Sag mir, wo die Nazis sind, wo sind sie geblieben?

Die Erzählung wird von Teilen der Bevölkerung nicht mehr hinterfragt: Wer für die Grundrechte auf die Straße geht, ist rechts. Wer sich der Impfung verweigert, ein Nazi. Oder umgekehrt. Doch sie scheinen wie scheue Rehe zu sein, diese ganzen Rechten und Nazis. Man sieht sie kaum. Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum jemand, der auf eine Demo für die Grundrechte geht, rechts sein soll. Daran schließt sich die nächste Frage an: Was ist falsch daran, rechts zu sein? Die Tatsache, dass sich mittlerweile alle Parteien politisch in „der Mitte“ wähnen, klingt wenig überzeugend. Politisch rechts zu denken, war über lange Zeiträume nichts, was gesellschaftlich als Frevel betrachtet wurde. Das berühmte Zitat von Franz Josef Strauß, dass es rechts von der CDU/CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, wirkt heute wie ein Irrtum. Doch in gewisser Weise hatte er eben doch recht. Ob er es genauso gemeint hat, kann diskutiert werden, faktisch jedoch war in seiner Zeit zumindest die CSU unter seiner Führung so rechts, dass es wehtat. Aber es war eine politische Haltung, die sich in eine Demokratie einbetten ließ. Rechts zu sein, konservativ zu sein, das Bestehende zu bewahren und vermeintliche Feinde von links als Gefahr anzusehen, war nicht ungewöhnlich. Strauß war stolz darauf, politisch rechts zu denken, und damit war er authentisch, auch wenn man seine Überzeugungen nicht teilen wollte. Und heute? Will niemand mehr rechts sein. Weil der Begriff von genau jenen verbrannt wurde, die sich früher voller Inbrunst als rechts bezeichnet haben. In der Mitte fühlen sie sich wohler, aber sie sind nur ungefährer geworden, überdecken ihre Überzeugungen mit woken Aussagen, die sie in Kameras lächeln. Und vielleicht sind sie es tatsächlich nicht mehr: rechts. Wahrscheinlich sind sie eher betriebswirtschaftlich als volkswirtschaftlich eingestellt, kämpfen für Konzerne statt für Menschen. Denn auch mit einer rechten Gesinnung kann man für die Menschen da sein. Wenn es als rechts gilt, konservativ das zu schützen, was den Menschen ein auskömmliches Leben sicherstellen konnte, ist daran nichts zu verurteilen. Doch die ehemals Rechten sind auch nicht mehr konservativ, sie stehen für den Wandel, die Globalisierung, den Neoliberalismus und verpacken diese Machtverschiebung als Wohltat für alle. Das ist in der Tat nicht rechts, ebenso wenig wie es links ist, und daher fühlen sich die Grünen in der Nähe der „Mitte“ auch so wohl. Die Partei „die LINKE“ im Übrigen inzwischen auch. Sie alle sind angekommen in der konzernorientierten „Mitte“, die das eigene Leben als betriebswirtschaftliche Herausforderung für Karrierechancen sieht. Sie haben es nicht mehr nötig, sich als rechts zu bezeichnen, weil ihr auf ihren eigenen Vorteil bedachter Egoismus nicht in die Kategorien rechts oder links eingeordnet werden kann. Jener Egoismus hat mit Politik im Sinne des Agierens für die Wähler und Wählerinnen nichts mehr zu tun. Er ist eben das, was er ist: Egoismus.

Und die Rechten auf der Straße?

Man liest über sie. Nach jeder Demo für die Grundrechte und/oder gegen den Impfzwang purzeln die Headlines und Schlagzeilen durch den Blätterwald. Auf dieser und jener Demo seien auch Rechtsextreme, Nazis und Reichsbürger gewesen. Und das Schlimmste: Die anderen Demonstranten, die zwar nicht rechts, aber mindestens uneinsichtig und verantwortungslos sind, haben sich nicht rechtzeitig und vor allem nicht deutlich von diesen fiesen Figuren distanziert. Das allerdings gestaltet sich – das kann ich aus eigener praktischer Erfahrung sagen – ziemlich schwierig. Ich habe an einigen Demos teilgenommen, doch Rechte, Rechtsradikale und Reichsbürger habe ich dort nicht gesehen, sie waren wohl einfach immer woanders unterwegs. Doch, halt, da war etwas. Abends, als wir in Berlin etwas essen waren, teilten wir uns den Tisch mit ein paar Leuten, die sich später im Gespräch als Reichsbürger herausstellten, zumindest aber als Sympathisanten, die von der Idee eines eigenen kleinen Staates begeistert waren. Sie waren zudem noch große Trump-Fans, aber ich weiß nicht, ob diese Eigenschaft es ins Handbuch für Reichsbürger geschafft hat oder eher eine Ausnahme bildet. Das Gespräch begann interessant, flachte dann aber schnell ab. Zu unterschiedlich waren die Ansichten. Schlimm war das nicht, es gab noch andere Themen, auf die wir uns einigen konnten. Alles in allem war es recht nett, und offen gestanden sehe ich keine Veranlassung, mich von diesen Leuten, die mit mir an einem Tisch saßen, zu distanzieren. Machen wir uns nichts vor, die von der Presse so häufig und in großer Anzahl anwesenden Rechten sind im Wesentlichen eine Minderheit, die kaum ins Gewicht fällt. Man sieht sie kaum, und wenn, dann stehen sie meist ziemlich verloren da und suchen nach Fixpunkten, an denen sie sich orientieren können. Diese Minderheit ist übrigens Lichtjahre davon entfernt, irgendwelche Demos zu dominieren oder deren Teilnehmer zu manipulieren. Dafür fehlt ihnen schlicht die Bedeutung. Und die Manpower.

Die Angst vor den unsichtbaren Rechten

Im Ernst: Wann und wo gab es Ausschreitungen, die auf Rechtsextreme oder ähnliche Leute zurückzuführen sind? Gibt es Filmaufnahmen von enthemmten Rechtsradikalen, die Demos unter ihre Kontrolle gebracht haben? Mir fällt da spontan nur der sogenannte „Sturm auf den Reichstag“ ein. Am Abend nach der Demo überschlugen sich die Meldungen, dass Reichsbürger und andere schlimme Finger den Reichstag überrannt hätten. Auf die Idee einer Inszenierung oder der Beteiligung von Agents Provocateurs kam niemand, hatte gefälligst niemand zu kommen. Nun war ich zufällig dabei und konnte kaum fassen, was ich da lesen und sehen musste. In den Medien, wohlgemerkt. Dieser ganze „Sturm“ stellte sich als laues Lüftchen heraus, die Handvoll Beamten, die vermeintlich die Wiege der Demokratie verteidigten, wurden ziemlich schnell als etwas enttarnt, das eher einem schlecht gemachten Kung-Fu-Film glich als dem aufrechten Kampf mutiger Polizisten. Nebenbei bemerkt: Es war den ganzen Tag über nahezu unmöglich, bis zum Reichstag vorzudringen (selbst mit Presseausweis gelang mir ein Durchkommen nur nach einer langen Diskussion). Der Bereich war großflächig und mit einer Menge Beamten abgesperrt. Die Tatsache, dass am Abend der „Sturm“ geradezu wie ein Spaziergang wirkte, führte damals bei den meisten Beteiligten zu massiver Belustigung. Aber unterstellen wir einfach mal, es gab diesen „Sturm auf den Reichstag“ (was mir aufgrund der Peinlichkeit dieser Inszenierung fast körperliche Schmerzen bereitet): Was gab es denn sonst noch an vergleichbaren Aktionen? Seien wir ehrlich: fast nichts. In der Hauptsache sieht man seit Beginn der Demos völlig durchschnittliche Leute, die sich Sorgen machen. Sorgen wegen des möglichen Zerfalls des Rechtsstaates. Sorgen wegen einer Impfpflicht, Sorgen um ihre Kinder, ihren Beruf, ihre Familien. Politik und Medien ist das natürlich auch klar. Doch wie sollen sie umgehen mit Bürgern, denen faktisch nichts zur Last gelegt werden kann, sieht man einmal von Angst und dem Vertrauensverlust gegenüber der Politik und den Medien ab? Ein schwer zu lösendes Problem, das nach einer simplen Lösung schreit.

Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt

Es gibt unzählige Olaf Sundermeyers in der deutschen Medienlandschaft. Er ist nur der Bekannteste und besticht durch einen konzentrierten, stechenden Blick, der sagt, dass jeden Moment ein Nazi aus der Ecke springen kann, um Sundermeyer ein Mikadostäbchen in die Wade zu stecken. Und er hetzt auf einem Niveau, bei dem selbst der „Tagesspiegel“ vor Hochachtung in die Knie gehen dürfte. Es sind die Sundermeyers in den Medien und die Söders und Kretschmers und Kretschmanns in der Politik, die immer wieder aufs Schärfste die Gewalt verurteilen, die von Demonstranten (zusammengefasst unter dem Begriff „Querdenker“, zu denen dann natürlich auch Reichsbürger, Nazis und Rechtsextreme gehören) ausgehe. Doch wenn man bedenkt, wie viele Menschen seit nunmehr fast zwei Jahren regelmäßig auf die Straße gegangen sind, kann man über diese Berichte eigentlich nur müde lächeln. Doch das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Viel wichtiger ist die unausgesprochene und medial ignorierte Gewalt, die die gesamte Bevölkerung seit knapp zwei Jahren durchleiden muss. Denn nichts anderes ist die Maßnahmen-Politik, die wir erleben. Ich habe staatliche Gewalt gegen mich erlebt, war eingekesselt, obwohl ich meinen Presseausweis vorzeigen konnte, wurde beschimpft, umgestoßen und in einem Fall sogar getreten. Das war die eine Form der erlebten Gewalt. Die andere war und ist die psychologische, die längst einen Punkt erreicht hat, an dem Andersdenkende zu „Extremisten“ und „Terroristen“ gemacht werden. Die nächste, vor der Tür stehende staatliche Gewalt, ist die mögliche allgemeine Impfpflicht. Sie hat eine physische und eine psychische Seite, beide zusammen ergeben ein giftiges Gemisch, das viele Menschen ganz erheblich belasten und womöglich auch körperlich treffen wird.

Gewalt gegen die Mitte

Da hocken sie, in ihrer „Mitte“, Politiker und Medienschaffende, und sie behaupten, für die Mitte der Bevölkerung da zu sein. Nichts könnte an dieser Deutung falscher und manipulativer sein. Denn die Mitte, das sind die, die auf die Straße gehen und um ihre Rechte und ihre Freiheit kämpfen. Sie machen das in der überwältigenden Mehrheit gewaltfrei, dafür mit viel Fantasie und Aktionen, die sie liebenswert machen. Von den wahren Extremisten, die in Berlin, in den Landesregierungen und in den Redaktionsstuben sitzen, ist niemand auf diesen Demos. Viel zu sehr sind sie damit beschäftigt, die Mitte der Bevölkerung in einen gewaltbereiten rechten Mob zu verwandeln, der das System stürzen will. Doch wer die Freiheit aushebelt, die Grundrechte mit Füßen tritt und eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona einführen will, der ist der Systemfeind, weil die maßgeblichen Errungenschaften dieses Systems Grundrechte und Freiheiten und das Recht auf körperliche Unversehrtheit sind.

Demo in Berlin: Dürfen wir sein, wo Höcke ist?

Die Medienmaschinerie läuft auf Hochtouren. Je näher der 29.8.2020 rückt, desto giftiger werden die Berichte, die ganz extremistischen werden als „Kommentar“ verpackt, zumindest wenn es um Empfehlungen wie den Einsatz von Wasserwerfern gegen die Demoteilnehmer geht. Und nun ruft auch noch Bernd Höcke dazu auf, an der Demo teilzunehmen. Nicht als Parteimitglied, sondern als Bürger. Wie um alles in der Welt geht man damit am besten um? Ich will es kurz machen, danach aber begründen: Soll er doch kommen! Na, schon Schnappatmung bekommen? Mich in die ganz, ganz rechte Schublade gesteckt? Den Text schon an Freunde und Bekannte weitergeleitet mit der Warnung, bloß die Finger von diesen neulandrebellen zu lassen? Ok, dagegen kann ich dann wohl auch nichts tun. Aber meine Begründung kann ich ja trotzdem loswerden. Höcke wird nicht der einzige sein, der in Berlin zu sehen sein wird. Ganz sicher werden einige Kandidaten dort auftauchen, mit denen man ganz sicher keine Lust hat, über einen Wochenmarkt zu schlendern oder womöglich sogar nett ein Bier zusammen zu trinken. Ich will die üblichen Verdächtigen hier gar nicht aufzählen, das übernimmt der Mainstream ohnehin bis ins Detail. Und womöglich würde ich versehentlich sogar jemanden nennen, den die Presse bisher noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Für derlei Hilfsarbeiten für Denunzianten stehe ich nicht zur Verfügung.

Höcke ruft auf!

Aber zurück zu Höcke. In einem knapp zwei Minuten langen Video erklärt der Hardliner der AfD, warum er dazu aufruft, an der Demo teilzunehmen. Inhaltlich ist daran – auch wenn es wehtut – nicht viel auszusetzen. Das Statement hätte auch jeder andere kritische Geist abgeben können. Brisant ist das, was Höcke sagt, selbstverständlich dennoch. Denn der Mann manipuliert, was das Zeug hält, und er weiß natürlich, dass er mit seiner Videobotschaft dazu beiträgt, die Demonstranten zu spalten bzw. dazu anregt, sie von außen medial zu spalten. Daran ist nichts Angenehmes, nichts, was ausreichen würde, die Person und den Politiker Björn Höcke in ein neues, ein positiveres Licht zu rücken. Höcke ist und bleibt eine politische Figur von der übelsten Sorte, der mit seiner Wortwahl oft Grenzen überschreitet, die außerhalb dessen liegen, was erträglich ist. Mit anderen Worten: Björn Höcke hätte auf dieser Demo eigentlich nichts zu suchen!

Höcke darf das

Ich hoffe zwar, dass ich deutlich gemacht habe, was ich von Höcke (und auch der AfD) halte: nichts. Und um auf Nummer sicher zu gehen, unterstreiche ich meine Ansicht, indem ich sage, dass die AfD und Höcke ein gefährlicher Haufen neoliberaler und teils faschistoider Mitglieder sind. Einige sind harmloser, andere radikaler, aber in der Summe ist die AfD nichts, was ich ernsthaft als politische Alternative bezeichnen würde. Je mehr Macht diese Partei hat, desto übler werden die Konsequenzen sein. Das Traurige an diesem Absatz ist allerdings, dass ich ihn überhaupt schreiben muss, um zumindest den Versuch zu unternehmen, nicht in eine falsche Ecke gestellt zu werden. So ist das im Jahr 2020. Aber! War klar, oder? Dass jetzt ein „Aber“ kommt. Ja, war es, und hier ist es auch schon. Björn Höcke darf zur Demo in Berlin aufrufen, und er darf natürlich auch kommen (es sei denn, die Veranstaltung wird verboten, dann sind wir aber alle in den Arsch gekniffen, die dorthin gehen wollen). Sein Aufruf hatte nichts Justiziables, der Mann ist nicht rechtskräftig verurteilt oder aus dem Gefängnis getürmt. Sollte er in Berlin plötzlich neben mir auftauchen, würde ich ganz schnell das Weite suchen – was schon deshalb anzuraten ist, weil die Vorstellung, auf einem Foto mit ihm zu sehen zu sein, wahrscheinlich nicht nur zu einem Shitstorm gegen mich führen würde, sondern womöglich auch handfeste Drohungen oder gar Angriffe auf mich zur Folge hätte. So gesehen beweist jeder Mut, der nach Berlin fährt, obwohl doch auch Höcke kommen will. Also, ich wiederhole: Soll er doch kommen! Ich kann das nicht verhindern, ohne demokratische Grundsätze mit Füßen zu treten. Höcke ist ein Bürger, der demonstrieren darf, wenn er das für richtig hält. Und jeder, der etwas von Demokratie hält, sollte sich das bewusst machen.

Aber Höckes Ansichten …

Eine andere Frage ist, wie man Höckes Teilnahme an der Demo einordnet. Und das kann letztlich nur jeder mit sich selbst ausmachen. Ich persönlich glaube, dass sein Auftauchen in erster Linie dem Marketing für sich und seine Partei dient. Ein Mann, der offenkundig gegen Freiheitsrechte steht, wenn sie Menschengruppen betreffen, die ihm nicht passen, kann in meinen Augen nicht authentisch für die Grundrechte demonstrieren. Insofern ist Höckes Teilnahme ein Witz, der im krassen Widerspruch zu seinen politischen Statements stehen. Andererseits kann ich ihm deshalb die Demo nicht verbieten, das hatten wir ja schon. Ich kann mich von ihm distanzieren, und ich kann nur jedem raten, das ebenfalls zu tun, wenn er die politischen Überzeugungen von Höcke nicht teilt. Mehr geht aber nicht. Denn womöglich will Höcke ja nur auf die Demo gehen, weil ihm die Corona-Politik der Bundesregierung nicht passt. Es ist einerlei, er ist ein Mensch, der das Recht hat, auf dieser Demo zu erscheinen.

Spiel nicht mit den Schmuddelkin … Ihr wisst schon

Medial sieht die Sache so aus: In steter und penetranter Regelmäßigkeit wird uns durch Politik und Medien mitgeteilt, was für „böse“ Menschen auf die Demo am 29.8.2020 gehen. Dazu ist erstens zu sagen: Das mag stimmen, aber die Anzahl dieser „bösen“ Menschen ist übersichtlich, sehr übersichtlich sogar, wie die Demo am 1. August gezeigt hat. Und letztlich ist es eben auch immer die Frage, wer es in den Augen von Medien und Politik in den Olymp der „bösen“ Menschen schafft. Während die einen eindeutig „böse“ sind, ist man sich bei anderen nicht sicher. Da sind dann im Zweifel eben gleich alle „böse“. Vertrackte Situation. Und zweitens sei gesagt: Wenn ich mit 200.000 oder 400.000 oder einer Million Menschen auf eine Demo gehe, die sich gegen die Corona-Politik der Bundesregierung und gegen die tendenziöse Berichterstattung wendet, muss ich damit rechnen, dass auch Leute dabei sind, die nicht mein Fall sind. Ich muss sogar vermuten, dass dort Gestalten auftauchen, denen ich ganz klar unterstellen würde, andere als meine Absichten zu verfolgen. Mehr noch, ich kann nicht ausschließen, dass es Personen auf dieser Demo gibt, die angeworben wurden, um ganz bewusst einen Keil zwischen die Teilnehmer zu treiben. Soll ich deswegen zu Hause bleiben? Sicher nicht, denn dann wäre das Zeitalter der kompletten Demonstrationsfreiheit angebrochen. Und damit meine ich, dass unser Leben künftig frei von Demonstrationen wäre. Wer das will, sollte sich mal in Ruhe in eine Hängematte legen und über den Sinn von Demokratie nachdenken. Über eine Demokratie, die in unserem Fall gefährliche Risse bekommen hat und weiter bekommt, wenn Hunderttausende Menschen pauschal diffamiert werden.

Was tun?

Ganz einfach: Auf die Demo gehen, wenn man gegen die Corona-Politik der Bundesregierung ist. Wenn man den Maßnahmen der Politik ohnehin hinterherhechelt wie ein Hund einem Knochen, wird man das naturgemäß anders sehen. So wie zum Beispiel die LINKE in Thüringen:
Seit Beginn der Corona-Pandemie versucht die AfD, die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu behindern. Wer angesichts steigender Infektionszahlen zu Großdemonstrationen aufruft, tut dies bewusst zu Lasten besonders gefährdeter Menschen.“
Dieses Statement der LINKEN ist nichts, womit ich mich identifizieren könnte. Es ist opportunistisch, undurchdacht und oberflächlich. Daher kann ich sagen: Ich werde auf die Demo gehen, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass es notwendig ist, die seit Monaten verfolgte und praktizierte Politik zu verhindern. Weil alles immer schlimmer wird, sieht man einmal von den angeblich verheerenden Auswirkungen von Corona ab. Zwei Überzeugungen leiten mich dabei: 1. Ich habe mit Björn Höcke nichts gemeinsam, vor der Demo nicht, während der Demo nicht, und nach der Demo ganz sicher auch nicht. 2. Ebenso wenig gemeinsam habe ich mit der Einschätzung der LINKEN in Thüringen. Aber ich vermute, dass ich der sowieso nicht begegnen werde. Und abschließend: Wer ernsthaft fordert, nicht an einer Demo teilzunehmen, auf der Leute zu finden sind, die ihm nicht passen, hat erstens den Sinn von Demonstrationen nicht verstanden. Und er maßt sich zweitens an, darüber zu urteilen, wer „gut“ und wer „böse“ ist. Diese Haltung ist gefährlich, sie ist undemokratisch, sie ist … böse.

Wissenschaftler und Waschweib

100.000 Neuinfektionen im Sommer: Davor hat Christian Drosten im Januar gewarnt. So müsse es kommen, glaubte er, weil der Virus bei warmen Wetter nicht schwächer wird. Es ist Sommer. Seine Prognose stimmte nicht. Aber das muss ja wohl so sein, weil so angeblich Wissenschaft geht. Eigentlich müssten wir in Deutschland gerade einen Inzidenzwert von 850 haben. Also ungefähr 700.000 Neuinfektionen pro Woche, 2,8 Millionen positiv Getestete in einem Monat. Das war jedenfalls Ende Januar der Stand der Dinge bei Christian Drosten. Wenn wir nicht sofort in den völlige Lockdown abbiegen würden, so erzählte er dem Spiegel damals, dann würde es im Frühling und Sommer 100.000 Neuinfektionen am Tag geben. Den Grund für diese Entwicklung nannte der Virologe auch: Das Corona-Virus kenne keine Saisonalität. Es sei ein Uhrwerk, arbeite immer gleich, ganz egal ob es kalt oder warm ist. Schon im letzten Jahr wurde das Infektionsgeschehen vom Wetter ausgebremst. Dieser Erfahrungswert wurde allerdings nicht berücksichtigt. Man wisse es schließlich nicht sicher. Das Worst-Case-Szenario, das mit Horrorzahlen um sich warf, war aber auch keine sichere Bank. Dennoch brachte man es unter die Leute. So sei Wissenschaft eben, sie müsse immer neu prüfen, entkräften viele diese Kritik an Drosten. Wissenschaft muss sich das Wissen erarbeiten, daher stehe alles immer auf dem Prüfstand, kann morgen schon wieder hinfällig sein. Aber geht Wissenschaft wirklich so?
Wissenschaftliche Werte: Spekulation und Redseligkeit?
Im klinischen Wissenschaftsalltag mag diese etwas vereinfachte Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeit ja sogar zutreffen. Man überarbeitet das, was man zu kennen glaubt, um es neu interpretieren, zeitgemäß einordnen zu können. Das Wissen von heute ist insofern der vorletzte Stand der Wissenschaft, weil der Schritt zur Überarbeitung dem wissenschaftlichen Antrieb immanent ist. Ein Wissenschaftler geht unser der Prämisse einer These an seine Arbeit, kann aber am Ende ganz woanders landen, sodass seine These sich überholt hat. Dann ist das, was er vorher annahm, nicht mehr aktueller Wissensstand. Damit kann man Christian Drosten keinen Vorwurf machen, oder nicht? Mehr oder weniger handhabt er es ja so. Er klebt nicht an seiner alten Meinung, sondern lässt auch zu, dass man von ihm sagen kann, er habe sich getäuscht. Wer das so interpretieren will, übersieht eines: Dieser goldene wissenschaftliche Weg, der Thesen, Antithesen und Synthesen bildet, verschmilzt und prüft, vollzieht sich nicht vor aller Augen. Schon gar nicht vor einem Millionenpublikum. Und auch nicht über den Weg eines Medienbetriebes, den nur noch laute, grelle Meldungen die Aufmerksamkeit bringen, die man braucht, um eine Zeitung finanzieren zu können. Das vollzieht sich im stillen Kämmerlein. Ein wenig romantisiert könnte man davon sprechen, dass es sich im Kopf des nach Wissen Suchenden abspielt. Was nur zum Teil stimmt, ein kleines Fachpublikum guckt zu, tauscht sich aus, bewertet und entkräftet. Dass sich ein Wissenschaftler jedoch über die Medien vortastet: Das ist keine Wissenschaft. Eigentlich könnte man sogar vom Gegenteil ausgehen, denn hier sucht man nicht nach Wissen, sondern spekuliert, stellt Annahmen an und bedient jene Skandalisierungsmaschine, die Eklats, Katastrophen und Angst zur reißerischen Schlagzeile verarbeitet. Die Entwissenschaftlichung eines solchen Vorgangs potenziert sich nochmals erheblich, wenn man die Modellrechnungen des schlimmsten Falles zitiert, denen aber nicht die anderen, softeren Modelle entgegenstellt. Diesem Vorgehen fehlt eine ganz bestimmte Eigenschaft, die man der wissenschaftlichen Arbeit im Idealfall unterstellt: Nüchternheit. Drostens »Wissenschaftlichkeit« ist also letztlich reißerisch, angstmacherisch, aufgeregt, parteiisch und selbstverliebt.
Nuhr ist kein Wissenschaftler, kennt aber das wissenschaftliche Credo
Wer ganz sicher kein Wissenschaftler ist: Dieter Nuhr. Das hindert ihn aber nicht, ein wissenschaftliches Credo abzuliefern, das da lautete: »Wenn man keine Ahnung hat: Einfach mal die Fresse halten.« Klar, Nuhr hat diesen Satz vor vielen Jahren nicht geprägt, um etwaige wild gewordene Forscher zur Räson zu drängeln. Es ging vermutlich eher um Leute, die nölen, aber es nicht auf Basis halbwegs gesicherter Gewissheiten tun. Dennoch steckt in diesem Satz der Leitspruch wissenschaftlicher Arbeit schlechthin. Denn auch für unsere wissenschaftlichen Kollegen gilt, dass sie schweigen sollten, wenn sie noch nichts haben, worüber es sich zu reden lohnt. Was heißt eigentlich, es gilt auch für Wissenschaftler? Gerade für sie gilt das! Wer, wenn nicht sie, sollten ein Interesse daran haben, über noch nicht Spruchreifes zu schweigen? Abzuwarten, bis man wenigstens etwas verbindlicher antworten kann? Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen – das hat Ludwig Wittgenstein in einem ganz anderen Zusammenhang geschrieben. Es ging ihm um Linguistik. Aber es stimmt auch hier. Jedenfalls dann, wenn man es in die große weite Welt hinausposaunt. Unter Fachleuten ist das ja ganz normal, soll sogar so sein. Das gehört zum Trial and Error, zum Versuch und Irrtum ja dazu. Wissenschaftler sind ja auch Spekulanten – bis zu einem gewissen Grad. Aber sie sollten damit nicht die Massen unterhalten. Tun sie es doch, unterscheiden sie sich nicht von jenem sprichwörtlichen Waschweib, das alles unreflektiert herumerzählt, während sie die Klamotten ihrer Lieben schrubbt. Christian Drosten brachte in den letzten Monaten kaum etwas mehr als eloquenten Tratsch an den Mann. Unausgegorenes, das potenziell möglich sein könnte, aber noch keiner Prüfung unterzogen wurde. Wenn der Wissenschaftler das Labor verlässt, wenn er zum Podcaster wird, zum Teil einer Medienlandschaft, die fieberhaft Nachrichten generieren muss, Aufmerksamkeit erzeugen soll, dann ist es zwangsläufig, dass man zu einem Waschweib wird, das klatscht, wo es eigentlich mit forschender Zurückhaltung auftreten soll. Tja, lieber Drosten, wenn du mehr geschwiegen hättest, wärst du vielleicht Wissenschaftler geblieben …

„Auf der Kippe“: Was für ein Interesse sollte Russland an der Ukraine haben?

Von Berlin bis Washington hören wir, dass Russland eine Bedrohung für die Ukraine darstelle. Das weckt natürlich den „freiheitlichen Beschützerinstinkt“ von USA und EU. Doch was soll eigentlich vor wem beschützt werden? Mein Gesprächspartner Gert Ewen Ungar ist regelmäßig in Russland, sein Freund lebt dort, und so hat Ungar eine ziemlich gute Vorstellung davon, wie es in Russland „so ist“. Er hat sich auch mit dem Ukraine-Konflikt beschäftigt und stellt sich die Frage, welche Vorteile Russland davon haben sollte, mit der Ukraine einen Krieg anzufangen. Nicht nur wegen der Reaktionen des „Werte-Westens“, sondern auch vor dem Hintergrund, dass die Ukraine für Russland im Grunde ziemlich unattraktiv ist. Inhalt: 00:30 Begrüßung und Vorstellung von Gert Ewen Ungar 02:10 Bericht aus Russland 03:30 Ankündigung einer Überraschung (unter dem Podcast verlinkt) 04:30 Die Stimmung in Moskau 07:00 Was die Russen nicht mitmachen 08:00 „Du bist ja befangen!“ 11:30 Die Russen wollen die Ukraine überfallen! Echt jetzt? 15:30 Moment mal! Die Krim hat sich abgespalten? 23:00 Weißrussland: Flüchtlinge als menschliche Schutzschilde? 24:30 Der Russe steht vor der ukrainischen Tür. Ehrlich? 27:30 Systemfrage zweier ähnlicher Systeme 31:00 Wer hat Interesse an einer Eskalation in der Ukraine? 37:30 Weißrussland und Russland – ein zuweilen eher angespanntes Verhältnis 39:30 Der „überlegene“ Westen mit Faxgeräten und Altersarmut 44:00 Nichts in der Ukraine entspricht sogenannten „westlichen“ Werten 44:30 Waffen bekommt die Ukraine trotzdem 46:00 Es begann, als die Ukraine sich zwischen Westen und Osten entscheiden musste 47:30 Wer macht Politik? 51:00 Wer will denn militärische Konflikte in Europa? 53:30 Die Entkoppelung des Internets 55:00 Die Macht der digitalen Konzerne im Westen 58:00 Gemeinsamkeit zwischen Ukraine und dem Westen: Zensur

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Weitere Informationen
Hier die im Podcast angekündigte Überraschung: Volker Bouffier hat Diether Dehm zu seiner Impfung im Kampf gegen Corona gratuliert. Für Dehm der Beweis dafür, dass nun endlich auch der russische Impfstoff SputnikV in Deutschland anerkannt wird. Denn mit genau dem hat Dehm sich impfen lassen. Audioversion:

Die neue Rechte

Wenn sich all die negativen Prognosen erfüllen, die Preise für Gas weiter steigen, die Inflation ebenfalls auf hohem Niveau verharrt oder gar noch steigt, werden Politik und der deutsche Mainstream auf die gesellschaftlichen Auswirkungen konzertiert reagieren. Sie kündigen das bereits an. Sollte sich in der deutschen Gesellschaft Widerstand gegen die völlig suizidale, asoziale deutsche Politik aufbauen, werden deutsche Medien gemeinsam mit der deutschen Politik einen neue rechte Bedrohung im Innern ausmachen. Gegen diese werden die „demokratische Kräfte“, sprich das satte Bürgertum dieser Republik mobilisiert. Diese medial und politisch inszenierte neue rechte Gefahr wird sich für den Konsumenten des deutschen Mainstreams aus jenen Menschen zusammensetzen, die von den Preissteigerungen hart getroffen werden. Zur neuen Rechte werden all jene Bürger zählen, deren Lebensstandard durch die verantwortungslose Politik der Bundesregierung massiv sinkt. Rechts und antidemokratisch werden die Medien jene Teile der Bevölkerung nennen, die schon jetzt jeden Euro zweimal umdrehen müssen, denen eben jene deutsche Medien schon jetzt raten, gegen den Krieg aus voller Kraft anzusparen, zu verzichten und sich einzuschränken. Wird dieser Verzicht unausweichlich werden, wird der Widerstand gegen die vollkommen irrationale deutsche Politik zunehmen. Die Bürger Deutschlands sind nicht so dumm wie ihre Regierung, die diesen Zwang zum Verzicht verursacht hat.
Wer ist die neue Rechte?
Dieser Widerstand wird medial und innenpolitisch die neue Rechte bilden, gegen die Medien und Politik gemeinsam brutal vorgehen werden. Das wird das Wording sein, welches schon vorbereitet ist. Kritik an Regierungshandeln ist rechts – auch in dieser Krise. Die Mittelschicht wird weiter erodieren. Ihr einkommensstärkerer Teil wird sich mit der finanzstarken Oberschicht solidarisieren und “keinen Fußbreit” der noch vorhandenen eigenen wirtschaftlichen Sicherheit an jene abgegeben, die diese Sicherheit gerade verloren haben. “Wir sind viele”, werden sie auch dieses Mal rufen. Aber in der Gesamtheit sind diese Vielen immer weniger.  Sie werden ihre Pfründe verteidigen. In den Talkshow-Sesseln der Republik werden die üblichen Verdächtigen Platz nehmen. Der deutsche Mainstream wird die debile Inszenierung einer rechten Verschwörung erneut ins Repertoire aufnehmen, die er auch in der  Corona-  und Finanzkrise aufgeführt hat. Er wird erneut eine immer kleiner werdende obere Mittelschicht in ihrer Befindlichkeit bedienen und jedes Bemühen um Einblick in wirtschafts- und geopolitische Zusammenhänge verweigern. Die dicke Baroness aus Hessen beispielsweise wird in der Kommunikation der gegen die Preissteigungen und Einschränkungen Protestierenden Codes entdecken, die auf strukturellen Antisemitismus hinweisen. Diese Aufgabe der Domestizierung von Protest und des deutschen Publikums erfüllt Ditfurth seit Jahren ganz willfährig  aus reaktionärem Kadavergehorsam. Sie ordnet ihre Art reaktionärer Politik links ein. Vermutlich glaubt sie selbst dran.
Die Rede von der neuen Rechte ist das Wording des Establishments
Wenn gesagt wird, dass es sich nur noch eine reiche Minderheit leisten kann, zu heizen, wird Ditfurth daher sofort dienstbar  zur Stelle sein und das für das von ihr repräsentierte Establishment als rechts und damit als kontaminiertes Gedankengut einzuordnen wissen. Mit so etwas setzt man sich gar nicht erst auseinander, sonst wird man nämlich selbst rechts. Man wird mit Regierungskritik zu rechtem Abschaum.  Das Narrativ ist seit Corona etabliert. Das füllige Freifräulein wird dafür den gewohnten Applaus und die gewohnten Tantiemen bekommen. Es wäre beileibe nicht die erste absurde Argumentation im Oeuvre Ditfurths. Die Baroness ist natürlich nur ein Beispiel unter vielen. Wie vielen anderen in der Bundesrepublik auch gelang es Jutta Ditfurth nie, sich geistig von ihrer Herkunft zu emanzipieren. Es gelang ihr nur die Vortäuschung, dass es so wäre. Ihre Fangemeinde entstammt genau jener Schicht, die Ditfurth geistig nie verlassen hat: das satte Bürgertum mit seiner enormen Verachtung für die Arbeiterklasse, die Armen und ökonomisch Ausgegrenzten. Es gelang ihr und ihrer Fangemeinde, sich selbst in der Weise zu täuschen, dass sie selbst glauben, ihre elitäre Verwurzelung und ihre moralische Hybris wären links und emanzipatorisch. Ein grandioser Selbstbetrug. In diesem Winter fliegt es wahrscheinlich auf. Die kommenden Monate wird für diese Gruppe ein mediales Highlight. Ihre Meinung wird von jenen Journalisten gefragt sein, die aus ihrem Kreis kommen.  Die Aussage, Protest ist rechts, wird medial verstärkt werden. Die Ditfurths der Bundesrepublik werden referieren und die Deutschen in aller Arroganz auf allen öffentlich-rechtlichen und privaten Kanälen belehren. Ihre Meinung, die Identitätspolitik für ein linkes Projekt hält, die in der Regenbogenfahne ein Symbol der Freiheit erblickt und Protest gegen Regierungshandeln als reaktionär, rechts und freindselig diskriminiert, wird den deutschen Mediennutzern um die Ohren gehauen werden. Es bedarf dazu keiner seherischer Fähigkeit. Der deutsche Mainstream verfährt in jeder Krise auf genau diese Weise. Es ist ihre letzte, sanfte Waffe vor dem Einsatz brutaler physischer Gewalt.
Die tatsächliche neue Rechte ist das linksliberale Bürgertum
Das, was absehbar im Herbst kommt, wird auch deutlich machen, wie sehr Deutschland geistig orientierungslos geworden ist. Ein sich für linksliberal haltendes Bürgertum wird seine tatsächliche, durchweg reaktionäre Geisteshaltung breit ausleben dürfen. Es wird sich feiern in seinem ganzen asozialen Habitus. Es wird jene diskriminieren und nach deren Bestrafung rufen, die aufgrund ihrer wirtschaftlich immer schlechter werdenden Situation nach einer Änderung der Sanktionspolitik, nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2, nach einer Aussöhnung mit Russland und dem Ende der Unterstützung der faschistischen Ukraine rufen. Das Establishment wird das als rechts diskrimnieren. Jan Böhmermann und Sascha Lobo haben ihre Füller mit ätzender, zersetzender Tinte schon gefüllt. Personen wie die dicke Baroness aus Hessen und all die anderen Verteidiger des Status Quo werden sich zur Höchstform in dem Aufschwingen, was sie am besten können: verunglimpfen, beschimpfen, Solidarität und jedes Bemühen um Verstehen verweigern. Ausgrenzen ist ihr täglich Brot. Deutschland wird geistig auch in dieser Krise immer Deutschland bleiben. Das Rechte und Reaktionäre in Deutschland ist zu einem großen Teil eben genau jenes Bürgertum, das sich für links, liberal und emanzipiert hält. Es ist jener bürgerliche Teil, der seine Identität aus Stabilität und damit aus der Unterdrückung von Protest und Aufbegehren schöpft – jener Teil, der sich immer für citoyen hielt aber immer bloß bourgeois blieb. Jener Teil, der sich in einer typisch deutschen historischen, genetisch verankerten Opposition zu Russland wähnt. Der daher alle rechtsreaktionären Entwicklungen in der Ukraine nicht nur leugnet und relativiert, sondern nach Kräften unterstützt. Das deutsche Bürgertum wiederholt ganz zwanghaft seine historischen Fehler. Die neue Rechte ist die alte. Die neue Rechte wird wieder aus jener Schicht gebildet, die schon mehrfach historisch versagt und Unheil über Deutschland gebracht hat: das bürgerliche Establishment. Diese neue alte Rechte dieses Mal einzuhegen wird Aufgabe jener Bewegung sein, die unter den Rückwirkungen der Sanktionen leidet. Ihr werdet von euren eigenen Landsleuten in eurer Existenz bedroht – wehrt euch!

Gesellschaft, die keine mehr ist

Die Gesellschaft erlebt eine massive Spaltung. Wie soll da jemals noch Gemeinsinn entstehen? Wie Rücksicht genommen werden? Man spürt im öffentlichen Leben, dass diese Qualitäten schwinden. Auch an sich – an mir – selbst. In einem meiner letzten Texte habe ich davor gewarnt: Je länger diese Spaltung läuft, desto sicherer ist es, dass ich für diesen Staat, seinen Insitutionen und alles, was so am Staatswesen hängt, verloren bin. Im Gespräch mit meinem Umfeld habe ich das oft wiederholt und konkretisiert. Für einen etwaigen Gemeinsinn, so sagte ich unter anderem, wird man mich gar nicht mehr rekrutieren können. Welche Gemeinsamkeit könnte ich denn mit Menschen haben, die bereitwillig in eine Segregation marschieren? Welcher Zeitung kann ich noch glauben? Welche Partei wählen? Da droht ein Rückzug ins Biedermeierliche – aus Gründen des Ekels und der Abscheu. So vereinsamt man als Staatsbürger. Dass dieser Effekt so schnell eintreten könnte, habe ich dann doch nicht erwartet. Das hat mich zugegeben selbst überrascht. Aber anderthalb Jahre Entsolidarisierung (die man uns unter der false flag der Solidarität verkaufte), haben wohl gewirkt. Ich war neulich in einer Drogerie. Stand da an der Kasse und bekam nur mit, wie ein großer, arabisch aussehender Mann verbal auf eine zwei Köpfe kleinere Frau eindrosch. Er nannte sie »Fotze«, stellte Schläge in Aussicht und sie möge ihn jetzt in Ruhe lassen, sonst »gebe isch dir auf die Fresse, isch schwör«. In anderen Zeiten hätte ich mich vielleicht solidarisiert.
Ich stand nur da und habe geguckt
Habe ich diesmal jedoch nicht. Die Kassiererin hat es beendet. Sie nahm seine Waren vom Band und erklärte ihm, für ihn gäbe es hier nichts mehr zu tun. Das hat sie gut gemacht. Dann fragte eine Kollegin nach, was denn geschehen sei. Alle waren sie schrecklich aufgebracht. Die Kundin habe wohl Abstand eingefordert, dann sei er ausgerastet, erklärte die Kassiererin. Komisch, die Frau stand hinter ihm an der Kasse – sie hätte ja Abstand halten können, dachte ich mir. Hat sie wohl nicht. Sie stand ja recht nahe bei ihm. Keine Ahnung, was da genau lief – geht mich auch nichts an. Jedenfalls ich stand nur da und habe geguckt. Die Kassiererin schaute dann in meine Richtung und sagte empört und laut, dass ja so viele Männer hier seien, aber keiner was sage. Sie hatte recht. Ich habe nichts gesagt. Unrecht hatte sie damit, dass viele Männer anwesend waren. Da war kein Kerl außer mir da. Andererseits sind Frauen heute ja emanzipiert, einen starken Mann brauchen sie eh nicht mehr. Aber auch nach ihrem Angriff auf die Männlichkeit habe ich nichts gesagt. Ich wollte nur meine Waren bezahlen und raus. Während der Kerl die Frau runtermachte, dachte ich mir nur: Wenn er die jetzt haut, muss ich hier vermutlich noch länger stehen bleiben – dann lege ich die Waren lieber gleich weg und gehe woanders einkaufen. Es war mir, ich gebe es offen zu, scheißegal, was da geschieht, wer schuld war, wer anfing und ob ich als Mann versagt habe. Es interessierte mich nicht die Bohne. Im Zweifelsfall haben alle Schuld an der Eskalation. Aber es ist nicht mein Problem. Da halte ich mich völlig raus. Ich will nur raus, die Maske abnehmen, atmen, nach Hause, weg von all diesen Menschen. Und das, geneigte Leserschaft, ist neu für mich. So war ich nie. Ich hätte mich solidarisiert, hätte gebremst. Auf den Spruch der Kassiererin von wegen Männer und so, hätte ich mindestens was Zynisches geantwortet. Aber ich war wie gelähmt, wollte mit nichts zu tun haben. Ich war wie einer dieser Zombies, die ich früher immer für so unbegreiflich hielt. Die mit nichts zu tun haben wollten, lieber in ihr Handy glotzen, wegschauen wenn es nötig ist und die Flucht ergreifen, wenn es brenzlig wird. Und das nicht, weil ich feige bin – sondern weil es mich einfach nicht mehr interessiert. Sollen sie sich doch was auf die Schnauze geben: Was geht mich das denn eigentlich an?
There’s no such thing as society
Gemeinsinn bedeutete für mich einst auch, dass man eben genau in solchen Momenten aufsteht und im Sinne einer friedlichen Gesellschaft auftritt, ja das Schlimmste verhindert. Zivilcourage ist gelebter Gemeinsinn im Alltag, könnte man insofern definieren. Es ist eine miese Entwicklung, wenn man dafür keine Energie, keinen Sinn mehr aufbringt. Aber in dem Szenario wirkten alle auf mich fremd, wie die Protagonisten einer Szene, in der alle durchdrehen – irgendwie habe ich mich darin gar nicht wiedergefunden. Was da geschah, war auch ein bisschen Spiegelbild der Gesellschaft für mich. Alles verroht, geht sich an, droht, belehrt und am Ende steht da jemand und moralisiert. Eben die Kassiererin, die mich als Lösung eines Problems ausmachte, das ich ganz offensichtlich nicht als meines erachtete. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, hat ja neulich erst die Verrohung im öffentlichen Leben angemahnt. Natürlich hat er nur von den Querdenkern gesprochen, die dieser Entwicklung Vorschub leisten würden. Dem ist aber nicht so. Nicht grundsätzlich. Natürlich sind manche von denen auch aggressiv, keine Frage. Aber eben auch Politiker, Publizisten, Journalisten, Nachbarn, Sportfreunde, Arbeitskollegen und Mitreisende. Gauck hat Leute wie mich bekloppt genannt. Was habe ich dem alten Heuchelpastor eigentlich getan? Fast alle sind mit diesem Virus der Aggression infiziert. Es ist das einzige Virus im Moment, das wirklich überall andockt. Ich hasse den Spruch, den ich als letzte Zwischenüberschrift gewählt habe. Er stammt von Margaret Thatcher. Sie meinte das damals auch anders. Ihr ging es darum, mit solchen Beschreibungen den Gemeinsinn zu dekonstruieren, ihn intellektuell lächerlich zu machen. Aber in die heutige Zeit, in diese Ära, in der man viel von Solidarität spricht, aber eigentlich Entsolidarisierung forciert, passt er einfach zu gut. Sowas wie Gesellschaft scheint es gar nicht mehr zu geben. Da sind nur »individual men and women and there are families«, wie die rostige Lady damals weiter ausführte. Und genau so verspüre ich das im Moment: Auf uns gucken, auf die, die mir lieb sind, Frau, Kind, einige Bekannte, Freunde. Hier und da ein geneigter Leser oder Leserin. Aber für mehr Nächstenliebe fehlt mir dann doch die Phantasie.
Eine Pandemie als Brandbeschleuniger
Nicht ich habe mich von der Gesellschaft entfremdet, sondern die Gesellschaft sich von mir. Dieser markige Spruch stimmt sicherlich nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt innerhalb der Pandemie. In den letzten Wochen habe auch ich mich von der Gesellschaft wegentwickelt. Je mehr Druck ausgeübt wird, je moralischer die Spielfiguren des pandemischen Schaufensters auftraten, desto mehr wandte ich mich ab. Man könnte diese Abkehr auch ganz einfach Selbstschutz nennen. Sicherlich ist aber auch viel Trotz darin. Ich fühle mich kriminalisiert. Weil ich nicht (vielleicht auch noch nicht, der Druck nimmt stark zu) geimpft bin. Vorher fühlte ich mich auch schon so, weil ich den Lockdown falsch fand und manche unmenschliche, ja herzlose Maßnahme des Seuchenschutzes beanstandete. Wer das laut sagte, machte sich verdächtig – ich hielt die Kritik für mein demokratisches Recht. »Demokratie wird durch Kritik geradezu definiert«, hat Marcel Reich-Ranicki mal festgestellt. Der Kritiker war in seinen Augen ein Demokrat, weil er sich das Recht herausnahm, Dinge zu bewerten, weil er die Willkür – bei ihm die der Literaten – einschränkt. Kritik sei gewissermaßen Gewaltenteilung, erklärte er. Aber das haben wir in den letzten anderthalb Jahren verloren. Schon vorher war die Tendenz so, dass man kritische Charaktere als Miesepeter deklarierte, man wollte sie nicht da haben, schloss sie aus, machte sie gesellschaftlich unmöglich. Aber in der Pandemie erstrahlte dieser Vorsatz in neuer Blüte. Jetzt war der Kritiker nicht einfach nur eine liederliche Gestalt, die keiner mag – jetzt war er Gefährder, potenziell ein Mörder, dem man zutrauen musste, Großvater über die Klinge springen zu lassen. Wie soll man sich bitte zu einer Gesellschaft, die eine solche Entwicklung nimmt, ein gutes Verhältnis bewahren? Sicherlich weiß ich, dass man dem entgegenwirken muss, gerade jetzt ist es wahrscheinlich wichtig, die letzte Kohäsion zu sein, die es noch gibt. Gemeinsinn zu leben, wo er verwirkt hat. Aber das sind fromme Sprüche, Praktikansätze von Heiligen. Ich bin aber kein Heiliger, sehe kein konstruktives Element mehr in der Art, wie wir hier und jetzt zusammenleben. Da ist nur Destruktives – und mich zieht dieses zerstörerische Gefühl mit in einen Abgrund, wo es sowas wie Gesellschaft gar nicht mehr gibt. Und vermutlich geht es vielen so – mehr oder weniger. Vielleicht ist diese Lebenserfahrung ja eines Tages ja etwas wert und man kann darauf aufbauen – wir alle zusammen.

Pazifisten und die Anderen

Diese Pazifisten sind doch Kriegstreiber! Schlechte Menschen. Gewalttätige Freaks. Nach all diesen Spinnern der letzten Monate und Jahre, nach Corona-Leugnern und Impfverweigerern etwa, schon wieder solche irrwitzigen Leute. Über die konstruierten Anderen im öffentlichen Diskursraum. Wer nun glaubt, dass irgendwelche mafiösen Gruppen, Lobbyverbände oder gar Waffennarren zu den gefährlichsten Leuten im Lande zählen, irrt sich monumental. Die größten Gefährder sind Pazifisten. Also Menschen, die Gewalt ablehnen und Krieg nicht befürworten, die etwas gegen Bewaffnung und Aufrüstung haben und die einen weltweiten Flächenbrand für ein eher suboptimales Szenario halten. Sascha Lobo nannte diese Haltung gar »Lumpen-Pazifismus«, die Medien und jene, die diesem Parolen-Betrieb noch etwas abgewinnen können, beschimpfen Leute, die sich um einen Weltkrieg sorgen wüst. Künstler, die sich gegen die Militarisierung und Waffenlieferungen aussprechen, werden als dämliche Intellektuelle verspottet. Friedfertigkeit wird als Schwäche, Dummheit und ja, auch als Nestbeschmutzung deklariert. Wem das irgendwie aus den Geschichtsbüchern bekannt vorkommt, sollte das nicht zu laut sagen. Jeder Vergleich mit dem was war, wird als Frechheit empfunden, als Bedrohung des Zusammenhalts aufgefasst. Das Wort »Defätismus« wurde dieser Tage noch nicht vernommen, es kann sich aber eigentlich nur noch um Tage handeln, bis der erste Hinterbänkler-Warlord diesen Ausdruck und das, wofür er steht, für die öffentliche Stigmatisierung von Pazifisten heranzieht. Wer sich Terroristen bislang als brutale Mörder vorstellte, der muss jetzt umdenken: Das war gestern noch so. Das größte Verbrechen der Stunde begeht man jedoch damit, sich als nicht ausreichend gewaltbereit zu enttarnen. Ein Pazifist zu sein eben. Steckt aber hinter der Haltung, der Ukraine keine Waffen senden zu wollen, eigentlich wirklich Pazifismus?
Pazifismus oder Vernunft?
Es mag ja etliche wirklich pazifistische Menschen unter denen geben, die sich jetzt gegen den Kurs der Bundesregierung aussprechen. Menschen also, die wirklich und wahrhaftig in jeder Lebenslage Gewalt für keine Lösung halten, die unter Umständen auch die linke Wange hinhalten, wenn ihre rechte gerade geohrfeigt wurde. Die wie Gandhi oder Luther King auch dann nicht zur Gegenreaktion ausholen, wenn man sie traktiert oder mit Steinen bewirft. Aber längst nicht alle, die sich jetzt dagegen positionieren, sind von einer solchen Friedfertigkeit beseelt. Vermutlich sind die wirkliche Pazifisten sogar in der Minderheit, denn gemeinhin gibt es nicht so viele Charaktere, die grundsätzlich in allen Situation derart gefasst und ausgeglichen sind. Die meisten Menschen sind sind wohl nicht grundsätzlich und in jeder Situation für absoluten Gewaltverzicht. Man darf letztlich schon davon ausgehen, dass ein Großteil dieser Opposition einen anderen Zugang zur Kritik an den Waffenlieferungen hat. Fast alle dieser Pazifisten sind sicher nicht für Krieg und Kriegsgeschrei, der neue Hurra-Patriotismus erschreckt sie, die Rolle der Grünen ekelt sie an – und der Großteil empfindet den Krieg der Russen sicherlich auch als brutal, ruft auch Russland zum Ende der Gewalt auf. Womit die meisten wohl aber wirklich kalkulieren: Dass Waffenlieferungen Deutschland zur Kriegspartei machen und so ein Weltkrieg heraufbeschwört wird. Mehrfach haben Spötter in den Netzwerken breitgetreten, dass diese Pazifisten sich ja offenbar vorstellen können, dass Russland den Krieg verschärft, dennoch würden sie zaudern und Lieferungen verhindern wollen. Das ist total verquere Logik, denn genau das treibt die Gegner ja an: Sie wissen, dass Kriege Dynamiken entwickeln, die nicht mehr rational begründbar sind.
Die Amis: Wahre Pazifisten?
Und sie wissen, dass sie sich mit unüberlegten Schritten einen mächtigen Gegner heraufbeschwören. Man legt sich nicht mit einer Nation an, die mächtig genug sein könnte, starke Gegenwehr zu leisten. Die US-Amerikaner überlassen aus gutem Grund den Europäern weitestgehend das Feld. Wenn sie selbst in den Krieg ziehen, sind sie nicht so blöd, sich mit Nationen anzulegen, die wirklich Gegenwehr leisten können – sie erzeugen medial nur den Eindruck, dass sie sich gegen einen mächtigen Feind formieren. Da haben sie aber schon längst abgeklärt, wie gefährlich der Feind wirklich ist. Dann verlieren sie zwar auch mal einen Krieg, so wie in Afghanistan, aber die Heimat wird nicht in Mitleidenschaft gezogen. Deswegen entfesseln die USA auch keinen Krieg gegen Nordkorea: Die haben schließlich Atomwaffen. Zumindest wird das gemunkelt, 20 Stück sollen es nach chinesischen Geheimdienstinformationen sein. Schon das Gerücht von Atomwaffen ist den Amerikanern ausreichend, hier nicht intervenieren zu wollen. Die Kalifornier werden dankbar für so viel Einsicht der Washingtoner Administration sein. Schließlich liegt der Sonnenstaat quasi in der atomaren Nachbarschaft zu Pjöngjang. Sind die Amerikaner deswegen Pazifisten? Wer würde das ernstlich behaupten wollen? Sie sind nur realpolitisch und stellen ihre Ideologie hinter die Gefahren, die da lauern können, wenn man sich mit den Falschen anlegt. In den Irak marschierte man damals ein, weil man wusste, dass die Massenvernichtungswaffen, die man der Weltöffentlichkeit im UN-Sicherheitsrat präsentierte, gar nicht existierten. Hätte der Irak wirklich welche gehabt, hätte amerikanische Soldaten das Land niemals betreten. Aus Gründen der nationalen Sicherheit.
Die Inszenierung der Anderen
Dasselbe Denkmuster findet man bei vielen von denen, die sich jetzt als Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine zu erkennen geben. Ihre Angst gründet nicht auf Waffenlieferungen per se, sondern auf die Folgen, die das zeitigen kann: Sie warnen ja auch vor den Konsequenzen: Einer Eskalation des Krieges, einem dräuenden Weltkrieg. Das ist nicht dieser naive Pazifismus, den man sich gemeinhin vorstellt, diese masochistische Lebenseinstellung, bei der man sich auch mal doppelt ohrfeigen lässt. Nein, das ist im Grunde eine ganz vernünftige, rational durchdachte Positionierung. Eine, die abwägt und versteht, dass man hier nicht etwa einem Zwergstaat auf die Pelle rückt. Sie wissen, dass man hier im Einflussgebiet einer Weltmacht herumfuhrwerkt. Noch mehr, als man es ohnehin schon tat – und noch immer tut. Man muss den Krieg in der Ukraine wirklich nicht verteidigen, um zu begreifen, dass man sich hier zu weit aus dem Fenster lehnt. Wie alles, was den öffentlichen Raum als Thema füllt, unterliegt auch diese Form der vernünftigen Friedfertigkeit einer Sprachregelung, die medial und politisch abgestimmt scheint. Man hat sich offenbar darauf verständigt, diese Leute, die dem Waffenexport feindlich entgegenstehen, vereinfacht als Pazifisten zu deklarieren. Das Wort hatte nämlich schon vorher eine Färbung von Naivität, argloser Lebenseinstellung und treuherziger Gutgläubigkeit. Denn die Welt, da haben die Befürworter der Waffenlieferungen ja absolut recht, wird nicht nur mit guten Worten am Leben gehalten. Manchmal ist Gewalt unverzichtbar, nicht alles kann im Gespräch ausgeräumt werden. Im Falle des Ukrainekrieges wurden Gespräche aber über Jahre verschleppt. Indem man nun verallgemeinernd von Pazifisten spricht, ruft man die Attribute, die man mit pazifistischen Menschen und ihren zugegeben teils naiven Sichtweisen verbindet, ins kollektive Gedächtnis zurück: Die Naivität und Treuherzigkeit, die man diesen Andersdenkenden unterstellt, wirken dabei deplatziert und weltfremd – und geben die Anderen zum Abschuss frei.
Die Anderen, die die Guten erst gut machen
Erneut haben wir es mit einer Gruppierung zu tun, die als »die Anderen« inszeniert werden. Menschen, die die Corona-Maßnahmen für überzogen hielten und die sich mehr konkretes Wissen über die Wirkweise des Virus forderten, wurden recht schnell als »Corona-Leugner« gelabelt. Später hatten wir es mit »Impfverweigerern« zu tun: Das waren Leute, die sich teils reiflich überlegt haben, ob sie einen Impfstoff in ihren Körper jagen lassen wollen, von dem die Wirkweise und die Nebenwirkungen nicht gänzlich bekannt waren. Beide, Corona-Leugner wie Impfverweigerer, wurden als »die Anderen« präsentiert, als die, die der Allgemeinheit entgegenstehen – und durch diese asoziale Haltung der Gesellschaft Schaden zufügen. Man skizzierte sie als Gefährder, als Menschen, die man meiden sollte, unter Druck setzen und bestrafen müsse, wenn es denn sein muss. Sie durften auf keinen Fall Deutungshoheit erlangen und ihre Stimme sollte möglichst nicht gehört werden. Vereinfacht gesagt: Sie galten als die Schlechten und standen den guten Absichten im Wege. Eine Politik, die ihrer Bevölkerung seit geraumer Zeit nichts als Blut, Schweiß und Tränen anzubieten hat, die täglich mehr und mehr Entbehrungen und Entrechtungen predigt, kann vermutlich nur mit einem Pfund wuchern: Mit moralischer Integrität. Indem man den Bürgerinnen und Bürgern erklärt, dass sie zwar leiden und sich einschränken müssen, aber dadurch gleichzeitig den Weg des Guten beschreiten, wiegt man den entsagungsvollen Impetus auf. Um das Gute als Wert zu erkennen zu geben, benötigt man etwas, von dem es sich abheben kann: Das Andere, das das Schlechte ist. Erst durch die Spaltung mit den Anderen, die mit niedersten Beweggründen assoziiert werden, kann man sich selbst als gut und mit der Welt im Reinen einordnen. Der US-amerikanische Philosoph und Kognitionswissenschaftler Jason Stanley hält die Spaltung übrigens für »das beredtste Kennzeichen faschistischer Politik«. Denn sie versucht, »die Gesellschaft in uns und sie zu unterteilen«. In diesem Sinne: Wir sind auf einem schlechten Weg.

Ringsherum Barbaren

Jetzt auch noch Italien: Langsam aber sicher ist Deutschland das letzte anständige, aufrichtige, ehrliche Land auf Erden. Ein Zustand, den Medien und Politiker seit Jahren auskosten. Wir sind umzingelt. In Schweden die Schwedendemokraten, Italien hat Meloni, die Türken seit Ewigkeiten ihren Erdoğan. In Polen haben wir stockkoservative Hardliner am Werk, in Ungarn Orbán. Und in Russland, tja, wir wissen es ja – die Amerikaner hatten Trump und taumeln jetzt auf DeSantis zu. Johnson ist weg, aber Liz Truss soll noch schlimmer sein. Österreich gehört immer wieder Populisten. Es kristallisiert sich heraus, dass Deutschland der letzte Hort anständiger, aufrechter Politikerinnen und Politiker ist. Der Platz, an dem nicht Egomanen und Despoten walten, sondern warmherzige Menschen, die sich für die Allgemeinheit einsetzen und ihr Mandat noch ernstnehmen. Daher wird es für dieses Deutschland ja auch zunehmend schwieriger, mit der Welt Geschäfte zu machen. Denn alle sind so viel schlechter, so viel unmoralischer als wir. Mit Anrüchigen handelt man nicht. Oder so wenig es geht. Den Bürgerinnen und Bürgern vergisst man nicht zu vermitteln, dass hier, in diesem Home of the Braven, noch alles richtig läuft, während die Welt um uns herum zusammenfällt. Wer hier lebt soll Gott oder wem auch immer auf Knien danken: Denn hier drängt die Vernunft ins politische Amt und nicht das Böse, so wie im Ausland, so wie fast überall um uns herum.

Die Politiker der Anderen

Diese launige Auflistung des vermeintlich global-politischen Niedergangs, ist eigentlich etwas ganz anderes: Nämlich das Kapital der deutschen Politik. Es hat sich speziell in der letzten Dekade eine Haltung im politisch-medialen Komplex herauskristallisiert, die nicht mehr mit nüchterner Distanz die politischen Geschehnisse im Ausland abhandelt, sondern mit chauvinistischer Überbetonung hantiert. Neben diesen zugegeben teilweise recht zweifelhaften Herrschaften, gelingt es fast spielend, die grotesken politische Kader Deutschlands als einen Segen an die Rezipienten zu bringen. Indem man deren Eskapaden richtig betont oder ihnen gar welche andichtet und dazu synchron deren berechtigte Anliegen ausblendet, hübscht sich unser politisches Personal auf. Neben so ausgefransten Figuren sieht mancher unserer unübertrefflichen Funktionäre plötzlich so aus, als hätte er Kontur und Profil. Und natürlich Haltung, denn Haltung ist in Deutschland die halbe Miete und die ganze Karriere. Mit diesem billigen Kniff arbeitet hierzulande die Aufhübschungspresse, so kaschiert sie die Unzulänglichkeiten der hiesigen politischen Kaste. Denn es gibt im Ausland immer noch jemanden, der womöglich ein schlimmerer Finger ist, als die schlimmen Finger, die in unserer zentraleuropäischen Bananenrepublik wüten. Und wenn es dort ad hoc keinen gibt, schraubt man lange genug an den Stereotypen, bis der ausländische Vertreter seiner Zunft wie eine Witzfigur aussieht. In dem Moment hat dann sogar der stiere Blick aus dem Gesundheitsministerium halbwegs eine Chance, als vernunftbegabter Primat durchgewunken zu werden. Die fehlende Kompetenz, die ökonomische Ahnungslosigkeit, diese Politik nach Haltungsnoten und nicht nach Inhalten, der moralistische Eifer oder einfach nur die brutale Verschlagenheit derer, die sich in der hiesigen Politik tummeln: All das wird in diesem Deutschland gar nicht zum Thema gemacht, solange im uns umgebenden Ausland Modelle dieser Zunft zu bewundern gibt, die recht einfach zu mahnden Beispielen stilisiert werden können.

Umgekehrter Tacitus

Ob an diesen Beispiel ein Wahrheitsgehalt ist oder nicht, hinterfragt kaum noch jemand. Es fühlt sich ja auch gut an zu wissen, dass es andernorts noch viel unfähigere, schlimmere Politikerinnen und Politiker gibt, als es hierzulande der Fall ist. Die Aufgabe des Journalismus ist es, dieses Gefühl zu nähren. Er nimmt damit die Rolle eines modernen Tacitus ein. Nur quasi umgekehrt. Denn er mahnt nicht, er wertet auf. Der römische Historiker hat in seinem Werk Germania die Völkerschaften jenseits von Rhein, Donau und Limes in ein verklärtes, positives Licht gerückt. Die Germanen – Stämme jenseits der römischen Außengrenzen, die er so nannte – stellte er seinen römischen Lesern idealisiert vor. So wollte er seinen dekadenten Landsleuten einen Spiegel vorhalten. Der edle Wilde aus den Wäldern des Nordens lebe viel naturverbundener, sei den Werten von Natur und Leben viel stärker verbunden, als der wohlstandsverwahrloste Bürger der Urbs, der sich in Toga schmiss und mit Brot und Spiele abfertigen ließ. Noch war nicht die spätrömische Dekadenz ausgebrochen, aber Tacitus ahnte wohl, dass sie eines Tages um sich greifen würde. Heute läuft das andersherum – heute hübscht der Journalismus in Deutschland die Anderen nicht auf, er macht sie, das heißt ihre Volksvertreter, möglichst hässlich. Neu ist so eine Konturierung, die mit dem Wir und den Anderen hantiert, freilich nicht. Zu allen Zeiten hat es das gegeben. Viele Völker gaben sich Namen, die in ihrer Bedeutung nichts weiter als Mensch meinen: Die afrikanische Khoikhoi lassen sich als die wahren Menschen, die bolivianischen Runakuna und die Kanaken aus dem Südpazifik schlicht als Menschen und die Slawen als Menschen des Wortes übersetzen. Sie sahen sich als Menschen – die anderen Völker jedoch nicht so ganz. Die alten Griechen nannten jene Völker Barbaren, Stotterer bedeutet das übersetzt, ihre Sprachen klagen für griechische Ohren wie Br-Br.

Auf der Insel der Anständigen spricht man Deutsch

Das Prinzip ist alt: Man sieht den Splitter in Augen der Anderen, das lenkt vom Balken ab, der im eigenen Auge steckt. Sind die anderen schlecht, wirken unsere Schlechten gleich etwas besser. Und wahrlich, wir haben auch ganz schlechte, halbseidene, boshafte Figuren in der Politik. Man nehme nur mal das Narrativ-Paper, das den NachDenkSeiten zugespielt wurde: Das ist ein Generalangriff auf die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, auf die Gewaltenteilung und sogar auf das Kindeswohl, so sehr, so umfangreich, das könnte man einem Orbán zutrauen, einem Putin sowieso – oder einer Giorgia Meloni. Aber nein, es sind keine dieser Gestalten, die durch unsere Medienlandschaft als Abziehbilder des Satans gehuscht kommen: Es sind Politikerinnen und Politiker von hier, aus diesem Lande – aus unserer aller Mitte. Es kann ja durchaus sein, dass die Gestalten aus anderen Ländern es auch faustdick hinter den Ohren haben. Ganz sicher sogar. Wer weiß, vielleicht sind einige von ihnen sogar verbrecherisch. Unter Umständen auch alle. Kann alles sein. Aber was kümmert mich der Kehricht vor meines Nachbarn Haustür? Habe ich nicht selbst genug Dreck vor meiner Wohnung? Doch es ist ja klar, dort wo man nachbarschaftlichen Schmutz zum Thema macht, fährt jemand ein Ablenkungsmanöver. Wir sollen auf die anderen schauen, uns über die echauffieren, während wir die schlimmste Sorte Mensch unsere Bundesregierung nennen. Eine der größten Aufgabenfelder der Medien in diesem Land ist, Politikerinnen und Politiker aufzuhübschen, sie adrett zurechtzumachen, glänzen zu lassen. Eine schwierige Aufgabe, der man gerecht werden kann, indem man die Häßlichkeit der Anderen ausleuchtet. Sie zeichnen ein Bild von einer Insel der Anständigen, die mitten in der Welt liegt, umgeben von tosenden Wellen von fremdländischer Boshaftigkeit und welscher Sittenlosigkeit. Auf dieser Insel spricht man Deutsch. Unsere antirassistischen Ausschnittsdienste, die das was sie tun Pressefreiheit nennen: In ihnen ruht noch immer der plumpe Rassismus der Großväter, der alle Jahre mal durchbricht. Nur subtiler eben. Aber er ist noch da, um in Dosen eingesetzt zu werden.

Die „neue Normalität“: Propaganda in Zeiten von Corona

Olaf Scholz hat es gesagt. Dann Jens Spahn. Und danach – zur Sicherheit – noch einmal Olaf Scholz. Beide sprechen von einer „neuen Normalität“, und wir werden diese beiden Worte sicher noch häufiger in Zukunft hören. Was unterscheidet aber die alte von der neuen Normalität? Zunächst einmal ist der Unterschied in den „Maßnahmen“ zu finden. Wir kennen sie inzwischen alle zur Genüge. Hinzu kommen nun vermeintliche „Öffnungsdiskussionsorgien“, wie Kanzlerin Merkel es – für sie untypisch radikal – ausdrückte. Und den Sommerurlaub können die Deutschen im Großen und Ganzen auch vergessen, zumindest wenn sie Deutschland verlassen wollen

Was für die „neue Normalität“ spricht

Zunächst einmal: Für die Bürger spricht überhaupt nichts für die angeblich „neue Normalität“. Was sie brauchen, ist ein Plan, sind Politiker, die nicht wirr und spontan Entscheidungen treffen, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Es ist bezeichnend, dass die derzeit angestrebten und zum Teil schon umgesetzten Lockerungen keiner Logik folgen. Hier wird etwas aufgemacht, dort wird es gelassen, hier wird kleinen Selbstständigen geholfen, dort werden Künstler und Kulturschaffende ihrem Schicksal weitgehend überlassen. Hier wird über Risikogruppen schwadroniert, dort werden Pflege- und Altenheime in die dritte oder vierte Reihe der Prioritätenlisten gerückt. Diese „neue Normalität“ ist konkret nicht zu erfassen, weil die Details in Planlosigkeit und offenkundiger Inkompetenz untergehen. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass die Bundesregierung bei der Auswahl der Expertenmeinungen von Beginn an auf einige wenige Vertraute gesetzt hat, bei denen sie sicher sein konnte, dass sie keine laute (oder auch leise) Kritik äußern. Es ist müßig, aber dennoch erwähnenswert, dass die Auswahl der Spezialisten viel breiter aufgestellt hätte erfolgen müssen, dass sowohl in der Virologie, als auch im Bereich Gesundheit und auf dem Gebiet der Wirtschaft Fachleute aufeinandertreffen hätten sollen, die die unterschiedlichen Perspektiven und Optionen kontrovers (ja, kontrovers!) diskutiert hätten. Aber Kontroversen sind bei dieser Bundesregierung ebenso unerwünscht wie das Hinterfragen des eigenen Handelns. Wir scheinen uns in einer Art bizarrem Wahlkampf zu befinden, in dem sich die Politiker gegenseitig darin überbieten, darauf hinzuweisen, wie klug und weitsichtig sie handeln. Dass das Gegenteil der Fall ist, unterstreicht den Wahlkampfcharakter, denn auch zu Zeiten von Wahlen wird alles Mögliche erzählt, aber ganz sicher nicht die Wahrheit, und schon gar nicht, wenn diese eigene Fehler und Unzulänglichkeiten aufdeckt. Was diese „neue Normalität“ ausmacht, sind tatsächlich die „Maßnahmen“. Denn sie nehmen – wohlgemerkt bei fallenden Infektions- und Todeszahlen – weiter zu. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass die scheinbar positive Entwicklung trügerisch ist, weil die Zahlen von heute ja immer die von letzter oder vorletzter Woche sind. Eine Eskalation der „Maßnahmen“ wird dennoch immer schwerer zu vermitteln. Doch die „neue Normalität“ zeichnet aus, dass es trotzdem versucht wird. Statt spürbarer Lockerungen werden die bestehenden Aktivitäten verschärft. Und ausgebaut. Zum Beispiel durch die neuen Debatten über den Sommerurlaub der Deutschen.

Sommerurlaub adè?

Im oben verlinkten Text von Jens Berger wird darauf hingewiesen, dass ein Reiseverbot für den Sommerurlaub nicht sinnvoll und unverschämt ist. Denn erstens unterstellt eine solche Strafe, dass andere Länder offenbar nicht in der Lage sind, deutsche Urlauber wirklich zu schützen. Das ist arrogant und herablassend und zeugt von einem Gefühl der Überlegenheit bei der Bewertung der Tätigkeiten anderer Länder. Doch diese Arroganz ist nur oberflächlich entscheidend (auch wenn sie schlimm genug ist). Der eigentliche Punkt scheint der Versuch zu sein, die deutsche Tourismusbranche auf den Beinen zu halten. Denn wenn die Deutschen nicht ins Ausland fahren können, buchen sie ihren Urlaub eben hierzulande. Auf den ersten Blick scheint das eine noble Geste zu sein, um die deutsche Wirtschaft zumindest teilweise über den Sommer zu retten. Doch der zweite Blick ist entscheidender. Denn anders als Deutschland sind andere Länder in viel stärkerem Maße vom Tourismus abhängig, wenn die Gäste massenhaft ausbleiben, sind die Folgen verheerend. Die Bundesregierung ficht das nicht an. Für sie ist genau das die „neue Normalität“. Was interessieren uns andere Volkswirtschaften, wenn wir doch hier im Rahmen eines faktischen Ausreiseverbotes das eine oder andere retten können. Das ist die Normalität, die wir im Grunde ja längst kennen. Die Austeritätspolitik der letzten Jahre war nichts anderes. Andere Länder wurden ausgeblutet, bis (man möge mir diesen Vergleich verzeihen, aber er passt in vielerlei Hinsicht) der Arzt kommt. Jetzt stecken wir selbst in der Krise, und die Bundesregierung kennt noch weniger Verwandte, als das schon vor der Corona-Krise der Fall war. Doch das Urlaubsverbot betrifft diesmal massiv die eigene Bevölkerung. Die allerdings hat sich ja schon geradezu enthusiastisch erregt über die bisher durchgeführten „Maßnahmen“ geäußert. Tja, und wenn das so ist, kann man auch die nächste Stufe erreichen, die einer Ausgangssperre für Urlauber, die es ins Ausland zieht. Alles kein Problem, die Deutschen haben bislang alles so brav mitgemacht und begeistert erduldet, da geht noch was.

Da gehen sie hin, die Grundrechte …

Machen wir uns nichts vor, die „neue Normalität“ heißt nichts anderes als das weitere und zeitlich nahezu unbegrenzte Beschneiden der Grundrechte. Wir sind ja schon mittendrin. Der Feind kommt von außen, er ist klein und unsichtbar, es geht um Leben und Tod. Damit punktet man immer, und so ist es auch zu erklären, dass die Umfragewerte der Bundesregierung nach einem langen Sinkflug wieder in die Höhe schnellen. Eine Bundesregierung, der es um Leben und Tod geht (die Rüstungsexporte wollen wir mal an dieser Stelle besser nicht erwähnen, denn sie führen zu unzähligen Toten) und die steif und fest behauptet, dass ihr die Gesundheit der Bürger ganz, ganz doll am Herzen liegt, die muss man einfach lieben. Und unterstützen. Bei dem, was sie vorhat. Und durchzieht. Der Begriff der „neuen Normalität“ ist eine Propagandaübung, eine, die sich immer mehr zutraut, weil die Bürger das Leckerli dankend aufgenommen haben und frohlockend darauf herumkauen, auch wenn es zäh ist und bitter schmeckt. Die „neue Normalität“ wird uns begleiten, sie wird immer häufiger zu hören sein, sie wird zu einem Umdenken führen, zu einem Akzeptieren eben dieser „Normalität“, weil sie ja – jetzt kommt es mal wieder – „alternativlos“ ist. Die „neue Normalität“, sie sollte uns Sorgenfalten auf die Stirn treiben, statt die Umfragewerte der Bundesregierung in ungeahnte Höhen zu treiben. Denn eine „neue Normalität“ ist nichts weiter als ein nicht endender Ausnahmezustand.

Populismus im Schnelltest

Der Schnelltest soll spätestens im Herbst für Ungeimpfte etwas kosten. Im Grunde ist dieses populistische Vorhaben aber nichts anderes als eine indirekte Ungeimpftengebühr oder ein Knöllchen. Seit dem vergangenen Wochenende wissen wir: Schnelltests werden künftig kostenpflichtig sein. Für Ungeimpfte wohlgemerkt. Das hat man so entschieden. Wer genau, weiß man nicht. Vermutlich die Regierung. Da wir aber in einer intakten Demokratie leben – wie wir es stets dann versichert bekommen, wenn wir an diesem Umstand zweifeln -, ist es offenbar auch gar nicht so wichtig, wer denn nun in welchen Fragen welche Entscheidungen trifft. Irgendwer wird es schon tun – und das muss uns, dem Souverän auf dem Papier, dann auch genügen. Spätestens im Herbst soll die Schnelltesterei dann etwas kosten. Es sei nämlich ungerecht, dass die Allgemeinheit Tests bezahlen müsse, die nicht notwendig wären, wenn man sich hätte impfen lassen. Dieselbe Allgemeinheit bezahlt indes kostenintensiven Impfstoff, der wenig Wirkung erzielt (siehe Biontech) und allerlei anderen Firlefanz mehr, aber gerade diese Schnelltests seien jetzt zu teuer. Es war übrigens ausgerechnet mal wieder ein Superkonservativer, der sich halbwegs vernünftig gegen den Plan stellte: Horst Seehofer – man mag es kaum glauben. Er befürchtet, dass Menschen, die nicht geimpft seien, dann den Gang zur Testung scheuten und so nicht »entdeckt« würden.
Die realen Kosten: Schwindend gering
Was kostet so ein Test denn nun wirklich? Die Materialkosten sind jedenfalls schwindend gering. Ein bisschen Kunststoff, Löschpapier, einige Tropfen Tinktur, ein Wattebausch, Verpackungsmaterial: Wenn man das mit 50 Cent hochrechnet, ist es schon großzügig bemessen. Getestet wird nicht immer von Fachpersonal. Als ich neulich meinen Kollegen Tom Wellbrock besuchte, brauchte ich vorab einen Test, um im Hotel nächtigen zu dürfen. Also ging ich zum Lidl die Straße hoch, da steht ein Container, der sich »Testzentrum« nennt. Erst schwatzte uns der junge Herr einen FFP2-Maske auf, die vom Gesundheitsamt im Container vorgeschrieben sei – er selbst trug seine am Kinn -, dann steckte uns ein anderer junger Mann, der nebenbei telefonierte, den Wattebausch für eine Sekunde etwa einen Zentimeter in ein Nasenloch. Einen Tag später in Geesthacht musste ich mich dann erneut testen lassen, weil wir im Anschluss einige Tage an der Nordsee verbringen wollten. Dort schien eine Fachkraft am Werk zu sein. Sie strich beide Nasenlöcher ab, wagte sich aber auch nicht sonderlich weit in die Nase hinein. Wenn man so testet, schafft man locker 15 oder 18 Testungen pro Stunde. Eher mehr. Wenn man so abstreicht wie der am Lidl-Parkplatz, kriegt man auch locker 50 Testungen die Stunde fertig. Teilt man das durch einen großzügigen Stundenlohn von 20 Euro (der Durchschnittslohn für medizinische Pflegekräfte in Deutschland liegt irgendwo bei 18 Euro), kriegt man ein Gefühl dafür, was so eine Testung kosten sollte. Wenn wir am Ende mit einem Preis von 2,50 Euro bis fünf Euro rechnen, dürfte das ein realistischer Wert sein. Mehr ist so ein Schnelltest wirklich nicht wert. Er beansprucht weder teures Material, noch teuren Manpower, wie man das heute im bestem Deutsch nennt – und Mieten werden auch keine fällig.
Trotzdem bis zu 30 Euro teuer?
Aber um die realen Kosten geht es ja auch gar nicht. Die Schnelltests sollen nicht aus Fairness oder dergleichen kostenpflichtig gemacht werden, auch wenn das die Politik ständig wiederholt. Sie sollen als Gebühr wirken. Als eine Art Knöllchen oder Abgabe für all diejenigen, die sich nicht impfen lassen (wollen). Wenn sie nur die realen Kosten begleichen sollten, tritt genau das nicht in Kraft, was man sich eigentlich daraus verspricht: Einen Effekt der Bestrafung. Alle mischen sie dieser Tage mit, jeder hat eine Meinung, gibt Statements ab. Seit Beginn des pandemischen Notstandes ist das eines der zentralen Probleme, dass jedes politische Kleinkaliber nur sein Gesicht in die Kamera halten muss, um schon zitiert zu werden. Daher kriegt man selten Ordnung in das Stimmenchaos hinein. Dass die Schnelltestungen aber höhere Kosten verursachen sollen, hört man aus dem Gewirr trotzdem deutlich heraus. Bis zu 30 Euro pro Testung sollen für manchen fällig werden. Ob das dem Wettbewerbsrecht entspricht, ob man da nicht von Kartellbildung sprechen muss, wenn man verabredet eine im Kern minderwertige Leistung zu einem sittenwidrigen Preis anzubieten, darf man hoffentlich noch fragen. Und ob diese Ungleichstellung zwischen Geimpften und Ungeimpften überhaupt verfassungskonform ist, darf hoffentlich noch ebenso rege bezweifelt werden. Da die Verfassungsrichter aber ohnehin abwechselnd bei der Kanzlerin speisen oder sich in Fragen der Corona-Politik freundlichst vertagen, werden wir wohl erst in Monaten oder Jahren Genaueres dazu erfahren dürfen. Schade eigentlich.
Herr Braun heißt so – und ist es
Nein, um Kostenminimierung ging es hier tatsächlich nie. Das ist bloß die populistische Ausrede, die eine indirekte Impfpflicht ins Leben rufen will und die gezielt auf das setzt, was der Kanzleramtsminister mit dem geschichtsträchtigen Namen Herr Braun, neulich als Plan ausheckte: Diskriminierung von Menschen, die nicht geimpft sind. Dieser Plan ist offensichtlich weniger auf Grundlage von wissenschaftlicher Auswertung entstanden, denn Geimpfte können sich den Virus weiter einfangen und ihn auch weiterreichen, so wie Ungeimpfte auch. Es ist die Herbstprogrammatik der Bundesregierung. Sie braucht jemanden, den sie die Verantwortung in die Schuhe schieben kann. Sie hat »den Ungeimpften« auserwählt. Er soll wissen, dass es ungemütlich wird. Dass seine Diskriminierung droht. Er ist dabei selbst schuld, er hätte zwar nicht alle Freiheiten, die hat man ja eingestampft – aber diese eine Freiheit, sich für die Impfung zu entscheiden, die hätte er ja noch. Die kostenpflichten Schnelltests sind nichts weiter, als der Testballon der Corona-Populisten. Es ist ihr persönlicher Schnelltest, wie weit sie gehen können, um Gruppen so gegeneinander auszuspielen, dass sie mit sich beschäftigt sind und dem fragilen politischen Gefüge nicht gefährlich werden können. Läuft die Menge mit, diskriminiert sie brav mit, schließt Andere aus und macht ihren Nachbarn, Freunden und Kollegen das Leben zur Hölle? Wenn dann noch 30 Euro pro Schnelltest zu berappen sind, vergeht ihnen alles. Dann zerstreut sich ihre Skepsis und sie lassen sich widerwillig impfen. Ob sie sich dabei wohlfühlen, ob das mental mit ihnen was macht? Wen kümmerts denn? Psychische Erkrankungen gibt es ja nicht als Pandemie …