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Nie wieder schlechte Musik – schade!

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Man sollte sich nicht über Dinge äußern, die man nicht kennt. Man sollte keine Kritik über Bücher schreiben, die man nicht gelesen hat, man sollte über Musik keine Rezension schreiben, die man nicht gehört hat. An diesen Grundsatz halte ich mich, mache aber heute eine Ausnahme. Ich schreibe über den Eurovision Song Contest 2022, obwohl ich ihn nicht gesehen habe.

Eigentlich ist es eine seit Jahren wiederkehrende Gewohnheit. Ich finde mich mit meist gleichgeschlechtlich liebenden Freunden vor irgendeiner Form von Glotze ein und wir wohnen dem Event gemeinsam bei. Es gibt zu Essen und vor allem zu Trinken und irgendwann sind alle blau. Dann ist der ESC auch halbwegs erträglich. Die Beiträge werden kommentiert, es wird diskutiert, viel gelacht. In diesem Setting habe ich mir den ESC schon an vielen unterschiedlichen Orten Europas zu Gemüte geführt. In Spanien auf den Kanaren, in Großbritannien in London, in Russland in Sankt Petersburg und in Moskau, aber natürlich auch in Deutschland. Ich bin selbst nämlich Europäer.

Über die musikalische Qualität des Dargebrachten muss man nicht wirklich viele Worte verlieren. Es ist ein Schlagerwettbewerb. Es geht um die Produktion von Ohrwürmern, von Varianten des ewig Gleichen, von musikalischen Gefälligkeiten. Manchmal wird es laut und schrill, aber auch das geschieht immer mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erheischen. Es geht niemals um musikalische Innovation. Wer das von einem Schlagerwettbewerb erwartet, hat von Schlager keine Ahnung. Aus diesem Grund finde ich die häufig vorgebrachte Kritik, die Musik beim ESC sei scheiße, völlig deplatziert. Natürlich ist sie das.

Natürlich ist die Musik scheiße

Dennoch gefällt mir die ursprüngliche Idee. Durch einen Wettbewerb um völlige Seichtheit setzen sich ehemals verfeindete Länder mit ihren Nachbarn auseinander, bekommen einen sicherlich völlig oberflächlichen aber bewusst positiven Einblick in das Land und die Kultur. Stereotype werden umgedreht. Wir diskriminieren uns jetzt gegenseitig alle positiv und tragen so zum Frieden und zur Einheit in Europa bei – das mag der ursprüngliche Gedanke gewesen sein. Kitsch als Heilmittel. Aus gutem Grund mussten die Beiträge in den Anfangsjahren immer in der jeweiligen Landessprache sein. Damit hatte man den Klang des vormaligen Erzfeindes in seiner Menschlichkeit vernommen. Ging ein Beitrag schief, hieß es oft, dass sich die Sprache nicht zur Musik eigne. Bis dann irgendwann gewonnen wurde. Selbst die deutsche Sprache schaffte es 1982, den Westeuropäern lieblich und freundlich zu klingen. Von diesem ursprünglichen Gedanken ist inzwischen allerdings nichts mehr übrig.

Der Grand Prix war zudem immer ein schwules Ereignis. Er wurde später zum LGBT-Event. Der Weg vom schwulen Event zur queeren Propagandaveranstaltung war eine Fehlentwicklung, ein Abstieg. Dieser Wandel erfolgte zeitgleich mit der NATO-ähnlichen Ausdehnung des ESC in Richtung Osten. Inzwischen ist der Eurovision Song Contest zu einem westlich-queeren Angriffsbündnis gegen Russland verkommen

Kitsch eint

Zunächst ist es richtig, Der Kitsch zieht Menschen wie mich an, ich will das nicht verhehlen. Überdurchschnittlich viele Schwule lieben Kitsch. Auch ich finde Kitsch toll. Ich mag Klischees und ich mag, wenn es um große Gefühle geht; um die ganz große Liebe, die ganz große Sehnsucht und die ganz große Verzweiflung. Ich bin da recht typisch für meine Zunft. Ich weiß auch, dass all diese ganz großen Gefühle nicht real sind, aber es ist irgendwie schön. Der Eurovision Song Contest hat genau dies bedient. Er war dabei immer züchtig. Jeder wusste, welche Zielgruppe besonders angesprochen wurde, aber man benannte das nicht. Noch 2003 musste sich die russische Girl-Band t.A.T.u. für lesbische Spiele auf der ESC-Bühne maßregeln lassen. Was die Russen hier so freizügig darstellten – das ging einfach nicht. Der Eurovision Song Contest war schließlich ein seriöser Wettbewerb.

2013 wurde in Russland das Anti-Gay-Propaganda-Gesetz verabschiedet. Im gleichen Jahr wurde der ESC divers, offen LGBT-freundlich und politisch. Die Beiträge Russlands wurden künftig regelmäßig ausgebuht. Ganz vorn immer mit dabei beim Diskriminieren war die schwule deutsche ESC-Fangemeinde, die zwar von den tatsächlichen Verhältnissen in Russland keine Ahnung hatte, in ihrem medial gezüchteten Hass auf alles Russische aber meinte, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Es stellte sich bei mir in der Folge immer schmerzhaftes Fremdschämen ein, wenn sich irgendwelche deutschen Deppen in aller Arroganz und Überheblichkeit bei einem Wettbewerb, welcher der Verständigung und dem Zusammenwachsen dienen sollten, zum Instrument der Teilung und des Hasses machen ließen.

Der ESC wird zu einem westlich-queeren Angriffsbündnis gegen Russland

Dann kam auch schon die Ukraine-Krise, der Maidan. Die ukrainische Sängerin Jamala gewann 2016 mit einem durchweg politischen Lied, in dem es um die Deportation von Krim-Tataren im Jahr 1944 geht. Der Damm war damit endgültig gebrochen. Der Eurovision Song Contest war zu einer westeuropäischen Politveranstaltung geworden, die mehr das Trennende als das Einende betonte. Und während die deutschen ESC-Fans, wenn es um die heimische AfD geht, in Wut und Rage geraten, weil sie die Mitglieder und Wähler für Nazis halten, drückten sie bei Jamala beide Augen zu. Die trat gern bei rechtsnationalen Konzerten auf und machte auch aus ihrer rechten Haltung keinen Hehl. Aber wenn es gegen Russland geht, dann ist die deutsche LGBT-Gemeinde gern vollumfänglich solidarisch. Für die gute Sache und so.

Im darauffolgenden Jahr fand der ESC dann unter dem Motto “Celebrate Diversity” in Kiew statt. Im Vorfeld wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass man das Motto nicht allzu wörtlich nehmen sollte, weil gleichgeschlechtliches Rumgemache in der Ukraine gefährlich werden könnte. Außerdem wurde ganz offiziell geraten, politische Themen zu meiden. Man war schließlich in einem faschistischen Land zu Gast.

Wie gesagt, ich habe den ESC in diesem Jahr nicht verfolgt. Russland war wieder einmal ausgesperrt worden. Dem Land war die Teilnahme versagt worden – aus politischen Gründen. Wenn Israel Gaza bombardiert, hat das noch nie einen Ausschluss nach sich gezogen. Bei Russland ist das selbstverständlich was ganz anderes. Schon im Vorfeld war klar, die Ukraine würde gewinnen. Es ginge um ein Zeichen der Solidarität, wurde den Fans mitgeteilt. Ein Wettbewerb, bei dem der Sieger schon vorher feststeht, ist übrigens keiner. Und obwohl ich die Übertragung nicht gesehen habe, ist die Information trotzdem zu mir durchgedrungen: Anscheinend hat man offene Nazis zum Sieger gekürt, die beim Abgang von der Bühne die Hand zum Hitlergruß erhoben und mit politischen Botschaften um sich geworfen haben. Für den einst unpolitischen Schlagerwettbewerb ist das inzwischen okay.

Die NATO-Außengrenzen trennen guten von schlechtem Schlager

Der ESC wurde zu seinem eigenen Gegenteil. Aus der Idee, die Menschen Europas unter Auslassung von Politik in Frieden und besoffen gemacht mit Schlager-Harmonien zu einen, wurde eine antirussische Agitationsveranstaltung, die Europa wieder teilt. Die NATO-Außengrenze zusammen mit jenen Staaten die um Aufnahme begehren, ist dabei weitgehend identisch mit der Trennungslinie von gutem und schlechtem Schlager. Schade. So naiv und einfach die Idee ursprünglich war, so schön war sie. So schön, dass ich dafür jedes Jahr einen Abend vor der Glotze zugebracht habe, obwohl die dargebotene Musik nichts besonderes ist. Ich werde es trotz entsprechender Veranlagung nie wieder tun.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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