Antikörper nehmen schnell ab. Ein Impfstoff rückt in weite Ferne. Die Zeit der Lockerungen ist vorbei, im Ausland nehmen striktere Regelungen bereits zu. Junge Leute feiern bei uns trotzdem, manche randalieren. Die zentrale Frage lautet: Können wir so weitermachen? Und heißt »mit Corona leben« nicht eigentlich, es ignorieren zu lernen?
Was machen wir denn jetzt? Anfangs, da ging man noch zuversichtlich ans Werk. Da spekulierte man, dass derjenige, der sich schon mal mit Covid-19 infizierte, keine Angst mehr haben müsste vor der Krankheit. Dann sei man immun und erlöst. Schnell kam dann die politische Losung eines Immunitätsnachweises auf. Diese Idee schwebte als Zwei-Klassen-Gesellschaft über uns, denn all jene, die Covid-19 schon von der Schippe gesprungen seien, würden Vorzugsbehandlung erhalten – alle anderen nicht, die müssten quasi auf eine virologische Adelung hoffen, wenn sie in den Urlaub reisen oder ins Schwimmbad gehen wollten.
Das Thema hat sich so gut wie erledigt. Die Immunität ist nur Theorie. Antikörper nehmen viel schneller ab, als man annahm. Ein Impfstoff scheint auf dieser Grundlage nicht sehr wahrscheinlich. Dennoch wird politisch und medial nicht darüber sinniert, was das für uns, für die Gesellschaft, ja für unsere Zukunft bedeutet. Stattdessen tut man so, als sei man auf Kurs. Bildungsministerin Anja Karliczek erklärt brühwarm, dass jeder in Deutschland geimpft werden könne, wenn es erstmal einen Impfstoff gäbe. Auch sie hat nicht in Erwägung gezogen, dass die neuesten Erkenntnisse nahelegen, dass es zu einem etwaigen Run auf ein Mittel nicht kommen kann.
Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe: Junge Randalierer und junge Leute, die leben wollen
Also was nun? Wenn es keine Heilung, keine Erlösung gibt: Machen wir so weiter? Masken auf ewig und Abstände für alle Zeit? Nie wieder Großveranstaltungen? Weder besuchte Fußballspiele noch tanzenden Mengen bei einem Konzert? Kein Oktoberfest, keine Kirmes mehr? Im Gegenteil, wollen wir, sofern die bloßen Infiziertenzahlen es uns diktieren, auch Hochzeits- und Geburtstagsfeiern begrenzen? Und das alles unter Umständen auf Jahre, vielleicht für immer – sofern man denn dem Kollapsologiebeauftragen der SPD, wenn man Karl Lauterbach Glauben schenken möchte?
Der empfahl vor Kurzem tatsächlich, dass man eine Maskenpflicht auch im Hinblick auf die Grippe sozial anerkennen sollte. Im Geiste ist er schon bei einer Gesellschaft angelangt, wo Vermummung kein Notbehelf mehr, sondern stetiger Alltag ist. Lauterbach ist wohl der bekannteste Apologet eines Gespinsts, das den Bürgerinnen und Bürgern ein jahrelanges, gar ewiges Leben im Corona-Notstand nahebringt. Seine Vorstellung ist dabei nicht von einer Haltung geprägt, die ein Arrangement empfiehlt – sie spricht sich für einen Alltag aus, der noch strikter aussieht als das, was wir heute in Corona-Zeiten erleben.
Apropos Maske tragen: Eine Straßenbahnfahrt sagt mehr als tausend »Ich-trage-Masken«-Beteuerungen. Speziell dann, wenn fast nur junge Leute in der Bahn sitzen. Nachts um halb eins in der Frankfurter Tram: Von Station zu Station füllt sie sich. Viele halten ein Fläschchen Bier in der Hand, nippen immer wieder. Die Biertrinker tragen keine Maske. Andere, die ohne Alkoholika fahren, in großer Zahl auch nicht. Was am Frankfurter Opernplatz eskalierte, mag viele Gründe haben. Alkohol gehört sicher dazu. Aber eben auch die Erkenntnis, dass man das Leben – für junge Leute bedeutet das eben wegzugehen, zu trinken, zu tanzen – nicht ewig brachlegen kann.
Ist es ein Zufall, dass in Stuttgart und Frankfurt, im kleineren Maßstab auch in Karlsruhe, marodierende junge Leute durch die Straßen zogen und im Symbol staatlicher Macht, der Polizei nämlich, den ärgsten Feind witterten? Oder darf man davon ausgehen, dass das die Konsequenzen sind, die die Corona-Politik zeitigen? Natürlich lastet das auf den Menschen, sie wollen nicht die Zuversicht verlieren. Wenn aber Leute wie Lauterbach in Aussicht stellen, es gehe nun auf Jahre so weiter, oder eine wie Wieler sagt, dass die Regeln nie überhaupt hinterfragt werden dürften, dann desillusioniert man sie. Und dieses Gefühl muss raus. Dass das Klima vorher schon angespannt war, beschleunigt die Entwicklung bloß.
Diesmal stimmt es wirklich: TINA
Wir müssen uns alle Ernstes fragen: Wie soll es weitergehen? Das ist nicht irgendeine Nebenfrage, die man innerhalb des thematischen Corona-Komplexes stellen sollte: Es ist die eigentliche Meta-Frage. All das, was wir zuletzt an Maßnahmen praktizierten, war in den Köpfen stets als Notbehelf, als Übergangsmaßnahme akzeptiert. Nie aber als endgültige Ordnung, als eine neue Normalität – auch wenn dieser letzte Begriff oft, ja fast exzessiv in den Medien gebraucht wurde. Abstand einzuhalten: Das kann man mal eine Weile machen – auf Dauer hat diese Maßnahme keine realistische Chance. Sie entspricht einfach nicht der menschlichen Natur.
Kein Publikum zuzulassen ebenso. Für einen Augenblick nachvollziehbar. Aber auf Jahre? Die ökonomischen Konsequenzen für Sport und Kultur sind beträchtlich. Dass der Staat über Jahre Ausfallzahlungen übernimmt: Schnapsidee! Welchen Schaden man da anrichtet: Nicht nur ökonomisch, sondern eben auch was Bildung und Zusammenhalt betrifft. Speziell der kulturelle Horizont verkümmert bei dieser Aussicht.
Wahrscheinlich müssen wir der Tatsache ins Auge schauen: There is no alternative! Nicht zu den ewigen Schutzmaßnahmen, sondern zur ganz normalen Normalität. Mit Corona zu leben wird wohl bedeuten: Corona zu ignorieren. So wie wir mit Grippe zu leben gelernt haben. Nein, ich weiß schon, Corona ist keine Grippe. Sage ich auch nicht. Aber viele Menschen sind in den letzten 100 Jahren an der Grippe weltweit gestorben? Haben wir deshalb je Bedenken gehabt, das Leben herunterreguliert? Früher oder später werden wir auch all das, was wir heute für einen humanistischen Akt halten, auflösen und nicht mehr beachten. Eben weil es hier wirklich mal stimmt: TINA.
Besonders bitter ist, dass einige US-Republikaner, Trumpianer halt, ganz am Anfang sagten, dass junge Leute nicht ihr Leben zugunsten der alten Risikogruppe einschränken sollten. Da ging ein Aufschrei um die Welt. Was ich verstehen kann, rein emotional betrachtet. Aber sachlich und gefühllos bewertet sehen wir doch heute, dass es sich so entwickelt. Nur ist da keiner, der es so doof und platt formuliert, wie irgendein Trump-Fan. Man schweigt sich aus und geht Schritt für Schritt weg von dem, was einige da draußen favorisieren: Eine Gesundheitstyrannei. Denn die dürfte schlimmer sein als Corona.