Morgen kommt kein Weihnachtsmann

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Ende November kam man in Deutschland stets in Stimmung. Man kaufte sich Lebkuchen, die schon seit Anfang September in den Verkaufsregalen standen, kramte die Wham-CD hervor, entschied abermals, die Geschenke für Familie und Freunde frühestens am 23. Dezember zu besorgen und beantwortete etwaige Straßenumfragen, ob man denn den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes noch kenne, mit zotigen Antworten wie: Da feiern wir den Todestag des Weihnachtsmannes – und außerdem gedenken wir der vielen gefallenen Schneeflocken bei ihrem Kampfeinsatz um ein weißes Fest. Weihnachtsstimmung halt. Alle Jahre wieder. Weiterlesen beim Neuen Deutschland

Dschungelcamp: Die andere Seite der Bundesliga

Ansgar Brinkmann ist … fast hätte ich geschrieben: Tot. Ein bisschen stimmts ja auch. Er wird ausgeschafft nach Australien. Ins Dschungelcamp. Nach Hartwig, Immel, Ailton, Legat und Häßler ist er der nächste Fußballer mit Straußenhodenappetit. Wie kommt das, wo doch die Bundesliga so eine traumhafte Welt ist? Auch wenn man dieses Dschungelcamp nicht guckt, man kommt ja an den traurigen Fakten nicht vorbei. Mittlerweile berichtet ja fast jede Tageszeitung von dem Ereignis. Man macht sich auf dem Weg zur Arbeit und läuft an einem Aufsteller vorbei, der über dieses Naturereignis informiert. Auf diese Weise erfuhr ich also, dass Ansgar Brinkmann nach Australien fliegen wird. So wie vor ihm andere Ex-Fußballer, die ihre Brötchen in der Bundesliga verdienten. Wie kann man nur so absteigen? Das fragt man sich in diesen Momenten. Dabei ist der Abstieg vom Olymp deutschen Fußballs in den Hades des Privatfernsehens nun wirklich keine so arg seltsame Wendung, sondern gewissermaßen ein programmierter Kollateralschaden. Man kann sich diese Frage um den Abstieg nur stellen, wenn man dem idealisierten Bild der Bundesliga folgt. Dass man das zuweilen tut, hat ganz massiv mit der Lektüre zu tun, die es zum Thema gibt – und die es andererseits wieder (fast) nicht gibt. Es ist ja gerade mal fünf Jahre her, da summierte sich die andachtsvolle Bundesliga-Literatur: Kein Wunder, es gab da ja auch ein Jubiläum – 50 Jahre Bundesliga nämlich. Das musste gefeiert werden, dazu musste man was publizieren. Größtenteils stand dann Jubellektüre in den Verkaufsregalen, die sich für den Rezensenten ziemlich gleich las: Bundesliga als Platz an der Sonne. Als exemplarisch dafür hielt ich seinerzeit Gerhard Dellings Schinken »50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte«. Damals schrieb ich auch eine Rezension zu dem monotonen Werk für das ND, eine kleine Abrechnung mit Dellings heiler Welt, in der die Bundesliga immer nur als »Höher! Schneller! Weiter!« vorkam. Schattenseiten? Na gut, der Bundesliga-Skandal Anfang der Siebziger halt. Aber der hat sich doch schnell verwachsen und ab da war die höchste deutsche Klasse einfach nur eine Erfolgsgeschichte von Erfolgsmenschen für Erfolgsmenschen. Nach dieser Lesart dürfte freilich kein Ex-Profi je zum Käferverköstigen ans andere Ende der Welt ausgeflogen werden. Erst kürzlich bekam ich allerdings ein anderes Buch zur Bundesliga in die Hände. Es stammt auch aus jener Jubiläumszeit 2012/2013, als jedem sportiven Autoren ganz feierlich ums Textverarbeitungsprogramm wurde. Geschrieben hat diesen Ausreißer der Sportjournalist Ronald Reng und er trägt den recht zurückhaltenden Titel »Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga«. Ich halte es hier nun für meine verdammte Chronistenpflicht, auf diesen Schmöker hinzuweisen, denn das Buch bietet einen völlig anderen Blick auf den Profi-Fußball und sein in Deutschland liebstes Kind, die Bundesliga. Das Vorwort erzählt, dass Reng eines Tages einen Anruf von Heinz Höher erhielt: Der war ehemaliger Fußballer und ebenso ehemaliger Trainer beim VfL Bochum und dem Club aus Nürnberg. Er wolle reden, ihm etwas erzählen, als bedrücke es ihn. Das Sujet stellte sich als Marginalie heraus (Höher gab zu, dass er in den Siebzigern den Platz unbespielbar manipulierte), aber Reng witterte eine große Geschichte: Die Bundesliga erzählt anhand der Biographie Heinz Höhers, der ja durchaus ein Kind der Bundesliga war. Der Ex-Trainer hatte richtige Erfolge vorzuweisen. Keine Titel zwar, aber Klassenerhalte mit Bochum einzufahren und in den Achtzigerjahren maßgeblich die goldene Generation beim Nürnberger Club geprägt und entworfen zu haben: Das waren ja auch Erfolge, wenn sie auch auf keiner Titelliste verzeichnet sind. Zwischendrin immer der Mensch Höher, der Ehemann und Vater, der Trinker, der Zweifler und Schweiger, der seinen Sport immer häufiger kaum noch verstand. Fachlich war er nach wie vor eine Größe, aber was geschah da mit der Liga, warum wollten die Spieler plötzlich als Persönlichkeiten behandelt werden, wieso Gespräche mit dem Trainer führen? »Wannst reden wuist, muasst Staubsaugervertreter werdn«, hat Ernst Happel mal zu einem Spieler gesagt. Hatte er nicht recht damit? Höher litt unter dem Druck seinen Job zu verlieren. Keiner blieb ewig bei einem Verein. Je älter er wurde, desto mehr Furcht schlich sich in seinen Traineralltag. Als er Ende der Achtziger bei Nürnberg seinen Cheftrainerposten verlor, bekam der Alkohol Oberhand. Sonst waren es nur immer zwei Bier und ein Klarer nach dem Training, nach dem Spiel, am Feierabend oder einfach mal so mit Freunden. Zwei Bier und ein Klarer: Fast täglich. Und auch fast täglich mehrmals. Wie gesagt, dann verlor er den Job, dazu ein familiärer Schicksalsschlag und ab da waren es die Schnapsflaschen, die sein Leben diktierten. Im Laufe der Jahre kamen finanzielle Sorgen hinzu. Höher war zu einer Figur von gestern geworden, jemand an den man nicht mehr dachte, nicht mehr erinnerte, wenn man sich einen Bundesligatrainer vorstellte. Andere blieben, hatten Erfolge, wurden zu Koryphäen wie sein Ex-Kollege Otto Rehhagel, der in seinen Anfangsjahren als Trainer nicht mal ansatzweise die Klasse und die Zukunftsaussichten eines Heinz Höher hatte und dennoch zu einer großen Gestalt der Liga emporstieg. Heinz Höher kämpfte gegen den Alkohol, gegen Geldsorgen, versuchte ein Comeback. Kurz sah es so aus, als könne er nochmal einen Profiverein trainieren. Der VfB Lübeck meldete Vollzug, mit Heinz Höher habe ein renommierter Sportlehrer unterschrieben. 1996 war das und sein letztes Engagement im Profifußball lag acht Jahre zurück. Zum ersten Training erschien er vollgepumpt mit Tabletten und leicht bis mäßig angeduselt, kippte kurz vor Ende der Trainingseinheit um und wurde nie mehr im hohen Norden gesehen: Vertragsauflösung im Eilverfahren. Einen Alkoholiker wollte man nicht in Lübeck, da stieg man lieber ab. Was man dann zunächst nicht tat, man nahm sich noch eine Saison Zeit dafür. Heinz Höher war kein Einzelfall, nicht die tragische Gestalt in einer ansonsten paradiesischen Profiliga. Der Mann teilte sich das Schicksal mit vielen ehemaligen Spielern und Trainern, mit Leuten, die ihren Traum ausgeträumt und vormals nie gelernt hatten, wie man sein Geld zusammenhält. Denen es nur um den Sport ging und die meinten, es ginge immer irgendwie weiter und aufwärts. Ein Kind der Bundesliga würde immer zur Familie gehören. Es sind auch diese Figuren, die den Zuschauern jeden Spieltag neue Geschichten, Wendungen, Attraktionen liefern. Manche von ihnen bleiben länger, andere nisten sich ein und bleiben der Liga für immer erhalten. Letztere sind die Erfolgsmenschen, die dann in Studios sitzen und die Entwicklung loben, die sagen, es könne immer noch leistungsstärker werden, aber an sich habe man als Liga doch einen ganz guten Verlauf vorzuweisen. Die Höhers sind an dieser Stelle schon abgemeldet. Sie scheiden aus, werden langsam vergessen, glauben sich aber noch als Persönlichkeiten dieser Liga, die Wochenende für Wochenende Millionen begeistert, merken aber eines Tages: Man kennt mich ja gar nicht mehr. Banken sind großzügig zu Helden der Liga, beschreibt Reng gewohnt spitz und zynisch, wie ja das ganze Buch spitz und zynisch geschrieben ist. Als Höher kein Held mehr war, als er nicht mehr Trainer, sondern Ex-Trainer war, war es jedoch mit der Großzügigkeit vorbei. Er fiel aus dem Olymp, landete auf dem Boden der traurigen Tatsachen und trainierte dann Jugendteams. Fachlich kompetent, mit einem Auge für Talente – wie er es immer tat. Aber zurück in den großen Mahlstrombetrieb: Das schaffte er nie mehr. Er war raus. Das Dschungelcamp gab es noch nicht. Zum Glück, sonst wäre er vielleicht auf dumme Gedanken gekommen. [InfoBox]

Grüße aus der Wohlstandssphäre

»Drecksloch« sagt man nicht, Mister President! Man fabriziert zwar welche in Entwicklungsländern, gibt ihnen dann aber neutrale Namen: »Globalisierung« zum Beispiel. Oder »Freihandel«. Die halbe Welt schien schockiert: Nein, das gehe nun wirklich nicht, dass der US-Präsident Entwicklungsländer als »Shitholes«, als »Dreckslöcher« bezeichne. Ob nun die Vereinten Nationen oder aber Staatsleute aller Herren Länder, die Trump gemeint haben könnte: Die Empörung war groß. Auch bei den US-Demokraten regten sich Widerworte, der Präsident müsse da schon etwas mehr Pietät walten lassen. Nun ist freilich klar, dass dieser Mann überhaupt keinen Hehl aus seinem rassistischen Menschenbild macht. Er benutzte dieses Wort vor allem deswegen, weil er sich despektierlich über Menschen äußern wollte, die im reicheren Teil der Erde als Flüchtlinge oder Arbeitsnomaden ankommen, um dort ihr Glück zu finden. Weiterlesen beim Makroskop

Sind CDU, CSU und SPD das Gesetz?

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Kürzlich unterhielten sich zwei ältere Herrschaften in der Frankfurter U-Bahn über die Verhandlungen zur Großen Koalition. Was die jetzt alles mache, die Befristungen heben sie auf und 8.000 neue Pflegekräfte bestellen sie ein. Ob sie es gut oder schlecht fanden, vermochte man nicht einzuschätzen. Dass sie aber offenbar glaubten, dass der potenzielle Koalitionsvertrag quasi schon Resultate just in dem Moment zeitigt, da man ihn unterschrieben hat oder sogar nur über ihn berät, konnte man dem Dialog entnehmen. Weiterlesen beim Neuen Deutschland

René Sydow: „Kabarett ist kein Nachrichtenersatz.“

René Sydow war 2015 gerade einmal ein Jahr Kabarettist, als er von der „Anstalt“ eingeladen wurde, um in der Sendung mitzuwirken. Natürlich nahm er die Einladung an. Am 24. Februar 2018 traf ich Sydow in Hamburg und plauderte mit ihm über seine Einweisung in die „Anstalt“, über die Frage, ob Kabarettprogramme die besseren Nachrichten sind, ob Kabarett etwas verändern kann, wie es sich anfühlt, mit einem neuen Programm das erste Mal vors Publikum zu treten und ob es Momente kreativer Leere gibt. René Sydow ist Diplom Film- und Fernsehwirt, war als Poetry-Slammer erfolgreich und arbeitete gemeinsam mit Daniel Hedfeld als Regisseur an Spielfilmen wie „Lamento“ und „Das geheime Zimmer“. Beide Filme wurden von der Kritik gelobt und auf Filmfestivals nominiert. Aktuell ist René Sydow mit seinem neuen Programm unterwegs, das am Abend vor unserem Gespräch die Vor-Premiere hatte. Hier gehts zum Interview: Download

Wenn Trump recht hätte, würde er erschossen

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Gleich nach dem Amoklauf an einer Schule in Florida behaupteten viele Menschen: Das hat Donald Trump verbockt. Er habe schließlich jenes Gesetz aufgehoben, das noch Barack Obama in die Wege leitete. Nach dieser Regelung durften psychisch Erkrankte keine Waffen erstehen und besitzen. Nun kann man ja Trump alles nachsagen, aber die Rücknahme dieses Passus war sicher kein Aspekt des Massakers. Denn nach jedem dieser traurigen Ereignisse befragt man die Bekannten und Nachbarn des Amokläufers. Und meist hört man folgende Sätze so oder ähnlich: »Der war eigentlich ganz normal, ein netter Kerl – wenn wir das geahnt hätten!« Selten hat einer einem Reporter gesteckt, dass der doch psychisch krank gewesen sei – alle haben es doch gewusst, »he was an insane prick«. Weiterlesen beim Neuen Deutschland

Hipster-Naturalismus oder Wandervogel reloaded

Die Bestsellerautorin Charlotte Roche ist aufs Land gezogen. Grund genug für sie, in der »Süddeutschen Zeitung« zum allgemeinen Verlassen der Städte aufzurufen. Dort grassiert nämlich der Wahnsinn, diagnostiziert sie. Hundehaufen, Kotzehaufen und Menschenhaufen seien die Verursacher. Im Dorf sei das alles anders, friedlicher und freundlicher. Der regionale Bereich kenne keinen Krieg auf asphaltierten Straßen, keine Blechlawinen. Den Wald vergleicht sie mit »Sex mit jemandem, der das super kann und den man liebt und dem man vertraut«. Fazit: »Die Stadt ist einfach keine artgerechte Haltung für Menschen!« Vielleicht sollten wir Städter jetzt alle aufbrechen, raus aufs Land. Da liegt das Paradies so nahe und keiner hats gemerkt. Weiterlesen beim Neuen Deutschland

New Conservatism: Ein Plan zur Selbstvernichtung

Der Konservatismus hat die Gesellschaft fest im Griff. Er bestimmt die Diskurse und deutet die Lage. Aber keine Angst, er wird auch bei uns hier in Deutschland in sich zusammenfallen. Man muss nur lange genug warten – und das Beste für danach hoffen. Die »geistig-moralische Wende« ist andernorts als New Conservatism (eigentlich müsste man das andersherum formulieren) bekannt geworden und im Grunde gar nicht so richtig konservativ. Einerseits weil man im Bunde mit einem Liberalismus steht, der voller Staatsverachtung leugnet, es gäbe so etwas wie Gesellschaft gar nicht. Andererseits, weil die Taktik, mit der sich neue Konservative für einen Rollback engagierten, weniger klassische konservative Themen besetzte, als mit Angstmacherei und Panikmache hausieren zu gehen. Die Geschichte des amerikanischen Konservatismus prägt natürlich auch die konservativen Backlashes in anderen Ländern, was Haltung und Taktiken anbelangt. Und für die Geschichte des amerikanischen Konservatismus lässt sich final sagen: Sie ist eine Geschichte des Kontrollverlustes. Eine Frage der Zeit, bis der neue Konservatismus auch woanders als in den Vereinigten Staaten an diesen point of no return gerät. New Deal: Der Beginn der konservativen Abschreckungstaktik Die Geburtsstunde des modernen Konservatismus, so schreibt Torben Lütjen in seiner Analyse »Partei der Extreme: Die Republikaner«, sei in der »Ära des New Deal« zu suchen. Traditionslinien und »konservative Instinkte« habe es zwar freilich vorher schon gegeben, allerdings als »konsistente Bewegung« gab es den Konservatismus vormals nicht. »Dafür mussten erst einige der genannten Überzeugungen [Anm.: nämlich die Angst vor der Zentralregierung, Individualisierung, missionarische Religiosität, Sakralisierung des freien Marktes und Glorifizierung des Kapitalismus] in die Defensive geraten und herausgefordert werden; erst unter diesem Druck konnten sich diese eigentlich konträren Elemente langsam zu einer wirklichen Weltanschauung verdichten.« Mit dem New Deal stand der amerikanische Konservatismus erstmals unter Druck, der alte Laissez-faire-Nachtwächterstaat wurde zu einem modernen Interventionsstaat und die alten Eliten fürchteten um die überlieferte Ordnung, die so gut zu ihnen war. Unternehmerkreise formierten sich zum Gegenschlag, sie gründeten Netzwerke und konservative Spender finanzierten den intellektuellen Kampf gegen die New-Deal-Ordnung. Diese Leute wollten eine konservative Deutungshoheit der Geschehnisse etablieren und die jetzt umzusetzenden Maßnahmen nach konservativen Gesichtspunkten ankurbeln. Im Umfeld der Grand Old Party fanden sie Kandidaten, die sich als Anti-Dealer einspannen ließen. Der New Deal war aber recht beliebt bei den Amerikanern. Es fiel den Conservativs deshalb ziemlich schwer, Ansätze für eine Gegenöffentlichkeit zum Roosevelt-Kurs zu finden. Zumal die Republikanische Partei noch Meilen davon entfernt war, eine rein konservative Partei zu sein. Noch leistete sie sich einen progressiven, ja sogar liberalen Flügel. Mancher Republikaner war kaum von einem Demokraten zu unterscheiden, befürwortete sogar den New Deal. In jenen Jahren, als von konservativer Seite der New Deal als Socialism diffamiert wurde, der dem Amerikanischen an sich ja wesensfremd sei, legte man den Grundstein zu dem, was ideologisch folgte: Die Zweite Rote Angst. McCarthy, Goldwater, Reagan, Bush Im Schatten des Kalten Krieges gedieh das, was konservative Eliten in Wirtschaft und Politik seit der Ära Roosevelts zu wissen glaubten: Die Kommunisten griffen nach der Weltmacht. Überall witterten sie Zugriff, ob nun bei den Steuersätzen, die zu hoch waren, bei der Zentralregierung, die sich größere Rechte herausnahm oder selbst in Hollywood, wo liberale Künstlerseelen eindeutig ein viel zu großes Forum erhielten. In den Jahren 1947 bis 1957 ging man auf Jagd, der oberste Jagdvorsteher Joseph McCarthy hetzte gegen alles, was auch nur hellrot schimmerte. Selbst mancher indigener Reststamm, der von alters her kein Konzept zum Privateigentum nach westlichen Vorstellungen kannte, musste damit rechnen, als Stalins Fünfte Kolonne »enttarnt« zu werden. Befürworter des Big Government, also von einer starken Regierung, die ausgestattet ist mit großen Machtbefugnissen, galten daher schon mal als verdächtig: War nicht die Sowjetunion eine Zentralmacht? Sozialstaat? Steuergerechtigkeit? All das waren doch kommunistische Umtriebe. Antiamerikanisch überdies. In Barry Goldwater schafften es diese vagen konservativen Wertevorstellungen in der Zeit nach McCarthy sich in einer Person und einer Partei zu vereinen und damit potenzielle Wählerschichten anzusprechen. Vorher waren Konservative nicht zwangsläufig Republikaner. Merklich bildete sich die Modifizierung der Grand Old Party heraus. Dieser kleine knorrige US-Senator sah sich als wahrhafter Amerikaner, wollte von den verkünstelten Ostküsten-Amerikanern nichts wissen. In Arizona, dort wo er herkam, sei die Frontier noch in den Köpfen verankert, dort habe man zu jeder Zeit selbst anpacken, seines Glückes Schmied werden müssen, wenn man überleben wollte. Welfarism? Wohlfahrtsstaat also? Oder Warten auf Washington? Goldwater sah darin keine Option, denn eine Regierung könne doch nichts leisten, nur vor Ort sei es möglich, sich sein Leben zu verbessern. Wie kein anderer Bundesstaat hat Arizona vom New Deal profitiert – ohne den Hoover-Damm beispielsweise, wäre er ein dröger Wüstenstaat geblieben. Goldwater verlor kläglich, konnte bei der Präsidentschaftswahl 1964 nor 52 Wahlmänner gewinnen (Johnson hatte 486), aber mit ihm etablierte sich die konservative Stilfigur des Mannes aus der Mitte, des Anpackers und Feind intellektueller Betrachtung, der seinen Antielitarismus als Trennlinie zwischen Küste und Westen, zwischen Stadt und Land exerzierte. Ronald Reagan griff gerne auf diese Figur und Rhetorik zurück. Als Schauspieler seichter Streifen hatte er ein gewisses Talent dafür entwickelt. In den Jahren von McCarthy landete er als ehemaliger Liberaler im konservativen Lager, agitierte er vor Werksarbeitern gegen den Kommunismus. Er trieb diesen Agitprop wohl so dumpf, dass seine Auftraggeber aus der Wirtschaft ihn zurückpfeifen mussten. Ein bisschen mehr Anspruch sollte es dann bittesehr schon sein. Mit dieser Vorgeschichte als Hardliner, der sich nicht schämt, billige Kniffe anzuwenden, um zu polarisieren, war er als Nachfolger Goldwaters prädestiniert. Er mauserte sich zur neuen Hoffnungsgestalt der Conservatives, die jetzt immer mehr Einfluss in der Öffentlichkeit erwirkten; die Liberalen hingegen wirkten ausgelutscht, ihre Reformen (zum Beispiel die Great Society) hielten nicht, was sie versprachen. Reagan schaffte es ins Weiße Haus und verstand sich als oberster Herr einer konservativen Revolution. Die Silent Majority, die Richard Nixon, der kein sonderlich konservativer Konservativer war, als Debattenbeitrag Jahre zuvor als Grundlage seiner Politik ins Feld führte, glaubte auch der Ex-Western-Schauspieler hinter sich versammelt. Reagan nährte in seiner Amtszeit die Legende, dass all diese konservativen Mythen und Wertvorstellungen, die seit den New-Deal-Jahren währten, durch ihn zu einer erfolgreichen Präsidentschaft kulminierten und das Land positiv veränderten. Bis heute hält diese Legende an. Das Gegenteil trifft eher zu. Zu guter letzt trat der zweite Bush auf und hat den Konservatismus seinen letzten Anstrich verliehen. Er war der erste Präsident, dem es gelang, die christlichen Eiferer ins republikanische Lager zu lotsen. Vorher waren sie weitaus breiter aufgestellt, Fundamentalisten wählten auch die Demokraten, einen der ihren wie Jimmy Carter, oder aber sie sprachen sich zur Enthaltsamkeit im politischen Diskurs aus. Mit George W. Bush änderte sich das, seine persönliche Geschichte vom geläuterten Sünder, der vom Suff zurückfand auf den rechten Weg, um von dort aus Kreuzzüge gegen das Böse zu führen, überzeugte diese Klientel nachhaltig. Überhaupt: »Das Böse« – bereits bei Reagan nahm es begrifflich eine zentrale Rolle ein. Mit diesen beiden Präsidenten wurde politische Verantwortung stärker denn je mit moralischen Attributen verwoben, die sich aus einem eindimensionalen Sendungsbewusstsein heraus manifestierten. Man unterwarf sich damit einen Anspruch, den man unmöglich halten konnte – jedenfalls nicht mit objektivem Blick auf die Dinge. Die Implosion: Die entpolitisierte Rechte und ihr heutiger Präsident Die Vorgeschichte des modernen amerikanischen Konservatismus, der in der Republikanischen Partei gipfelte, lässt sich freilich nicht in vier Absätzen abhandeln. Dass dem genannten Torben Lütjen das auf 133 Seiten gelungen ist, muss man ihm als Lob anrechnen. Was aber hängenbleiben soll: Die Geschichte der Republicans ist eine Geschichte voller Eskalationen und Radikalisierungen. Eine Art Evolution des Wahnsinns, an dem man nicht etwa verzweifelte, sondern den man zu einer Weltuntergangsstimmung verwurstete, der an den Urnen punkten sollte – und der ja wohl auch immer wieder punktete. Dekade für Dekade verschärfte sich der Ton, verselbständigte sich der innere Diskurs, radikalisierte sich das Weltbild so sehr, dass es eigentlich nur eine Schlußfolgerung geben konnte: Die Karikatur dieses Prozesses. Hier kommt Donald Trump ins Spiel. Er ist das evolutionäre Geschöpf der parteilichen Implosion, das letzte Glied in einer Kette aus Wahnsinnen vieler Jahrzehnte. Stück für Stück bewegte man unwissentlich sich auf diese Figur zu, die fehlende Sachlichkeit und die Ideologisierung der eigenen Weltanschauung machten einen wie Trump zwangsläufig. Man kann von ihm nicht als die Krone dieser Schöpfung sprechen – Evolution ist auch keine Krönung, sondern die Lehre vom Überleben des am besten Angepassten in einem bestimmten Umfeld oder Milieu. Insofern trifft das bei Trump zu: Keiner hat sich im implodierten Republicanism so gut ein- und angepasst, wie diese Comic-Figur aus Fleisch und Geld. Angstmacherei und Untergangsstimmung bis zum bitteren Ende Man hat jetzt über Jahrzehnte gedreht und überdreht, noch einen draufgesetzt und mit Provokationen kokettiert und dabei so getan, als sei diese Form der konservativen Wählermobilmachung ganz natürlich und richtig. Doch über Jahrzehnte hat man sich da ein Monstrum erschaffen, eine unkontrollierbare Haltung verinnerlicht, die letztlich den ursprünglichen konservativen Gedanken zu einer überdrehten Überspanntheit hin zu einer Karikatur seiner selbst pervertiert. Mit jeden Wahlkampf musste es radikaler, eskalierender, haltloser werden: Dieser inneren Logik der neuen Konservativen konnte keiner aus dem eigenen Lager mehr entkommen, so er Karriere machen wollte. Die Untergangsstimmung, mit der man sich als Alternative zum Liberalismus in Szene setzte, wurde zum Selbstläufer. Die Performance, in der man sich als letzte Bastion vor dem Untergang stilisierte, gebar den galoppierenden Wahnsinn einer Weltanschauung, die die Welt nur noch als Weltverschwörung gegen den Anstand und die Sittlichkeit begriff – und deren exklusive Vertreter man glaubte zu sein. Natürlich färbt der New Conservatism auch auf hiesige Konservative ab. Der Antielitarismus schlägt zu weilen durch, wenn mancher Ministerpräsident populistisch auf einem dörflichen Starkbieranstich spricht und dort sagt, er freue sich endlich bei vernünftigen Menschen zu sein. In der Stadt, in der liberale Sitten herrschen, scheint er wohl keine Person zu kennen, auf die die Eigenschaft der Vernunft zutrifft. Wenn sie Steuerflucht als Notwehr hinstellen oder von den stillen Mehrheiten sprechen, den Anständigen, die nicht laut werden, aber als deren Stimme man sich feilbietet: Dann sind das die Taktiken, mit denen der Konservatismus auf der anderen Seite des Atlantiks seit Jahren auf Stimmenfang geht. Man muss den Konservatismus wahrscheinlich nur lange genug an seinem eigenen im Kern angelegten Wahnsinn laben lassen, dann kommt auch er an sein logisches Ende. Dann überdreht er sich so in Lächerlichkeit, dass er als Alternative versiegt. Ob danach allerdings etwas folgt, worauf wir uns freuen dürfen: Man muss schauen, was man tun kann … [InfoBox]

Wann verschlägt es denen mal die Werbesprache?

Als ich letzte Woche mal im Teletext der ARD nach Nachrichten forschte, lauschte ich dem hintergründigen Programm. Da ging es in einem Feature um eine dieser Aufreger, die man in deutschen Sendeformaten so oft einbaut und die als »Irrsinn der Woche« präsentiert werden. Es sind Geschichten von architektonischen Fehlleistungen oder vom Versagen der Städteplanung. Keine großen Sachen meist, nur mehr so Ausdruck dafür, in welcher Alltagsdeppenrepublik wir mittlerweile zu hausen scheinen. Man plant beispielsweise Brücken zu niedrig oder stellt Brunnen auf, die Passanten einnässen. Jedenfalls ging es in dem besagten Feature um was Wahnwitziges in Paderborn. Dort hat man in der Innenstadt eine Bank aufgestellt. Weil die was für das Auge sein sollte, hat man als Material viel Messing und ein bisschen Holz verwendet, was dazu führt, dass sich das Ding bei Sonneneinstrahlung wie ein Ofen aufheizt. Weiterlesen beim Neuen Deutschland

Menschenrechte: Wir Verpackungsweltmeister

Statistiktricks bei der Bahn, Betrugssoftware bei VW – und eine Regierung, die Berichte zur Situation der Menschenrechte weichspült. Deutschland, du bist kein Land mit Inhalten – du bist eine geile Verpackung. Ausgerechnet am 1. April berichteten einigen Medien darüber, dass das Kanzleramt und das Wirtschaftsministerium den Menschenrechtsbericht mit dem einprägsamen Namen »Monitoring des Umsetzungsstandes der im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020 beschriebenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen« neu aufstellen möchte. Das von einer Unternehmensberatung koordinierte Projekt soll prüfen, wie deutsche Unternehmen an ihren Auslandsstandorten mit ihrem Personal umgehen. Es geht hierbei um die eventuelle Etablierung eines Gesetzes, welches deutsche Global Player zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet – ein Gesetz, das sich aus den Leitprinzipien der UNO ergäbe und freilich von wirtschaftsnahen Kreisen in der Politik nicht gewollt ist. Um den Eindruck zu nähren, dass deutsche Unternehmen überhaupt keines solchen Gesetzes bedürfen, möchte die Regierung Berichtkosmetik betreiben: Es sollen neue Beurteilungskategorien entstehen, Ausscheidungskriterien aufgehoben und ohnehin nur Unternehmen zur internen Situation befragt werden, die eine positive Menschenrechtsbilanz aufweisen können. Die Meldung war dann leider kein Aprilscherz. Darauf hätte man nun wirklich leicht kommen können. Weiterlesen beim Neuen Deutschland