„Ich denke, es ist Faschismus.“

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Wie kann man behaupten, in einem faschistischen Staat zu leben, wenn wir doch umgeben sind von einer gelebten und auf Bürgerrechte ausgelegten Demokratie? Der Kommentar eines Bekannten von mir zu einem Artikel über Ulrike Guérot sollte uns ins Grübeln kommen lassen. Tatsächlich verblasst das Wort „Demokratie“ in der öffentlichen Wahrnehmung zusehends. Stattdessen ist von „Werten“, „unseren Werten“ und einem „Wertekanon“ die Rede. Diese inhaltsleeren Begriffe transportieren zwar verbal positive Eigenschaften, sind aber nicht mit Fakten unterfüttert. Unsere Werte, das scheint das zu sein, was bei uns gerade „angesagt“ ist, was beim Blick durch ein kleines (und nur relativ kurz geltendes) Zeitfenster als solche bezeichnet werden. Im Zuge der „feministischen Außenpolitik“ (ebenfalls ein vager Begriff, der die Attribute der Weichheit und der Empathie zu transportieren scheint) hat sich als einer unserer westlichen Werte die Bereitschaft, Krieg zu führen, durchgesetzt. Wir ordnen die politischen Systeme der Welt ein, wir bewerten sie und entscheiden dann, ob wir sie in Ruhe gewähren lassen oder „korrigierend“ eingreifen. Und die Werte des Faschismus? Die sind umfassend und letztlich nicht mit einem einzigen Satz zu beschreiben. Aber im Programm der NSDAP heißt es:
Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.

Zwischenbemerkung

Bei dem nun folgenden Text soll es ausdrücklich nicht um den Aspekt der (massenhaften) Morde an Menschen gehen. Diese grauenhaften Verbrechen sind selbstverständlich ein wesentlicher Teil des insbesondere deutschen Faschismus unter den Nationalsozialisten. Doch es wäre verkürzt, den Faschismus darauf zu reduzieren, denn täte man das, wären Gedanken über heutige Anzeichen faschistischen oder faschistoiden Verhaltens und Denkens faktisch ausgeschlossen. Der folgende Einzelfall Ulrike Guérot steht stellvertretend für zahlreiche andere Fälle, die in der Summe ein besorgniserregendes Bild ergeben. Wer also über die Morde im Namen des Faschismus spricht, sollte über die anderen Ausprägungen nicht schweigen.
Man kann Guérot nicht mehr auf Studierende loslassen
So titelte am 2. November 2022 „t-online“. Wir erinnern uns an den oben zitierten NSDAP-Satz:
Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist.
Das „deutsche Blut“ ist nicht zwingend notwendig für die Einordnung dieses Satzes. Es geht um bestimmte Voraussetzungen, die ein „Volksgenosse“ erfüllen muss. Tut er dies nicht, ist er zwangsläufig kein „Volksgenosse“. Im Falle von Guérot ist das Problem ihre abweichende Meinung, die sie für die Tätigkeit an einer Universität disqualifiziert und somit nicht als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft anerkennt. Gleich zu Beginn des Artikels fragt „t-online“:
Wann ist das Maß voll?
Und fabuliert weiter:
Die Ukraine? Ein Vehikel US-amerikanischer Dominanzbestrebungen. Die russische Invasion des Nachbarlandes? Eigentlich gar keine solche – die Ukraine habe viel eher einen Krieg mit Russland begonnen, „stellvertretend für den Westen“. Überhaupt: Wer den Krieg begonnen hat, müsse „neu erforscht werden“.
Guérot vertritt also ganz offensichtlich eine Meinung, die in den Augen des Autors Julian Seiferth nicht nur nicht zulässig ist, sondern zur Konsequenz führen muss, Guérot von der Universität Bonn zu entfernen. Offenbar ist für Seiferth „das Maß voll“, wenn zu viel Abweichung des eigenen Weltbildes ins Spiel kommt. Um das Unaussprechliche aber nicht selbst kundtun zu müssen, wird auf einen Experten zurückgegriffen. Der heißt Philipp Ther, ist Sozialhistoriker und Professor für Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien und nimmt eine merkwürdige Einordnung vor:
Er wirft Guérot nicht nur vor, weder die russische noch die ukrainische Sprache zu beherrschen, auch mit der Nato habe sie sich nie befasst.
Ob und inwieweit sich Guérot mit der Nato befasst hat, weiß Ther offenbar sehr genau. Woher, verrät er uns nicht. Wir lernen aber in jedem Fall, dass nur wer die ukrainische und/oder russische Sprache spricht, über ausreichend Kompetenz verfügt, um sich zur Sache zu äußern. Spitzfindig könnte man nun einwenden, inwieweit Annalena Baerbock, unsere grüne Außenministerin fähig ist, russisch oder ukrainisch zu sprechen? Und ob Baerbock überhaupt mit den Fähigkeiten ausgestattet ist, als Chef-Diplomatin für ein Land zu arbeiten, mit dessen Sprache sie auch so ihre Schwierigkeiten hat. Doch die Spitzfindigkeiten lassen wir gleich wieder weg, dafür ist die Sache zu ernst. Denn Ther – und dementsprechend auch „t-online“ – kommt zu einem verstörenden Schluss:
Keine guten Voraussetzungen für eine Professur an einer Universität, meint Ther: „Die Uni Bonn muss sich fragen, wie es zu dieser Berufung kommen konnte. Ich vermute wegen ihrer Reichweite in den Social Media und flacher, jedoch relativ gut verkaufter Bücher.“ Man könne sie nach ihren wiederholten Verstößen gegen wissenschaftliche Standards „nicht mehr auf Studierende loslassen“.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an eine Passage aus einem lexikalischen Werk der NS-Zeit, aus Meyers Lexikon (1940):
Der Durchbruch des Nationalsozialismus ist die große geistig-politische Revolution der dt. Geschichte, die das völkische Leben und Sein in seiner Totalität erfasst hat und demgemäß eine Neuwertung in allen Zweigen unseres politischen, geistigen, wiss., kulturellen, wirtschaftl. und sozialen Lebens vollzieht und selbst in die letzten und feinsten Faserungen ausstrahlt.
Man ersetze das „völkische Leben“ durch das „politische Leben“. Der völkische Aspekt des Nationalsozialismus bzw. des deutschen Faschismus ist, wie oben erwähnt, eine Eigenschaft von vielen, die jedoch kein Alleinstellungsmerkmal aufweist. Denn was im Zitat folgt, ist genau das, was wir erleben: Eine Neuwertung allen gesellschaftlichen Lebens und der Rollen, die die Menschen darin spielen. Zu dieser heutigen Neuwertung gehört die Einordnung von Menschen in gewünschte oder unerwünschte Kategorien. Guérot sei eine Autorin „flacher, jedoch recht gut verkaufter Bücher“, sie zeige „nach ihren wiederholten Verstößen gegen wissenschaftliche Standards“, dass man sie „nicht mehr auf Studierende loslassen“ könne. Zum Vergleich ein Zitat aus der Tageszeitung „Der Angriff“ vom 24.03.1933:
Für Kommunisten und Reichsbannerleute: Konzentrationslager bei Oranienburg. … Die Festgenommenen sind in ein … Konzentrationslager in Oranienburg eingeliefert worden … verwahrloste Menschen (unter ihnen befindet sich ein Jude, der neun uneheliche Kinder von neun verschiedenen Frauen hat!). Die Vernehmungen der Verhafteten durch den Sturmbannführer II / 208 W. Schäfer (ehemaliger Polizeiwachtmeister), sind augenblicklich im Gange …
Man muss hier betonen, dass zu diesem Zeitpunkt das Konzentrationslager Oranienburg nicht als Ort des Mordes galt, sondern eher zur Inhaftierung Andersdenkender, wie man etwa auf der Seite „sachsenhausen.sbg““ nachlesen kann:
Zwischen März 1933 bis zu seiner Auflösung im Juli 1934 waren im KZ Oranienburg insgesamt etwa 3.000 Menschen inhaftiert, meist politische Gegner, die aus Berlin, Oranienburg und der Umgebung stammten. Unter den Häftlingen waren Abgeordnete des Reichstages und des Preußischen Landtages, führende Mitarbeiter des Berliner Rundfunks und zahlreiche Intellektuelle. Waren es zu Anfang fast ausschließlich Kommunisten, so kam ab Juni/Juli 1933 auch eine geringe Anzahl Sozialdemokraten hinzu. Einige Häftlinge gehörten den Mitte- und Rechtsparteien an wie der Deutschen Zentrumspartei oder der Deutschnationalen Volkspartei. Vereinzelt stammten Häftlinge sogar aus dem „Stahlhelm“, der NS-Betriebszellenorganisation oder aus der NSDAP. Letztere erhielten jedoch als „Ehrenhäftlinge“ privilegierte Haftbedingungen.
Mag der Leser also zunächst als verständliche Reaktion angenommen haben, man könne die Aussagen des Universitätsprofessors Ther nicht in einen Zusammenhang mit der Inhaftierung in Konzentrationslagern bringen, muss er sich hier vielleicht noch einmal ein paar Gedanken dazu machen. Denn ein Einsperren in ein Lager/Gefängnis unterscheidet sich zwar von einer Zerstörung der beruflichen Existenzgrundlage, der Weg der beiden Verbindungspunkte ist jedoch nicht weit.

„Bestenauslese“ 2022

Im Artikel von „t-online“ geht es weiter als eine bloße Argumentationskritik reichen könnte. Der Fehler liegt sozusagen im System, und die Frage steht im Raum, wie es überhaupt zu diesem „Fehler“ kommen konnte, Guérot in eine lehrende Position zu bringen:
Andere sind ähnlicher Meinung. Die Universität müsse „Licht in dieses Berufungsverfahren“ bringen, schreibt zum Beispiel der Göttinger Politikwissenschaftler Andreas Busch – „und darlegen, wie ein Prozess der ‚Bestenauslese‘ zur Berufung von Frau Guérot führen konnte“.
„Bestenauslese“. Vielleicht die des „deutschen Blutes“? Nein, sicher nicht, denn wir sind an einem Punkt, der über die bloße Klassifizierung der Rasse hinausgeht. Inzwischen geht es um die individuelle und intellektuelle Qualifizierung von Menschen. Die ist nicht weniger eng gefasst und lässt Abweichungen unbarmherzig nicht zu. Wenn Guérot schreibt, der Krieg (und die Frage, ob es sich um einen russischen Angriffskrieg handelt) müsse „neu erforscht werden“, ist das gewissermaßen eine verbotene Überlegung. Wenngleich wissenschaftlich hochinteressant und als Forschungsobjekt etwas, wonach sich jeder seriöse Wissenschaftler die Finger lecken müsste, kommt so etwas wie eine Neubewertung nicht in Betracht. Das Urteil über diesen Krieg wurde gefällt, wer es in Frage stellt, wird zum Ketzer. Paul Watzlawick bezeichnete dieses Phänomen als „die Lösung als Problem“. Hat man sich auf eine „Lösung“ festgelegt, ohne sie im Nachhinein erneut zu überprüfen, wird sie selbst zum Problem, das ursprünglich einmal als Lösung gedacht war. Und so werden Menschen mit Meinungen, die nicht in die Schablone der vorherrschenden Einordnung passen, immer mehr mit Sonderrollen behaftet, werden als Demokratiefeinde bezeichnet und aus dem öffentlichen Diskurs (sofern er überhaupt noch hier und da stattfindet) entfernt. Sie erfahren eine Sonderbehandlung, die an das „Jugendlexikon Nationalsozialismus“ erinnern:
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 gab es insgesamt 250 Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Anordnungen, durch die Freiheit und Lebensmöglichkeiten für Juden beschränkt wurden.
Mein Bekannter, von dem der Satz „Ich denke, es ist Faschismus“ stammt, hat sich mit Vergnügen auf die Diskussion mit mir über diese Aussage eingelassen. Mal hatte er einen Punkt, mal ich, es ging munter hin und her. Abschließend muss ich allerdings sagen, dass ich in dieser Diskussion mit ihm am Ende derjenige war, der sich argumentativ geschlagen geben musste. Und, ja, ich denke auch, es ist Faschismus. Quellen: https://www.t-online.de/region/koeln/id_100073336/der-fall-guerot-an-der-uni-bonn-man-kann-sie-nicht-auf-studierende-loslassen-.html https://www.juraforum.de/lexikon/faschismus#:~:text=Brockhaus%20Enzyklop%C3%A4die%20dar%20als%20eine,in%20Deutschland%20i.S.%20einer%20Diktatur. https://www.sachsenhausen-sbg.de/geschichte/1933-1934-konzentrationslager-oranienburg/

Deutsche Regeln für die Welt

Die deutsche Sicht auf die Dinge ist wahr. Sie ist nicht von relativer, sondern von absoluter Wahrheit. Deswegen gibt es darüber auch keine Diskussion. Deswegen muss die deutsche Sicht auf die Dinge überall in der Welt durchgesetzt werden. Aufgrund dieser Radikalität erleidet deutsche Außenpolitik eine  Bruchlandung nach der anderen. Das sind beispielsweise die Rechte sexueller Minderheiten. In Deutschland unterteilt man die Menschheit inzwischen  in Gruppen entsprechend ihrer sexueller Vorlieben. Das ist der letzte wissenschaftliche Schrei und daher auch von jener absoluten Wahrheit, die in Deutschland so geliebt wird. Es ist ein bisschen die neue Rassenlehre des deutschen links-liberalen Establishments, allerdings unter dem Vorzeichen positiver Diskriminierung. “Sag mir, mit wem du vögelst und ich sag dir, ob ich dich toll und besonders schützenswert finde”, ist die vorgebene Linie zeitgemäßer Diskriminierung. Diese Entwicklung ist relativ neu und wird absehbar auch nicht besonders alt, denn auch die Wissenschaften haben ihre Moden. Dennoch setzt Deutschland auf den Export dieser recht absurden Idee. Die Welt soll sich der deutschen Sicht auf menschliche Sexualität gefälligst anschließen.

Minister*innen tingeln durch die Welt …

Deswegen tingeln deutsche Minister*innen durch die Welt und fordern eine weltweite Gleichschaltung eines um Tradition und Kultur entkleideten Blicks auf menschliche Sexualität mit dem Argument, es handele sich dabei um  eine finale wissenschaftliche Erkenntnis. Dass Wissenschaft ebenso im Fluss ist wie alles andere auch, will man in links-liberalen Kreisen nicht wahrhaben. War damals auch so, hatte verheerende Auswirkungen, sei hier kurz eingeworfen. Aber noch an anderer Stelle versucht das politische Deutschland seine Sicht auf die Dinge weltweit durchzusetzen. Es geht dabei um den “brutalen russischen Angriffskrieg”. Es geht um die Durchsetzung einer Sprachregelung, die sich in den gleichgeschalteten deutschen Medien und der ihnen angegliederten Politik etabliert hat, die aber ziemlich neben der Realität liegt. Man muss ganz viel an Fakten weglassen, die ganze Chronologie der Eskalation hin zum Krieg verschweigen, um vom “brutalen russischen Angriffskrieg” sprechen zu können. Es ist also recht unaufgeklärt, was Deutschland der Welt als Sprachregelung aufdrängen möchte, weshalb es ebenso zum Scheitern verurteilt ist, wie die der Versuch, die Welt dazu zu zwingen, eine wissenschaftliche Modewelle mitzumachen.

… um die deutschen Regeln durchzusetzen …

Es ist zudem nichts weniger als eine Unterwerfung unter eine deutsche Regel, die nicht infrage und nicht zur Diskussion steht. Die deutsche Außenminsiterin, die immer von Gesprächen „auf Augenhöhe“ spricht, verweigert letztlich genau das. Diskussion, Diplomatie, Kompromiss sind aktuell keine deutschen Stärken. Insbesondere die Länder des Südens, die durch die geopolitischen Verschiebungen die Möglichkeit sehen, sich ihrer kolonialistischen Ketten zu entledigen und sich vom westlichen Diktat zu empanzipieren, werden sich bestimmt nicht unter die Fuchtel einer deutschen Sprachregelung zwingen lassen. Die Mundwinkel der deutschen Außenministerin werden daher immer länger. War ihr medialer Auftritt trotz der peinlichen Patzer und der extremen Blödheit dessen, was sie da in die vorgehaltenen Mikrofone gestammelt hat, zu Beginn ihrer Amtszeit noch von einer gewissen Leichtigkeit getragen, ist davon inzwischen nichts mehr zu spüren. Die Außenministerin bläst von ihren Amtskollegen vermutlich ein Gegenwind entgegen, den sie von Grünen Parteitagen nicht gewohnt ist.

… und scheitern

Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass sie relativ häufig zu hören bekommt, wie verlogen und heuchlerisch die deutsch Position ist; wie realitätsfern extremistisch der deutsche Blick ist. Die deutsche Außenministerin hat dem natürlich wenig entgegenzusetzen. Sie mag sich in den Hinterzimmern irgendwelcher internationaler Gipfeltreffen auf den Boden werfen und mit den Beinen strampeln, aber an Argumenten kann sie nichts aufbieten. Die deutsche Position ist einfach falsch und Ausdruck einer reaktionären, extremistischen Fehlentwicklung. Die Widersprüche sind offensichtlich und nicht zu verbergen. Kurz bevor beispielsweise die deutsche Innenministerin sich unglaublich Sorgen um das Wohl von LGBT in Katar machte, stieß sie auf einem kiewer Balkon mit dem ukrainischen Präsidenten an. Diskriminierung war ihr in diesem Moment völlig schnuppe. Dass der gesamte Ukraine-Konflikt ein Konflikt um die Diskrimnierung der russischen Sprache und Kultur ist, ist der Innenministerin entgangen. Dass der Herr, mit dem sie dort in lockerer Atmosphäre anstieß, während ihrer zwanglosen Unterhaltung die russischsprachige Bevölkerung im Donbass mit vom Westen gelieferten Waffen beschießen lässt – scheiß drauf. Ist ja nicht LGBT und die Ukraine ist nicht Katar. Die von Deutschland präferierte Art der Antidiskriminierung ist nämlich selbst eine Diskrimnierung. Sie ist nicht universell, sondern gilt nur für ausgewählte Gruppen. Das hat man außerhalb Deutschlands gut verstanden, weshalb es deutsche Außenpolitik in der Welt zunehmend schwer hat. Sie wird in ihrer Widersprüchlichkeit und in ihrer intellektuellen Inkonsistenz schlicht nicht ernst genommen. Das mag für die politische Position anderer Länder ebenfalls zutreffen, allerdings sind diese auch nicht von dem missionarischen Eifer getragen, ihren kulturellen Eigenheiten und verschrobenen Sprachregelungen in der Welt durchsetzen zu wollen. Von dieser Fähigkeit, die Begrenztheit der eigenen Wahrnehmung zu sehen, ist Deutschland weit entfernt. Baerbocks Mundwinkel werden daher absehbar noch länger werden.

Der Kapitalismus gehört nicht abgeschafft – er gehört reguliert!

Die Linke sollte sich vom Antikapitalismus verabschieden. Wenn man schon von den Lehren des letzten Weltkrieges spricht, dann sollte man auch die der Nachkriegszeit nicht vergessen: kapitalistische Dynamiken können von einem starken Staat gemeinwohlfördernd genutzt werden. Wo unter Linken über Gesellschaft diskutiert wird, ist nach kurzem Geplänkel meist eine Analyse nicht weit: Das liege alles am Kapitalismus. Der hole das Schlechte aus Mensch und Gesellschaft hervor. Ihn zu überwinden, das sei der eigentliche Antrieb linker Motivation. So haben wir es schließlich von Marx. So brillant dessen Analyse der kapitalistischen Ökonomie auch war: Gewartet auf die Überführung des Kapitalismus in den Sozialismus hat auch er umsonst. Die Zwangsläufigkeit dieses Wechsels der Systeme vereitelte seine Ergebnisoffenheit, er konnte sich Kapitalismus auch nur so vorstellen, wie er ihn zeitgenössisch erlebt hatte. Obgleich er von dessen Anpassbarkeit schrieb, schien ein Wunsch der Vater eines Gedankens zu sein: Die Überwindung des Kapitalismus ist unausweichlich und unumgänglich. Weiterlesen beim Makroskop

Und nun?

Antikörper nehmen schnell ab. Ein Impfstoff rückt in weite Ferne. Die Zeit der Lockerungen ist vorbei, im Ausland nehmen striktere Regelungen bereits zu. Junge Leute feiern bei uns trotzdem, manche randalieren. Die zentrale Frage lautet: Können wir so weitermachen? Und heißt »mit Corona leben« nicht eigentlich, es ignorieren zu lernen? Was machen wir denn jetzt? Anfangs, da ging man noch zuversichtlich ans Werk. Da spekulierte man, dass derjenige, der sich schon mal mit Covid-19 infizierte, keine Angst mehr haben müsste vor der Krankheit. Dann sei man immun und erlöst. Schnell kam dann die politische Losung eines Immunitätsnachweises auf. Diese Idee schwebte als Zwei-Klassen-Gesellschaft über uns, denn all jene, die Covid-19 schon von der Schippe gesprungen seien, würden Vorzugsbehandlung erhalten – alle anderen nicht, die müssten quasi auf eine virologische Adelung hoffen, wenn sie in den Urlaub reisen oder ins Schwimmbad gehen wollten. Das Thema hat sich so gut wie erledigt. Die Immunität ist nur Theorie. Antikörper nehmen viel schneller ab, als man annahm. Ein Impfstoff scheint auf dieser Grundlage nicht sehr wahrscheinlich. Dennoch wird politisch und medial nicht darüber sinniert, was das für uns, für die Gesellschaft, ja für unsere Zukunft bedeutet. Stattdessen tut man so, als sei man auf Kurs. Bildungsministerin Anja Karliczek erklärt brühwarm, dass jeder in Deutschland geimpft werden könne, wenn es erstmal einen Impfstoff gäbe. Auch sie hat nicht in Erwägung gezogen, dass die neuesten Erkenntnisse nahelegen, dass es zu einem etwaigen Run auf ein Mittel nicht kommen kann.
Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe: Junge Randalierer und junge Leute, die leben wollen
Also was nun? Wenn es keine Heilung, keine Erlösung gibt: Machen wir so weiter? Masken auf ewig und Abstände für alle Zeit? Nie wieder Großveranstaltungen? Weder besuchte Fußballspiele noch tanzenden Mengen bei einem Konzert? Kein Oktoberfest, keine Kirmes mehr? Im Gegenteil, wollen wir, sofern die bloßen Infiziertenzahlen es uns diktieren, auch Hochzeits- und Geburtstagsfeiern begrenzen? Und das alles unter Umständen auf Jahre, vielleicht für immer – sofern man denn dem Kollapsologiebeauftragen der SPD, wenn man Karl Lauterbach Glauben schenken möchte? Der empfahl vor Kurzem tatsächlich, dass man eine Maskenpflicht auch im Hinblick auf die Grippe sozial anerkennen sollte. Im Geiste ist er schon bei einer Gesellschaft angelangt, wo Vermummung kein Notbehelf mehr, sondern stetiger Alltag ist. Lauterbach ist wohl der bekannteste Apologet eines Gespinsts, das den Bürgerinnen und Bürgern ein jahrelanges, gar ewiges Leben im Corona-Notstand nahebringt. Seine Vorstellung ist dabei nicht von einer Haltung geprägt, die ein Arrangement empfiehlt – sie spricht sich für einen Alltag aus, der noch strikter aussieht als das, was wir heute in Corona-Zeiten erleben. Apropos Maske tragen: Eine Straßenbahnfahrt sagt mehr als tausend »Ich-trage-Masken«-Beteuerungen. Speziell dann, wenn fast nur junge Leute in der Bahn sitzen. Nachts um halb eins in der Frankfurter Tram: Von Station zu Station füllt sie sich. Viele halten ein Fläschchen Bier in der Hand, nippen immer wieder. Die Biertrinker tragen keine Maske. Andere, die ohne Alkoholika fahren, in großer Zahl auch nicht. Was am Frankfurter Opernplatz eskalierte, mag viele Gründe haben. Alkohol gehört sicher dazu. Aber eben auch die Erkenntnis, dass man das Leben – für junge Leute bedeutet das eben wegzugehen, zu trinken, zu tanzen – nicht ewig brachlegen kann. Ist es ein Zufall, dass in Stuttgart und Frankfurt, im kleineren Maßstab auch in Karlsruhe, marodierende junge Leute durch die Straßen zogen und im Symbol staatlicher Macht, der Polizei nämlich, den ärgsten Feind witterten? Oder darf man davon ausgehen, dass das die Konsequenzen sind, die die Corona-Politik zeitigen? Natürlich lastet das auf den Menschen, sie wollen nicht die Zuversicht verlieren. Wenn aber Leute wie Lauterbach in Aussicht stellen, es gehe nun auf Jahre so weiter, oder eine wie Wieler sagt, dass die Regeln nie überhaupt hinterfragt werden dürften, dann desillusioniert man sie. Und dieses Gefühl muss raus. Dass das Klima vorher schon angespannt war, beschleunigt die Entwicklung bloß.
Diesmal stimmt es wirklich: TINA
Wir müssen uns alle Ernstes fragen: Wie soll es weitergehen? Das ist nicht irgendeine Nebenfrage, die man innerhalb des thematischen Corona-Komplexes stellen sollte: Es ist die eigentliche Meta-Frage. All das, was wir zuletzt an Maßnahmen praktizierten, war in den Köpfen stets als Notbehelf, als Übergangsmaßnahme akzeptiert. Nie aber als endgültige Ordnung, als eine neue Normalität – auch wenn dieser letzte Begriff oft, ja fast exzessiv in den Medien gebraucht wurde. Abstand einzuhalten: Das kann man mal eine Weile machen – auf Dauer hat diese Maßnahme keine realistische Chance. Sie entspricht einfach nicht der menschlichen Natur. Kein Publikum zuzulassen ebenso. Für einen Augenblick nachvollziehbar. Aber auf Jahre? Die ökonomischen Konsequenzen für Sport und Kultur sind beträchtlich. Dass der Staat über Jahre Ausfallzahlungen übernimmt: Schnapsidee! Welchen Schaden man da anrichtet: Nicht nur ökonomisch, sondern eben auch was Bildung und Zusammenhalt betrifft. Speziell der kulturelle Horizont verkümmert bei dieser Aussicht. Wahrscheinlich müssen wir der Tatsache ins Auge schauen: There is no alternative! Nicht zu den ewigen Schutzmaßnahmen, sondern zur ganz normalen Normalität. Mit Corona zu leben wird wohl bedeuten: Corona zu ignorieren. So wie wir mit Grippe zu leben gelernt haben. Nein, ich weiß schon, Corona ist keine Grippe. Sage ich auch nicht. Aber viele Menschen sind in den letzten 100 Jahren an der Grippe weltweit gestorben? Haben wir deshalb je Bedenken gehabt, das Leben herunterreguliert? Früher oder später werden wir auch all das, was wir heute für einen humanistischen Akt halten, auflösen und nicht mehr beachten. Eben weil es hier wirklich mal stimmt: TINA. Besonders bitter ist, dass einige US-Republikaner, Trumpianer halt, ganz am Anfang sagten, dass junge Leute nicht ihr Leben zugunsten der alten Risikogruppe einschränken sollten. Da ging ein Aufschrei um die Welt. Was ich verstehen kann, rein emotional betrachtet. Aber sachlich und gefühllos bewertet sehen wir doch heute, dass es sich so entwickelt. Nur ist da keiner, der es so doof und platt formuliert, wie irgendein Trump-Fan. Man schweigt sich aus und geht Schritt für Schritt weg von dem, was einige da draußen favorisieren: Eine Gesundheitstyrannei. Denn die dürfte schlimmer sein als Corona.

Wollen wir alle zu „Volksverpetzern“ werden?

Kürzlich habe ich ein Video gepostet (die Verlinkung folgt weiter unten), das mächtig diskutiert wurde. In diesem Text gehe ich ganz bewusst jedoch nicht auf den Inhalt des Videos ein. Das mag merkwürdig klingen, erklärt sich aber in ein paar Momenten. Das Video, das mir im Netz über den Weg lief, heißt „Die Zerstörung des Corona Hypes“, und der Titel ist offenkundig unglücklich gewählt, lässt er doch Assoziationen auf den „Rezo-Klassiker“ über die CDU zu. Interessiert hat mich das Stück aber doch, also habe ich draufgeklickt und es mir angesehen. Was folgte, war ein Gemetzel im Kommentarbereich. Das will ich kurz anreißen, um dann auf die spezielle Rolle des „Volksverpetzers“ im Zusammenhang mit diesem Video zu kommen. Beides gehört nämlich zusammen.

„Hochstapler, YouTube-Student – jagt ihn vom Hof!“

Zunächst möchte ich erläutern, warum ich mich hier nicht dem Inhalt des Videos widme. Das erklärt sich dadurch, dass ich mir nach den Reaktionen darauf Gedanken darüber gemacht habe, wie wir Informationen verarbeiten, bewerten und zu unseren Schlüssen kommen. Und das war ziemlich erschreckend. In meinem Post schrieb ich über das Video:
Ich schließe mich dem Autor an, der zu Widerlegungen einlädt. Wäre aber schön, wenn diese erst nach dem Anschauen der Doku kämen.
Das Video dauert ziemlich genau eine Stunde, und nur weniger als ein paar Minuten nach meinem Post folgte der erste Kommentar:
famoses beispiel für dunning-kruger. und sich dann noch bei echten brainies „bedienen“
Bekanntlich geht es dabei hierum, wie auf Wikipedia nachzulesen ist:
Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet die kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen.
Die Kommentatorin muss das Video kennen, war mein erster Gedanke. Sonst könnte sie ja unmöglich zu ihrer Folgerung kommen. Und tatsächlich, sie nahm dann wirklich Bezug auf das Video:
schon die überschrift „die zerstörung des…“ ist von rezo geklaut. auch die inszenierung des videos ist von rezo geklaut. dieses burschi bezieht sich auf bakhti und konsorten, etc.etc. das ist nicht nur armselig, sondern ausgeprochen dumm – ergo dunning-kruger.
Nun hatte ich zwar ausdrücklich auf Widerlegungen gehofft und das auch so kommuniziert, aber es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis die ersten Kommentare erschienen, mit denen ich inhaltlich etwas anfangen konnte. Jenen Kommentatoren, die zumindest den Versuch einer nüchternen Widerlegung unternommen haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Ihr habt gewissermaßen einen Teil meines Tages gerettet. Ein weiteres Beispiel für das Gegenteil einer Widerlegung war dieser Kommentar:
Es lebe die YouTube-Uni! Ein Psychologie-Student. Na doll.
Ich könnte das fortsetzen, erspare es den Lesern aber. Interessant war ohnehin noch etwas anderes.

Geteilt, gelöscht

Von meinem Profil aus wurde das Video insgesamt siebenmal geteilt, vornehmlich in Gruppen. Ein paar Stunden (dann war das Video offenbar von den Gruppen-Admins gelöscht worden) konnte ich verfolgen, wie kommentiert wurde. Die Kommentare des geteilten Videos waren deutlich heftiger als in meiner Timeline. Nicht wenige stellten sofort einen Bezug zur AfD her (die das Video wohl auch geteilt hatte, ich weiß es nicht). Das Video sei rechts, verschwörungstheoretisch (darf nie fehlen!), es sei inhaltlich falsch (meine Hoffnung auf Widerlegung ging mit diesem Hinweis aber leider nicht einher) und überhaupt:
Ich sehe mir doch hier jetzt nicht ein Video an, das eine Stunde dauert. So ein Schwachsinn!
Und damit komme ich zum Punkt.

Ist wirklich alles gesagt?

Schon länger habe ich den Eindruck, dass sich die – ich nenne sie mal – „Corona-Fronten“ verhärtet haben, und zwar in einem Ausmaß, das für uns alle nicht gesund sein kann. Es finden keine (zumindest fast keine) Diskussionen mehr statt, vielmehr stehen sich unversöhnlich kategorische Haltungen gegenüber, die schon fast etwas Kriegerisches haben (was womöglich auch mit der Wortwahl einiger Politiker zusammenhängt). Die Argumente wiederholen sich, aber sie werden als Schwerter benutzt, nicht als rhetorische oder kommunikative Instrumente. Es gibt immer ein Für und immer ein Wider, aber nichts dazwischen. Der „Volksverpetzer“ hat das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Eine Passage des Textes – oder sollte ich sagen: der Abrechnung? – stieß mir besonders auf:
Einige Forscher wie Ioannidis oder Dr. Streeck oder Dr. Baghdi sagen: Hey, wir müssen erstmal Evidenz darüber sammeln, wie gefährlich das Virus ist, indem wir beobachten, bevor wir Entscheidungen treffen. Das zeigt, dass sie einen gigantischen Fehler machen: Entscheidungen unter unsicheren Bedingungen können NICHT anhand einzelner Daten getroffen werden.
Ich bin noch immer beeindruckt. Da wird auf der einen Seite ein Student des Dilettantismus bezichtigt, weil er angeblich – und das mag ja auch stimmen – Dinge nicht korrekt wiedergegeben, eingeschätzt oder interpretiert hat. Auf der anderen Seite werden aber gleich noch in einem Wisch Experten wie Bhakdi, Streeck oder sogar Ioannidis vom Tisch gewischt. Prädikat: Inkompetent. Der Autor des Textes beim Volksverpetzer heißt Frank Taeger. Auf der Website des Volksverpetzers findet man mit etwas längerer Suche eine kurze Vorstellung, die aus dem Jahr 2017 stammt:
Frank Taeger, Gastautor Volksverpetzer Taeger, M.Sc. (Merit), ist Autor für Kraft- und Fitnesstraining, Executive Performance Coach und Lehrbeauftragter für Wirtschaftspsychologie.
Über den Inhalt des entsprechenden Artikels schweige ich mich hier aus, aber die Überschrift ist bezeichnend:
DU WIRST NICHT GLAUBEN, WIE GRUNDLOS MAN DIR ANGST VOR GLYPHOSAT MACHT!
Klingt ein bisschen wie „Als sie ihn sah, war sie beeindruckt. Doch dann geschah das Unglaubliche!“. Aber lassen wir das. Nun könnte man sich vortrefflich darüber streiten, wer mehr fachliche Kompetenzen mitbringt: Der Psychologie-Student mit einem Zahlen-Fetisch (so sinngemäß seine Selbstbeschreibung)? Oder doch der Fitness-Trainer, Executive Performance Coach und Lehrbeauftragter für Wirtschaftspsychologie, von dem man nicht weiß, wo er in welcher Weise Lehrbeauftragter ist und was genau mit dem nicht geschützten Begriff des Executive Performance Coach gemeint ist? Tor A oder Tor B? Entscheiden Sie selbst! Eindrucksvoll (oder eher erschreckend) ist in diesem Zusammenhang, dass der Text des Volksverpetzers geteilt und gelobt wurde, bis der Arzt kommt. Und das kann unmöglich am fundierten Inhalt liegen, auch nicht an der Arroganz, sich fachlich über Spezialisten zu stellen, die sich in gänzlich anderen Sphären bewegen als der Fitness-Trainer. Es kann nur daran liegen, dass der Volksverpetzer in die Riege der wohlwollenden „alternativen“ Medien aufgenommen wurde und somit jeden Anspruch auf einen auch nur ähnlich lautenden Titel verwirkt hat. Der Volksverpetzer ist ein Medium, ja, gut, aber eine Alternative zu der gängigen Lesart stellt er längst nicht mehr dar. Er ist zu einem Sprachrohr des Mainstreams geworden (von dem haben wir aber mehr als genug). Ich mag nicht darüber spekulieren, warum das so ist und wie das kam, aber in der Summe ist der Volksverpetzer nichts weiter als eine Möglichkeit, die offizielle Meinung zu forcieren. Ich glaube natürlich nicht, dass da Geld im Spiel ist, auf keinen Fall! Es könnten auch Bitcoins oder Smarties sein. Oder was auch immer ihn antreiben mag. Petzen und hetzen, was das Zeug hält, kann aber nicht die erste Wahl sein, wenn man eine Rolle in der Debattenlandschaft spielen will. Der Volksverpetzer hat einmal mehr sein wahres Gesicht gezeigt, und das belegt, das er eben daran – an Debatten oder gar Austausch – keinerlei Interesse hat. Der Psychologie-Student ging anders vor, seriöser, offener und mit dem Wunsch nach Widerlegung. Sollte ich eine ähnlich pluralistische Sicht der Dinge auch einmal beim Volksverpetzer finden, erkläre ich mich bereit, meinen Artikel unverzüglich und für immer zu löschen.

Wollen wir wieder offener werden?

Wollen wir wirklich so weitermachen? In unseren Blasen durch die Atmosphäre der sozialen Medien schweben und bei jeder sich bietenden Gelegenheit der Nachbarblase einen Stich mit der Nadel verpassen? Ich schließe mich da gar nicht aus, ich merke ebenfalls, dass ich inzwischen dazu neige, auf den „Kampfmodus“ umzuschalten, wenn jemand um die Ecke kommt, um mir seine neuesten Erkenntnisse zu präsentieren, natürlich nicht ohne den Hinweis darauf, dass meine Argumentation von vorn bis hinten Unfug ist. Sicher ist vieles von dem, was ich annehme oder behaupte, Unsinn, mal leichter, mal schwerer nachzuweisen, und oft genug sind es die Vorwürfe mir gegenüber, die sich als grober Unfug entpuppen. That‘s Life! Vielleicht wäre es an der Zeit, zu dem Gedanken zurückzukehren, wie segensreich das Internet doch ist. Es bietet eine Möglichkeit, sich abseits des Mainstreams zu informieren, was den ja offenkundig immer nervöser werden lässt. Dass sich dabei hochwertige Formate und Klamauk oder auch seriöse Recherche und oberflächliche Hetze nebeneinander aufhalten, das liegt in der Natur der Sache. Und es liegt in unserer Verantwortung, Spreu und Weizen zu trennen. Jetzt könnte ein Kritiker argumentieren, dass er doch genau das macht. Dass er selektiert, sich unterschiedliche Formate ansieht und dann sein Urteil über deren Seriosität fällt. Ich glaube sogar, dass das stimmt, aber wir alle offener sein oder werden sollten, was Inhalte angeht, die an unserem persönlichen Weltbild rütteln. Die Corona-Krise ist eine Chance, um das eigene Medienverhalten einmal mehr zu überprüfen und zu hinterfragen. Denn es waren die Mainstream- wie auch zahlreiche alternative Medien, die sich schnell und unversöhnlich kategorisch aufgestellt haben und von ihrer Sicht nicht mehr abwichen. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie viele Aspekte in der Zwischenzeit hinzugekommen sind. Aspekte, die man besser offen und empfänglich behandeln sollte. In zumindest einem Punkt hat der Psychologie-Student mit seinem Video etwas gemacht, das danach leider komplett untergegangen ist. Er hat offen den Wunsch nach der Widerlegung seiner Thesen und Behauptungen geäußert. Er stand also nicht auf seinem Podest, von dem aus er das dumme Volk belehren wollte, sondern ging davon aus, dass es andere Interpretationen seiner Inhalte und Schlussfolgerungen gibt. Wäre das nicht ein Ansatz, eine Botschaft, die wir aus unserer Blase in die anderen Blasen schicken könnten? Widerlegt mich!

Wenn Gesundheit und Freiheit im Widerspruch stehen, krankt die Gesellschaft

Sind Gesundheit und Freiheit in der Corona-Episode zwei gegensätzliche Pole? Oder wird die scheinbare Dissonanz nur genutzt, um die Freiheit mit dem Argument der Gesundheit einzuschränken? Die Worte der Headline dieses Textes habe ich kürzlich in sozialen Medien zur Diskussion gestellt. Die Debatte, die daraus entstand, war merkwürdig bis verwirrend. So schrieb ein Kommentator Folgendes:
Die Gesellschaft krankt, wenn notwendige Maßnahmen und die sonst üblichen bürgerlichen Ausbeutungsmechanismen nicht differenziert betrachtet, sondern miteinander vermanscht werden.
Ein anderer befand:
Leidet die Gesundheit, so leidet die Freiheit. Eine Gesellschaft, die diesen Zusammenhang nicht erkennt, ist tatsächlich krank.
In einem weiteren Kommentar hieß es:
Wer einmal ernsthaft krank war, der weiß wie sehr seine Freiheit eingeschränkt wird durch Krankheit und nicht nur seine, sondern auch die seiner Angehörigen.
Offenbar müssen wir uns entscheiden. Entweder Gesundheit oder Freiheit. Diese Entscheidung stand nie zur Debatte, solange es die Gesellschaft in der weitgehend heute bestehenden Form gibt. Was also hat sich geändert?

Kosten-Nutzen-Rechnung? Fehlanzeige!

Was gerade passiert, ist nur schwer zu verstehen. Auf der einen Seite wurde uns jahrzehntelang der neoliberale Gedanke eingepflanzt, nach dem jeder seines Glückes Schmied sei. Eigenverantwortung wurde das unter anderem genannt. Und wer es nicht schaffte, war selbst schuld. Mit Mut, Kraft und Einsatz könne es jeder schaffen, aus Armut oder beruflicher Notlage herauszufinden. Entsprechend wurde das Sozialsystem ausgedünnt und neu aufgestellt. Mit unzureichenden finanziellen Mitteln für die Betroffenen, Sanktionen bei kleinsten Vergehen und dem Zwang, alles annehmen zu müssen, was an Jobs angeboten wird. Ausbildung, bisherige berufliche Laufbahn oder auch Begabungen oder Abneigungen spielen im Neoliberalismus keine Rolle mehr. Denn wer arbeitslos ist, muss schon dafür selbst verantwortlich sein, daher kann die Reaktion darauf nur Druck sein. Sonst verstehen die das ja nie … Doch Corona stellt das Prinzip des Egoismus und das der Schmiede, die ihr eigenes Glück schmieden, auf den Kopf. Plötzlich geht es nur noch um das Kollektiv. Was unter neoliberaler Führung weitgehend als Freiheit und die Möglichkeit, durch eigene Kraftanstrengung alles erreichen zu können, eingeordnet wurde, gilt nun nicht mehr. Seit die Corona-Episode begonnen hat, steht die Gesundheit an erster Stelle der Bürgerpflichten. Freilich nicht in erster Linie die eigene (die ist eher ein Begleiteffekt), sondern die der anderen. Wir müssen also alles tun, um unser Umfeld zu schützen, und weit mehr als das. Wir müssen Risikogruppen schützen, die bislang nicht geschützt wurden, die schlecht betreut, schlecht versorgt und mit zu wenig Personal begleitet wurden. Jene Risikogruppen werden nach wie vor nicht geschützt, jedenfalls nicht in ausreichendem Maße, im Gegenteil. Im Jahre 2020 wurde ihnen der letzte Rest Eigenständigkeit genommen, sie wurden isoliert, konnten ihre Verwandten nicht oder unter unwürdigen Bedingungen sehen, und ob und wann sie sterben durften, wurde ebenfalls nach der statistischen Lage beurteilt. Nebenbei wurde überdeutlich, dass das deutsche Gesundheitssystem in den letzten Jahren an allen möglichen Stellen kaputtgespart wurde, Krankenhäuser oder einzelne Stationen schließen mussten, Intensivbetten reduziert wurden und das ausgebildete Personal eingespart wurde. Trotzdem hat die Gesundheit (oder vielmehr: ihre Instrumentalisierung) das Recht auf Freiheit abgelöst, sie schwebt über allem, was in unserer Gesellschaft passiert. Sie diktiert die Wirtschaft, das Privatleben, sie entscheidet darüber, ob wir Kunst und Kultur erleben dürfen, und sie vernachlässigt – und das könnte zynischer kaum sein – Menschen, deren Gesundheit stark angegriffen ist. OPs wurden bis auf Weiteres verschoben, Menschen mit psychischen Erkrankungen konnten ihre Therapien nicht weiterverfolgen, ihre so wichtige tägliche Routine wurde aus den Angeln gehoben, und damit ihr psychisches Gleichgewicht gleich mit. Es wurde (meines Wissens) nie eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt, niemals ernsthaft darüber diskutiert, welche Folgen durch die Corona-Maßnahmen auftreten können. Es wird auch nicht über die eigenen Grenzen hinweg geschaut, nicht auf Volkswirtschaften, die unter den Corona-Maßnahmen leiden, nicht auf Gesundheitssysteme anderer Länder, in denen – bedingt durch die Corona-Politik – andere Krankheiten auf dem Vormarsch sind, die viel schlimmer sind als Corona, und weitaus tödlicher. Auch der weltweite Hunger, der durch die Maßnahmen gegen Corona in neue Höhen steigt, spielt bei den Aktivitäten der politisch Verantwortlichen keine Rolle.

Das Kollektiv als neues Ich

Jetzt also das Kollektiv. Jeder muss nun verantwortungsvoll sein, solidarisch, an die Gefährdeten denkend. Das ist wahrlich in dieser Zeit neu, denn die Kranken und die durch Krankheit Gefährdeten waren eine lange Zeit ein Teil der Gesellschaft. Mal kümmerte man sich besser um sie, mal weniger gut, alles eine Frage der aktuellen Prioritäten. Aber wer krank war, befand sich am Rand der Gesellschaft, und meistens bekam der Rest davon gar nichts mit. Wie hätte das auch gehen sollen? Konnte es sich jemand leisten, den ganzen Tag darüber nachzudenken, wie es in diesem Moment gerade kranken Menschen ging? Ging uns jeder erkrankte Mensch nahe, jeder Armutstote oder jedes an Hunger gestorbene Kind? Selbst, wenn wir im Fernsehen Bombenangriffe sahen, berührte uns das im besten Fall einen kurzen Moment. Danach wurde im Kopf der Ausschalter gedrückt, das Leben musste ja weitergehen, man hatte Verpflichtungen, Mieten zu zahlen, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, das Kind in den Kindergarten oder zum Klavierunterricht zu fahren, Flaschen zu sammeln oder sich einen Schlafplatz für die Nacht zu suchen. Zwar leben wir seit Langem in einer Zeit des Gesundheits-Kults. Wir tun alles dafür, fit zu sein, arbeiten an unseren Muskeln, an der Kondition, essen gesundes Zeug, meditieren, halten uns im Kopf hoch konzentriert, um im Beruf besser als die Konkurrenz zu sein, weißen uns die Zähne und liften unsere Gesichter, um ein paar Jahre jünger und gesunder auszusehen. Krankheit hat da keinen Platz, und wenn sie uns ereilt, schweigen wir, fragen uns, was wir falsch gemacht haben, versuchen, uns – ganz wie des Glückes Schmied – aus der Krankheit wieder heraus zu arbeiten. All das ist privat, der gute Eindruck wird erklärungslos nach außen getragen, der schlechte wortlos im Inneren versteckt. Jetzt aber ist die Krankheit das Thema Nummer 1 im Land. Nicht irgendeine, nein, es muss schon Covid-19 sein. Entstanden aus einem Virus ist das die einzige Krankheit, die uns alle betrifft, selbst, wenn sie es nicht tut. Wir müssen uns alle an sie anpassen, gleichgültig, ob wir gefährdet sind oder nicht. Wir müssen uns – so hieß es häufig in der jüngeren Vergangenheit – so verhalten, als habe jeder Mensch, dem wir begegnen, Corona. Sicher ist sicher, heißt es diesem Argumentationsmuster folgend. Die Freiheit, die persönliche Entscheidungsmacht, wird der Krankheit geopfert. Die Folgen spielen keine Rolle. Und diese Folgen sind inzwischen weitreichend bekannt, sie gehen weit über die Wirkung des Virus hinaus, und oft hört man zahlreiche Fachleute (die im Übrigen nie großartig öffentlich in Erscheinung treten dürfen), die darauf hinweisen, dass die Nebenwirkungen dieser Krise schlimmer sind, als das Virus es in „Bestform“ leisten könnte. Aber all das wird ausgeblendet. Das Kollektiv muss handeln, wie das Kollektiv handelt.

Notwendigkeiten

Kommen wir zurück auf die Kommentare, die zu Beginn des Textes zitiert wurden. Bis uns Corona begegnete, konnte man das Argument, dass die Gesellschaft leide, wenn die „notwendigen Maßnahmen“ nicht eingeleitet werden würden, um die Gesundheit zu schützen, faktisch nirgends finden. Es geht hier nicht um ein Aufrechnen, Verharmlosen oder Dramatisieren, sondern um eine ganz nüchterne Betrachtung. Schon im Jahr 2015 starben allein an Feinstaub rund drei Millionen Menschen. Bis zum Jahr 2050 könnten es (auch wenn solche Schätzungen über lange Zeiträume schwierig sind) sechs Millionen werden. Von „notwendigen Maßnahmen“ ist zwar in regelmäßigen Abständen immer wieder die Rede. Aber effektive Umsetzungen scheitern immer wieder ausgerechnet an „der Wirtschaft“ und deren „Schutz“. An der Wirtschaft also, die jetzt in weiten Teilen lahmgelegt wurde – wegen des angeblichen Schutzes der Gesundheit. Das Messen mit zweierlei Maß ist natürlich im Wesentlichen eine politische Entscheidung. Wir werden seit fast einem Jahr monothematisch geführt, es werden monothematisch Entscheidungen getroffen, die von monothematisch aufgestellten Virologen empfohlen werden. Niemand kommt an Corona vorbei, und von jedem wird erwartet, dass er sich positioniert. Wer die Maßnahmen kritisiert, erhält den Stempel „Corona-Leugner“ oder Schlimmeres, sicher ist ihm aber das Etikett des verantwortungslosen Bürgers, der auf seine Mitmenschen keine Rücksicht nimmt. Es ist eine übersichtliche Anzahl von Menschen, die diesem Druck standhält und weiter bei der geäußerten Kritik bleibt. Man könnte natürlich jeden zur Verantwortung ziehen, der aktiv dazu beiträgt, die Feinstaubbelastung in die Höhe zu treiben, aber so funktioniert das Prinzip nicht. Feinstaub wird als existierend hingenommen, während ein Virus um jeden Preis bekämpft werden muss. Das hat durchaus absurde Züge, denn während ein Virus eine in der Natur auftretende Angelegenheit ist, verhält es sich naturgemäß beim durch den Menschen erzeugten Feinstaub anders. Aber der eigentliche Punkt, der die aktuelle Corona-Episode so besonders macht, ist ein anderer: der Gedanke an eine Gefahr für den Einzelnen. Betrachten wir die oben bereits zitierten Kommentare also einmal aus dieser Perspektive:
Leidet die Gesundheit, so leidet die Freiheit. Eine Gesellschaft, die diesen Zusammenhang nicht erkennt, ist tatsächlich krank.
Auf das Individuum bezogen bedeutet das eine Einschränkung der Freiheit, wenn das Individuum krank wird. Je nach Schwere der Krankheit stimmt das ja auch. Anders verhält es sich bei den erwähnten Feinstaubtoten. Sie sind zunächst einmal genauso abstrakt wie an Lungenkrebs Gestorbene für einen Raucher, wobei die Krankheiten austauschbar sind. Ehrlicherweise müsste der Kommentar also so lauten:
Leidet meine Gesundheit, so leidet meine Freiheit.
Der nächste Kommentar unterstreicht das:
Wer einmal ernsthaft krank war, der weiß wie sehr seine Freiheit eingeschränkt wird durch Krankheit und nicht nur seine, sondern auch die seiner Angehörigen.
Auch er bewegt sich im Vagen und wäre so deutlicher:
Ich war einmal ernsthaft krank und weiß, wie sehr das meine Freiheit eingeschränkt hat. Auch meine Angehörigen mussten darunter leiden.
Die Motivation hinter diesen von mir „korrigierten“ Kommentaren ist nachvollziehbar und nicht zu verurteilen. Niemand wünscht sich oder seinen Angehörigen Krankheit oder Tod. Das Problem ist das Generalisieren, das wir seit beinahe einem Jahr erleben. Es gab immer Krankheiten und wird immer Krankheiten geben, auch ansteckende. Doch Corona ist – auch auf die Gefahr hin, jetzt als Leugner bezeichnet zu werden – verhältnismäßig harmlos und betrifft vornehmlich bestimmte Risikogruppen, die zu schützen keine unlösbare Aufgabe wäre. Doch diese Aufgabe wird von Medien und Politik an die Bevölkerung delegiert. Nun ist die aber nicht in der Lage (oder nur in sehr begrenztem Maße), Alten- oder Pflegeheime und Krankenhäuser zu schützen, das obliegt den Betreibern oder dem Staat. Das ist jedoch das ganze Jahr über kaum geschehen. Und so bleiben am Ende Glühweinstände, Weihnachtsfeiern oder das Abhängen im Park, das für die schlimme Lage verantwortlich gemacht wird. Und um den Schaden zu begrenzen, dem wir alle so hilflos ausgeliefert sind (die Zahlen sind immer zu hoch, die Zahlen sind immer zu hoch, die Bevölkerung macht nicht mit, die Bevölkerung macht nicht mit), geben wir mit vollen Händen die Freiheit her, sie ist der letzte Hebel, an dem wir ansetzen können. So wird es uns gesagt, immer und immer wieder.

Ist es das wert?

Gesundheit um jeden Preis, unter Zuhilfenahme der Einschränkung oder Abschaffung bestimmter Freiheitsrechte? Das ist tatsächlich die Frage, die wir uns stellen müssen. Wir müssen uns zudem fragen, ob unsere politische Führung wirklich nicht mehr draufhat, als Freiheiten einzuschränken, um die Krise zu beenden. Und wenn es sich so verhält, steht die Frage im Raum, ob die Krise nicht willkommen aufgenommen wird, um genau diese restriktive Politik zu betreiben, die wir seit fast einem Jahr erleben. Da andere Ansätze nicht einmal diskutiert werden, muss man davon ausgehen, dass das Aushebeln von Freiheitsrechten die klar favorisierte Praxis ist und bleibt. Die Gefahr, die davon ausgeht, ist enorm. Wir haben bereits nach 9/11 erlebt, dass einmal aus den Angeln gehobene Freiheitsrechte nicht wiederkommen. Die politischen Entscheidungsträger tun sich aus vielerlei Gründen schwer damit, ausgesetzte Freiheiten wieder einzuführen. Daher ist die Sorglosigkeit der Bevölkerung nur schwer zu verstehen. Die Corona-Episode wird vergehen, so oder so, sie ist eine temporäre Erscheinung, die in jedem Fall ein Verfallsdatum hat. Einmal beendete Freiheit dagegen ist in aller Regel permanent. Und dagegen wird es weder Medikamente noch Impfstoffe geben.

Im Gespräch mit Lisa Fitz: Weiter als die Wand erlaubt

Es ist schon wieder ein Jahr her, dass Lisa Fitz und ich uns zum kleinen Plausch getroffen haben. Also wurde es dringend Zeit, mal wieder ein virtuelles Treffen anzuberaumen. Zu Beginn rollen wir die Geschichte mit dem SWR noch einmal auf, von dem sich Fitz nach dem „5.000-Impftote-Skandal“ getrennt hatte. Wir driften herüber zu Dieter Hildebrandt, sprechen über einen Frontalzusammenstoß eines Autos mit einer Wand, streifen den „Jesus Christus in der Mauser“ und enden mit dem Versprechen, bis zum nächsten Mal nicht wieder ein Jahr lang zu warten. Inhalt: 00:30 Lang ist es her 01:00 Der „5.000-Impftote-Skandal“ 09:00 Der „falsche“ Bote 14:00 Gehen oder bleiben? 20:00 Die gesperrte „Scheibenwischer“-Sendung 22:30 Was Dieter Hildebrandt durfte … 24:00 Satire darf das (nicht) 25:30 Rechts-links-recht-so 28:00 „Extreme“ Leugnung 31:00 Whataboutism 35:00 Wenn ein Auto gegen eine Wand fährt … 37:00 „Was sollen wir denn sonst machen?“ 40:00 Jelzins Rolle, Putins Fehler und das Armenhaus Europas 43:00 „Olga“ 44:30 (Kein) Fazit 46:00 Höllenhund! 47:00 Völkerball statt Völkerrecht 49:00 Antonia Hofreiter (Jesus Christus in der Mauser) 50:00 Auf keinen Fall dumm! 51:30 Der Ausverkauf des Mittelstandes 54:00 Danielle Smith 56:00 Aus dem Herzen gesprochen 01:00:00 Mit allen reden

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Weitere Informationen
Lisa Fitz, Tourdaten Spreaker Download Audioversion:

Anne Will – die ARD-Propaganda-Maschine

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Nachdem die USA unter Trump Syrien angegriffen haben, stellte sich Anne Will eine Gesprächsrunde zusammen, die es in sich hatte. Und die offenbar selbst als Angriff gedacht war: auf Michael Lüders, der sich kurz zuvor bei Markus Lanz kritisch zur westlichen Haltung im Syrienkrieg äußern konnte. Den Raum wollte Anne Will Lüders nicht bieten. Und schoss von Beginn an scharf. Es begann mit der Vorstellung. Lüders, so Will süffisant, werde nicht als neutraler Experte vorgestellt, sondern als Geschäftsmann, der sein Wissen an Firmen verkaufe, die im Nahen und Mittleren Osten Geschäfte machen wollen. Wills Frage lautete nun, ob Lüders wirtschaftliche Interessen für seine politische Haltung – dass es sich in Syrien um einen Stellvertreterkrieg handele – eine Rolle spielten. Damit war die Richtung klar: Lüders wolle Geschäfte machen und äußere sich kritisch, weil er damit Geld verdient. Diese Strategie ist so dumm, dass es schon wehtut. Aber nicht genug mit diesem tendenziösen, offenkundig manipulativem Einstieg. John Kornblum (der irgendwie immer dabei ist, wenn in irgendeinem TV-Sender jemand „Amerika“ flüstert) legte nach und unterstellte Lüders nach dessen ersten Erläuterungen, ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Womit das Bild rund war, ein geschäftstüchtiger Verschwörungstheoretiker, der sich zu Syrien äußert – das kann ja nichts werden. Lüders ließ sich zwar nicht (spürbar) aus der Ruhe bringen, hatte aber naturgemäß nach den offenen Anfeindungen von Will und Kornblum einen schweren Stand. So wie auch Jan van Aken, der am Ende der Sendung die wesentlichen Punkte zusammenfassen konnte: 1. Nach wie vor ist nicht bewiesen, wer für die letzten Giftgasanschläge verantwortlich ist. 2. Trotz dieser fehlenden Beweise waren sich von der Leyen, Kornblum, der Wirrwarr-Plauderer Michael Wolffsohn und nicht zuletzt Anne Will höchstpersönlich einig, dass Trumps Angriff auf Syrien schon in Ordnung gehe, als kleiner Warnschuss, gewissermaßen. Halten wir fest: Die USA und der Westen finden es richtig, trotz fehlender Beweise militärisch vorzugehen und damit das Völkerrecht zu brechen. Der Bruch des Völkerrechts wird als geeignete Maßnahme angesehen, um das Völkerrecht zu sichern. Geht es eigentlich noch offener? Ist Kriegstreiberei auf einem noch absurderen Niveau möglich? Es fällt schwer, das zu glauben. Die Krönung war jedoch einmal mehr unsere – man mag es kaum laut aussprechen – „Verteidigungsministerin“ Ursula von der Leyen. Als sie den Versuch unternahm, Lüders mit dem Argument zu schlagen, die Menschen in Syrien müssten selbst entscheiden dürfen, was sie wollen, wusste ich nicht recht, ob ich weinen oder lachen soll. Denn dass die Menschen in Syrien schon seit Jahren für die westliche Politik komplett unwichtig sind (es sei denn, sie kommen als Flüchtlinge nach Deutschland und bedrohen unsere „Werte“), das ist wohl sogar bis in die hintersten Ecken bayerischer Stammtische vorgedrungen. Und dann der Lyensche Krönungsschlag! Europa werde auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, für die „Stabilisierung und Versöhnungsarbeit“. Ach, hätte sie doch „Verhöhnungsarbeit“ gesagt, sie wäre der Wahrheit so viel näher gekommen. Noch ein kleiner Hinweis in Richtung Anne Will, die Michael Lüders vorwarf, ein Geschäftsmann zu sein: Mit Geschäften kennt sich Frau Will auch sehr gut aus, bei ihr läuft’s wie geschmiert, könnte man sagen. Und das nicht erst seit die „taz“ ihre Nähe zur „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) beleuchtet hat. Nach der Sendung gestern habe ich überlegt, wann ich in einem Artikel von gezielter westlicher Propaganda gesprochen habe. Ich kann mich an keinen erinnern, weil ich mich mit diesem Vorwurf schwer tue. Und weil die Grenzen zwischen Propaganda, Subjektivität und wirtschaftlichen Interessen oft fließend sind. Am 9. April 2017 – um 21.45 Uhr in der ARD bei Anne Will – wurde jedoch Propaganda in Reinkultur betrieben. Das kann ich drehen und wenden, wie ich will, mir fällt partout kein anderes Wort dafür ein. [InfoBox]

Wollt Ihr denn total den Krieg?

110
Ich kann mich täuschen. Es ist natürlich möglich, dass Russland … pardon: Putin höchstpersönlich, den Doppelagenten Sergei Skripal vergiften ließ. Dass er das zu einem Zeitpunkt tat, der mehr als ungünstig war. Kurz vor seiner eigenen Wahl und nicht weit entfernt von der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Und dass er das tat, obwohl er es längst hätte tun können. Zu deutlich besseren Zeitpunkten. Klar, ich kann mich täuschen, aber ich sag es mal so: Das klingt ziemlich abenteuerlich, um nicht zu sagen: völlig lächerlich. Aber das weiß eigentlich jeder, der einigermaßen bei Verstand ist. Und das geht weit über meine eigene Filterblase hinaus, die man ja immer mit größter Vorsicht genießen sollte. Bei jeder Meldung von SPON, der Tagesschau, der Süddeutschen oder gar der BILD-Zeitung läuft es immer aufs Gleiche hinaus, nämlich, dass in den Kommentarspalten die Leser sehr eindeutig kommunizieren, was sie von dieser Anschuldigung halten: nichts, aber auch gar nichts. Und damit sind wir beim Punkt. Theresa May hat ihren eigenen Blick auf diese Sache. Ihr Außenminister Boris Johnson sowieso. Der optisch wie ein Trump für Arme anmutende Blondschopf wusste ganz schnell, was Sache ist, und so verwundert es auch kaum, dass er die Fußball-WM in Russland mit den Olympischen Spielen von 1936 in Nazi-Deutschland verglich. Allerdings – sehen wir mal vom falsche Pillen einwerfenden Johnson ab – zeichnet sich ein insgesamt düsteres Bild in Sachen „Europa gegen Russland“ ab, wobei schon diese Aussage hochgradig absurd ist, denn Russland gehört ja nun mal zu Europa. Aber lassen wir die Kleinigkeiten. Worüber wir sprechen, das ist Krieg. Und alleine das wird nicht verstanden. Was hier passiert, ist eine bewusst herbeigeführte Eskalation, auf die Russland früher oder später nicht mehr diplomatisch wird reagieren können. Ausgangslage ist ein Verbrechen, ein grauenhaftes Verbrechen. Ein Mann und seine Tochter wurden vergiftet. Daran gibt es nichts zu rütteln. Und auch daran, dass das aufgeklärt werden muss, kann es keine Zweifel geben. Wenngleich man Zweifel haben darf, ob es wirklich zu einer Aufklärung kommen kann und wird, denn Geheimdienste machen naturgemäß geheime Sachen, die oft eben nicht aufgeklärt werden. Und ob hier überhaupt Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten, und wenn ja, welche, das steht eben nicht fest. Noch mal: das steht eben nicht fest. Fest steht aber, dass der Fall Skripal – zumindest wenn es nach dem Westen geht – bereits aufgeklärt ist. Wahrscheinlich. Höchstwahrscheinlich. Eventuell ganz bestimmt unter Umständen auf jeden Fall vielleicht. Beweise fehlen nach wie vor, auch wenn es Stimmen gibt, die behaupten, dass es Beweise gibt, für deren Vorliegen aber noch keine Beweise vorliegen, was die Beweislage insgesamt erschwert. Aber hey, hier gilt die Vollschuldvermutung, das muss reichen. Und das reicht auch, um sich im Kollektiv über einen Täter (also Putin) herzumachen, der es einfach gewesen sein muss. Geht gar nicht anders.

Es ist ernst …

Der Fall Skripal ist nach wie vor nicht geklärt, es liegen keine eindeutigen Beweise vor (zumindest keine, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden wären), es gibt nur eine Tat und haufenweise Anschuldigungen, die auf keinerlei Fakten oder Beweisen basieren. Trotzdem wird inzwischen nicht mehr nur ein „Säbelrasseln“ wahrgenommen, es werden konkrete (diplomatische) Maßnahmen ergriffen, die zu einer Verschärfung beitragen. Alles, wohlgemerkt, auf der Grundlage von Mutmaßungen und Vermutungen. Hier geht es, und das ist eindeutig, nicht um Skripal, sondern um eine gewollte Eskalation von Seiten des Westens. Gewollt, weil jeder Mensch, der bei Verstand ist, einen Vorwurf nicht als Fakt bezeichnet, bevor der Beweis dafür nicht erbracht ist. Aber genau das passiert hier. Und daher ist die Frage naheliegend: Wollen sie denn total den Krieg? Wollen die Politiker des Westens wirklich einen militärischen Konflikt mit Russland? Und wenn ja, warum? Wegen eines Spions? Wegen der Ukraine? Wegen was? Letztlich ist es ganz einfach. Was auch immer getan werden muss, um Geld zu verdienen, wird realisiert. Und nach den vielen Kriegen, in die der Westen verwickelt war und ist, nach den vielen Milliarden, die die Rüstungsindustrie daran verdient hat, fehlt jetzt noch der ganz große Wurf: die Vernichtung Russlands. Wie es dann weitergeht? Ist im Moment nicht so wichtig. Wichtiger ist es, die Menschen des Westens bei Laune zu halten, auch wenn es ihnen immer dreckiger geht. Wichtiger ist es, die Feindbilder bei Geflüchteten zu finden, bei Menschen, die arm sind, bei Feindbildern des Auslands, ganz besonders bei Russland. Doch die Darstellung der „Saubermänner“ funktioniert nicht mehr richtig. Man sieht es deutlich, dass zumindest im Falle „böses Russland“ viele Menschen den Erzählungen nicht mehr glauben. Das Fatale daran: dadurch wird die Art und Weise der Verdammung Russlands nur noch extremer und aggressiver betrieben. Und offensichtlich dümmer, denn der Fall Skripal zeigt sehr deutlich, dass nicht einmal mehr Erzählungen gewählt werden, die glaubwürdig erscheinen. Wenn wir schon so weit sind, dass Vermutungen als Fakten bezeichnet werden, und wenn ein „Höchstwahrscheinlich“ als Tatsache bezeichnet wird, dann sind die letzten Masken gefallen. Von einem „Säbelrasseln“ sind wir jedenfalls inzwischen weit entfernt. Was wir erleben, sind geladene Waffen, an deren Abzügen nervöse Finger zucken. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es knallt, wenn es so weitergeht.  [InfoBox]

Nieder mit der AfD!

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Oder geht‘s vielleicht auch eine Nummer kleiner? In unserem Podcast sprechen wir über die Kritiker der AfD, man könnte auch sagen: über die Hardcore-Kritiker, die nicht mehr in Geschäften einkaufen wollen, deren Inhaber in der AfD sind, oder über die, die der Meinung sind, man solle die Kinder von AfDlern mobben. Ist ja alles für die gute Sache. Wir widmen uns auch der häufig verwendeten Abkürzung „NSDAP/AfD“ und fragen, ob diese angemessen oder der Entwicklung angemessen ist. Und zum Schluss kommt auch Ronaldo dran, und die allgemeine Tendenz, auf Vorverurteilungen zu setzen statt abzuwarten, bis Fakten auf dem Tisch liegen. Hier geht’s zum Podcast: Download YouTube 00:05 – Politiker-O-Töne zur AfD 00:35 – Wir bleiben! 00:59 – Wir bieten der AfD eine Plattform, weil wir über sie sprechen 02:20 – AfD-Wähler/AfD-Parteimitglieder 03:11 – „Kein Rederecht für die Henker von morgen!“ 04:00 – Wie gefährlich ist die AfD wirklich? 07:40 – Alexander Gaulands Populismus-Artikel in der FAZ 10:38 – FAZ-Abo kündigen oder nicht kündigen? 12:24 – „Listen für AfD-Unterstützer“ 14:15 – Feindbild AfD – geht immer 23:51 – Ein Blick ins AfD-Programm würde helfen 25:11 – Demokratie heißt auch: Meinungen aushalten können 27:21 – Und jetzt ein Blick in die anderen Parteiprogramme 31:07 – Ausgedachte AfD-Zitate: Darf man Kinder schlagen? 37:46 – Die Demokratie ist in Gefahr 38:43 – Die Vorwürfe gegen Ronaldo und die Vorverurteilung 46:01 – Zurück zur AfD 47:33 – Wir fordern 250.000 Leute auf, gegen Mietwucher auf die Straße zu gehen! 49:43 – Soll in Hessen die Todesstrafe aktiv bleiben? 51:56 – Wir sind dann mal durch Artikel „Warum muss es Populismus sein?“ von Alexander Gauland