß, als nicht nach den eigenen Vorstellungen kategorisiert, hievt man die Meinungsfreiheit schnell auf den Prüfstand. Die ist dann kein Recht auf eine eigene Ansicht mehr, sondern wird als Pflicht zur richtigen Anschauung deklariert. Einfach mal aushalten, dass andere Menschen in anderen Lebenssituationen, anderen Jobs und anderen sozialen Gefügen anders ticken könnten: Um Himmels willen! Das kommt ja einem diktatorischen Unterwürfnis gleich.
Neulich wies ich an anderer Stelle auf eine e-Mail hin, die mich über Umwege erreichte. Darin spiegelte sich alles wider, was den homo novus antreibt. Gelassenheit, Nonchalance: Mit ihm nicht zu machen. Er ist schrecklich angespannt, selbst das Flirten ist für ihn ein potenziell sexistischer Anschlag auf die Menschen- und Frauenwürde. Daher sucht er schon vorab nach möglichen Auslöserreizen, um der Situation gewachsen sein zu können. In einer blöden Flirtsituation einfach mal abwinken, Stinkefinger zeigen oder überheblich lächeln: Geht nicht. Nein, schließlich ist der moderne Menschentypus schnell traumatisiert, kippt sich eine Ladung Globuli in die Handfläche und entwickelt Strategien, um mit der Härte des Flirt-, Lebens- und Liebesalltages fertig zu werden.
Leben als Safe Space: Der Sicherheitsmensch kann mit Verhalten und Ansichten, die ihn verunsichern, nicht mehr umgehen. Er steht auf Regulierung – nicht im materialistischen Alltag. Banken und Wirtschaft sollen ruhig dereguliert werkeln, den Abbau von Barrieren hält er für gelungen, vereinfachen sie doch reisen und arbeiten. Der deregulierte homo oeconomicus hat sich parallel zum Regulator der Spontanität im menschlichen Zwischenspiel entwickelt.
In jenem Text zum Flirten, habe ich den Staatsbürger unserer Zeit als Mimose bezeichnet. Als verweichlichte Gestalt, die von sich behauptet, der Demokratie endgültig in die Schuhe zu helfen, aber eigentlich das Gegenteil bezweckt. Das Mimosenhafte ist Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft. Denn normalerweise »sind es Diktaturen, die sich mimosenhaft geben und hart gegen jene vorgehen, die nicht ihren Normen entsprechen. Mit Härte schützen sie ihre verweichlichte Haltung zur Vielfalt. In einer Demokratie muss man eigentlich eher hart zu sich selbst sein, weil in ihr (fast) alle einen Anspruch darauf haben, ihre Sicht der Dinge frei zu äußern. Die Mimose ist folglich kein Demokrat. Sie stellt den Vorboten einer tyrannischen Weltvorstellung dar.«
Ja, stimmt schon, die Alten jammern seit Jahrhunderten über die verweichlichte Jugend. Aber ich beklage mich ja gar nicht über die Jugend. Von der halte ich zunächst gar nichts, ich kenne sie nur sehr bedingt – erwarte mir aber auch nichts. Was mir Sorgen macht sind ja nicht junge weiche Leute. Abgehärtet wird man ja ohnehin erst, wenn das Leben auf einen einprasselt. Dann lernt man, stumpft ab, rüstet sich mit Härten, die man im Alltag benötigt, um sich halbwegs unbeschadet durch den Zivilisationsdschungel zu schwingen. Was mich besorgt sind diejenigen, die schon älter sind, schon etwas Lebenserfahrung haben müssten. Dass die so dünnhäutig sind, so verweichlicht: Was ist denn da los?
Das kommt davon, wenn man den Menschen sagt, es gäbe immer und überall eine Lösung, einen richtigen Weg, jede Unabwägbarkeit könne reguliert werden. Das mag in manchen Bereichen klappen. Aber im zwischenmenschlichen Kontext, in Milliarden Gesprächen und Abermilliarden Blicken, die jeden Tag zeitgleich vonstatten gehen: Das kann ein durch Triggerwarnungen störungsfreier Alltag nicht bewerkstelligen. Es kömmt darauf an, Menschen abzuhärten für das, was wir Zwischenmenschlichkeit nennen. Das heißt freilich nicht, dass jede Fummelei akzeptabel ist. Aber so zu tun, als schlummere in jeder Flirterfahrung ein Trauma und in jedem, der die Welt ein wenig anders sieht, ein Gefährder, ist doch kein Ansatz zum Zusammenleben.
Diese neue Verweichlichung scheint mir tatsächlich singulär in der menschlichen Historie zu sein. Nie zuvor war der verweichlichte Staatsbürger so einflussreich auf die politischen Gestalter, wie er es derzeit ist. Er hat eine Lobby. Wahrscheinlich musste der technologiegläubige Zeitgenosse von einst irgendwann genau in dieser Haltung enden. Denn das Mimosenhafte technologisiert gewissermaßen die Aspekte des Daseins, die ihn ängstigen und die er besser mit Kursen bekämpfen sollte, die Selbstvertrauen und Gelassenheit lehren. Es ist eine Kunstfertigkeit, die sich hier etabliert, die Kunst des Unaushaltbaren – der infantile Anspruch, eine vielfältige Welt, in der nicht immer das vorkommt, was einen begeistert und erfreut, mit den Mitteln des Ohrenverstöpselns und Augenzuhaltens bei gleichzeitigem lauten Anstimmen eines Liedes, zu einer Harmonie zu verhelfen, in der sich der Weichling unbeschadet zurückziehen kann: So kann man nicht mal im Kindergarten das Zusammensein gestalten.
Es ist im Hinblick auf die deutsche Geschichte ja nicht ganz ungefährlich, für eine neue Härte zu plädieren. Zäh wie Windhunde und flink wie Kruppstahl soll eine neue Härte ja auch gar nicht sein. Ebensowenig herzlos im Umgang mit Schwächeren, ganz ohne Empathie und Feingefühl. Aber manches muss man nun mal aushalten können. Hierzu muss man hart zu sich selbst sein. Demokrat zu sein ist halt mal so. Es bedeutet jeden Tag zur Erkenntnis zu kommen, dass die eigene Ansicht nur eine von vielen ist. Demokratie bedeutet Tag für Tag aushalten zu können. Ich die anderen – die anderen mich. Ich sage nicht, dass das einfach ist. Und ich sage auch nicht, dass es mir immer gelingt. Aber besser ein nicht ganz perfekter Demokrat sein, als ein perfektionierte Mimose, die ins Tyrannische weist.
[InfoBox]
Was genau wolltest du uns eigentlich sagen, Carola Holzner?
Carola Holzner – bekannt mit Reichweite als „Doc Caro“ – hat in empörtes Video gemacht, in dem sie #allesdichtmachen schwere Vorwürfe macht.
Eine Frage bleibt allerdings offen: Was genau wollte sie eigentlich zum Ausdruck bringen?
Alles Nazis außer Thomas
Julian Assange, Noam Chomsky, Jeremy Corbyn, Diether Dehm, Heiner Flassbeck, Stephan Hebel, Ken Jebsen, Oskar Lafontaine, Jean-Luc Mélenchon, Albrecht Müller, die NachDenkSeiten insgesamt, Podemos, Paul Schreyer, Syriza, Yannis Varoufakis, Sahra Wagenknecht, Slavoj Žižek. Das ist in alphabetischer Reihenfolge die Liste derer, die Thomas Ebermann in der aktuellen »konkret« als Rechte verortet.
Der Ökosozialist hat seinen Text mit »Die Nationale« überschrieben und dann Zeile für Zeile ordentlich ausgeteilt. Argumente? Nun, die sind über sechs Seiten ziemlich rar gesät. Ebermann vermittelt mehr so subjektive Eindrücke, publiziert die eigene Befindlichkeit und sublimiert sie zu einer höheren Wahrheit ganz ohne analytische Textbausteine. Ziel seines Angriffs sind nicht etwa die wirklichen Nationalisten, die sich in Europa länderübergreifend zwischen plumpen Rassismus und raffinierten Ethnopluralismus gebaren. Nein, er hat den Feind unter Linken ausgemacht: Sie sind die eigentliche Gefahr für ihn, weil sie querfronteln; weil sie angeblich die Einheitsfront und den Schulterschluss mit den Petrys, Wilders, Le Pens anstrebten.
Alles Nationalisten und Rechte. Besonders übrigens die NachDenkSeiten, denn deren Inhalt »und das entsprechende Sortiment des rechtsradikalen Kopp-Verlags [seien] in diesem Punkt ununterscheidbar«, wie Ebermann behauptet. Da staunt man schon ein bisschen. Der Kopp-Verlag führt Bücher, die zum Beispiel die Kriegsschuld des Deutschen Reichs unter Hitler leugnen. Unter Zeitgeschichte verkauft man Bücher, die die »ruinöse Masseneinwanderung unter der Flagge des Multikulturalismus als Produkt einer offenen Verschwörung der Eliten« einstufen. Wo bitte ist hier die Deckungsgleichheit zu finden? Da muss man schon auf die Metaebene gehen. Nicht etwa auf eine inhaltliche Metaebene, sondern auf eine operierende. Beide Publikationen haben nämlich eine grundlegende Sache gemein: Sie benutzen die deutsche Variante des lateinischen Alphabets. Das war es aber auch schon.
Oder dann ist da noch Stephan Hebel, Journalist bei der »Frankfurter Rundschau«, dem Ebermann unterstellt, er hätte zu viel Verständnis für Rassisten und Nationalisten, wie man ja schon am Titel seines aktuellen Buches »Sehr geehrter AfD-Wähler, wählen Sie sich nicht unglücklich!« erkennen könne. »Jedes humanistische Argument [würde] in diesem Buch überlagert von Berechnungen der instrumentellen Vernunft«, wirft er Hebel vor. Es gehe nur um »die volkswirtschaftliche Nützlichkeit der Ausländer«. Was er dem Mann vorwirft, das kann man in einen kurzen Satz packen: Lieber Herr Hebel, warum schelten Sie nicht, warum klären Sie auf? Und verdammt, wieso haben Sie eigentlich Argumente und ich nicht?
Slavoj Žižek wiederum will er anhängen, dass er sich nicht mit der Willkommenskultur und geöffneten Grenzen arrangieren will. Weil zum Beispiel Sahra Wagenknecht und Jeremy Corbyn ähnliche Ansätze vertreten, mussten auch sie sich weiter vorne im Text von Ebermann in die Ecke der normativen Rechten verorten lassen. Žižek aber geht natürlich (in seinem aktuellen Buch) noch weiter, er nennt diejenigen »die größten Heuchler, […] die offene Grenzen fordern«, die jedoch »insgeheim wissen […], dass es dazu nie kommen wird.« Solche Leute würden sich als »schöne Seelen« inszenieren. Und was bringt Ebermann als Gegenargument? Desinteresse und Schwerpunktverlagerung – nämlich: »Ich will gar nicht beurteilen, ob das auf einige zutrifft. Ich weiß allerdings, gegen wen das schlicht niederträchtig ist: gegen praktisch aktive Antirassisten.« Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Er will das nicht beurteilen, beurteilt dann aber, was der Philosophieprofessor gemeint haben könnte.
Eines aber verweigert der Autor dieser Philippika grundsätzlich: Er klopft eben nicht mal intellektuell ab, ob an diesen von ihm kritisierten linksliberalen Gedanken, nämlich dass offene Grenzen eben kein progressives Projekt seien, etwas dran sein könnte. Ob also eine Schlagbaumlosigkeit nicht vielleicht doch nur zu höheren Ehren des Neoliberalismus gedacht werden muss. Denn wo Freizügigkeit eben nicht nur das Recht des Bürgers, sondern immer primär als Freizügigkeit des Billiglohnarbeiters angesehen wird, da es nicht um Fortschritt, sondern um reaktionäre Arbeitsmarktpraktiken. Und das ist für eine Linke, die sich selbst ernst nehmen möchte, kein gangbarer Schritt.
Thomas Ebermann bleibt sich in seinem Text insofern treu, dass er es durchweg mit Schwammigkeit versucht. Fassbar wird darin recht wenig. Was er sammelt sind diverse Bauchgefühle, die er zu einer irgendwie für ihn allgemeinen unzufriedenen Gesamtsituation ordnet und aus der man als Leser dann schon herausfiltern kann, was er den aufgezählten Linken und Linksliberalen zu Last legt: Sie bedienten angeblich einen neuen Nationalismus und betrieben einen zu laxen Umgang mit der Europäischen Union. Tatsächlich könnte man bei letzterem Punkt einhaken und teils beipflichten: Stimmt schon, viele Linke sind da sehr destruktiv. Wenn man jemanden aber Destruktivität vorwirft, sollte man möglichst konstruktiv argumentieren. Zu sagen, dass man deswegen zum Rechtspopulisten wird oder sich gar noch mit denen kuscheln legt, das ist so ausgemachter Unsinn wie Ausdruck eines arg schlichten Stils.
Überhaupt kann man annehmen, dass Ebermann das, was er als diesen neuen linken Nationalismus wahrnimmt, überhaupt nicht so richtig versteht. Oberflächlich betrachtet stimmt es ja schon: Es gibt eine linke Besinnung auf den Staat. Die Auflösung der Nationalstaaten, die man in unreflektierten linken Kreisen zuweilen als Parole im Mund führt, ist augenblicklich eher kein Mainstreamthema links des Mainstreams. Warum? Weil man konkrete Perspektiven braucht, konstruktive Vorstellungen dessen, wie sich eine neue Kontintal- und Weltordnung aufstellen sollte. Und da ist wenig geboten, was den Staat entbehrlich machen könnte. All die genannten Personen vertreten ja eben nicht den Nationalstaat, der als Ausbund chauvinistischer Arroganz wirkt, sie wedeln ja nicht mit Flaggen und keiner von ihnen fühlt sich als Chauvinist rassisch überlegen. Sie betrachten den Nationalstaat eben nicht so, wie es ihre rechten Kontrahenten tun: Sie wollen ihn als übergeordnete Verwaltungseinheit begreifen. Die Neoliberalen hatten ihre Deutschland AG – die Linken begreifen das Land eher als Deutschland-Amt. Die, die Ebermann eigentlich meint, die zelebrieren Deutschland-Kirche.
Dieses Deutschland-Amt meint damit folgendes: Es ist ein historisch gewachsenes Segment, das in seiner modernen Spielart dazu dienen sollte, gewisse verwaltungsrelevante Abläufe zu steuern und so vollziehen. Patriotischer Klimbim oder nationalstisches Zelotentum ist überhaupt nicht das Thema von all den Leuten, die Ebermann aufführt. Keiner wirbt für sein Vaterland als etwas, wofür es sich zu sterben oder zu töten lohnte. Nichts »est dulce et decorum« fürs Vaterland. Man wirbt aber wohl für den Staat als übergeordneten Verwaltungsakt, der Steuern erhebt, der umverteilt und für Teilhabe und Gerechtigkeit sorgt. Den letzten Satz bitte im Konjunktiv denken. Denn darum geht es ja: So sollte der Staat mal funktionieren. Der Internationalismus ist ja übrigens nicht aus dem Sinn. Man kann ihn aber nicht in ideologischer Neurose über das Knie brechen. Und ein internationalistischer Prozess muss natürlich auch immer damit befasst sein, dezentralisierende Elemente zu bewahren, föderale Strukturen zu erhalten, die es erlauben, näher an den Menschen innerhalb der Verwaltungsprozesse zu bleiben.
Das ist so eine bequeme Position, wenn man sich als altgedienter Linker hinstellt und so tut, als habe man aufgrund seines langen linken Lebens so viel Erfahrung gehortet, dass alle anderen im Grunde immer gleich Nazis sind. Da wähnt man sich gleich selbst dogmatisch gereinigt. Das fühlt sich sicher herrlich an. Die Ökosozialistin aus Frankfurt praktiziert das zuweilen nicht so viel anders. Ob nun sie oder Herr Ebermann: Beide haben ja sicherlich auch Ansätze, die man berücksichtigen kann. Frau Ditfurth mehr als Herr Ebermann übrigens. Aber sich dann mit spirituellen Habitus zu zieren und einfach mal austeilen, weil einem jemand nicht hundertprozentig gefällt, das ist eine ganz müde, auch lächerliche, ja eine nicht zuletzt völlig weltfremde Nummer.
Mensch, ihr Altvorderen, habt ihr vielleicht nur ein einziges Mal daran gedacht, dass sich die Welt seit der Zeit eurer Sozialisation ein klein wenig verändert hat? Ihr kämpft noch immer die alten Gefechte. Dröselt sie neu auf, rekrutiert alte Feindbilder und kitzelt euren avantgardistischen Narzissmus, der es euch rät, sich auf Kosten anderer zu stilisieren. Und so bleibt ihr weiterhin in einer Weltfremdheit verfangen, die ihr euch wahrscheinlich einst als dickes Fell und Schutzpanzer zugelegt habt, als man euch im realen politischen Leben übel mitgespielt hat. Das Fell wäre gar nicht mehr nötig. Aber es ist wohl kuschelig warm darunter und man kann es sich über den Kopf ziehen und muss all die Nazis nicht mehr sehen, die ganz oben im Text alphabetisch sortiert aufgelistet sind.
Impfpflicht: Der garantierte Weg ins Chaos
Noch sträuben sich die Ampelparteien, ernsthaft über eine allgemeine Impfpflicht nachzudenken, zumindest äußerlich. Doch es wäre eine an Dummheit grenzende Naivität, sich darauf zu verlassen, dass das so bleibt. Nichts kann die Politik seit dem Beginn der Corona-Krise besser, als sich nicht um das Geschwätz von gestern zu kümmern.
Es macht also Sinn, sich mit den möglichen Folgen eines Impfzwangs zu beschäftigen.
Gehen wir einmal davon aus, es wird zu einer allgemeinen Impfpflicht kommen. Mehr oder weniger einträchtig pochen immer mehr Politiker, Medien und Wissenschaftler auf diese Verpflichtung. Natürlich, um uns aus der Krise zu befreien, an der die uneinsichtigen ungeimpften Menschen die Schuld tragen.
Beachten wir dabei nicht die Absurdität dieses Vorhabens. Ignorieren wir also, dass auch Menschen mit Impfung sich und andere anstecken, schwere Verläufe nicht ausschließen und sich nur einige Monate über die (bestenfalls) gewünschte Impfwirkung freuen können. Klaren Verstandes müsste man zum Schluss kommen, dass eine Allzweckwaffe, die ständig Ladehemmungen hat, das Ziel regelmäßig verfehlt und das in ihr gesetzte Vorhaben dauerhafter Virenbekämpfung nicht ansatzweise erreicht, ein stumpfes Schwert ist. Doch – wie gesagt: das und noch viel mehr ignorieren wir jetzt einfach mal.
Das Arbeitsleben
Eine Impfpflicht würde auf den Arbeitsmarkt vermutlich verheerende Auswirkungen haben. Schon jetzt führt die Frage, ob man geimpft ist oder nicht, zu zahlreichen Spannungen, Kündigungen, Depressionen, Druck, Stigmatisierung und vielem mehr. Zu Ende gedacht, bedeutet eine Impfpflicht, dass Arbeitnehmer faktisch ohne einen Impfnachweis nicht mehr ihrer Tätigkeit nachgehen könnten. Denn die Arbeitgeber werden nicht nur nach dem Impfstatus fragen dürfen, sie werden es vermutlich sogar müssen. Was sich schon jetzt abzeichnet, würde durch einen Impfzwang zu enormen Bewegungen des Arbeitsmarktes führen. Denn da die Entscheidung, die bislang zumindest offiziell noch immer eine persönliche ist, die jeder für sich treffen kann, im Falle einer allgemeinen Impfpflicht ausschließlich eine gesellschaftliche bzw. juristisch zu bewertende sein wird, sind die Konsequenzen weitreichender als jetzt. Vermutlich würde eine Verpflichtung zum Impfen auch bislang noch eher kulante Arbeitgeber in eine schwierige bis ausweglose Situation bringen: Sie müssten ihre Kulanz staatlich angeordnet ablegen und darauf bestehen, dass jeder Mitarbeiter seine Injektion nachweisen kann. Selbst die Option auf die Arbeit im Home Office wäre dann vom Tisch. Die Reaktionen der Angestellten wären – grob – in zwei Richtungen zu vermuten. Entweder sie akzeptieren (auch gegen ihre Überzeugung) die Impfpflicht. In diesem Fall wären sie wahrscheinlich als loyale Bürger der Politik dauerhaft abhandengekommen. Oder sie beugen sich nicht und kündigen, in der Hoffnung, irgendwo etwas Neues zu finden. Doch das dürfte mit ihrem Impfstatus schwierig werden und würde zu dauerhafter Arbeitslosigkeit führen. Der Impfdruck würde aber auch dann bestehen bleiben, denn eine allgemeine Impfpflicht hört beim Jobcenter schließlich nicht auf. Auch Sanktionen wären daher denkbar. Man muss befürchten, dass die Zahl der Arbeitslosen ohnehin in ungeahnte Höhen steigen könnte. Was sich jetzt in der Pflege schon abzeichnet, nämlich fehlende Arbeitskräfte (die schon vor der Krise ein Problem waren, da Bezahlung, Wertschätzung und Rahmenbedingungen unterirdisch sind), wird sich womöglich auch auf andere Branchen ausdehnen. Derlei Verwerfungen würden sich natürlich auch auf das Konsumverhalten der Menschen auswirken, Kredite könnten in vielen Fällen nicht mehr bedient werden, Immobilien könnten sich aus dem Lebenstraum von Familien in Zwangsversteigerungsobjekte verwandeln. Der Autor dieses Textes kann nicht ansatzweise ahnen, wie genau sich eine Impfpflicht auf die Arbeitswelt auswirken würde, wie viele Faktoren plötzlich bedeutsam würden, die jetzt kaum jemand auf der Rechnung hat. Doch dass es zu heftigen Problemen und Strukturveränderungen kommen würde, scheint absehbar.Die Kinder
Da die Politik auch keine Skrupel gegenüber der Impfung von Kindern entwickelt (im Gegenteil), muss man auch diese Gruppe in die Überlegungen einbeziehen. Wenn eine allgemeine Impfpflicht auch die Kleinsten der Gesellschaft betrifft, werden Eltern vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt. Ist ein Kindergartenbesuch ohne Impfung im Falle eines Impfzwangs noch möglich? Wie steht es um den Schulbesuch? Sport oder Musik? Kunst? Freunde? Eine Pflicht hat es naturgemäß an sich, dass der Versuch des Widersetzens nicht folgenlos bleiben kann. Die Palette der Sanktionen ist groß, die Liste möglicher Strafen lang. Die Kinder selbst werden hier keinerlei Mitspracherecht haben, allenfalls die Eltern, die jedoch ihrerseits ebenfalls der Pflichtimpfung unterworfen sind. Wenn etwa der Schulbesuch ohne den Nachweis einer Impfung nicht mehr möglich sein sollte, werden viele, sehr viele Kinder geimpft werden, denn das Unterlassen wäre das Aus der gesellschaftlichen Teilnahme von Eltern und Kindern. Womöglich würde aus der bislang geltenden Schulpflicht dann eine „Schulpflicht unter besonderen Bedingungen“ werden. Es würde aber dennoch Eltern geben, die sich weigern würden, ihre Kinder (und/oder sich selbst) impfen zu lassen. Da sie dadurch außerhalb des alltäglichen Lebens stehen würden, wäre die Folge radikale Isolation, was wiederum zu Depressionen und Suizid und/oder einer extremen inhaltlichen Radikalisierung führen würde. Für die Gesellschaft wären sie verloren, und zwar dauerhaft. Auch eine Impfpflicht für Kinder würde verheerende Auswirkungen haben, die hier nur angedeutet werden können, da dem Autor für eine Einschätzung der tatsächlichen Entwicklung die Fantasie und das Wissen fehlen. Zudem ist ja heute zunächst einmal unklar, wie eine derzeit nur angedachte Impfpflicht von der Politik tatsächlich durchgesetzt werden und ob diese Durchsetzung so kompromisslos verlaufen würde wie hier als Theorie skizziert wird. Dazu weiter unten mehr.Die Verweigerer
Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass es im Falle einer Impfverpflichtung auch konsequente Verweigerer (hier übrigens als wertfreier Begriff genutzt) geben würde. „Herangezüchtet“ wurden diese bereits über eine lange Zeit im Vorfeld. Der dauerhafte Druck auf die „unvernünftigen Impfverweigerer“, die dem gesellschaftlichen Frieden im Wege stehen und für mittlerweile alles verantwortlich gemacht werden, was irgendwie mit Corona zusammenhängt, hat zu einer inneren (und äußeren) Distanzierung zum Staat gesorgt. Die Verweigerer sind selbstverständlich wie alle anderen auch von der Impfpflicht betroffen und müssen mit den Konsequenzen leben. Doch ihre Gegenwehr dürfte deutlich heftiger ausfallen. Da die stetig wachsende Standhaftigkeit derer, die sich nicht impfen lassen wollen, letztlich von der Politik in dieser Form erst in die Wege geleitet wurde, dürfte der Widerstand umso massiver werden. Da stellen sich die Fragen: Was tun mit dieser Gruppe von Menschen? Was, wenn tatsächlich bei einem Teil der Bevölkerung alle Sanktionen und Strafen ins Leere laufen? Man muss diese Aspekte ansprechen, will man als politisch Verantwortlicher auf die Folgen einer Impfpflicht vorbereitet sein. Denn letztlich kann man den Gedanken an Gewaltanwendung nicht ausklammern, will man konsequent eine Pflicht zum Impfen beschließen und durchsetzen. Was aber passiert mit der Gesellschaft, wenn es wirklich zur Anwendung von Gewalt staatlicherseits kommt? Wie sehr und in welche Richtung wird sich die kollektive Stimmung verändern? Wie viel Gewalt wird der Staat seinen Organen erlauben, oder gar von ihnen einfordern? Wie werden Polizeibeamten (und womöglich sogar die Bundeswehr) damit umgehen? Und: Werden Teile der Bevölkerung, die dem Impfen zugeneigt sind, ebenfalls Gewaltbereitschaft entwickeln, vielleicht Bürgerwehren gründen oder sich gleich in Selbstjustiz üben, weil sie der festen Überzeugung sind, im Recht zu sein und damit Leben zu retten?Alles halb so schlimm?
Optimisten könnten jetzt einwenden, dass hier jemand den Teufel an die Wand malt. Staatliche Gewalt wegen der Weigerung, sich impfen zu lassen? Das ist dann doch ein wenig zu dick aufgetragen. Doch was bedeutet Gewalt genau? Wenn man bedenkt, dass Hardliner wie Markus Söder, Winfried Kretschmann und – natürlich! – Karl Lauterbach sich für eine Impfpflicht aussprechen, ahnt man, dass sie auch nicht zimperlich sind, wenn jemand sich sträubt. Und auch zahlreiche vermeintliche Experten der Rechtswissenschaften erkennen in einer Impfpflicht kein Problem. Der Staatsrechtler Ulrich Battis‘ meint gar, dass eine Verpflichtung auch vom Grundgesetz gedeckt sei:Eine solche allgemeine Impfpflicht ist durchaus vertretbar – und zwar, um das Leben anderer Menschen zu schützen.Fraglich ist, inwieweit dieses Argument rechtlich wasserdicht ist, wirkt es doch sehr pauschal und oberflächlich. Getoppt wird Battis Aussage aber durch die folgende:
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das ebenfalls der Artikel 2 festschreibt, hat dahinter zurückzutreten.Das klingt schizophren. Aber unterstellen wir hier, dass es keine gesetzlichen Hürden gibt, die gegen eine Impfpflicht sprechen. Und kommen wir zur Frage der Durchsetzbarkeit zurück. Der Rechtsprofessor Franz C. Mayer will strikt zwischen Pflicht und Zwang unterscheiden und beruhigt die Bevölkerung, indem er meint, niemand werde von der Polizei abgeholt werden, um sich seine staatsbürgerliche Spritze setzen zu lassen. Die Beruhigung hält aber nicht lange vor, denn neben Bußgeldern (die Rede ist von bis zu 3.500 Euro) sei auch der Verlust der gesetzlichen Krankenversicherung denkbar. In diesem Zusammenhang sei erneut danach gefragt, wo Gewalt anfängt. Der Verlust der Krankenversicherung kann durchaus als gewaltsamer Akt verstanden werden. Und ein Geringverdiener, Zeitarbeiter oder Arbeitsloser wird 3.500 Euro eher nicht zahlen können. Ob die Polizei auftaucht oder nicht, kann hier ebenfalls nicht abschließend und sicher beurteilt werden. Und abschließend stehen weitere Unklarheiten im Raum: Wie lange würde eine Impfpflicht überhaupt gelten? Bis zur dritten Impfung? Müsste man sie als Jahres-Abo verstehen? Wird die Impfpflicht beendet, wenn sich bei Menschen schwere Nebenwirkungen zeigen? Müssen die Betroffenen diese dann nachweisen? Und das Ende der Pflicht einklagen? Und wird die Impfpflicht ausgeweitet, wenn durch Virusmutationen weitere – womöglich teleskopierte – Impfstoffe auf den Markt kommen?
Dünnes Eis
Die hier genannten möglichen Szenarien mögen letztlich vielleicht (hoffentlich) nicht wahr werden. Dennoch erscheinen sie nicht unwahrscheinlich. Alles kann sich harmloser entwickeln, aber auch deutlich schlimmer. Wenn eine Gesellschaft in einer Art und Weise „aufeinander losgelassen“ wird, wie das derzeit der Fall ist, können die Folgen erheblich sein und das ganze gesellschaftliche Leben verändern. Wir bemerken bereits seit fast zwei Jahren eine Entwicklung, die die Bevölkerung immer mehr spaltet. Die unterschiedlichen Gruppen, die sich dabei gegenüberstehen, werden immer unversöhnlicher, was auch Stress, Manipulation, dem Schüren von Angst und dem Aufbau von zahlreichen Feindbildern zuzuschreiben ist. Eine allgemeine Impfpflicht (übrigens auch eine begrenzte) würde die Eskalation weiter vorantreiben. Das gilt insbesondere, weil die Verantwortung für Krankheit, Leid und Tod einer bestimmten Gruppe – den „Ungeimpften“ – zugeschrieben wird. Durch die Massivität und die ständige Wiederholung dieser pauschalen Verurteilungen einer Menschengruppe werden sich die Feindseligkeiten weiter steigern (lassen). Es wäre endlich an der Zeit der Deeskalation, nicht der „schrittweisen Eskalation“, die Alena Buyx vom sogenannten Ethikrat vorschwebt. Weder gibt es faktisch eine „Tyrannei der Ungeimpften“, noch eine „Pandemie der Ungeimpften“, und der Austausch von „Zuckerbrot gegen Peitsche“, der dem Weltärztepräsident Montgomery im Kopf herumschwirrt, trägt ebenfalls zu einer weiteren Gewaltbereitschaft bei, ob nun psychisch durch mediale Berichterstattung oder physisch durch entsprechend gewalttätige Handlungen. Doch eine Art „Abrüstung“ ist nicht zu erkennen, das muss man nüchtern feststellen. Vielmehr wird weiterhin und jeden Tag ein bisschen mehr aufgerüstet, werden die Töne schärfer, die Anfeindungen kompromissloser und die Verurteilungen aggressiver. Wir befinden uns schon ohne eine Impfpflicht auf einem Weg in die Dunkelheit, und wenn wir das nicht langsam gemeinsam verstehen, wird er in unumkehrbarer Finsternis enden. Derzeit sind noch helle Punkte zu erkennen, die uns den Weg weisen können, hin zum gegenseitigen Verständnis, zu gegenseitiger Rücksichtnahme und verantwortungsbewusstem Handeln, das das Wohl unserer Mitmenschen ganz selbstverständlich in den Fokus unseres eigenen Interesses rückt. Doch wenn Politik, Medien und (bestimmte) Wissenschaft weiterhin an der Eskalationsschraube drehen, werden wir irgendwann (wenn dies nicht sogar längst geschehen ist, was nicht zu hoffen ist) nicht mehr umkehren können, sondern Akteure des kompletten Chaos’ sein. Wie es auch kommen mag – eine Impfpflicht wird uns definitiv nicht der Rettung näherbringen, sondern ganz sicher dem gesellschaftlichen Abgrund.Schmuddelkinder-Allianzen und ein Treppenwitz namens Wanderwitz
Marco Wanderwitz (CDU) hatte eine Idee! Wenn die Impfquoten in Ostdeutschland niedrig sind und gewissermaßen traditionell die AfD eher im Osten als im Westen gewählt wird, dann kann das nur bedeuten, dass die Alternative für Deutschland einen schlechten Einfluss auf die hilf- und hirnlosen Ossis hat.
Man kann das allerdings auch anders sehen.
Fummeln wir zunächst einmal das, was man wohlwollend Argumentationskette nennen könnte, zusammen.
Wanderwitz dachte sich sinngemäß: Die meisten AfD-Funktionäre sind kategorisch gegen das Impfen und lehnen die uns alle vor dem Tod schützenden Maßnahmen der verantwortungsvollen und liebevoll agierenden Bundesregierung ab. In der Folge sind auch die Menschen im Osten gegen Impfen und Maßnahmen. Zumindest die, die die AfD wählen.
Und Wanderwitz blickt auch in die Zukunft: Er geht davon aus, dass
wir in Ostdeutschland im Herbst aufgrund der Delta-Variante eine Corona-Welle sehen werden, die das Gesundheitssystem erneut an seine Grenzen bringen wird.Und als wäre das nicht schon suboptimal genug, fügt er hinzu:
Wenn sich zeigt, dass auch Jüngere schwer erkranken und es für Ungeimpfte in Richtung eines Teillockdown geht, kann ich mir zwar vorstellen, dass es sich viele doch noch überlegen und sie sich gegen Covid-19 impfen lassen.Doch alles in allem seien die gruseligen Wähler der AfD nicht für Argumente empfänglich. Und womöglich nicht einmal für Drohungen, denn nichts anderes ist das, was Wanderwitz hier rausgehauen hat.
Treppenwitz I
Wanderwitz lügt. Und das ist das Schöne an Corona-Zeiten. Man kann das ziemlich einfach sagen, weil die Lügen so offensichtlich sind. Wenn ein Lauterbach von „nebenwirkungsfreien Impfungen“ spricht und ein Wanderwitz darüber sinniert, dass das Gesundheitssystem „erneut an seine Grenzen“ gebracht wird, dann lässt sich dem einfach entgegnen: Ihr lügt! Das Gesundheitssystem stieß (zumindest wegen Corona) nicht an seine Grenzen, ebenso wenig wie clevere Krankenhausmanager, die ihre Intensivbetten nach Lust und Laune und Lukrativität hin und her schoben. Man könnte (und müsste!) einräumen, dass unser Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) regelmäßig an seine Grenzen stieß. Aber keine Intensivstation der Welt kann für die Inkompetenz eines Bankkaufmanns, getarnt als Gesundheitsminister, verantwortlich gemacht werden.Treppenwitz II
AfD-Wähler sind für Argumente nicht empfänglich. Das ist sehr interessant. Denn die „Argumente“, die uns tagein, tagaus vorgelegt werden, heißen: • Wir dürfen unser Gesundheitssystem nicht überlasten. • Wer die Maßnahmen kritisiert, ist ein Corona-Leugner. • Wer dem Impfen skeptisch gegenüber steht, ist ein Impfverweigerer. • Wer die menschenunwürdige Quälerei von Kindern nicht in Ordnung findet, trägt seine Bockigkeit auf dem Rücken der Kleinsten aus. • Wer gern andere Experten als die Hofberichtbestatter wie Drosten, Brinkmann, Priesemann und Co. hören möchte, ist ein Schwurbler. Argumentativ sind diese Punkte eher in der Rubrik „Noch alle Latten am Zaun?“ einzuordnen. Schließlich sind es keine, das kann man drehen und wenden, wie man will.Die Schmuddelkinder
Wir haben es mal wieder mit Schmuddelkindern zu tun. Also mit jenen, die aus der Reihe tanzen, die einfach nicht hören wollen und fühlen müssen, wozu das führt. Die AfD und ihre Wähler sind solche Schmuddelkinder. Boris Reitschuster auch. Nena, natürlich. Jan-Josef Liefers nicht zu vergessen. Und die wiederum klammern sich an Nazis, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker bzw. sind selbst welche. Es wird also Zeit, den „Volkslehrer“ zu nennen, Attila Hildmann und Bodo Schiffmann. Oh, der Wendler darf auch nicht fehlen. Ihre schützenden Hände halten Ken Jebsen und Michael Ballweg über all diese Figuren, und der König von Deutschland, Peter Fitzek, lädt alle zum Essen in seinem Restaurant ein, das er auf sein Land gebaut hat. Ganz unten in der Nahrungskette stehen die gemeinen Bürger, genauer: die, die ebenfalls nicht empfänglich für die oben genannten Argumente sind. Die, die nach Berlin oder sonst wohin fahren, um für ihre Grundrechte zu demonstrieren. Also die, die die Gesundheit aller gefährden, wenn sie über Straßen laufen, um ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen. Die ganz Radikalen unter ihnen mischen sich womöglich noch unter die Teilnehmer des Christopher-Street-Days und gefährden so eine schützenswerte Minderheit. Unmöglich, solche Leute!Neue Allianzen
Verabschieden wir uns an dieser Stelle von Ironie und Zynismus und betrachten die „neuen Allianzen“ einmal ganz nüchtern. Was Wanderwitz mit seinen Mutmaßungen deutlich gemacht hat, weiß er sicher nicht. Sonst hätte er es gelassen. Er hat nämlich aufgezeigt, dass kritische Menschen in diesen Zeiten fast überall diffamiert und drangsaliert werden. Wer das heute noch bestreitet, muss ein Realitätsleugner sein (um im Bild zu bleiben). Schon vor der faktischen Einführung einer Impfpflicht wurden Menschen, die auf andere Aspekte der Krise hinweisen wollten, zu Unpersonen erklärt, und selbst Wissenschaftler, die früher hoch angesehen und gern als Gäste in Talkshows eingeladen wurden, verloren plötzlich in der Öffentlichkeit ihre Glaubwürdigkeit. Doch die Diffamierung ging weit über Wissenschaftler hinaus, und nahezu jeder, der nicht voll und ganz auf Linie war, erlebte schnell und heftig, was es heißt, von der Gemeinschaft ausgegrenzt oder gar ausgeschlossen zu werden. Die Konsequenz ist naheliegend. Es fanden sich neue Allianzen. Allianzen, die man vorher kaum für möglich gehalten hätte. Zusammenschlüsse, die quasi aus der Not entstanden. Aus der Not heraus, die Grundrechte dahinziehen zu sehen. Aus der Not heraus, die ganze Konstruktion der Demokratie gefährdet zu sehen. Das sind keine Peanuts, und wer sich ernsthafte Gedanken machte, kam schnell (oder auch weniger schnell) zum Schluss, dass hier eine große Gefahr auf uns zurollt, eine Gefahr, die nicht vergleichbar ist mit Diesel-Skandalen, Verkehrsministern mit krimineller Energie, ja, eine Gefahr, die sogar ähnlich bedeutend ist wie die Gefahr eines Krieges. Denn wenn die Demokratie im Totalitarismus mündet, ist das nicht nur ebenfalls eine Form des Krieges, sondern darüber hinaus die gesteigerte Möglichkeit, auch in andere kriegerische Auseinandersetzungen zu geraten. Eben, weil der Totalitarismus nicht gerade eine friedvolle Gesellschaftsform ist. Daher ist es auch nur auf den ersten Blick verwunderlich, wenn plötzlich Menschen, die vorher die BILD nicht einmal mit einer Kneifzange angefasst hätten, jetzt Artikel lesen und teilen, die unsere Kinder um Entschuldigung bitten wollen oder Videos verfolgen, in denen Julian Reichelt feurige Reden für die Grundrechte hält. Ich war nie ein Freund der These, links und rechts seien nicht mehr wichtig, solange man nur gemeinsame Ziele hat. Links ist – Professor Mausfeld folgend – das Ziel von Gleichwertigkeit, rechts das Gegenteil davon. Gleichwertigkeit bedeutet, gleiche Chancen zu haben (nicht das, was den angeblichen Tellerwäscher zum Millionär macht, denn diesen Tellerwäscher gibt es faktisch so gut wie nie), es bedeutet, Wertschätzung zu erfahren und ein Recht auf ein gutes Auskommen zu haben (so interpretiere ich das jedenfalls). Rechts zu sein dagegen setzt auf die Ungleichheit im Sinne von Wertschätzung, die bestimmten Menschen entzogen wird, weil sie sie nicht „verdienen“. Doch in dieser Krise geht es tatsächlich nicht um die Frage, ob man links oder rechts tickt. Es geht um etwas Größeres, Grundsätzliches. Konnte man vor Corona noch vortrefflich darüber streiten, wie große Konzerne besteuert werden, ob die Rente privatisiert werden soll oder das Schulsystem eine dringende Reform braucht, stehen jetzt andere Fragen im Vordergrund. Fragen nach der Demokratie, den Grundrechten, der Freiheit, und die Frage danach, was der Staat systembedingt darf oder nicht darf. Hier gibt es eine durchmischte Gruppe von Menschen, die die Gefahr erkennen und sich dagegen wehren. Die Fragen, die sich diese Menschen stellen, sind tatsächlich nicht links oder rechts, sondern grundlegend. Sie stellen das System, wie es sich seit Corona entwickelt, in Frage, sehen die Gefahr des Zerfalls und schließen sich aus diesem Grund zusammen. Sie können gar nicht anders, denn nur wenige erkennen, dass wir wirklich gefährdet sind, alles zu verlieren, was wir bisher als Demokratie bezeichnet haben. Doch die Tatsache, dass es eine Minderheit ist, die die Auslöschung der Demokratie fürchtet, macht die Gefahr nicht kleiner, im Gegenteil. Letztlich werden sie sich auch wieder auflösen, diese Allianzen, das sollten wir jedenfalls hoffen, denn sie werden das wohl erst können, wenn die Gefahr abgewendet ist. Um es plakativ zu formulieren: Wenn ich bei „die Linke“ kein Verständnis für meine Ängste und Befürchtungen finde, weil die Partei sich weitgehend dem allgemeinen Narrativ angepasst hat, bleibt mir nichts anderes übrig, als nach Verbündeten zu suchen, die ich nur woanders finden kann. Tue ich das nicht, bleibe ich allein. Und das ist das Schlimmste, was in einer solchen Krise passieren kann.Und der Wanderwitz?
Wanderwitz? Bleibt ein Treppenwitz. Aber er ist in bester Gesellschaft, denn die Diffamierungen funktionieren bei ihm wie auch bei zahlreichen anderen Politikern. Die Tatsache, dass er der AfD und AfD-Wählern fehlende Argumente vorwirft bzw. auf solche nicht einzugehen, ist billig und bezeichnend. Denn wie oben schon angemerkt, sind es Figuren wie Wanderwitz, die mit den immer gleichen hohlen Floskeln argumentieren, obwohl diese längst entkräftet sind. Tobias Riegel hat es auf den NachDenkSeiten gut auf den Punkt gebracht:Auch solche Haltungen sind beispielhaft für die Corona-Episode. Es wird, wenn das Ergebnis die destruktive offizielle Corona-Politik „rechtfertigt“, auf dem Feld „der Wissenschaft“ zum Teil intensiv gebogen und getrickst: So werden mit unfassbarer Sturheit seit 18 Monaten absolute Zahlen als aussagefähig hingestellt, es werden einfachste Regeln der Statistik glatt ignoriert, es wird (vorsätzlich) eine „Daten-Erhebungs-Katastrophe“ und ein gewollter Zustand des „Nichtwissens“ angerichtet. Zusätzlich werden all die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse ignoriert, die allesamt der Corona-Panikmache und dem Prinzip Lockdown entgegenstehen: etwa die unseriöse Zählweise der „an oder mit dem Virus Verstorbenen“ oder die fragwürdigen Aussagen der PCR-Tests oder die unbegründete Angst vor der vernichteten Lebenserwartung oder die unbegründete Angst vor zu wenig Intensivbetten oder die (ausbleibende) Übersterblichkeit oder die „Unwissenheit“ der Regierung zu den konkreten Wirkungen von Lockdowns.Und weiter:
Neben dem durch die Corona-Maßnahmen (nicht durch das Virus) gesteigerten Welthunger muss außerdem auf die Reichtums- und Armuts-Explosion, den Grundrechtsentzug, die Protest-Verbote, die sich anbahnende Massenkontrolle und Überwachung, die eingesperrten Kinder und die zum einsamen Sterben verdammten Alten hingewiesen werden. Und darauf, dass mittlerweile ohne jeden Zweifel festgestellt werden kann, dass die extrem destruktiven Wirkungen der Lockdown-Politik in keinem angemessenen Verhältnis zum Gefahrenpotenzial des realen Corona-Virus stehen.Die Liste der Fehler, Fehleinschätzungen und der bewussten Lügen ließe sich fortsetzen und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Also, noch mal: Argumente? Wanderwitz, und auch damit ist er nicht allein, pickt sich ein funktionierendes Feindbild (hier: die AfD) heraus und unterstellt jedem, der im konkreten Fall der Corona-Episode ähnlich argumentiert, auf der falschen Seite zu stehen und den falschen (oder gleich: gar keinen!) Argumenten zu folgen. Dabei ist die AfD in diesem Fall ebenso wenig das Problem wie die BILD. Im Gegenteil, sie gehören zu den Wenigen, die auf die Gefahren des Demokratieverlustes hinweisen. Sollten wir es schaffen, aus dieser Demokratiekrise wieder herauszukommen (was jeder von uns inständig hoffen und alles dafür tun möge, dass es gelingt), werden die heutigen Allianzen sich auch wieder auflösen. Die BILD und die AfD werden vermutlich wieder zurückkehren zu ihrer vor der Krise bekannten Praxis. Und viele von uns werden sie so kritisieren, wie es vor der Krise der Fall war. Ist dann alles wieder beim Alten, können auch alte Kämpfe ausgefochten werden. Kämpfe, die im Moment an die zweite oder dritte Stelle gerückt sind. Spannend ist weniger die Frage, welche Allianzen sich wieder in Wohlgefallen auflösen. Interessanter ist die danach, welche Zusammenschlüsse sich auch nach der Krise als fruchtbar und zielführend erweisen werden. Wenn es denn ein „Danach“ geben wird.