Eine Kurzgeschichte aus dem wahren Leben – von Ella König
„Wir werden jünger, wir werden bunter…wie wunderbar ist das denn?!“ tönten Worte einer Katrin Göring-Eckardt in den Ohren von Marianne, 69, Rentnerin, geschieden, in einem Mietshaus gegenüber der Kirche lebend.
„Wie wunderbar ist das denn?!“
Ein Ausruf der sich trefflich dazu nutzen ließ, all die kleinen Verdrießlichkeiten, mit denen der Alltag nur so gespickt war, abzufedern. Als beispielsweise in der Küche eine Mottenplage ausbrach.
Begonnen hatte alles mit einem kleinen weißen Würmchen an der Wand, das sich zügig auf ein Gemälde zubewegte, unter dem es alsbald wieder verschwand.
„Ein kleines Lebewesen hat den Weg zu mir gefunden. Wie wunderbar ist das denn!?“
Doch es wurden immer mehr, und sogar an den Fotos ihrer Lieben, die sie auf dem Küchenschränkchen aufgestellt hatte, klebten einige.
„Uns werden Lebewesen geschenkt, wie wunderbar ist das denn?“ versuchte sie auch jetzt zu denken.
Bald schon schwirrte eine Vielzahl an Motten in der Küche herum.
Die Mottenfallen mit dem heimtückischen Duftstoff, der die Männchen anlockte, die fortan kleben blieben, um einen qualvollen Hunger- und Verdurstungstod zu sterben, empfand Marianne als unmenschlich, und dennoch hatte sie schweren Herzens eine aufgestellt. Es dauerte nicht lange, und die ganze Falle war mit Motten bedeckt, die noch eine ganze Weile lang vor sich hinzuckten. Marianne konnte den Blick nicht von dem Grauen lösen. Wenn man genau hinschaute, so sah man, dass diese geheimnisvollen Lebewesen zerknitterte Röckchen in selten schönen Gold trugen, das in mehreren Schattierungen glänzte.
Gewiss: Man hätte diesen Qualen mit Hilfe eines Nudelholz´ ein Ende bereiten können, doch der Gedanke, dass das Nudelholz hernach von der Mottenfalle umrundet und auf unappetitliche Weise mit schwer abschabbaren geplätteten Motten verklebt wäre, schob sich noch vor die Barmherzigkeit.
Direkt neben Mariannes Heim wurde renoviert. Die Eheleute Schneider waren aus dem Schwabenland herbeigereist, um das Elternhaus von Herrn Schneider zu renovieren. Der Bohrer jaulte und krisch den ganzen Tag; dazwischen wurde emsig herumgehämmert. Eine Symphonie hingebungsvollen Fleißes – wie wunderbar war das denn? Dies jedoch vergaß Marianne zu denken, da sie es nun oft genug gedacht hatte, und irgendwann war auch einmal genug. Von ihrem Küchenfenster aus beobachtete sie das Treiben nebenan. Draußen war es sommerlich und warm; die Fenster meist geöffnet.
Herr Schneider, der kahlköpfige, wie gerupft wirkende Ehemann der freundlichen Frau, die immer so liebevoll um das Wohl der Anderen besorgt war, sah leider äußerst wampig aus. Der ganze Mann war im Laufe vieler Jahrzehnte, die er bereits auf Erden verbracht hatte, zu einer formlosen Masse zusammengeronnen; schwerfällig und ächzend mühte er sich durch den Rest des Lebens. Marianne schätzte ihn auf zirka 79 Jahre und hatte das Gefühl, er wäre in einem Seniorenheim deutlich besser aufgehoben als auf der Leiter, die unter seinem Gewicht zu zersplittern drohte. Aber nein, der alte Herr wollte vom Alter nichts wissen; er weißelte die Wände und schnaufte dazu zuweilen regelrecht beängstigend.
Mit Frau Schneider wiederum hatte Marianne sich auf den ersten Blick als dick befreundet bedünkt. Da das Ehepaar im Rahmen der Renovierung jedoch wenig Zeit hatte, und Mariannes Einladung zu Kaffee, Kuchen und einer Kennenlernungsintensivierung höflich ausschlagen musste, erkühnte Marianne sich eines Tages, eine Thermosbuddl mit frischem Kaffee zu befüllen, etwas Gebäck in ein Körbchen zu packen und nebenan zu schellen. Leis und zart ertönte ein Summen, und mit einem angenehm anzuhörenden klackenden Geräusch, ließ sich die frisch eingebaute Tür öffnen. Direkt dahinter erstreckte sich ein ungewöhnlich steiles, aber auch enges Treppenhaus in die Höhe. Marianne konnte sich nicht erklären, wie es der dicke Mann wohl geschafft hat, dort hinaufzugelangen. Selber oben angelangt pochte sie gleichsam zart und neckisch an die Tür…
Frau Schneider kniete auf dem Boden, hielt jedoch mit der Schrubberei inne und rappelte sich empor, als sich Mariannes liebes Lächeln durch den Türspalt in die noch unfertige Küche schob.
Die Besucherin stellte Thermoskanne und Körbchen auf eine Anrichte. „Zur Stärkung“, sagte sie schlicht. Rührung und Freude stand Frau Schneider ins Gesicht geschrieben. „Leider kann ich Ihnen gar keine Sitzgelegenheit anbieten!“ bedauerte sie, und so kam man eben im Stehen ins Gespräch. Marianne erfuhr, dass in den nächsten Tagen einige Busse einen ganzen Schwapp an ukrainischen Kriegsflüchtlingen vorbeibringen würden. Ausschließlich Frauen und Kinder. Die Männer kämpften und verteidigten derweil unsere Demokratie an der Front, so hieß es, und die Bürger hierzulande seien aufgerufen, nutzbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, so wie es die noch unbekannten Freunde aus der fernen Ukraine im umgekehrten Falle genauso handhaben würden. Und so hätten die Schneiders keinen Moment gezögert, und die lange beschwerliche Reise aus Süddeutschland auf sich genommen, um unverzüglich mit der Renovierung loszulegen. Zwei Damen würden einziehen.
Nur 14 Tage später war es so weit. Vor der Tür zum Nachbarhaus standen die beiden hochschwangeren Damen, und ließen sich von der mitfühlsamen Frau Schneider die Finessen der Mülltrennung erklären.
„Wie wunderbar ist das denn!“
Freudig stürmte Marianne die Treppen hinab, um sich vorzustellen und ihre Hilfe anzubieten. Frau Schneider machte die neuen Nachbarn miteinander bekannt: „Yuliya“ und „Vikhtorhjya“.
„Hi, nice to meet you!“
Mit Hilfe der Übersetzungsapp erzählte Marianne den jungen Damen, dass sie in der Kirche ehrenamtlich den Flötenkreis leite: Man träfe sich jeden Donnerstag um 19 Uhr. Ein jeder sei herzlich willkommen. Dann lief sie in ihre Wohnung zurück und stellte sich ans Fenster, um ein wenig Flöte zu blasen.
Der Sommer ging zur Neige.
Auf dem Marktplatz hatte man eine ukrainische Flagge aufgestellt, die an die bunte Hose einer Figur aus Tausendundeiner Nacht erinnerte, und im Herbstwind einen wilden, ungestümen Tanz ausführte. Beim Flöteblasen stand Marianne am Fenster ihrer Schlafstube und schaute über den Rand des Notenständers hinweg auf das Geschehen in der Stadt.
Direkt neben der Flagge befand sich die Bushaltestelle. Hie und da brachte der Bus eine Ladung Frischankömmlinge, und saugte dafür ein paar Wartende ein, um sie behende aus Mariannes Blickfeld und Gedankenhorizont hinfortzutragen. Manchmal fuhren Mariannes Gedanken eine Weile mit, doch dann versuchte sie sich wieder auf das Flötenspiel zu konzentrieren. Wenn sie genug geblasen hatte, begab sie sich in die Küche, um sich einen Kaffee zuzubereiten. Durch das Küchenfenster blickte man direkt aufs Nachbarhaus.
Im Erdgeschoss befand sich ein Sanitätsgeschäft, darüber im ersten Stock – Aug in Aug, wenn man so will – wohnten die beiden Ukrainerinnen, und unter dem Dach eine stille Dame, die sich die Fenstersimse mit Pflanzen und Kakteen geschmückt hatte. Seit jeher lebte Marianne als unsichtbarer guter Geist inmitten ihrer Nachbarn, denen sie – soweit ihr nicht bekannt – einen Namen gegeben hatte. Auch wenn man durch die Fensterscheiben nicht viel, oder quasi überhaupt nichts von dem hörte, was geredet wurde, so verstand Marianne doch jedes Wort, da sie sich eine Übersetzungsapp „Unhörbar – hörbar“ ins Hirn installiert hatte. Dies´ unterhaltsame Steckenpferd aus der Kindheit hatte sie sich ins Erwachsenenleben herübergerettet; doch in letzter Zeit war es schwierig geworden, diesem Hobby nachzugehen. Die Jahre waren vorübergezogen und das Stadtbild hatte sich verändert. Schaute man aus dem Fenster, so sah man in erster Linie schnieke, oder auch lugubere Herren aus Tausendund einer Nacht, züchtig verhüllte Frauen, welke Gestalten am Rollator – oder, wie es der moderne Mensch wohl formulieren würde „welke Rollator:Innensenior*Innen – die gar nichts mehr sagten, da alles was zu sagen war, gesagt war. Neuerdings gab es auch noch den Typus des heliumbefüllten volltätowierten jungen Mannes mit Säulenbeinen und der Stöpselfrisur einer Dame auf dem Kopf. Gestalten, die es früher nicht gegeben hatte, und Marianne fragte sich, wie es wohl in vierzig Jahren im Gemeinschaftssaal des Altenheims aussehen würde, wenn all die auftätowierten Bildchen eingeschnurrt und eingeschrumpft waren?
„Nur Frauen und Kinder!“ hatte es zunächst geheißen, doch da hatte man die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ein liebender, ein verliebter oder gar eifersüchtiger Mann findet Mittel und Wege. Wie Pilze waren überall ukrainische Männer aus dem Boden geschossen. Grobe, oft bis zur Unkenntlichkeit tätowierte Kerle, meist rauchend und nahezu immer am Smartphon hängend. Sie standen in einem Abstand von zehn bis 15 Metern herum und kläfften laut in den Hörer hinein. Eine Symphonie der Ratlosigkeit, denn niemand wusste, wie es weitergehen würde.
Eines Tages wurde Marianne beim Blick aus dem Küchenfenster von einem Schreck durchzuckt. Im ersten Moment hatte sie gemeint, eine riesenhafte Würgeschlange wäre aus einem Terrarium entwichen und würde nun aus dem Fenster in die Freiheit kriechen. Doch das Auge hatte ihr einen kleinen Streich gespielt. In Wirklichkeit handelte es sich um den fleischigen Arm eines Herrn. Bis zur Unkenntlichkeit mit furchterregenden schwarzen Mustern tätowiert, beispielsweise SS-Runen, Wolfsangel und Stepan Bandera der, zum Äußersten bereit, mit einem Maschinengewehr auf den Betrachter zielt. Alles in schwarz und rosa. Der verunzierte Arm mündete in eine bleiche Hand, die ein Smartphon umschlang. Zeige- und Mittelfinger, höchst vergilbt, hielten einen Zigarettenstengel umzwackt.
Der Winter kam. Interessiert beobachtete Marianne das Treiben im Nachbarhaus. Inzwischen wohnten bei den jungen Muttis zwei Herren.
Abgesehen davon, dass die beiden Frauen täglich schwerbehangen vom Shoppen zurückkehrten, wurden unentwegt Amazon-Pakete ins Nachbarhaus geliefert. Nicht selten wurde auch an Mariannes Tür geschellt. Ob sie wohl ein Päckchen für nebenan in Empfang nehmen würde? Aber selbstverständlich! Marianne glühte vor Neugier. Lustvoll gab sie sich den Mutmaßungen hin, die im Kopf einer älteren Dame gelegentlich herumschwirren.
„Die müssen ja Geld haben!“ erwischte sie sich bei einem Gedanken, der sich Flüchtlingen gegenüber eigentlich streng verbot. Aber natürlich! Das Bürgergeldbüro überwies die Miete, die die wohltätige Frau Schneider doch überhaupt nicht verlangt hatte. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit, den armen Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Gleichwohl konnte Marianne sich sehr gut vorstellen, dass man eine Miete von tausend Euro angegeben hatte. Darüber hinaus wurden den beiden Paaren die Taschen mit Scheinen und Talern vollgestopft. 565 €uro bekam der Bürgergeldempfänger pro Monat zugebilligt. Da kam man zu viert locker auf eine stolze Summe von mehr als 3000 € im Monat zur freien Verjubelung.
Marianne freute sich immer sehr, wenn der Schneidersche Kleinbus in der engen Gasse parkte. Gelegentlich traf man einander auf der Straße und wechselte ein paar Worte, so dass das Bild der Nachbarn allmählich Kontur bekam.
Die beiden Herren, so hieß es zunächst, seien Kumpels, doch das enge Zusammenleben habe ihnen nicht gut getan. Stimmt! Einmal hatte Marianne mitbekommen, wie sie sich in der Küche wüst anbrüllten. Wunderfitzig frug sie sich, was da wohl vor sich ging? Ständig musste sie darüber nachdenken…so lange, bis sie von einem Geistesblitz getroffen wurde. Natürlich! Man hätte es sich ja denken können. So und nicht anders war es: Der eine Herr hatte den anderen im Verdacht, seiner Frau in den Ausschnitt geschielt zu haben; es gab einen Riesenkrach, in dessen Folge um Haaresbreite die Fäuste zu Wort gekommen wären.
Nein. Die Wohnung war zu eng für zwei Familien. Die Freundschaft litt empfindlich, und offenbar hatte man sich nun darauf geeinigt, dass die beiden Herren abwechselnd einen Tag im Freien totschlagen mussten, da ein Krieg ansonsten nicht mehr zu vermeiden wäre.
Der tätowierte Herr hieß Vitali. Dies hatte Frau Schneider verraten, und den Namen liebevoll mit sympathischen schwäbischem Einschlag ausgesprochen: „Der Wittalli!“ (so klang´s). Der andere Herr schien Marianne in Wesen und Erscheinungsbild etwas feiner. Er war von schmächtiger Gestalt, weckte mütterliche Instinkte, hielt durchgehend das Smartphon am Ohr und lächelte freundlich, wenn man ihm begegnete. Marianne liebte sein freundliches Lächeln. Stets lächelte sie so liebevoll sie nur konnte zurück, und bemerkte erst nach einer Weile, dass sie vergessen hatte ihr liebes Lächeln wieder auszuknipsen; so versonnen hatte sie vor sich hingeträumt.
„Nennen wir ihn Wolodymir!“ beschloss sie eines Tages, „Wolodja“, und ließ den Namen in Gedanken auf der Zunge zergehen.
Wenn Wolodja an der Reihe war, den Tag im Freien zu verbringen, hielt er sich stets in der Nähe des Hauses auf. Direkt vor Mariannes Blicken lief er auf und ab. Mit einer Tasse dampfenden Kaffees, die ihm von einer der Damen durch die Tür gereicht wurde, schritt er durch die Gassen und telefonierte. Der heiße Kaffeedampf wurde jedoch gierig von der Kälte eingesogen, bevor Wolodja überhaupt die Lippen ansetzte. Marianne konnte sich gar nicht vorstellen, dass es jemanden geben sollte, der sich ein sooo langes Telefonat anhört. Ein Telefonat mit dem Ausmaß von Wagners Ring der Nibelungen, oder gar Stockhausens „Donnerstag aus Licht“. Sie kam zu dem Schluß, dass sich am anderen Ende der Leitung niemand befand. Wolodya quatschte einfach all das in den Hörer hinein, das ihm durch den Kopf zog. Zwischendrin, solchermaßen als lausche er einer Antwort, setzte er seine mittlerweile vor Kälte blau angelaufenen bibbernenden Lippen an die Tasse und benetzte sie mit dem ausgedampften Kaffee, der im erkalteten Zustand wahrscheinlich grauenvoll schmeckte.
Es war nicht mit anzusehen. Eines Tages brachte Marianne ihm eine gefüllte Thermoskanne mit heißem Wohlfühltee.
Dass sich jemand so freuen konnte und so dankbar war! Marianne hätte ihn gerne ins Haus gebeten, ihm ein warmes Duftbad eingelassen und etwas Bekömmliches gekocht, wusste jedoch nicht so recht, wie man einen solchen Vorschlag unterbreiten solle, ohne in den unschönen Verdacht zu geraten, ein liebestolles Frauenzimmer zu sein.
Am nächsten Tag war es ganz besonders kalt. Eiszapfen hingen an den Dachziegeln herab, aber diesmal war es Vitali, der im Freien herumbibbern musste. Er stand vor dem Kirchportal, direkt in Mariannes Sichtlinie, und auch wenn er sich seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, erkannte Marianne ihn an seiner vierschrötigen Statur. Neben ihm stand ein Kinderwagen.
Vitali wartete auf bessere Zeiten. Ungeduldig zog er abwechselnd einen Fuß in die Höh und klappte ihn zurück, um Väterchen Frost zu vertreiben oder zumindest zu beschwichtigen. Dann fischte er sich mit seinen verfröstelten Fingern eine Zigarette aus dem Kinderwagen, steckte sie sich ins Gesicht und zündete sie an. Unverhohlen pustete er dem kleinen Kind einen Tabaknebel nach dem anderen mitten ins Gesicht. Ein kleines Händchen ragte aus dem Kinderwagen empor, und Marianne deutete den Anblick dahingehend, dass das kleine Kind nach ihr wunk* und um Hilfe bat. Etwas, das man als Frau kaum mit ansehen konnte, doch um hinauszustürmen und Vitali erbost zur Rede zu stellen, gebrach es ihr an Mut. Die Straße war menschenleer, und schaute wie gefegt aus. Ein brutaler Faustschlag, und sie wäre tot. Schließlich kam ihr eine brillante Idee: Mit Hilfe der Übersetzungsmaschine verfasste sie einen Brief:
*Wahrscheinlich ein Wort, das es nicht gibt. Aber mir gefällt´s.
Дорогий Господи! Будь ласка, припиніть дути тютюн в обличчя дитини! Це не дозволено в цій країні. Якщо я побачу це знову, мені доведеться повідомити Мілліз
Versteht dies jemand?
„Lieber Herr! Bitte hören Sie auf, dem kleinen Kind Tabak ins Gesicht zu blasen. Dies ist hierzulande nicht erlaubt. Sollte ich es nochmals sehen, so bin ich gezwungen die Miliz zu benachrichtigen!“ Sie schrieb „Miliz“, denn etwas anderes kennen die ja gar nicht, dachte Marianne.
Sie wollte das Schreiben soeben im Nachbarhaus einwerfen, hielt jedoch kurz damit inne, als Frau Schneider um die Ecke bog. Etwa viermal im Jahr waren die Schneiders in der Kleinstadt zu Besuch, um nach dem rechten zu schauen.
„Wie schön Sie wiederzusehen! Ich habe Sie bereits vermisst!“ sagte Marianne.
Dann zeigte sie Frau Schneider den gefalteten Brief, den sie soeben im Begriff war, in den Briefkasten zu schieben. „An den Papa“, stand in kyrillischen Buchstaben vorn auf dem Blatt zu lesen. Nun konnte sie Frau Schneider die Situation direkt erklären.
„So etwas kann man als Frau nicht mit ansehen!“ schloss sie ihren Bericht. Frau Schneider zeigte sich gerührt und empört in einem. Wie oft hatte sie Vihktorhyjya geraten, während der Schwangerschaft nicht zu rauchen – und jetzt dies. „Das arme kleine Kind!“ rief sie erschüttert aus. Ein kleiner Windhauch war über ihr Gesicht gehuscht, und hatte den Sonnenschein kurz hinfortgetragen. Dann war er aber wieder da. „Das haben Sie wunderbar gemacht. Es sollte viel mehr so engagierte Leute geben wie Sie!“
Marianne freute sich sehr über das Lob, und Frau Schneider versprach, den Brief in den Kinderwagen im Hausflur zu legen.
Von diesem Tag an, hat Marianne Vitali nie wieder gesehen, und Wolodya hörte damit auf, an jedem zweiten Tag fröstelnd durch die vereiste Gasse zu laufen.
Die Zeit verging, und jetzt, da der Frühling seine Triebe ausbreitete, sah man Wolodya oftmals am Fenster sitzen und telefonieren. Immer wieder konnte Marianne die jungen Leute durch das Küchenfenster dabei beobachten, wie sie ihr kleines Kind in den Kinderwagen packten, um es in der frischen Luft durch den Frühling spazieren zu fahren. Wolodya schien ein sehr besorgter Vater zu sein. Dass er seine Zigarette im Mundwinkel behielt, wenn er sich besorgt über das kleine Wesen im Kinderwagen beugte, war zwar alles andere als löblich, letztendlich jedoch wohl seinem einfachen Naturell zuzuschreiben.
Nachtrag für den neugierigen Leser:
Viel später erfuhr Marianne, dass das tabakbepustete Baby im Kinderwagen gar nicht Vitalis Kind war. Vitali hatte überhaupt kein Kind, denn seine Freundin war lediglich als Leihmutter tätig gewesen. Die fremde Leibesfrucht war längst den biologischen Eltern überantwortet, und die 22 000 € mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verjubelt.
An jenem Tag, der ihm letztendlich zum Verhängnis werden sollte, war Vitali von seinen Mitbewohnern drum gebeten worden, eine viertel Stunde lang auf ihr Baby aufzupassen, während Wolodya ein paar Einkäufe erledigen, und Vihktorhyjya die Wohnung saugen wollte. Der brutale Staubsaugerlärm sei nichts für die zarten Kinderohren. Und somit waren sie es, die den Brief im Kinderwagen vorgefunden hatten. In Wut geraten erschlugen sie den falschen Aufpasser ganz spontan mit einer Schaufel, wickelten ihn in einen alten Teppich und vergruben ihn im Hof. Er sei zurück in die Heimat gereist, hieß es lapidar. Niemand hat jemals Zweifel daran bekundet.
Wie kommt die EU aus dem Dilemma raus?
Ohne Selbstauflösung keinesfalls!
Das System in Brüssel ist höchst korrupt und absolut antidemokratisch!
Und UvL ist das perfekte Sinnbild dafür…
Selbstauflösung wäre das Beste, was uns passieren könnte 🙂