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Wie Olaf Scholz Immanuel Kant instrumentalisierte

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Vor beinahe einem Jahrzehnt habe ich zum ersten Mal Kaliningrad besucht. Die Stadt liegt in der Mitte Europas, war aber schon vor zehn Jahren schwer zu erreichen. Es gab keine direkte Verbindung. Heute ist es noch schwieriger, denn der Luftraum über der EU ist für russische Fluglinien geschlossen und die Länder des Baltikums sowie Polen tun alles dafür, Kaliningrad das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Der Besuch von Kaliningrad war mir damals ein wichtiges Anliegen, denn ich habe während des Studiums Kant mit großem Gewinn gelesen. Kant lebte im ostpreußischen Königsberg und liegt nun im russischen Kaliningrad begraben, ohne seine Region jemals verlassen zu haben.
Unter meinen diversen Kant-Lektüren findet sich auch eine kleine Schrift mit dem Titel “Zum ewigen Frieden”. Wenn man sich erstmal in den Sprachstil Kants eingeleiert hat, kann man ihn auch auf dem Klo lesen. Das gilt übrigens für alle Philosophen. Ich spreche da aus Erfahrung.

“Zum ewigen Frieden” ist der Versuch Kants, Bedingungen zu formulieren, die erfüllt sein müssen, damit für alle Zeiten Frieden zwischen den Nationen herrscht. Die Grundvoraussetzung ist, man muss es wirklich wollen. Wenn das erfüllt ist, ergibt sich alles Weitere eigentlich von selbst. Man sucht den Austausch, vernetzt sich und betreibt Handel. Man gibt der Diplomatie den Vorzug vor der Gewalt, rüstet ab und löst nach und nach die stehenden Heere auf.

Kants schöne Idee

Nun kann man lange und vortrefflich darüber diskutieren, warum es so einfach nicht ist und mit welchen Hindernissen die schönen Ideen Kants in der Welt jenseits des Idealismus konfrontiert sind. Darum soll es aber hier nicht gehen. Zumindest nicht so ganz direkt.Gehen soll es hier um die Instrumentalisierung Kants durch Bundeskanzler Olaf Scholz. Kant feierte am 22. April seinen 300. Geburtstag. Scholz gratuliert und behauptete, er hätte Kant mit ebenso viel Gewinn wie ich gelesen. In einem Tweet erklärt er dann, warum Kant heute Friedensverhandlungen mit Russland ablehnen würde.

Ich werde selten wütend, an dieser Stelle wurde ich es. Scholz hat entweder Kant nie gelesen, oder ihn nie verstanden, oder den Inhalt komplett vergessen. Scholz instrumentalisiert Kant für die Zwecke des Krieges. Das ist, gelinde gesagt, eine absolute Unverschämtheit. Scholz redet nicht mit Putin, die Außenministerin redet nicht mit Lawrow. Das ist ein Rückfall weit hinter Kant zurück.

Der Grund für den Ukraine-Konflikt ist, dass der Westen und auch Deutschland die Sicherheitsarchitektur in Europa zerstört haben, weil sie mit der Ausdehnung der NATO ihre Sicherheit erhöhen und spiegelbildlich die Russlands mindern. Russland bietet Gespräche an, um eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa zu finden, die allen Ländern Europas genügt – Russland eben auch. Der Kanzler und die Außenministerin lehnen das ab. Russland soll sich den deutschen und westlichen Ideen zu fügen. Den aktuellen, bellizistischen wohlgemerkt, nicht denen Kants. Mit Kant hat aktuelle deutsche Politik herzlich wenig zu tun.

Olafs bizarre Interpretation

Die bizarre Interpretation des Kanzlers macht deutlich, wie sehr sich Deutschland erneut von Kant und aufgeklärtem Denken entfernt hat. Man kann mit Kant die Verlängerung von Krieg und die Verweigerung von Diplomatie nicht begründen. Der Kanzler tut es und bekommt keinen breiten Widerspruch, sondern sogar Unterstützung von einem Kant-Experten im ZDF. Der kennt sich mit Kant vermutlich gut, mit der aktuellen deutschen Politik und mit Russland allerdings gar nicht aus. Oder er hängt sein Fähnchen in den Wind. Wer einen Platz am Katheder will, muss in Deutschland wieder auf Linie sein. Die Zeiten, in denen die Freiheit des Denkens in Deutschland gewährt wurde, sind fürs Erste wieder einmal vorbei. Sei’s drum. Es bleibt ein Ärgernis.

Ein Ärgernis bleibt auch, wie Deutschland Kant für sich einzunehmen versucht. Er sei ein deutscher Denker, wird in Deutschland behauptet. Russland habe kein Anrecht auf ihn, auch wenn er jetzt in Kaliningrad, das einst Königsberg hieß, begraben liegt. Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht verlogen.

Deutschland hat sich immer entzogen, wenn es um die Pflege des Andenkens von Kants ging. Mit der Verweigerung zur Kooperation verdeutlichte Deutschland. Kant ist Deutschland scheißegal. Sein Andenken ist nur dann wichtig, wenn man es politisch Instrumentalisieren kann. Kooperation, Zusammenarbeit und Austausch über Grenzen hinweg, sind für Kant zentrale Elemente auf dem Weg hin zum ewigen Frieden.

Deutschland will nicht

Deutschland will nicht. Deutschland beansprucht Kant für sich, macht aus ihm einen deutschen Denker. Kant hat auf Deutsch geschrieben und auf Deutsch gedacht, das ist richtig. Aber er war kein deutscher Denker. Er war Preuße. Deutschland existierte damals schlicht nicht. Und er war Universalist. Er glaubte, universale Prinzipien gefunden zu haben, die nicht an Nation und Kultur gebunden sind. Aus ihm einen deutschen Denker machen zu wollen, bedeutet, Kant gegen sich selbst zu interpretieren.

Genau das tut auch Scholz. Er verkehrt Kant in sein Gegenteil. Der Missbrauch Kants durch Scholz ist bezeichnet für den aktuellen geistigen Zustand Deutschlands. Er markiert auch ein zentrales Problem Kantischer Philosophie. Sie erfordert tiefe Aufrichtigkeit. Vor allem gegenüber sich selbst. Scholz ist alles nur nicht aufrichtig. Baerbock fehlt zur Aufrichtigkeit jede Voraussetzung. Sie ist intellektuell zur Ehrlichkeit ebenso wenig in der Lage wie Habeck. Die Bundesregierung ist schon aufgrund ihrer psychischen Konstitution keine, die “Zum ewigen Frieden” führt. Es fehlen ihr dazu die Voraussetzungen.

Kant jedenfalls ist in Russland aktuell besser aufgehoben, sein Andenken wird hier angemessen gewürdigt. In Deutschland sind die schönen Ideen Kants jedoch mit einem Olaf Scholz konfrontiert, der sich für die Schönheit der Idee nicht, sondern nur für die Möglichkeit ihrer Instrumentalisierung interessiert. An Menschen wie Scholz und deren Willen zur Vereinnahmung von allem und jedem zur Förderung eigener Zwecke scheitert die Kantsche Philosophie. Kant scheitert am derzeit in Deutschland herrschenden Geist.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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