Am 24. Februar begann der Krieg in der Ukraine. Das zumindest machen die großen deutschen Medien ihren Lesern und Zuschauern weiß. Das ist natürlich falsch, denn der Bürgerkrieg in der Ukraine begann unmittelbar nach dem Maidan. Der Ausbruch des Krieges offenbarte schon damals die Einseitigkeit der deutschen Berichterstattung. Für den deutschen Medienkonsumenten kam es nach all der Maidan-Euphorie völlig überraschend, dass ein relevanter Teil der Ukraine mit der Entwicklung keineswegs einverstanden war und die eigene Zukunft nicht in der EU sah.
Die Geschichte, die man erzählt hat, war so simpel, wie die Geschichten eigentlich immer sind, mit denen der deutsche Journalismus seine Klientel im Auftrag westlicher Geopolitik abfüttert: Eine Nation lebt unter unwürdigen Bedingungen. Es herrscht ein hohes Ausmaß an Unterdrückung und Unfreiheit. Eine autokratische Herrscherclique hat den Kontakt zum Volk verloren, lässt das Land ausbluten, unterdrückt dabei jede Form des Protests und selbstverständlich auch die Demokratie. Aber eine mutige, demokratische Graswurzelbewegung steht gegen das System auf und verdient daher volle Unterstützung für den Mut und die Bereitschaft sich unter Inkaufnahme persönlicher Konsequenzen mit dem „Regime“ für jene Werte anzulegen, die diese Bewegung mit uns teilt – Demokratie, Freiheit, grundlegende Rechte.
Diese immergleiche Geschichte wird über alle Länder erzählt, mit denen sich Deutschland in einem Systemwettbewerb sieht, die die westliche Sichtweise nicht teilen, die andere Interessen haben und sie auch vertreten.
Das immergleiche Muster
Das Pattern ist primitiv einfach, aber es verfängt. Venezuela, Weißrussland, Ukraine, China, Russland, Syrien, Iran – die Liste der Länder ließe sich noch lange fortsetzen, die vom Westen mit einer bis ins Detail gleichlautenden Geschichte bedacht werden . Die Kernbotschaft deutscher Medien über diese Länder ist immer die Gleiche. Gleich ist dann auch, wie es nach deutscher Logik weitergeht. Nachdem demokratische Defizite und Verstöße gegen die Menschenrechte auf Grundlage von Berichten irgendwelcher NGOs festgestellt worden sind, die ihre Finanzierung oftmals durch westliche Regierungen erhalten, fühlt man sich zur Intervention verpflichtet – aus humanitären Gründen, versteht sich. Zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten.
Man finanziert dann die Opposition, man prangert an, man sanktioniert. Vor allem aber überschüttet man die deutsche Öffentlichkeit mit einer konstruierten Wahrheit. Fakt ist nämlich, dass man aus der Ferne relativ wenig Ahnung hat, was in anderen Ländern tatsächlich passiert, welche Kräfte es gibt, wie sie sich verhalten und zueinander stehen. Das zu ermitteln erfordert unglaubliches Wissen, ein hohes Map an interkultureller Sensibilität, tiefen kulturellen und gesellschaftspolitischen Einblick und ein hohes Maß an Objektivität verbunden mit der Fähigkeit sich selbst und seine kulturelle Prägung nicht zum Maßstab zu machen. Über all diese Qualitäten verfügen weder westliche NGOs noch der deutsche Journalismus.
Im interkulturellen Kontext bedarf es einer Grundhaltung der Bescheidenheit. An Bescheidenheit herrscht in Deutschland aber ein großer Mangel. Man kann zu allem Stellung nehmen, hat überall den Durchblick, glaubt man, man weiß alles und vor allem alles besser. Es gibt ein paar Medienberichte, ein paar einseitige und schwer nachzuprüfende Informationen von irgendwelchen NGOs, vielleicht noch ein paar emotionalisierende Zeugenaussagen, die ins Bild passen und – schwupps ist das Urteil fertig und die Legitimation zur weiteren Einmischung steht. Egal ob Krimtartaren, Uiguren oder LGBT – man findet eine Minderheit, die es zu retten gilt und deren Rettung den Bruch des Völkerrechts legitimiert.
Einmischung mit schwerwiegenden Folgen
So war das auch zur Zeit des Maidan und eigentlich ist es heute immer noch so. In der Ukraine hat sich das Feuer der Demokratie selbst entfacht, die Menschen sehnen sich nach westlicher Freiheit und jeder, der etwas anderes erzählt, betreibt das Geschäft des Kreml.
Egal ob man dieses Verfahren der Einmischung für berechtigt oder kritikwürdig hält, sollte man für einen Moment einen Schritt zurücktreten und überlegen, welche Länder nicht zu diesem Verfahren greifen und aus welchen Gründen sie dies womöglich nicht tun.
Weder Russland noch China betreiben oder finanzieren NGOs, die in anderen Ländern einseitig und im eigenen Zweck Büros unterhalten – zumindest ist mir das nicht bekannt. Es gibt keine russische, chinesische oder sonstige vom Ausland finanzierte Organisation, die beispielsweise in Deutschland präsent ist, an die man sich wenden kann, wenn man das Gefühl hat, man wurde Opfer von Unrecht durch die deutsche Regierung. Zur Zeit von Corona hätte eine derartige Institution die Türe nicht mehr zu bekommen vor lauter Andrang.
Es sind ausschließlich die Länder des Westens, die sich dieses Mittels bedienen und danach streben, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, um sie in ihrem Sinne und zu ihrem Zweck umzugestalten. Die Einmischung in die Ukraine hat enormen Schaden angerichtet. Sie hat das Land gespalten, zu einem Bürgerkrieg und schließlich zu einer neuen, offenen Ost-West-Konfrontation geführt. In einer neuen, noch zu entwickelnden Sicherheitsarchitektur für Europa und die Welt muss es Kontrollmechanismen geben, die schon früh auf Einmischung reagieren und diese verhindern. Das muss eine der Konsequenzen sein, die aus der Ukraine-Krise und ihrer Vorläufer zu ziehen sein wird. Das Völkerrecht muss wieder hergestellt werden und es muss Mechanismen geben, die sicherstellen, dass sich auch die Länder des Westens, dass sich auch Deutschland daran hält.