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Die „neue Normalität“: Propaganda in Zeiten von Corona

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Olaf Scholz hat es gesagt. Dann Jens Spahn. Und danach – zur Sicherheit – noch einmal Olaf Scholz. Beide sprechen von einer „neuen Normalität“, und wir werden diese beiden Worte sicher noch häufiger in Zukunft hören.
Was unterscheidet aber die alte von der neuen Normalität?

Zunächst einmal ist der Unterschied in den „Maßnahmen“ zu finden. Wir kennen sie inzwischen alle zur Genüge. Hinzu kommen nun vermeintliche „Öffnungsdiskussionsorgien“, wie Kanzlerin Merkel es – für sie untypisch radikal – ausdrückte. Und den Sommerurlaub können die Deutschen im Großen und Ganzen auch vergessen, zumindest wenn sie Deutschland verlassen wollen

Was für die „neue Normalität“ spricht

Zunächst einmal: Für die Bürger spricht überhaupt nichts für die angeblich „neue Normalität“. Was sie brauchen, ist ein Plan, sind Politiker, die nicht wirr und spontan Entscheidungen treffen, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Es ist bezeichnend, dass die derzeit angestrebten und zum Teil schon umgesetzten Lockerungen keiner Logik folgen. Hier wird etwas aufgemacht, dort wird es gelassen, hier wird kleinen Selbstständigen geholfen, dort werden Künstler und Kulturschaffende ihrem Schicksal weitgehend überlassen. Hier wird über Risikogruppen schwadroniert, dort werden Pflege- und Altenheime in die dritte oder vierte Reihe der Prioritätenlisten gerückt.

Diese „neue Normalität“ ist konkret nicht zu erfassen, weil die Details in Planlosigkeit und offenkundiger Inkompetenz untergehen. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass die Bundesregierung bei der Auswahl der Expertenmeinungen von Beginn an auf einige wenige Vertraute gesetzt hat, bei denen sie sicher sein konnte, dass sie keine laute (oder auch leise) Kritik äußern.

Es ist müßig, aber dennoch erwähnenswert, dass die Auswahl der Spezialisten viel breiter aufgestellt hätte erfolgen müssen, dass sowohl in der Virologie, als auch im Bereich Gesundheit und auf dem Gebiet der Wirtschaft Fachleute aufeinandertreffen hätten sollen, die die unterschiedlichen Perspektiven und Optionen kontrovers (ja, kontrovers!) diskutiert hätten. Aber Kontroversen sind bei dieser Bundesregierung ebenso unerwünscht wie das Hinterfragen des eigenen Handelns. Wir scheinen uns in einer Art bizarrem Wahlkampf zu befinden, in dem sich die Politiker gegenseitig darin überbieten, darauf hinzuweisen, wie klug und weitsichtig sie handeln. Dass das Gegenteil der Fall ist, unterstreicht den Wahlkampfcharakter, denn auch zu Zeiten von Wahlen wird alles Mögliche erzählt, aber ganz sicher nicht die Wahrheit, und schon gar nicht, wenn diese eigene Fehler und Unzulänglichkeiten aufdeckt.

Was diese „neue Normalität“ ausmacht, sind tatsächlich die „Maßnahmen“. Denn sie nehmen – wohlgemerkt bei fallenden Infektions- und Todeszahlen – weiter zu. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass die scheinbar positive Entwicklung trügerisch ist, weil die Zahlen von heute ja immer die von letzter oder vorletzter Woche sind. Eine Eskalation der „Maßnahmen“ wird dennoch immer schwerer zu vermitteln. Doch die „neue Normalität“ zeichnet aus, dass es trotzdem versucht wird. Statt spürbarer Lockerungen werden die bestehenden Aktivitäten verschärft. Und ausgebaut. Zum Beispiel durch die neuen Debatten über den Sommerurlaub der Deutschen.

Sommerurlaub adè?

Im oben verlinkten Text von Jens Berger wird darauf hingewiesen, dass ein Reiseverbot für den Sommerurlaub nicht sinnvoll und unverschämt ist. Denn erstens unterstellt eine solche Strafe, dass andere Länder offenbar nicht in der Lage sind, deutsche Urlauber wirklich zu schützen. Das ist arrogant und herablassend und zeugt von einem Gefühl der Überlegenheit bei der Bewertung der Tätigkeiten anderer Länder.

Doch diese Arroganz ist nur oberflächlich entscheidend (auch wenn sie schlimm genug ist). Der eigentliche Punkt scheint der Versuch zu sein, die deutsche Tourismusbranche auf den Beinen zu halten. Denn wenn die Deutschen nicht ins Ausland fahren können, buchen sie ihren Urlaub eben hierzulande. Auf den ersten Blick scheint das eine noble Geste zu sein, um die deutsche Wirtschaft zumindest teilweise über den Sommer zu retten.

Doch der zweite Blick ist entscheidender. Denn anders als Deutschland sind andere Länder in viel stärkerem Maße vom Tourismus abhängig, wenn die Gäste massenhaft ausbleiben, sind die Folgen verheerend. Die Bundesregierung ficht das nicht an. Für sie ist genau das die „neue Normalität“. Was interessieren uns andere Volkswirtschaften, wenn wir doch hier im Rahmen eines faktischen Ausreiseverbotes das eine oder andere retten können.

Das ist die Normalität, die wir im Grunde ja längst kennen. Die Austeritätspolitik der letzten Jahre war nichts anderes. Andere Länder wurden ausgeblutet, bis (man möge mir diesen Vergleich verzeihen, aber er passt in vielerlei Hinsicht) der Arzt kommt. Jetzt stecken wir selbst in der Krise, und die Bundesregierung kennt noch weniger Verwandte, als das schon vor der Corona-Krise der Fall war. Doch das Urlaubsverbot betrifft diesmal massiv die eigene Bevölkerung. Die allerdings hat sich ja schon geradezu enthusiastisch erregt über die bisher durchgeführten „Maßnahmen“ geäußert. Tja, und wenn das so ist, kann man auch die nächste Stufe erreichen, die einer Ausgangssperre für Urlauber, die es ins Ausland zieht. Alles kein Problem, die Deutschen haben bislang alles so brav mitgemacht und begeistert erduldet, da geht noch was.

Da gehen sie hin, die Grundrechte …

Machen wir uns nichts vor, die „neue Normalität“ heißt nichts anderes als das weitere und zeitlich nahezu unbegrenzte Beschneiden der Grundrechte. Wir sind ja schon mittendrin. Der Feind kommt von außen, er ist klein und unsichtbar, es geht um Leben und Tod. Damit punktet man immer, und so ist es auch zu erklären, dass die Umfragewerte der Bundesregierung nach einem langen Sinkflug wieder in die Höhe schnellen. Eine Bundesregierung, der es um Leben und Tod geht (die Rüstungsexporte wollen wir mal an dieser Stelle besser nicht erwähnen, denn sie führen zu unzähligen Toten) und die steif und fest behauptet, dass ihr die Gesundheit der Bürger ganz, ganz doll am Herzen liegt, die muss man einfach lieben.

Und unterstützen. Bei dem, was sie vorhat. Und durchzieht. Der Begriff der „neuen Normalität“ ist eine Propagandaübung, eine, die sich immer mehr zutraut, weil die Bürger das Leckerli dankend aufgenommen haben und frohlockend darauf herumkauen, auch wenn es zäh ist und bitter schmeckt.

Die „neue Normalität“ wird uns begleiten, sie wird immer häufiger zu hören sein, sie wird zu einem Umdenken führen, zu einem Akzeptieren eben dieser „Normalität“, weil sie ja – jetzt kommt es mal wieder – „alternativlos“ ist.

Die „neue Normalität“, sie sollte uns Sorgenfalten auf die Stirn treiben, statt die Umfragewerte der Bundesregierung in ungeahnte Höhen zu treiben. Denn eine „neue Normalität“ ist nichts weiter als ein nicht endender Ausnahmezustand.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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