Gesunder Realismus oder Bedeutungslosigkeit
Ist das wirklich eine Kampagne der konservativen Medien gegen Sahra Wagenknecht? Sicher, ein bisschen stimmt es. Aber eigentlich sind es ja weniger die Konservativen, die sich an ihr stoßen: Es sind dieser Tage in viel stärkeren Maße Linke, die sie diskreditieren.
Nachvollziehbar. Jedenfalls wenn man in der romantischen Ecke der Linken hockt. Denn Wagenknecht rüttelt nun einiges durcheinander. Sie zerstört ein Lebensgefühl. Und in der eigentlichen Substanz ihrer Thesen spiegelt sich wider, dass die Linke (als Partei und politische Richtungsangabe gleichermaßen) fatale Fehler durch Unterlassung gemacht hat. Sie hat zum Beispiel das gute und richtige Ideal einer multikulturellen Gesellschaft insofern falsch verstanden, dass sie jede Kritik an kulturellen Diskrepanzen gleich als Angriff aus der rechten Ecke verstehen wollte. Viele kamen zweifelsohne auch von dort. Aber eben nicht alles. Manches waren einfach nur nüchterne Erkenntnisse aus der Alltagspraxis der Leute. In solchen Momenten präsentierte man dann Lösungen wie diese: Leute, geht aufeinander zu, seid nett zueinander, wir sind doch alles Menschen. Stimmt ja auch: Friedlich währt am längsten. In der Theorie. Aber solche Antworten auf die Fragen sind praxisfremd und haben viele Menschen vor den Kopf gestoßen, die unter Umständen guten, das heißt kulturübergreifenden Willens waren, aber mit dieser linken Selbstgefälligkeit nichts anzufangen vermochten und sich dann angeekelt abwandten.
Dass viele von denen dann im völlig falschen Lager landen, auch weil sie den Protest an die Wahlurne tragen wollen, war da fast folgerichtig. Man hat sich links einfach zu lange gescheut, maßgebliche Probleme zu thematisieren. Vor allem auch, um die eigenen Ideale nicht ins Wanken zu bringen. Ausgebreitete Arme, die man Geflüchteten entgegenstreckt, die sind nur als ein Symbol zu gebrauchen. Sie nutzen sich ab und als realpolitische Maßnahme taugen sie nichts. Im wirklichen Leben ist nicht alles Harmonie. Mit der Grenzöffnung kamen eben nicht nur nette Familien ins Land, sondern auch ziemlich unkontrollierbare Gestalten. Das hat Wagenknecht dem Merkel-Kurs in der Frage angekreidet und nun sind es ausgerechnet Linke, die indirekt jener Kanzlerin beispringen, die sie von jeher aus dem Amt haben wollten.
Man kann eben auch nicht dauernd Probleme im interkulturellen Miteinander kleinreden und so tun, als scheitere Integration vor allem immer an den Deutschen. Klar, das tut sie auch. In manchen Bereichen ist das Deutsche ja weiterhin eine exklusive Angelegenheit. Und das nicht zu selten. Allerdings ist Integration in beide Richtungen keine Einbahnstraße. Auch von Seiten der Eingewanderten gibt es häufig keine Bereitschaft dazu. Was in vielen Bereichen nicht weiter schlimm ist. In anderen allerdings zu Irritationen führt. Aber in der Linken durfte man das ja nie laut sagen, weil man sonst als jemand hingestellt wurde, der mit Sarrazin paktiert.
Wobei ich jetzt einen Fehler gemacht habe. Wir sprachen doch eben noch von Flüchtlingen und dann sagte ich was zu Eingewanderten. Diese Masche war der konservative Clou der letzten anderthalb Jahre: Man führte einfach diese beiden Gruppen zusammen und meinte damit »die Ausländer«. Deshalb sprach man von Obergrenzen für Einwanderer und tat so, als müssten die auch für Asylsuchende gelten. Die Linken haben dieses diktierte Thema stets kampfesmutig aufgegriffen und diese Zusammenführung nicht weiter kritisiert, sondern die Logik der Konservativen mehr oder weniger übernommen und auf dieser Grundlage eine Gegenposition bezogen. Es ist Sahra Wagenknechts Verdienst, dass sie beides intellektuell voneinander getrennt hat. Sie hat begründet, dass Zuwanderungsobergrenzen legitim und notwendig seien, damit aber nicht Asylsuchende gemeint. Die Folge: Ein Aufschrei unter den Linken.
Daraufhin hat man begonnen, sie sukzessive mit Frauke Petry zu vergleichen. Hat sie zum rechten Einfallstor in der Linkspartei erklärt. Sachlich waren die Vorwürfe allerdings nicht. Sie waren Ausdruck einer verletzten Befindlichkeit. Ein linkes Bauchgefühl, das nicht im Kopf ankam, aber aus dem Bauch heraus mit dem Finger auf sie zeigte. Doch was bitte ist daran befremdlich, wenn man festhält: Ja, geordnete Zuwanderung sollte mit Obergrenzen erfolgen. Das ist ja auch ein Gebot der Organisation und Umsetzung. Und ist es wirklich so rassistisch, wenn man dabei auch um rudimentäre Grundlagen der deutschen Sprache bittet und die Perspektiven der ohne Not ins Land kommenden Menschen prüft? Wohlgemerkt: Der ohne Not ins Land kommen wollenden Menschen. Für die, die in ihrer Not kommen, gelten da andere Maßstäbe und Regeln.
Klar ist es unschön, wenn man vom verwirktem Gastrecht spricht. Aber man kann doch nicht, weil man sich unwohl fühlt bei solchen Sätzen, den berechtigten Inhalt des Gesagten wegschieben und mit Kalkül darauf spekulieren, dass mit der Kritik an der Wortwahl gleich die Gesamtheit des Gesagten vom Tisch ist. Natürlich kann man doch Leuten, die vor ein, zwei Jahren nach Deutschland kamen und hier straffällig wurden – und damit sind wirkliche Verbrechen gemeint und keine Kavaliersdelikte – nicht weiterhin mit Verständnis begegnen. Sie wieder ausweisen zu wollen, hat doch mit den wirklichen Flüchtlingen nichts zu tun.
Fischt Sahra Wagenknecht in rechten Gewässern, um sich bei der Wählerschaft anzubiedern? Das kommt natürlich zunächst immer darauf an, wie man rechte Gewässer definiert. Und innerhalb der Linken hat sich da über mehrere Jahrzehnte eine vollkommen isolierte Haltung aufgebaut, die in jeder Kritik an den Problemen mit der Zuwanderung (nicht mit den Flüchtlingen, das kam erst viel später) gleich die geistige Vorbereitung eines Vierten Reiches witterte. Aus dieser Sicht fischt Wagenknecht tatsächlich im Rechten. Objektiv betrachtet bedient sie nur genau den gesunden Realismus, den die Linken in der Vergangenheit aus Befindlichkeitsgründen vermissen ließen. Realitätsfremde haben oft einen schweren Stand. So eben auch das Linke, das sich bequem in einer Weltanschauung zurückzog, in der man selbst der Gute ohne Makel sein durfte und jeder, der die Entwicklungen anders sah, konnte als Teil des Schlechten abgetan werden. Auf diese Weise hat man die Deutungshoheit rechten Analysten und Hetzern überlassen. Diese Isolation, die man sich in Sphären der absoluten Verstiegenheit eingerichtet hat, hat einen hohen Preis: Die AfD.
Von wegen Rechtsruck durch Wagenknecht. Es ist notwendig, dass man die Probleme anerkennt und dann mit linken Ansätzen zu einer Lösung führt. Die Linken, die jetzt die Linke vor Wagenknecht retten wollen, das sind die Leute, die die Linke trotz bester Grundvoraussetzungen (Hartz IV, Ungerechtigkeit, Austerität etc.) kleinhielten und weiterhin zu einer Nischenexistenz verdammen. Wer wählt schon eine Partei, deren Anhänger (nicht unbedingt deren Mitglieder) Tag für Tag dokumentieren, dass sie den Bezug zur Lebensrealität aufgegeben haben. Nicht Sahra Wagenknecht muss aufwachen – diese Linken müssen es schleunigst tun.
2G in Hamburg: Wollt Ihr die totalitäre Apartheid?
Jetzt also 2G. In Hamburg. Und sicher wird die Hansestadt nicht die einzige bleiben, die ganz offen auf Apartheid setzt. Solange es funktioniert, wird es keine Besinnung geben. Die Politik ist im Rausch der Macht.
Es ist mehr als ein Jahr her, da dachte ich, dass es nicht funktionieren würde, in Cafés, Restaurants oder Clubs nur eine bestimmte Personengruppe hereinzulassen. Mein Denkfehler war der: Ich vermutete, dass es die Notwendigkeit des Umsatzes ist, die Betreibern von Lokalitäten eine Separierung von Gästen verbieten würde.
Doch heute stellt sich das Bild anders dar. Wirtschaftliche Rettung (wenn überhaupt) kann es nur noch geben, wenn die Läden, Bars und Clubs voll sind. Auf der Seite des NDR ist nachzulesen:
Es tut den meisten furchtbar leid, dass sie Ungeimpfte jetzt aussperren müssen. Doch die Kassen sind leer, durch das 2G-Modell erhoffen sich die Bar- und Clubbesitzenden Überlebenschancen.So wird ein Schuh draus, und auf diese Art bleibt den Geschäftstreibenden nicht viel anderes übrig als bei diesem Wahnsinn mitzumachen. Der Hunger auf die „alte Normalität“ ist bei Geimpften wie bei Ungeimpften groß, wenngleich es Tendenzen gibt, sich aus Protest komplett aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen. Doch das Gros will wieder „leben“, essen gehen, tanzen, Menschen treffen – unmaskiert und ohne Abstand. Für die Gewerbetreibenden bleiben nur zwei Möglichkeiten: Friss oder stirb.
Hamburgs Bild einer „differenzierten“ Betrachtungsweise
Womöglich fragen sich einige Leser: „Apartheid? Geht’s nicht ein bisschen kleiner?“ Die Antwort kann nur lauten: Nein, im Gegenteil. Denn was in Hamburg passiert, ist genau das: Apartheid, das niederländische Wort für „Trennung“. Wer will denn ernsthaft leugnen, dass hier eine bewusste Trennung und Diskriminierung von Menschen vorgenommen wird, die sich nicht impfen lassen wollen? Eine Gegenrede wird endgültig hinfällig, wenn man folgendes Zitat liest:Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre können zunächst unabhängig von ihrem Impfstatus an 2G-Angeboten teilnehmen. Diese Ausnahme gilt aber nur sechs Wochen lang, anschließend dann nur noch für alle Kinder unter zwölf Jahren. Keine Ausnahmen gibt es dagegen für erwachsene Menschen, die sich wegen einer Vorerkrankung oder etwa einer Schwangerschaft nicht impfen lassen.Damit wird deutlich, dass es kein Entrinnen gibt. Nach sechs Wochen müssen Kinder draußen bleiben (Hunde nicht, soweit mir bekannt ist). Damit gilt für die Hamburger Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren: Ohne Impfung keine Freizeit, keinen Spaß, kein Zutritt. Diese die Kinder verachtende Pflicht zum Impfen ist aber noch immer nicht der Gipfel der Unbarmherzigkeit. Menschen, die sich nicht impfen lassen können, weil sie vorerkrankt sind, werden ebenso aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wie Frauen, die ein Kind bekommen. Selbst mit der großzügigsten Auslegung dieser Regelung (die faktisch ein Zeichen für die aktive Unterstützung dieser Form der Apartheid ist) lässt es sich nicht rechtfertigen, dass Vorerkrankungen und Schwangerschaften Gründe für den gesellschaftlichen Ausschluss sind. Mag der großzügigste Befürworter von 2G noch argumentieren, Ungeimpfte hätten ja die Option, sich impfen zu lassen und so wieder zur Teilnahme berechtigt zu sein, läuft dieses ohnehin schon schwache Argument bei Vorerkrankten und Schwangeren ins Leere.
Totalitäre Apartheid
Es ist offenkundig, womit wir es hier zu tun haben: mit einem System der totalitären Apartheid. Auf der einen Seite findet eine Trennung von bestimmten Gruppen von Menschen statt. Auf der anderen Seite wird der extremistische Versuch unternommen, „einen neuen Menschen“ zu formen. Das ist Totalitarismus.Typisch sind somit die dauerhafte Mobilisierung in Massenorganisationen und die Ausgrenzung bis hin zur Tötung derer, die sich den totalen Herrschaftsansprüchen tatsächlich oder möglicherweise widersetzen. Als politisches Gegenmodell zum Totalitarismus gilt der demokratisch-freiheitliche, materielle Rechtsstaat mit der durch Grundrechte, Gewaltenteilung und Verfassung gewährleisteten Freiheit der Staatsbürger. Meistens werden sowohl Nationalsozialismus als auch Stalinismus als Prototypen totalitärer Regime eingeordnet.Der Wikipedia-Eintrag müsste jetzt dringend erweitert und dem letzten hier zitierten Satz „Demokratie“ hinzugefügt werden. Wer die Wikipedia kennt, weiß, dass das nicht passieren wird, und allein deshalb trifft es umso mehr zu.
Keine Gegenwehr?
Hamburg konnte die Apartheid einführen, ohne nennenswerte Gegenwehr zu erfahren. Der NDR hat einige Interviews mit Bürgern gemacht (die selbstverständlich im Sinne der Redaktion ausgewählt und gesendet wurden). Der Tenor der Befragten war nahezu identisch:Ja das ist eine Befreiung.Das Problem an dieser Befragung: Gefragt wurde nicht nach den Konsequenzen von 2G für Besuche zahlreicher Lokalitäten. Es ging darum, dass im Einzelhandel die Erfassung von Adressen wegfällt. Kunden und Einzelhändler zeigten sich erfreut, die Erleichterung schwingt in den Interviews spürbar mit. Es scheint, als wäre die leichtere Möglichkeit, sich wieder mit Konsumartikeln zu versorgen, wichtige als die Tatsache, dass Hamburg das gesellschaftliche Leben komplett neu aufstellt. Gegenwehr gibt es keine, die erwähnenswert wäre. Die Medien berichten zwar über 2G, Fragen über die Umformung des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden aber kaum gestellt. Berichtet wird zahm, fast gelangweilt. Gibt man bei Google die Suchbegriffe „Hamburg“, „2G“ und „Rathaus“ ein, gibt es keine Ergebnisse. Aber kann das wirklich noch überraschen? Die Politik ist faktisch gleichgeschaltet (hat es selbst getan), so etwas wie Kritik oder gar Empörung vernimmt man nicht. Es wird sich zeigen, wie es weitergeht. Wenn der Hamburger 2G-Weg folgenlos bleibt (und danach sieht es zurzeit aus), wenn sich in anderen Städten oder Bundesländern ähnliche Entwicklungen abzeichnen (auch danach sieht es aus), werden wir einen weiteren Schritt hin zum Abgrund gemacht haben. Das Erschreckende an dieser Vorstellung ist die Tatsache: Man muss befürchten, dass dieser Schritt in Richtung des (demokratischen) Abgrunds unbeteiligt und passiv begleitet von der Bevölkerung stattfinden wird. Befinden wir uns erst kollektiv im freien Fall, wird das plötzliche Begreifen auch nicht mehr helfen.
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Nachtrag: Als der Artikel verfasst wurde, waren mir die Pläne Baden-Württembergs, einen Lockdown für Ungeimpfte einzuführen, noch nicht bekannt.Jetzt helfen nur noch Schauprozesse!
In Bayern schrumpft die Sozialdemokratie auf sechs Prozent zusammen. Im Bund sieht es weiterhin miserabel aus. Wenn die Basis der Partei nicht sofort handelt, ist die sozialdemokratische Partei endgültig am Ende angelangt. Was die SPD jetzt braucht sind: »Schauprozesse« und »Berufsverbote«.
Ich bleibe dabei: Es muss jedem, der einen Politikwechsel will, ein Anliegen sein, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands nicht untergeht. Ohne sie ist keine Linksalternative denkbar. Schrumpft sie ins Belanglose, löst sie sich gar auf, heißt das nicht, dass an ihrer statt etwas nachrückt, womit sich politisch neu gestalten ließe. Ganz im Gegenteil. Selbst wenn die Sammlungsbewegung Aufstehen heute auf den Trichter kommt, es auch mal als Partei zu versuchen, darf man nicht glauben, dort sammelte sich eine schlagkräftige Truppe. Parteien am Reißbrett: Das klappt nicht. Nein, nach wie vor ist die SPD das Vehikel einer Veränderung. Theoretisch. Praktisch sieht es freilich anders aus.
In Bayern waren die Sozialdemokraten seit Jahrzehnten keine Größe mehr, der letzte Aufenthalt oberhalb der 30 Prozentmarke liegt 25 Jahre zurück. Renate Schmidt war damals Kandidatin. Dass die Frau bis heute zu der Gruppe bayerischer Sozis gehört, die am häufigsten zur Situation ihres Landesverbandes befragt wird, zeigt nur, dass da nichts nachgerückt ist. Bei neuesten Umfragen liegt die SPD bei etwa sechs Prozent. Die Sperrklausel ist zum Greifen nahe. Die Partei ist darin begriffen, sich konsequent abzuschaffen. Bayern wird auch da wieder mal Vorreiter sein.
Noch gibt es Hoffnung, aber die Basis muss endlich aufwachen. Jetzt, da noch einige in der Partei sind, die andere Zeiten kennen. Die noch wissen, wie man Arbeitskampf macht, wie nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik funktioniert und man als Alternative zur schwarzen Republik fungieren kann. Die werden ja immer weniger in der Partei, was da nachrückt sind Leute, die in eine sozialdemokratische Subkultur hineingewachsen sind, in der man kompromissbuckelt und opportunistisch Pöstchen häuft, in der man gelernt hat, sich als Sozi als ewiges Opfer zu begreifen, als unverstandener Verbesserungsmensch, den keiner ernstnehmen möchte. Bevor diese Generation die Partei gänzlich im Griff hat, kann man noch leise hoffen – danach ist es zu spät.
Aber klar ist auch: Ohne drastische Maßnahmen geht es nicht. Es wird Zeit, dass man sich von den (post-)schröderianischen Seilschaften löst, das amtierende Spitzenpersonal fortjagt und sich dann klar für »Berufsverbote« ausspricht. Leuten wie Andrea Nahles und Olaf Scholz muss jegliche Aussicht genommen werden, jemals wieder ein Amt in dieser Partei einzunehmen. Hubertus Heil, der Mann, der die Arbeitgeber per steuerfinanzierter Rente weiter aus der Verantwortung nehmen will, darf keinen Schaden mehr anrichten. Und damit das auch jeder kapiert, kann das nicht still und leise abgewickelt werden, es braucht medienwirksame »Schauprozesse«, also PR-inszenierte Abrechnungen mit einer Ex-Führungsriege, die es seit Jahren verpasst hat, eine inhaltliche Kehrtwende herbeizuführen. Veteranen wie Gerhard Schröder und Franz Müntefering, kleinere Lichter wie Walter Riester und Peter Hartz, gehören symbolträchtig aus der Partei ausgeschlossen.
Klingt hart, zumal im historischen Kontext dieser Wörter – das ist mir bewusst. Daher habe ich es auch in Anführungsstriche gesetzt. Aber man kann doch die Personalien, die in den letzten 15 bis 20 Jahren zum Niedergang der SPD beigetragen haben, nicht einfach galant übergehen und munter weitermachen. Die Menschen, die früher mal die Sozialdemokraten wählten und heute für gar nichts mehr oder etwas anderes stimmen, wollen sehen, dass man die alten Seilschaften kappt. So drastisch zu sein, ist keine plumpe Rache, kein revolutionäres Getue, sondern im Grunde die letzte Chance für eine Partei, die sich seit langer Zeit peu a peu unglaubwürdiger macht – eben auch deshalb, weil sie nie den Mut aufbrachte, sich von mit neoliberaler Anpassung kontaminiertem Personal zu trennen.
Noch gibt es in der Partei Sozis, die andere Zeiten kennen, damals, als die SPD noch eine Alternative für Deutschland war. Wenn die es nicht richten: Ihre Nachrücker werden es nicht tun. Sie kennen die SPD nur als einen Opportunistenzirkel, als Klub ohne Prinzipien und als Truppe von Leuten, die jeden Posten einer inhaltlichen Auseinandersetzung vorziehen. So haben sie es gelernt in einer Partei, die ihre Seele outsourcte, privatisierte und liberalisierte.
Eine kleine »Säuberung« muss schon sein, sie ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Sozialdemokratie überhaupt nochmal eine nennenswerte Größe wird. Falls das nicht aus der Partei heraus gelingt, da lege ich mich fest, wird es keine Chance mehr für ein Mitte-Links-Bündnis geben. Dann ist es endgültig vorbei. Denn soviel aufstehen kann man gar nicht, um das aufzufangen.
Positive Erfahrungen
Mich hat es also dann erwischt. Erst gab es einen positiven Test. Einen Selbsttest, denn ich hatte Symptome. Dann ging ich in Quarantäne. Aber es war schon etwas mehr: Ich war auch krank. Durchaus anders als ich es bisher kannte.
Etwas mehr als zwei Wochen ist es jetzt her. Ich war stark erkältet, konnte mich nicht dazu durchringen, von der Couch aufzustehen. Ja, ich war sogar zu faul dazu, schnell mal einen Schnelltest zu machen. Den machte ich erst einen Tag später. Er schlug an. Noch einen Tag später hatte ich dann das PCR-Ergebnis: Wie befürchtet. Das Virus wurde bei mir nachgewiesen. Und es war auch da, ich spürte es. Nach wie vor war ich zwar nur erkältet. Meine Nase war verstopft. Ich hatte Husten. Keine Halsschmerzen. War das nun ein milder Verlauf? Konnte man gar nicht sicher sagen. Denn erst ab dem fünften Tag konnte es ernst werden. Da lag ich nun und wartete zu.
Mir fehlte der Antrieb, ich wechselte den ganzen Tag über vom Sofa ins Bett und vom Bett aufs Sofa. Schon alleine dieser Wechsel erwies sich als anstrengend. Fieber hatte ich indes nie. Warm war es mir trotzdem. Kalt sowieso. In diesen ersten Tagen schlief ich viel. Dann stellten sich massive Schlafprobleme ein. Ich fand überhaupt keinen Schlaf mehr und verzweifelte darüber. In dieser Zeit der schlaflosen Verzweiflung spürte ich, dass ich nicht mehr richtig atmen konnte. Die Atemnot, erstmal erfasst, wird schnell eine Abwärtsbewegung, weil man Angst bekommt und daher noch schneller atmet. Ich versuchte ruhig zu bleiben. Atemnot sei schließlich normal, das heiße noch nichts. Jedenfalls redete ich mir das ein.
Wir sprechen dieser Tage oft und viel von der Spaltung der Gesellschaft. Man muss es auch in Anbetracht der Erkrankung tun. Sie spaltet, indem der einzige Weg zu sein scheint, Erkrankte aus den Augen aus den Sinn zu platzieren. Kommen Sie in zwei Wochen wieder, wenn Sie dann noch können. Ich verstehe ja, es sind harte Zeiten, Personalmangel im Gesundheitswesen greift um sich. Um so schlimmer, dass man sich mit Spaltungsrhetorik aufhält, wo man Menschen wieder zueinanderfinden, füreinander sensibilisieren müsste – so oder so, ich bin wieder zurück. Noch nicht ganz fit, aber um eine Erfahrung reicher.
Konfrontation im Hausflur
Nachts wachliegen und nicht richtig atmen zu können: Das setzt schwer zu. Ich machte den Fehler, den jeder moderne Patient heute macht: Ich googelte, ob das ein normales Problem jeder Corona-Infektion war. Am Ende las ich nur, dass man auf der Intensivstation lande, wenn es immer schlimmer würde. Sich schlaflos zu demoralisieren: Schlimmer geht es kaum noch. Am Morgen rief ich meine Hausärztin an, sie wusste keinen Rat, wer behandelt werden wolle als Infizierter, der müsse ins Krankenhaus. Und wie ich dorthin komme, fragte ich sie. Keine Ahnung, sagte sie. Selber irgendwie, meinte sie. Sie hatte offenbar keine Ahnung. Ich wollte von ihr wissen, ob das alles normal sei, die Atemnot zum Beispiel. Sie wusste es nicht. Ich rief in meiner Verzweiflung den Notarzt. Der kam schnell. Wir hatten einen Koffer gepackt. Mir schwante Böses, ich sah mich schon an Schläuchen. Die beiden Sanitäter waren in Vollmontur, betraten die Wohnung nicht. Sie blieben im Hausgang stehen. Der eine von ihnen fragte nicht lange, er stellte fest: Sie sind ungeimpft, richtig? Ich bejahte. Dann wurde er ausfällig, er habe keine Verständnis, Leute wie Sie gefährden alle, sagte er. Ich stand leise da, sagte gar nichts. Ich war beschämt, kriegte schlecht Luft. Man stellte meine Sättigung fest. Sie war niedriger, aber in Ordnung. Kein Grund für das Krankenhaus, entwarnten beide. Sollte es schlimmer werden, dürfte ich jederzeit anrufen. Dann entschwanden die beiden wieder. Nachdem wir die Türe geschlossen hatten, brach ich in Tränen aus. Es war eine Demütigung. Und was soll man dem entgegensetzen in Zeiten der Not? Und gleichzeitig war ich den beiden Herren dankbar, denn sie hatten kurz auf meinen Zustand geschaut. Als ich googelte las ich, dass in Schleswig-Holstein Hausärzte dazu verpflichtet sind, Corona-Patienten einmal täglich anzurufen, um sich nach deren Zustand zu erkundigen. Der fehlte mir, dieser Blick eines Fachmannes, um sich besser aufgehoben zu fühlen. Stattdessen fühlte sich das alles an wie weggesperrt zu sein, ganz gleich wie es mir im Verlaufe der Erkrankung geht. Viele Corona-Patienten, so las ich auch, entwickelten psychologische Defizite. Grund ist der Umstand, dass in Quarantäne der Gesundheitszustand des Patienten etwas ist, was für die Augen des Mediziners verbannt bleibt – während ihre Sorgen wachsen, fühlen sie sich alleingelassen. So in etwa fühlte sich das auch für mich an. Da mag der Sanitäter noch so rüde gewesen sein: Er war da. Und so wie er mich gedemütigt hatte, so warf er einen Blick auf mich. Ich war ihm dankbar. Mein Magen setzte mir indes zu. Ich konnte nichts essen, litt aber unter Magenknurren. So pumpte ich mir Unmengen Tee ein. Das sättigte und gleichzeitig wirkten die Teemassen entschleimend und ich konnte etwas besser atmen.Das Licht bleibt an!
Irgendwann war ich so erschöpft, ich probierte es immer wieder einzuschlafen. Dies gelang mir zunächst nicht. Klar war mir aber, dass ich dazu Licht brauchte. Eigentlich schlafe ich nur, wenn es finster ist. Licht beim Schlaf: Undenkbar für mich. Aber ich brauchte es nun. Weil ich Angst hatte. Kaum machte ich meine Augen zu, schlitterte ich für Sekunden entkräftet in den Schlaf, träumte es mir von Intubation und Tod. Als ich nachts bei YouTube auf die Suche nach Erfahrungsberichten von Erkrankten war, habe ich etwas entdeckt, was ich nicht kannte: Einen Bericht des HR über den Tod einer Freundin. Ich schrieb darüber an dieser Stelle. Das Virus hatte sie am Jahresbeginn voll erwischt. Der Sender hat damals offenbar darüber, hat über ihren Sohn berichtet. Das färbte ab, machte meinen Schlaf unmöglicher, weil ich beim Einschlafen immer irgendwie in einer Intensivstation landete. Keine Ruhe fand, sondern Anspannung und Angst. Einige Tage später, mir ging es wieder besser, las ich, dass das Virus offenbar auch die Nebenniere, damit das menschliche Stresssystem befällt. Ich glaube das sofort. Im Wesentlichen ist es doch so, dass die Erkrankung stark an die Belastungsgrenzen geht. Das hat sicher mit der Erkrankung an sich zu tun. Aber auch mit den Umständen. Es gibt keine Betreuung – und eine etwaige Hilfe, die Genesung zu flankieren, ist nicht etabliert. Man sperrt sich mit der Erkrankung weg und hofft das Beste. Dabei wäre hier ärztliche Betreuung (und sei es nur telefonisch) unabdingbar. Zusätzlich greift die Angstspirale, die von der Öffentlichkeit aufgezogen wird. Sanitäter, die einen dann zusammenstauchen, machen die Lage nicht besser.10 Minuten zu Gast bei Illner mit Jens Spahn: Es war der Wahnsinn!
Geht doch! Maybrit Illner griff kürzlich zum Telefon, um mich zu fragen, ob ich Interesse daran hätte, ein paar Minuten mit Jens Spahn zu quatschen. In ihrer Sendung, ist klar.
„Jens Spahn ist ein kluger Mann“, entgegnete ich und sagte natürlich zu. Und so tauschten wir uns ein paar Minuten aus; über Armut und Reichtum, ja, schon, aber in erster Linie sprach der Jens darüber, dass alles doch ziemlich cool ist. Und dass es extrem uncool ist, wenn man das anders sieht.
Ich glaube nicht, dass ich einer weiteren Einladung folgen würde. Ok, die Schnittchen vor der Sendung waren lecker, zu trinken gab es auch genug. Und die Maybrit ist eigentlich auch ganz knuffig, so privat, hinter der Bühne. Aber Jens Spahn, echt, das ging gar nicht.
Hier geht’s zur „Sendung“:

Klimaschutz ist eine soziale Frage
Die Empfehlung Essgewohnheiten umzustellen, um Menschheit und Erde zu retten, gehört mittlerweile natürlich zum progressiven Repertoire. Es gehört aber mehr dazu als dieser warmer Ratschlag. Eine zentrale Frage dahinter ist der Wert der Arbeit.
Mittlerweile eine Binse ist, dass der gewaltige Fleischkonsum ein Klimagefährder ist. Als neulich das World Resources Institute (WRI) darauf aufmerksam machte, dass weniger Fleisch auf der Speisekarte auch dem Klimaschutz dienlich wäre, konnte man als halbwegs informierter Verbraucherbürger nur abwinken und sagen: Mensch, das weiß ich doch! Der amerikanische Think Tank spricht sich dafür aus, dass die Menschheit ihre Essgewohnheiten ändert und weniger wegwirft. Es soll also mal wieder erzogen, Bewusstseinsarbeit geleistet werden – mehr fällt denen nicht ein. Dass dahinter auch systemische Auswüchse stecken, ökonomische Determinismen wirken: Viel zu komplex, ja viel zu aufwändig.
Fleisch ist an sich zu billig, es ist Fließbandprodukt geworden. Oft ist Fleisch billiger als die Zusammenstellung eines vegetarischen Gerichts. Bratwürste sind für 1,79 Euro zu haben. Ein Ratatouille, selbst wenn es aus Gemüse aus dem Discounter zubereitet wird, kommt teurer – und ist außerdem viel mehr Küchenarbeit. Wer jetzt auch noch sagt, er möchte geschmackvolleres Gemüse verwenden, wenn es schon fleischlos sein soll, auf dem Wochenmarkt einkauft, muss nicht zwangsläufig mehr ausgeben als bei Penny, Aldi und Konsorten. Günstiger kommt er aber sicher nicht davon. Der Vorteil ist nur, dass man auf dem Markt keinen Sack Paprika kaufen muss, obgleich man vielleicht nur ein Stück benötigt.
Nun ist das hier kein Küchenratgeber, weswegen hier kein Rezept für schmackhaftes Ragout folgen soll, aber es zeigt sich leider viel zu oft in intellektuellen Gefilden, dass es am Bezug zur Praxis mangelt bei solchen Themen. Was heute wieviel kostet, kriegen viele, die den öffentlichen Informationsauftrag erfüllen, gar nicht mehr mit.
Wo ist eigentlich auf der Gourmet-Flanke der Klimaschutzdebatte jemals eine Stimme nach dem starken Staat zu vernehmen? Das politische Primat will offenbar keiner mehr herstellen. Stattdessen soll es die Bewusstseinsförderung übernehmen, die Verbraucher zu klimabewussteren Konsumenten zu erziehen. Die Massenproduktion von Fleisch gefährdet unser Klima ja nicht deshalb, weil die Produktionszahlen stetig wachsen. Es wird gefährdet, weil die Politik keine strengen Regularien, Kontrollen und Standards festsetzt. All das würde die Massenfleischherstellung deutlich teurer machen.
Im Grunde haben wir es mit einem künstlich geschaffenen Preisgefälle zwischen Fließbandprodukt und biologisch hergestellten, teils noch traditionell herangezogenen Fleisch zu tun. Denn die Verursacherkosten für klimatische Folgen oder Bodenverseuchung zum Beispiel, sind im Fleischpreis gar nicht eingerechnet. Es gibt wenig Qualitäts-, noch weniger Umwelt- und fast keine Personalkontrollen. All das ist wie eine stille Subvention durch Unterlassung.
Klimaschutz beginnt damit, die zerstörerischen Produktionsweisen an die Kandare zu nehmen – und Fleisch als einen Warenwert anzuerkennen, in dem sich widerspiegeln soll, was darin an Arbeit, Ressourcen und Umwelt enthalten ist. Wenn aber Scheinselbstständige für einen geringen Lohn, oft weit unter dem Mindestlohn gar, wie am Fließband Tiere zerlegen, Umweltbehörden die Hände gebunden sind, weil die Standards für die Abfallbeseitigung relativ lax gehalten werden und die Folgen aus diesem Raubbau der zukünftigen Generation ohne Entschädigung übergeben werden, bleibt Fleisch ein attraktives Lebensmittel.
Ist es richtig, Fleisch zu verteuern, um es vielen vorzuenthalten? Das ist gar nicht der Ansatz. Es geht um Wertschätzung für ein Produkt, dass nicht aus dem Nichts in die Welt kommt, sondern in einer Wechselwirkung zur Welt steht. Dasselbe Prinzip könnten wir auch bei der Debatte um das Erdöl anwenden. Wir leben in einem systemischen Wahnsinn, der Folgen sozialisiert und futurisiert. Gute Arbeit, gute Produkte, Nachhaltigkeit darf was kosten. Dass dabei der Lohn- und Kostenlimbo nicht aufrechterhalten werden kann, versteht sich von selbst. Der Bürger, Konsument und Verbraucher muss in der Lage sein, sich anständige Produkte auch leisten zu können.
Ökologie ist ohne soziale Gerechtigkeit nicht vorstellbar. Deshalb sind all die Bedenken, die irgendwelche systemischen Denkfabriken da draußen in Memos packen, nichts Relevantes oder Substanzielles. Denn die Welt als Discounter finden sie meist recht chic.
Hetzen im Ersten: Stell’ dir vor, sie wollen Krieg und keiner hört hin
Der Fall Nawalny zeigt einmal mehr, wie bei uns Politik und Medien ticken. Dass Russland hierzulande schon seit Jahren als Feindbild aufgebaut wird, ist nicht neu. Die verstörende Qualität der letzten Ereignisse um einen rechtsradikalen und in Russland nahezu unbedeutenden Oppositionellen erreicht jedoch (erneut) ein neues, erschreckendes Niveau.
Wolfgang Ischinger, Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Norbert Röttgen (CDU) und Jürgen Trittin (Grüne) haben in einer Talkshow von Anne Will ihre feuchten Träume präsentiert, denen man Aufmerksamkeit schenken muss.
Denn Ischinger, Röttgen und Trittin hetzen in einer Form, die zwischen Peinlichkeit und Kriegshetze anzusiedeln ist. Da wird gelogen, unterstellt, vorverurteilt, da werden Fakten aus dem Hut gezaubert, die überhaupt nicht existieren. Und alle drei können dies weitgehend unwidersprochen tun.
Einzig Sevim Dağdelen (Die LINKE) versucht, der durch Hass geprägten Runde die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung näherzubringen. Doch als es um die unverhohlenen Lügen vergangener Fälle durch die drei Politiker geht, greift auch sie nicht ein.
In diesem Video habe ich einen Zusammenschnitt eingebaut, der die Stimmung der Sendung verdeutlicht.
Wir müssen uns bewusst machen, dass wir es mit einer politischen und medialen Klasse zu tun haben, die nicht zögert, mit Lug und Betrug zu zündeln, zu hetzen und Kriegstreiberei zu betreiben.
Das Format „Anne Will“ ist nur eines von unzähligen weiteren Formaten und Presseerzeugnissen, das aber die perverse Radikalität und verachtende Grundhaltung auf den Punkt bringt.
Wir müssen nicht nur für Grundrechte, soziale Fragen und gegen ausbeuterische Unternehmen kämpfen. Der wichtigste Kampf ist – in Anbetracht des politischen Personals in Verantwortung – der für den Frieden.
Denn wir sind umgeben von Hetzern, die alles dafür tun, seinen Fortbestand weiter zu riskieren.
Weiterführende Quellen:
In Navalny poisoning, rush to judgment threatens new Russia-NATO crisis (ab Minute 3)
Lawyer for Putin critic believes his client has been poisoned again
Pussy Riot’s Pyotr Verzilov blames Russia for ‚poisoning‘
Es war kein Mordanschlag von Putin | Von Karl Bernd Esser
Ein neuer “Zwischenfall” könnte ein wenig Licht in die mysteriöse Affäre rund um den vergifteten Agenten Skripal bringen
Anne Will vom 6. September 2020
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Weitere Informationendie neurotische wochenschau: Annalena und die 40 Jogger
Die Politik ist offenbar nicht bereit, den Kampf aufzugeben. Seit nunmehr anderthalb Jahren versucht sie alles, um die Demokratie auszurotten.
Jetzt, nachdem auch das Bundesverfassungsgericht seine Abneigung gegenüber der Demokratie kundgetan hat, steht dem weiteren Vorgehen nichts im Wege – außer vielleicht Termiten.
Heute mit dabei:
Jens Spahn – Minister für Geldautomaten, unbezahlte Maskenrechnungen und Gesundheit
Christian Lindner – Minister für Finanzen und Altersarmut
Annalena Baerbock – Ministerin für Russland-Bashing und Nord-Stream-2-Explosionen
Lothar Wieler – der Arzt, dem Haustiere, Wildtiere und die Steinlaus vertrauen
Außerdem eine Journalistin (der Name tut hier nix zur Sache), Anne Will und Manuela Schwesig.
Audioversion:
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Weitere Informationen»Es wird immer schwieriger auf der Straße!«
Die europäische Freizügigkeit, offene Grenzen: Da treffen sich Neoliberale wie Linke gleichermaßen. Das ist doch was! Beide Seiten ignorieren dabei leider allzu häufig, dass ein regelrechter Armutswettbewerb entstanden ist. Ein Bericht von der Straße.
Vor einigen Wochen berichtete ich über eine Fahrt in der Tram, bei der ein offenbar obdachloser Mann ständig in schier hemmungsloses Weinen verfiel. Da waren wir gerade auf dem Rückweg von einer ganz speziellen Führung, die am Frankfurter Hauptbahnhof angeboten wird: »Straßenblick – Ex-Obdachlose erzählen ihre Geschichte«. Wie es der Zufall an jenem Tag wollte, bot selbst die Heimfahrt also noch eine weitere obdachlose Geschichte. Oder geht man sensibilisierter aus einer solchen Veranstaltung heraus, sodass man solcherlei Ereignisse ein bisschen anders wahrnimmt?
16 Jahre lang war unser Guide obdachlos, weil er harter Alkoholiker war. Seit elf Jahren ist er nun trocken und hat ein Dach über dem Kopf. Jedenfalls hat Thomas, so sein Name, einen Einblick in ein solches Lebensmodell gewährt, wie man ihn sonst kaum auch nur erhaschen kann. Natürlich hätte er eine Wohnung bekommen können, erklärte er. Dass Obdachlosigkeit grundsätzlich ein gesellschaftliches Verschulden sei, ließ er so nicht gelten. Er war aber so auf seinen Suff fixiert und demgemäß nicht bereit, diese Sucht therapieren zu lassen – wie hätte er da auch nur ansatzweise einem normalen Leben mit Mietzahlungen oder ersatzweise Amtsgängen nachkommen können? Keiner ist gerne obdachlos, aber viele sind für Hilfestellungen und Behördengänge schlicht nicht bereit, stellte Thomas klar.
Thomas erzählte überhaupt sehr offen von seinem Leben. In den Alkoholismus trieb ihn laut seiner Erzählungen nicht etwa eine ganz große Lebenskrise, eigentlich war er von jungen Jahren an mit alkoholischen Getränken vertraut. In den Siebzigern galt es noch als Initiationsritual, wenn man als Vierzehnjähriger ein, zwei Bier mit den erwachsenen Kerlen trank. So rutschte er hinein – bis es ihm entglitt.
Er beschrieb sein Leben auf der Straße, die Tricks an Geld zu kommen, die tägliche Auseinandersetzung mit der Bundespolizei auf dem Bahnhof, die er als wesentlich freundlicher skizzierte, als man das zuweilen denkt. Bettelei und kleine Gaunereien – auch das kannte Thomas. Knastaufenthalte inklusive. Für ihn galt damals nur, möglichst schnell das Geld für eine, besser für zwei Flaschen Korn zusammenzukriegen. Wer in einer großen Stadt wie Frankfurt auch noch Geld für Essen betteln möchte, so meinte er, dem sei eigentlich nicht zu helfen. Reste gäbe es hier wahrlich überall mehr als genug. Es lebe die Wegwerfgesellschaft!
Natürlich habe er wahrgenommen, wie die Gesellschaft auf ihn reagierte. Wenn er in eine volle Tram einstieg, hatte er recht schnell eine Vierersitznische für sich alleine. Er habe ja, so wörtlich, überhaupt keinen Vertrag mit Wasser und Seife gehabt. Und letztlich war es auch gut so, dass man ihn mied, schlussfolgerte er für sich selbst. Die Ausgrenzung durch olfaktorische Reizüberflutung seiner Mitmenschen habe ihm schrittweise begreiflich gemacht, dass er sich eigentlich selbst so nicht mehr leiden konnte. Das war wie ein erster Schritt zurück in ein geordnetes Leben.
Und die Armen untereinander? Stimmt denn letztlich diese Sentenz, die man immer dann hört, wenn Zeitgenossen wegen der Ungerechtigkeiten resignieren und dann unken: Wenn es erstmal allen schlechter geht, dann wird es so nicht mehr weitergehen? Dann helfe man zusammen gegen die da oben? Von einer solchen Romantik unter Habenichtse wusste er nun wahrlich gar nichts zu berichten. Junkies sähen auf Trinker herunter, weil sie glaubten, ihre Sucht sei als die kostenintensivere mit deutlich mehr Renommee ausgestattet. Eliteobdachlose – auch das gibt es also. Freundschaft gibt es hingegen gar nicht. Mit manchen kommt man gut aus, aber das heißt gar nichts, denn im nächsten Moment wendet sich das Blatt und man wird behumst.
Es ist ein Hauen und Stechen, jeder ist um sich selbst bemüht. Die größte Ellenbogengesellschaft herrscht unter denen, die nichts haben, die jeden Tag um existenzielle Absicherung kämpfen müssen. In ein Männerwohnheim gehen? Für Thomas kam das nicht in Frage. Dort herrschte schon vor Jahren die pure Gewalt. Als er seine letzten obdachlosen Tage verlebte, da hatten sich die Grenzen zu Osteuropa schon geöffnet, erzählte er weiter. Plötzlich gab es da Konkurrenz auf der Straße. Osteuropäische Bettelbanden und Betteltouristen, wie er letztere nannte. Es wurde eng, die knappen Ressourcen versiegten, plötzlich war es auch für »unsere Obdachlosen«, wie Thomas sie bezeichnete, nochmal schwieriger, weil man auch in ihnen Mitglieder von organisierten Bettlerbanden wähnte. Die Medien warnten ja regelmäßig, dieser Mafia nicht auf dem Leim zu gehen, die Bandenköpfe finanzierten mit dieser Masche sogar Luxuskarossen. Thomas aber fuhr mit keinem Benz vor.
Werden Arme gegen Arme ausgespielt, wenn man das auf den Punkt bringt? Ist es verwerflich, wenn man das thematisiert? Ich hörte genau zu und ich konnte auch sehen, wie das junge Paar, nette Hipster, vielleicht Studenten, vielleicht auch irgendwie aus einer Befindlichkeit heraus links, wie es in Frankfurt durchaus noch üblicher ist, als in anderen Universitätsstädten, ein bisschen schluckte bei dem Thema. Klar, wenn jemand von »unseren Obdachlosen« spricht und dort fortfährt mit dem Problem mit den zugewanderten Obdachlosen, dann kann man das gleich ideologisch falsch verstehen. Andererseits ist es aber doch so, dass da jemand sprach, der wusste und noch immer weiß, wie es sich stellt. Die offenen Grenzen halt, in den Brennpunkten dieses Landes, sind sie nicht mal mehr der Abklatsch einer schönen Grundidee: Dort haben sie den Druck verschärft und das Leben erschwert.
Man muss den Leuten zuhören, ihren Geschichten lauschen, bevor man lauthals brüllt und verurteilt. Vielleicht sollte man mal besonders auch jenen Teil der Linken zu einer solchen Führung einladen, der sich jetzt deshalb in Szene rückt, weil bestimmte andere Linke eben nicht die großen Freunde der absoluten Freizügigkeit sind. Bei einer solchen Führung könnte man hören, warum sie es nicht sind. Die Sorgen und Nöte erlauschen: Man hat das viel zu lange nicht gemacht. Die Neoliberalen haben das kalkuliert unterlassen. Von einer geerdeten Linken wünsche ich mir, dass sie genau dort ansetzt.