Ich bin Mitglied einer kleinen Radioredaktion. Der Sender heißt „Kontrafunk – die Stimme der Vernunft“, der Bekanntheitsgrad wächst und die Gäste sind hochinteressant. Es gibt nur ein kleines Problem: „Linke“. Und ein weiteres: die „rechte Ecke“.
Schon kurz nach dem Start von Kontrafunk wurde der mediale Schmutzkübel in die Hand genommen. Einige „klassische“ Medien empfanden uns offenbar als potenzielle Gefahr und stellten den Sender dann auch gleich in die „rechte Ecke“, ein „AfD-Sender“ sei dieser Kontrafunk. In Anbetracht der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt kaum Beiträge existierten (einen Radiosender stampft man ja nicht in einer Nacht aus dem Boden), war diese Einordnung zwar ziemlich absurd und noch gar nicht belegbar, aber überraschen kann diese Praxis natürlich trotzdem nicht. Es ist ja üblich, alles, was nicht in das eigene Denkmuster passt oder dieses sogar in Frage stellen könnte, erst einmal maximal zu diffamieren. Der alte Spruch „Irgendwas bleibt halt immer hängen“ ist eben doch traurige Wahrheit.
Ein bunter Haufen
Tatsächlich ist die Redaktion des Kontrafunk ein bunter Haufen. Von „ur-links“ bis konservativ ist eigentlich alles dabei. Das spiegelt sich sowohl in den Redaktionssitzungen als auch in den Inhalten wider. Im Programm waren Oskar Lafontaine, Dirk Pohlmann, Beatrix von Storch, Dietrich Brüggemann, Max Otte und viele mehr.
Nun ist das aber auch der Sinn eines Radiosenders, eben möglichst viele Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Das bedeutet naturgemäß nicht – und es ist ein Trauerspiel, darauf hinweisen zu müssen! -, dass man sich mit jeder gesendeten Stimme identifiziert, die Ansichten teilt oder sich gar beeinflussen lässt. Im Gegenteil, auch innerhalb der Redaktion sind die Reaktionen auf die Interviews immer wieder sehr unterschiedlich. Diese Form der internen Reibung wird getragen durch eine Art der Wertschätzung und der Solidarität zueinander. Schließlich blicken wir quasi alle in die gleiche Richtung, denn wir wollen Radio machen, so gut, so hochwertig und so vielfältig wie möglich. Wer welches Detail beim Blick in diese gemeinsame Richtung ausmacht oder entdeckt, ist selbstverständlich ganz unterschiedlich. Wir alle konstruieren die Wirklichkeit (und damit meine ich: wir alle, also nicht nur unsere kleine Redaktion), und bei dieser Konstruktion entstehen unterschiedliche Ergebnisse. Das ist gut, das ist unvermeidbar, und es ist gewissermaßen ein Naturgesetz, das wusste nicht nur Paul Watzlawick, sondern jede Menge anderer kluger Köpfe waren und sind sich in diesem Punkt einig (auch wenn sie zu unterschiedlichen Schlüssen hinsichtlich der Konsequenzen kommen).
Miteinander reden
Die Suche nach Gesprächspartnern ist ein mühsames Geschäft. Das gilt für jeden Radiosender, für Kontrafunk aber ganz besonders. Und das hat im Wesentlichen zwei Gründe:
1. Potenzielle Gesprächspartner würden gern mit uns reden, fürchten aber negative Auswirkungen auf ihre berufliche oder private Situation.
2. Potenzielle Gesprächspartner reden nicht mit uns, weil wir „rechts“ seien.
Auf beide Aspekte möchte ich kurz eingehen.
Wir sprechen immer wieder mit sehr interessanten Menschen, die wir für Interviews gewinnen wollen. Darunter sind eher bekannte Persönlichkeiten, aber auch solche, die die Öffentlichkeit kaum wahrnimmt, die aber in Bereichen aktiv sind, die uns alle betreffen – die Pharmaindustrie, Politik, Rüstung, Polizei und Informationssicherheit etwa, und zahlreiche weitere Themen, die darüber hinausgehen und alle Bürger mehr oder weniger direkt betreffen. Oft kommt es am Ende dennoch nicht zu sendbaren Interviews. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass viele Gesprächspartner schlicht Angst haben. „Wenn bekannt wird, dass ich mit euch spreche, kann das mein Karriereende bedeuten“ ist nicht etwa der Fantasie des Autors dieses Textes entsprungen, es passiert, immer wieder und in vielen unterschiedlichen Bereichen.
Wir von Kontrafunk sind mit diesem Problem natürlich nicht allein. Unzählige Medienformate kämpfen mit den gleichen Schwierigkeiten, sie müssen auf wertvolle und nicht selten relevante Gespräche verzichten, weil die Gesprächspartner sich nicht trauen. Das ist explizit kein Vorwurf gegenüber den Leuten, die sich letztlich gegen ein öffentliches Interview mit uns entscheiden. Es ist ein Vorwurf an die Struktur, in der wir mittlerweile leben. Und natürlich an die Verantwortlichen, die dieses Prinzip der „Kontaktschuld“ entwickelt und zu einer dominierenden, gesellschaftlichen Destruktivität ausgebaut haben.
Es ist leider so, dass diese Form der Destruktivität inzwischen voll und ganz in der Gesellschaft angekommen ist und gemeinhin akzeptiert und kopiert wird. Ganz ohne Zweifel ist das eine Beschneidung der Meinungsfreiheit, die grundlegende Fragen hinsichtlich dessen aufkommen lässt, was noch immer Demokratie genannt wird. Reflexartig und ohne es zu hinterfragen, werden „Werte“ hochgehalten, die keine inhaltliche Unterfütterung haben, sondern nur noch abstrakte und oft der Demokratie widersprechende Ausrichtungen zeigen.
„Du kannst sagen, was du willst, musst dann aber mit den Konsequenzen leben.“
Dieser Satz wurde im Laufe der Corona-Episode immer wieder formuliert, und kaum jemand hat danach gefragt, was er eigentlich für Folgen hat. Denn Meinungsfreiheit bedeutet, sich innerhalb bestehender Gesetze frei äußern zu können. Solange damit keine justiziable Handlung verbunden ist, muss jede noch so unbequeme Meinung folgenlos bleiben. Doch das ist längst nicht mehr der Fall!
Man kann es drehen, man kann es wenden, man kann sich rechtfertigen mit lauwarmen Erklärungen, warum bestimmte Meinungen keine Existenzberechtigung haben, jeder Versuch scheitert und endet in einer Sackgasse. Eine Meinung ist eine Meinung, Punkt. Zumal man sich die Frage stellen muss, wo die „zugelassene“ Meinung beginnt oder endet. Die Grenzen, in denen man sich gedanklich (und öffentlich) bewegen darf, werden immer enger, nicht nur der Debattenraum, auch gedanklich Zulässiges wird stetig weiter eingeschränkt. Wenn die Innenministerin eines demokratischen Landes die Idee äußern kann, die Beweislast umzukehren, müsste unter normalen Umständen ein Aufschrei durchs Land gehen. Wenn eine Behörde autark entscheidet, wer im Staatsdienst ein Demokrat und wer ein Demokratiefeind ist, müssten sich alle Nackenhaare vor Schreck aufstellen. Wenn der vermeintliche „Demokratiefeind“ nur wieder zurück in seinen Job kann, wenn er den Beweis antritt, ein echter Demokrat zu sein, müssten Politik, Medien und Gesellschaft die Ideengeberin mit Geschrei vom Hof jagen, weil sie demokratische Grundsätze offensichtlich nicht verstanden hat oder bewusst aushebeln will.
Nichts davon geschieht. Zwar hatte die Innenministerin bisher keinen Erfolg mit ihrer verstörenden Idee, doch sie steht im Raum, und bei nächster sich bietender (oder inszenierter) Gelegenheit wird das Thema erneut auf den Tisch kommen. Statt diese ungeheuerliche demokratiefeindliche Ansicht also zu thematisieren, zu kritisieren und in letzter Konsequenz als der Demokratie unwürdig in der Tonne verschwinden zu lassen, hat sie sich einen Nischenplatz in Politik und Gesellschaft gesucht, den sie besetzen wird, bis ihre Zeit reif ist.
Nicht miteinander reden
Kommen wir zum zweiten oben genannten Punkt:
Potenzielle Gesprächspartner reden nicht mit uns, weil wir „rechts“ seien.
Als Redaktion bekommen wir viele Rückmeldungen, die meisten positiv. Doch auf einen Kritikpunkt sei hier konkret eingegangen. Immer wieder lesen wir, dass die Auswahl unserer Gäste einseitig sei. Bei uns kämen ja kaum „Linke“ zu Wort. Das spreche für die Rechtsausrichtung unseres Senders.
Den Eindruck kann man tatsächlich bekommen, doch dahinter steckt ein Problem, das wir nicht zu verantworten haben. Viele Linke (oder solche, die sich dieses Attribut auf die Fahne geschrieben haben), reagieren auf Interviewanfragen von uns so oder so ähnlich: „Ich habe euch mal recherchiert, und ihr seid ja ganz klar der rechten Ecke und der AfD zuzuordnen. Daher kommt ein Gespräch nicht in Frage.“ Oder auch: „Ihr bietet XY eine Plattform. Ich bin Demokrat und bin nicht bereit, mit einem Sender zu sprechen, der Meinung X oder Y eine Bühne bietet.“
Dieser Text trägt die Überschrift „Mit Linken rede ich nicht mehr.“ Es dürfte nun klar werden, dass diese Entscheidung nicht von mir oder uns ausgeht, sondern aus der entgegengesetzten Richtung kommt. Die Angst vor der Kontaktschuld ist im ersten Teil dieses Artikels beschrieben worden. Doch der Aspekt, einfach aufgrund einer oberflächlichen Recherche ein Gespräch mit uns zu meiden, ist eine andere Baustelle. Zudem, es wurde bereits erwähnt: Als thematisch breit aufgestellter Radiosender geht es nicht darum, wem auch immer eine „Plattform“ zu bieten, sondern eine möglichst große Vielfalt an Meinungen abzubilden.
Es sind immer wieder die, die von sich behaupten, gestandene Demokraten zu sein, die plötzlich zum Schluss kommen, dass sie ihre persönlichen Grenzen bei einem Interview mit Kontrafunk haben. An Einladungen unsererseits mangelt es nicht, im Gegenteil, wir ärgern uns selbst, dass Leute, deren Expertise wir schätzen, nicht bereit sind, sich mit uns an ein „gemeinsames Mikro“ zu setzen, um die Hörer daran teilhaben zu lassen.
Das ist ein gewichtiger Punkt. Denn es ist das eine, sich – aus welchen Gründen auch immer – gegen ein Gespräch mit uns zu entscheiden. Das andere ist die daraus resultierende unbewusste Abneigung gegenüber unseren Hörern. Die sind nicht weniger ein bunter Haufen wie wir, sie schätzen aus unterschiedlichen Motiven Kontrafunk, sie mögen die Gäste, die Moderatoren, die Nachrichten, die Sondersendungen, die kulturelle, kulinarische und politische Bandbreite, die wir bieten. Jedes verweigerte Gespräch mit uns trifft also nicht nur die Redaktion, die versucht, viele interessante Gäste zum Gespräch zu bewegen. Es zeigt indirekt auch unseren Hörern, dass sie offensichtlich einem „falschen Sender“ ihre Sympathie schenken.
Das Problem mit diesen „Linken“ ist, dass sie erwarten, man möge ihrer Haltung folgen, und wer sich für einen anderen Weg entscheidet, muss akzeptieren, dass damit eine Kontaktaufnahme ausgeschlossen ist. Das schließt Diskussionen und Gedanken über das (nicht) Gesagte aus, es engt also die Möglichkeit, einen Raum für Konsens oder Diskurs zu schaffen, auf eine Weise ein, die selbstverursacht ist durch die kategorische Ablehnung eines Mediums, das einem nicht gefällt. Wenn ich also sage „Mit Linken rede ich nicht mehr“, dann folgt das der Tatsache, dass ich in der falschen „Schublade“ bin, was zur Folge hat, dass ein Gespräch mit mir und meinen Kollegen als nicht gewollt eingeordnet wird.
Tagtägliche Überraschungen
Um nicht den Eindruck zu erwecken, ein vollständiges Bild zu zeichnen, sei abschließend darauf hingewiesen, dass wir oft überrascht werden – von Gesprächspartnern, mit deren Zusagen wir nicht unbedingt gerechnet hätten. Auch das gehört zu unserem Alltag, und auch das – ganz besonders das! – versüßt ihn uns regelmäßig und motiviert uns, mit dem, was wir tun, weiterzumachen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass wir Gäste begrüßen können, die uns eigentlich schon einen „Korb“ gegeben hatten, die aber nach ausführlicher Beschäftigung mit uns ihre Meinung schlicht geändert haben und auf uns zukommen mit Formulierungen wie: „Ich habe mir Kontrafunk nochmals angesehen. Und ich kann sagen, dass Ihr eine gute Arbeit macht, eine wichtige Arbeit. Ich stehe also für ein Interview gern zur Verfügung.“
Es wäre nicht richtig, zu sagen, dass diese Zusagen die schönsten sind, wir freuen uns über jeden Gast, mit dem wir sprechen und unsere Hörer erfreuen können. Dennoch ist es ein gutes Gefühl, wenn man weiß, dass aus Abneigung Zuneigung wird.
Wir sind sicher und selbstbewusst genug, um hier eine Tendenz zu erkennen. Unser Werkzeug ist die Überzeugung, etwas Richtiges und Wichtiges zu machen, gerade in bewegten Zeiten wie diesen. Wir arbeiten professionell – sowohl redaktionell als auch technisch – und werden nicht müde, unsere Botschaft zu transportieren. Und diese lautet: Um die Demokratie zu erhalten oder wiederherzustellen, wo sie bereits beschädigt ist, müssen wir miteinander reden, zueinander finden und die Richtung suchen, in die wir zusammen blicken können.
Über Details lässt sich dann immer noch vortrefflich und mit großem Enthusiasmus streiten.