Die Linke soll die Themen Migration und Flüchtlinge endlich ad acta legen, sich von der AfD nicht die Themen vorgeben lassen? Aber Fragen zu den Fehlern und Problemen der Migrationspolitik müssen ergebnisoffen und unideologisch links diskutiert werden. Nicht Ignoranz hilft – den Rechten ihr Thema mit Kenntnis und ohne Schaum vorm Mund wegnehmen ist die Option.
Jetzt lasst doch das Thema endlich mal ruhen.
Flüchtlinge! Migration! Multikulti! Mensch, muss man sich denn thematisch so von der AfD treiben lassen? Es gibt doch wichtigere Probleme. Lasst euch doch nicht einreden, dass dieses Sujet überhaupt ein Problem ist. Solche Einwürfe und Ratschläge liest und hört man jetzt oft. Man möchte der Linken ausreden, sich des Themas anzunehmen, weil man glaubt, dass es das gezielte, ja aufgebauschte Schwerpunktthema der Rechtspopulisten ist.
Stimmt ja auch. Wenigstens ein bisschen. Natürlich bauschen die es auf, verschärfen den Ton, fingieren wirkliche Nachrichten so, dass sie am Ende viel besorgniserregender rüberkommen, als sie in Wirklichkeit waren. Aber so zu tun, als gäbe es keine Probleme, keine Nöte und Sorgen, als laufe die Migrationspolitik völlig reibungslos und kuschelig: Das ist keine Alternative. Darf es auch nicht sein. Es wird Zeit, dass man dieses Thema seriös, sachlich und mit der nötigen Distanz behandelt. Und das ist sicherlich nicht das, was die AfD meisterhaft könnte – und wollte. Wenn man sich dieses Themenkomplexes annehmen will, kann es nur von links adäquat behandelt werden. Dazu wird es endlich Zeit. Verweigerungshaltung können wir uns nicht mehr leisten. Nehmt der AfD endlich das Thema weg und handelt es ergebnisoffen – empathisch zwar, aber prinzipientreu – ab.
Ich gab ja unlängst zu, dass ich als linker Blogger einen kleinen Anteil daran habe, dass heute ungeklärte Fragen der Migrationspolitik auf uns einprasseln. Als Teil des linken Mainstreams habe auch ich es mir zu einfach gemacht – und damit das Thema den Rechten überlassen. Eine Begebenheit fiel mir da wieder ein. Damals ging etwas von einer Siedlung irgendwo im Ruhrgebiet durch die Presse, in der man viele Sinti und Roma untergebracht hatte. Menschen aus Osteuropa, die die kontinentale Freizügigkeit in Anspruch nahmen und nun ohne Aufgabe und Perspektive in einer Mietskaserne hockten. Die Anwohner liefen Sturm, die Zustände seien schlimm. Über Müll und Bettelei wurde berichtet. Man fühle sich unwohl, die Behörden schauen mehr oder weniger nur zu. Kein Wunder, denn die Behörden sind personell ausgeblutet, Ordnungsamt und Polizei kommen in kaum einer deutschen Großstadt noch zurecht, stückwerken nur noch orientierungslos umher, um wenigstens die gröbsten Aufgaben zu erledigen.
Und was habe ich beizeiten als Blogger zur Debatte beigetragen? Ich habe natürlich betont, dass es wohl im deutschen Wesen nach wie vor einen Hang zum Antiziganismus gäbe, habe den Leuten nichts als blinden Rassismus unterstellt. Dieses Muster habe ich ziemlich oft bedient. Kam etwas über solche Stadtteile zur Sprache, in denen die langjährigen Anwohner fremdelten, sich nicht mehr auf die Straße trauten oder aber von Verwahrlosung sprachen, kommentierte ich moralisch, ganz nach dem Motto: Wie könne man um Himmels willen nur so fremdenfeindlich sein? Wie wäre es denn, mal auf diese zugezogenen Leute zuzugehen? Das könne doch nicht so schwer sein, Mensch! Harmonie sei schließlich Einstellungssache, man müsse nur mal aufhören, immer nur das Schlechte zu sehen. Wenn bestimmte kulturelle Gruppen ihre internen Zwiste mit einem privaten Hodscha und Friedensrichter regeln wollen und nicht etwa mit deutschen Polizeibeamten: Was sei denn bitteschön dabei?
Ich habe den Berliner Ex-Bezirksbürgermeister Buschkowsky publizistisch abgewatscht, weil der seinen Kiez ständig kritisierte, die dort vorherrschende Parallelgesellschaft rügte. Clans und Banden habe ich ausgeblendet. Wie sollte ich es auch anders wissen, ich Landei? Als ich in Ingolstadt lebte, war das zwar offiziell Großstadt, aber halt trotzdem tiefste bayerische Wohlstandsprovinz. Was ahnte man da schon von Stadtteilen in Berlin, in denen die Polizei keine Lust mehr hat zu verhaften, weil sie weiß, dass man Tatverdächtige schnell wieder auf freien Fuß setzt? Danach war ich an der hessischen Bergstraße – da gab es keine Brennpunkte. In Frankfurt beobachte ich heute die Berlinisierung mancher Stadtteile. Bettelbanden dringen bis in Wohngegenden vor, die Ordnungsbehörde bleibt kulant, erst so genanntes
aggressives Betteln sei zu beanstanden. Wann das der Fall ist, bleibt natürlich Ermessenssache.
Selbstverständlich findet man auch hier Parallelgesellschaften, in denen deutsche Behörden keinen Einfluss mehr haben. Osteuropäische Roma sprechen einen auf öffentlichen Plätzen an, rückt man dann wirklich mal gutmütig den Geldbeutel raus, gesellen sich prompt zum Bettelnden zwei, drei weitere Kollegen hinzu, die das gezückte Zwei-Euro-Stück gegen den Zehner oder Zwanziger austauschen wollen, der aus dem Geldbeutel herauslugt. Ich habe mehrfach gesehen, wie sie den Geber bedrängten, auf das Papiergeld deuteten, teilweise in die Geldbörse hineinfingerten und den Spendierfreudigen so in die Enge trieben, dass man seine Angst in den Augen erkannte. Die Taunusstraße gehört Banden aus dem Maghreb, die teils mit harten Drogen handeln und die täglich mehrmalige Razzien provozieren. Libanesische Banden wie in Berlin soll es auch in Frankfurt geben. Es gibt sie nach Polizeiangaben ohnehin in vielen deutschen Großstädten. Die deutsche Polizei ist indes gar nicht auf Banden eingerichtet, deren Mitglieder in eher autoritären Gesellschaften sozialisiert wurden.
Das sind die großen Verwerfungen, die ganz massiv mit dem Staatsrückzug, mit der Sparpolitik zu tun haben. Die liberale Gesellschaft kriegt tatsächlich den Spagat zwischen Empörung über fehlende Integration hin, ohne zeitgleich für eine ausreichende Finanzierung der inneren Sicherheit sein zu wollen. Der Freiheitsbegriff, der dahintersteckt, führt geradewegs in die Resignation – und als Ausweichtaktik: Ins Augenverschließen.
Denn natürlich haben wir uns in den letzten Jahren diverse Handlungen als multikulturelle Normalität verkaufen lassen. Aber es ist eben nicht normal, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, über Jahre kaum ein Wort Deutsch erlernen. Es ist auch nicht sinnvoll, wenn man eine europäische Freizügigkeit feiert, Europäern aller Länder die Möglichkeit gibt, ihren Lebensschwerpunkt überall in die EU-Zone zu verlagern, dabei aber im Schein liberaler Ignoranz kein Interesse dafür aufbringt, wie sie ihr Leben finanzieren können. Sozialleistungen gibt es ja keine mehr für Menschen, die frisch ins Land kommen – aus nachvollziehbaren Gründen übrigens.
Natürlich ist Zuwanderung in der heutigen Welt völlig normal. Man muss dafür offen sein. Was mich aber mehr und mehr stört ist der Zweckoptimismus, der so tut, als sei das alles so ganz ohne Probleme praktizierbar. Dabei ist es logischerweise viel komplizierter, zumal dann, wenn die Zugewanderten aus anderen Kulturkreisen und Weltregionen zu uns kommen. Da treffen Mentalitäten aufeinander – Sprachschwierigkeiten kommen dazu.
Ein kleines, randständiges Beispiel aus dem Gallus, hier in Frankfurt. Vor bestimmten Wohnblöcken, in denen meist arabischstämmige Familien leben, stehen alte Möbel und Kühlschränke herum. Dort wird, wenn sich neu eingerichtet wird, die alte Einrichtung einfach vor die Türe gestellt – Sperrmüll anzumelden kostet in Frankfurt nichts. Man muss ihn aber rückmelden, damit der Lastwagen bei seiner wöchentlichen Tour durch den Stadtteil vorbeikommt. Zudem will man in etwa die Menge des Sperrmülls vorab wissen. Ohne Sprachkenntnisse natürlich schwierig – und ohne Konsequenzen, weil es einfach an Ordnungspersonal fehlt, wird sich da wenig ändern. Die Lebensqualität schwindet, die Kieze verkommen zu Müllhalden.
Von den großen Problemen der organisierten Kriminalität, ganz zu schweigen. Man kann diesen Verbrechern noch nicht mal einen Vorwurf machen. Seit Jahren äußern sich Polizisten kritisch, sie behaupten, dass Verbrecher aus dem Ausland die Erfahrung gemacht haben, dass man in Deutschland mit ihnen recht liberal verfährt. Wenn alles glatt läuft, sind sie schnell wieder auf freien Fuß. Mancher nennt das
Kuscheljustiz. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass deutsche Gerichte sehr auf Angeklagte fixiert sind, Staatsanwaltschaften sind manchmal extrem kulant, beugen auch gerne mal eine ungünstige Sozialprognose, um dem Delinquenten noch eine weitere letzte Chance zu erteilen. Das ist an sich sympathisch – bei einigen Gesellen sendet diese Freundlichkeit aber ein falsches Signal aus: Sie werten sie als Freifahrtschein.
Vor einiger Zeit war ich wieder mal Zuhörer bei einem Prozess: Ein rumänischer Bauarbeiter, der gerade mal neun Tage im Land war, stieg in ein Haus ein. Man hatte ihm Reichtümer in Deutschland versprochen, man brauchte ihn aber, wie so viele Osteuropäer, in einer Bruchbude mit anderen arbeitswilligen Männern unter. Man trank viel, Frau und Kind fehlten ihm und sein Gehalt blieb trotz Arbeitsleistung aus. Kurz und gut, er arbeitete ja auch schwarz am Bau – wo sollte er sich als beschweren? In Rumänien gehört es sicherlich auch nicht zum guten Ton, in anderer Leute Häuser einzusteigen. Er tat es aber. Man bemühte sich in diesem Verfahren fast reflexhaft, vom Angeklagten ein Bekenntnis abzupressen, wonach er aus Hunger eingebrochen sei. Er spielte aber nicht recht mit, Lebensmittel hat er dann auch nicht angefasst. Er räumte den Schnapsschrank leer und hatte den Flachbildschirm schon am Ausstiegsfenster bereitgestellt. Wenigstens war er halbwegs geständig – nur der Fernseher, den wollte er gar nicht mitnehmen, behauptete er.
Nach neun Tagen in Deutschland wurde er also bei einer Straftat ertappt – er kam mit Bewährung davon und mit dem heißen Ratschlag, nicht weiter schwarz am Bau zu arbeiten. Die Kosten trug die Staatskasse. In Deutschland konnte er selbstverständlich bleiben. So sieht im Grunde Kontrollverlust im Kleinen aus. Überhaupt zur fehlende Kontrolle sei festgehalten: Mit Flüchtlingen hat das nur nebensächlich was zu tun. Das Problem ist viel älter. Aus einem falsch verstanden Liberalismus heraus haben wir über Jahre so getan, als könnten und müssten wir alles aushalten, was an migrationspolitischen Problemen oder Sorgen anklang.
Es musste so kommen, dass das Thema irgendwann so präsent wird, dass man damit politisch punkten konnte. Die AfD hat die Initiative ergriffen und trifft bei vielen Menschen ins Schwarze. Nicht, weil die Menschen grundsätzlich Rassisten wären oder Ausländer aus dem Land haben wollen. Aber sie merken, dass die Kontrolle entglitt – und sie spüren, dass der schlanke Staat viel zu schwächlich ist, um noch dagegenzuhalten. Er kapituliert und seine öffentlichen Repräsentanten halten Sonntagsreden auf Werte, die man gar nicht mehr exekutiv verteidigen kann, weil es an Substanz mangelt.
Das Problem mit der AfD ist bekanntlich: Sie hat das Thema aufgegriffen, aber betreibt es mit rassistischen Anklängen, teilweise mit grotesken Übertreibungen, Überspitzungen und Räuberpistolen. Es schwingt ein eugenisches Herrenmenschentum mit, genetische Überheblichkeit und ein Ton, der der Rassenlehre von einst alle Ehre macht. Die AfD nimmt sich dieses Themas in dummdreister bis bösartiger Hetzerei an. Mit einem Anspruch, der so tut, als könne man wieder zurück in die Fünfziger, als der Ausländer noch ein bittstellender Gastarbeiter war, der die Finger von der deutschen Maid lassen sollte.
Der Themenkomplex gehört aber in den linken Diskurs, muss der AfD entrissen werden – es ist insofern ein linkes Thema, weil es ein Ordnungsthema ist. Und Ordnung: Darum geht es doch! Das ist das Thema dieser Zeit. Die ist uns nämlich verlorengegangen. Zu glauben, dass irgendwelche Stockkonservativen die wiederherstellen könnten und wollten, gehört zu den ganz großen Naivitäten unserer Epoche. Ordnung ist eine wirtschaftspolitische Frage – und gesellschaftspolitisch ist sie nur möglich, wenn man den Mut hat, Wahrheiten zu erkennen und mit diesen Erkenntnissen Politik zu gestalten. Zu lange hat man innerhalb der Linken so getan, als sei zum Thema der Migration alles gesagt, als könne man jetzt gönnerisch zugucken, wie sich Vielfalt entfaltet.
Dass diese Vielfalt nicht nur eine Chance ist, sondern bei diversen Themen (beispielsweise Gleichstellung, Kindeswohl oder Akzeptanz staatlicher Autoritäten) in ein Chaos mündet, hat man pfleglich ignoriert. Bis es zu spät war. Oder bis es hoffentlich nur fast zu spät war: Man muss optimistisch bleiben! Eine neue Linke im Land muss da ergebnisoffener handeln, kritisch bleiben, nicht romantisieren und klare Vorgaben machen: Ja, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das auch was von den Migranten fordert – und wir benötigen ein Integrationsministerium, das Vorgaben macht, Werte und Vorstellungen vermittelt und gleichzeitig integrative Programme auflegt und fördert.
Es gibt aber ganz sicher keinen Anspruch darauf, dass internationale Banden ganze Stadtteile zu ihrem gefühlten Eigentum erklären. Das kann nur gelingen, wenn man Gelder für die Sicherheit zur Verfügung stellt und die Trimmung der Ordnungsbehörden auf rein betriebswirtschaftliche Effizienz einstellt. Wenn man also die neoliberalen Feuchtträume beendet und die politische Handlungsfähigkeit erneuert. Kurz gesagt, wenn man linke Politik macht. Daher ist auch die Sicherheit ein linkes Thema.
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