Die russische Zeitung Komsomolskaya Prawda hat mich um einen Artikel zum NATO-Mänover unter deutscher Führung „Defender 23“ gebeten. Heraus kam ein Beitrag über die deutsche Friedensbewegung und ihren Niedergang. Der Artikel auf russisch ist hier.
Defender 2023 ist die größte Militärübung seit Ende des 2. Weltkriegs. In der Zeit vom 12. bis zum 23. Juni trainieren bis zu 10.000 Militärangehörige aus 25 Ländern die Verlegung von Luftstreitkräften nach Osten. Bis zu 230 Flugzeuge werden an der Übung beteiligt sein, 100 davon kommen aus den USA, teilt die Bundeswehr stolz auf ihrer Website mit. Trainiert wird die transatlantische Verteidigungsfähigkeit, erfährt man dort.
Das “Netzwerk Friedenskooperative” hat zu Demonstrationen gegen das Großmanöver aufgerufen. “Frieden üben statt Krieg” ist das Motto einer Veranstaltung. Die Teilnehmerzahlen werden überschaubar bleiben. Die Friedensbewegung in Deutschland ist in keinem guten Zustand. Die Partei Die Grünen, ursprünglich aus der Friedensbewegung hervorgegangen, hat die Seiten gewechselt. Es gelang in den Jahren nach 1990, nach dem Ende des Kalten Krieges, die Friedensbewegung vollständig zu zersetzen und die Partei die Grünen zum Gegenteil ihrer selbst zu machen.
Die Grünen waren mal für Frieden
Ende der 80er Jahre demonstrierte die Friedensbewegung gemeinsam mit den Grünen gegen die Stationierung von US-amerikanischen Pershing 2 Mittelstreckenraketen in Deutschland. Viele Intellektuelle und Kulturschaffende wie beispielsweise der Schriftsteller Heinrich Böll zeigten sich beim Protest gegen die Stationierung an der Seite von Petra Kelly in Mutlangen, einem kleinen Ort im Südwesten Deutschlands und einem der zahlreichen Standort des US-Militärs in Westdeutschland. Petra Kelly war eine der Parteigründerinnen der Partei die Grünen. Der Protest war breit, auch andere wichtige deutsche Politiker wie der damalige SPD-Politiker und spätere Gründer der Partei Die Linke, Oskar Lafontaine, nahmen teil.
Es kamen Tausende, unter anderem auch ich, denn der Stützpunkt war in der Nähe meiner Schule. Es herrschte eine unbeschreibliche Atmosphäre. Man war in Frieden geeint, sah in der Sowjetunion nicht den Feind und wünschte sich Völkerverständigung. Von einem solchen gesellschaftlichen Klima ist Deutschland inzwischen unendlich weit entfernt und die Grünen noch mehr.
Die Sorge um den Frieden mobilisiert kaum noch, obwohl die Kriegsgefahr heute deutlich größer ist als damals. Man übt stattdessen in ganz großem Maßstab den Krieg.
Ein kleines Wiederaufflammen der Friedensbewegung gab es im Jahr 2014 anlässlich des ausbrechenden Bürgerkriegs im Osten der Ukraine. Lars Mährholz, ein bis dato völlig unbekannter junger Mann, stellte sich mit einem Lautsprecher in Berlin vors Brandenburger Tor und gab seiner Sorge Ausdruck. Er tat das jeden Montag und mit jedem Montag kamen mehr Teilnehmer. Auch da habe ich teilgenommen. Die Bewegung wuchs und blieb nicht auf Berlin beschränkt. In anderen Städten gründeten sich ebenfalls Mahnwachen für den Frieden.
Zersetzung der Friedensbewegung
Als die Friedensmahnwachen eine Reichweite hatten, dass sie sich nicht mehr ignorieren ließen, wurden sie durch die deutschen Medien und von der Politik als rechts, antisemitich und neonazistisch diffamiert. Die Bewegung zerfiel. Wer an den Mahnwachen teilgenommen hat, konnte sich über die Berichterstattung über sie nur wundern. Was in den Medien gezeigt wurde, hatte mit dem, was vor Ort passierte, nicht das Geringste zu tun.
Die Technik dabei war immer gleich: Man riss Zitate aus dem Zusammenhang, ließ Teilnehmer mit einer extremen oder besser noch einer absurden Position zu Wort kommen und unterstellte, die ganze Bewegung wäre extrem und absurd. Es war eine Diffamierungskampagne wie aus einem Lehrbuch für Zersetzung, die Protest für Frieden und eine Politik des Interessenausgleichs der Nationen verhindern wollte. Sie hat es auch geschafft.Ein Großteil der deutschen Medienkonsumenten nahm das, was ihm da von den deutschen Medien vorgesetzt wurde, übrigens kritiklos hin. Wer für Frieden ist, ist ein Nazi, lautete die Formel, die von vielen bereitwillig verinnerlicht wurde.
Das bekamen in diesem Jahr die Politikerin Sahra Wagenknecht von der Partei Die Linke und die Frauenrechtlerin und Publizistin Alice Schwarzer zu spüren, die sich mit einem Manifest für Frieden gegen immer weitere Waffenlieferungen für die Ukraine wandten. Auch sie wurden diffamiert, die Teilnehmer an der Demonstration, zu der sie aufgerufen hatten, diffamierten die deutschen Medien – man kennt das nun schon – als Nazis, Antisemiten und Wirrköpfe.
Wer für Frieden ist, ist ein Nazi
Die Friedensbewegung hat es schwer in Deutschland und das, obwohl die Kritik, die sie vorbringt, eher verhalten ist. Man sei wieder in der Mentalität des Kalten Krieges angekommen, ist ein zentrales Argument. Ich halte das in Bezug auf Deutschland und die EU für eine völlig verkürzte und vor allem verharmlosende Analyse.
Wer sich Absichten anschaut, die mit dem Sanktionsregime der EU gegen Russland verfolgt werden, wer die Forderungen der Grünen und der Hardliner in den anderen deutschen Parteien analysiert, der wird erkennen, das ist nicht die Mentalität des Kalten Krieges, die deutsche Politik vertritt. Deutsche Politik und die deutschen Medien sind in der Mentalität des Versailler Vertrags angekommen. Man möchte in einem sich an den Sieg über Russland anschließenden Frieden Russland vernichten, es wirtschaftlich zerstören, erniedrigen, aufteilen und ausbluten lassen.
Es ist Hass, der sich in Deutschland offen zeigt. Russland müsse verlieren lernen, meinte beispielsweise der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter. Man lässt sich von Gefühlen leiten, über die Konsequenzen denkt gerade wieder mal niemand nach. Mental ist Deutschland wieder in die Zeit vor Gründung der Vereinten Nationen zurückgefallen. Man sucht nicht nach Konfliktlösungen, sondern betreibt die Vernichtung des Gegners. Die Friedensbewegung hat in diesem Umfeld kaum eine Chance. Die Bundeswehr und große Militärmanöver dagegen schon.