8.8 C
Hamburg

„Idealerweise …“: Die Klimalüge des Verständnisses

Published:

Die Leute von „Fridays for Future“ haben nach wie vor bei der Politik einen Stein im Brett. Sie dürfen freitags die Schule schwänzen, kundtun, dass sie von nun an noch radikaler werden und Slogans wie „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten“ in die weite Welt hinauspusten. Leider fällt ihnen nicht auf, dass sie von vorn bis hinten betrogen werden.

Zunächst einmal ist es bemerkenswert, dass dieser Spruch über die Sozialdemokraten überhaupt eine Debatte wert ist. Nazi-Jargon sei das, mäkeln Sozialdemokraten und andere woke Altparteien-Mitglieder. Nun ja, der Spruch ist schon viel älter, aber auch viel jünger, denn er gehört inzwischen zur politischen Gegenwart und leider eben auch Realität. Denn einmal mehr wird einem, wenn man die Koalitionsverhandlungen verfolgt, bewusst, dass es auf die Frage, wer uns verraten hat, nun einmal eine Antwort gibt, um die man kaum herumkommt: Es waren (nicht nur, aber vor allem) die Sozialdemokraten.

Sei’s drum, so ist das woke Zeitalter. Kommen wir also zu „Fridays for Future“, im Folgenden FFF.

Ein anderes Szenario

Stellen wir uns folgende Situation vor: FFF ist schon früh in ihrer Gründungsphase anders abgebogen. Und zwar in Richtung der gesetzlichen Rente. Nehmen wir also an, die Kids hätten sich nicht Sorgen ums Klima, sondern um die Rente gemacht. Immerhin ja eine Zeit, die man nur ungern in Armut verbringen möchte. Doch genau darauf gehen unsere Politiker bewusst und sehenden Auges für eine Vielzahl von Rentnern zu. Man muss kein Magier sein, um zu wissen, dass sinkende Löhne und stagnierende oder zurückgehende Einzahlungen in die Rentenkasse ganz automatisch zur Altersarmut führen. Aufstockungen oder Hinzuverdienstmöglichkeiten ändern daran nichts, im Gegenteil!

FFF hätte also für die Rente begonnen, freitags der Schule fernzubleiben. Immer wieder und immer lauter hätten sie mit Plakaten und fantasievollen Aktionen darauf aufmerksam gemacht, dass ein gutes Auskommen im Alter ein Menschenrecht ist, das über allem anderen steht. Es hätte nicht lange gedauert, bis der erste Gegenwind gekommen wäre.

So könne man das ja nun auch nicht sehen, die Rente sei wichtig, aber andere Dinge eben auch. Man könne nicht die gesamte Politik nur darauf ausrichten, den Alten der Gesellschaft ein auskömmliches Leben zu garantieren. Wir hätten schließlich auch noch andere Probleme. Also, liebe Kinder, gebt fein Acht, und zwar dort, wo Ihr hingehört: in der Schule.

So oder so ähnlich wäre es wohl gelaufen. Ist es aber nicht, denn FFF geht fürs Klima auf die Straße, nicht für die Rente.

Wo aber genau liegt der Unterschied?

Je abstrakter das Thema, desto besser das (politische) Klima

Einen Monat nach der Bundestagswahl war „Campact“ enttäuscht.

Hatte die Organisation vor dem kollektiven Malen von kleinen Kreuzen noch laut für eine „Klimawahl“ skandiert und allen, die es wissen oder nicht wissen wollten, von der lebensrettenden Bundestagswahl erzählt, die den Klimaschutz unter Artenschutz stellt und somit eine Jahrhundertwahl sei, kehrte kurze Zeit später Ernüchterung ein. „Campact“ schrieb:

Vage Absichtserklärungen, klaffende Leerstellen

Dann folgen ein paar konkrete Punkte:

Das war es dann jedoch. Eindeutiger und klarer wird das Papier beim Klimaschutz leider nicht. Der Rest: vage Absichtserklärungen, klaffende Leerstellen – und ein krasser Rückschritt. Ziemlich schwammig etwa ist der Kohleausstieg. „Idealerweise” soll der auf 2030 vorgezogen werden. Eine klare Festlegung ist das nicht. Bei den Verbrenner-Autos geht es weiter: Statt ein endgültiges Aus vorzugeben, will die Ampel auf Vorgaben aus Europa warten und stiehlt sich so aus der Verantwortung.

Hoppla, halten sich etwa die Parteien nicht an die Versprechen, die sie vor der Wahl vollmundig abgegeben haben? Wer hätte denn damit rechnen können? „Campact“ offensichtlich nicht, denn die Überraschung ihrer Stellungnahme klingt echt, wenn auch naiv. Oder größenwahnsinnig.

Unabhängig davon, wie man etwa zur CO2-Bepreisung oder anderen Maßnahmen steht – das kleine Wörtchen „idealerweise“ kommt oft vor bei den Koalitionsverhandlungen. In einem Bereich jedoch nicht.

Idealerweise … nicht

Schon in den Sondierungen haben sich SPD, Grüne und FDP darauf geeinigt, die Rente weiter auf die kapitalgedeckte Ebene zu stellen. Das ist nicht ideal, und es soll auch nicht idealerweise erfolgen, sondern ist gesetzt. Immerhin ist der Passus mit der Rentenumstellung mit „Wir werden …“ sehr konkret.

Um diese Zusage generationengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Milliarden Euro zuführen. Wir werden der Deutschen Rentenversicherung auch ermöglichen, ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen.

Bei der gesetzlichen Rente steigen die Sondierer dann aber schnell auf „wollen“ um und lassen das „werden“ kurzerhand weg:

Die umlagefinanzierte Rente wollen wir durch die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie die erwerbsbezogene und qualifizierte Einwanderung stärken.

Anders ausgedrückt: Das Thema der kapitalgedeckten Rente ist durch, die Frage ist nur noch, wie es gestaltet wird, und dabei werden BlackRock & Co. sicher feine Ideen beisteuern können.

Leider interessiert das nur wenige von FFF. Für sie steht das Klima über allen anderen Themen, und es war Luisa Neubauer, die bei Lanz zu Kevin Kühnert sinngemäß sagte, er könne sich gern für Gerechtigkeit einsetzen, sie würde sich gern Gedanken um ihre Rente machen, habe die Zeit aber nicht. Zudem gibt es Wichtigeres.

Neubauer im Wortlaut:

Wenn ich 2070 Rente bekomme … ich würde mir wirklich gerne Sorgen um meine Rente in 2070 machen, aber wie gerade die ökologischen Pläne sind, fliegt uns da sonst was um die Ohren und wir werden da ganz andere Probleme haben …

Und weiter:

Ja, macht soziale Politik, macht es so richtig gerecht, aber auch das kann nicht ausgespielt werden gegen den Klimaschutz, sondern es muss immer die Grundvoraussetzung sein. Denn wir wissen, die Klimakrise trifft diejenigen am meisten, die am wenigsten haben.

Und damit sind wir bei dem Betrug, dem FFF ausgesetzt ist (ganz abgesehen davon, dass Neubauer eindeutig nicht befürchtet, eine Rente in Armut verbringen zu müssen).

Für die Politik könnte es nämlich kaum ein besseres Thema geben. Sie hat viel, viel Zeit, um warme Worte auszupacken, hehre Ziele zu formulieren und stets darauf hinzuweisen, dass es ein weiter Weg ist, der „idealerweise“ so beschritten werden kann, wie sich das FFF und natürlich die ganze Menschheit vorstellen.

Nur: Es wird nicht passieren. Warum auch? Wie viele Wahlversprechen wurden in den letzten 30 Jahren nach der Wahl realisiert? Es werden Wetten angenommen, dass es nicht mehr als eine Handvoll waren. Und die wirklich großen Themen – etwa die Frage nach der sozialen Schieflage – wurde ausnahmslos überhaupt nicht ernsthaft angegangen. Ein paar Taler Kindergeld oder andere kleine Wohltaten zählen nicht mit, ebenso wenig eine mickrige Erhöhung des Mindestlohns, denn es geht hier um das große Ganze, wie auch beim Klima.

In der FFF-Szene macht sich inzwischen Ernüchterung breit. Sie fühlt sich verraten und ruft zu mehr Radikalität auf. Was politisch und medial nicht mit Wertschätzung bedacht wird, denn es ist eine Sache, freitags auf die Straße zu gehen und für die gute Sache zu demonstrieren. Eine andere ist es, wenn dabei eine gewisse Radikalität mit dabei ist. Das haben wir nicht so gern, sollen die jungen Leute doch bitte friedlich bleiben. Und vor allem: geduldig.
Scheinbar – und das ist ausgesprochen schade – gibt es bei FFF niemanden, der schon früh darauf aufmerksam gemacht hat, dass Vorsicht geboten ist, wenn die Politik scharf kritisiert wird und darauf mit Anerkennung und Lob reagiert. Es ist ja nun einmal so: Wenn du von denen Unterstützung bekommst, die für das, was du kritisierst, verantwortlich sind, sollten deine Alarmglocken schellen.

Auf die lange Bank geschoben

Wie schon gesagt: Die Priorität auf den Klimaschutz zu legen, ist für die herrschende Politik wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag. Sie kann zig Jahre argumentieren, der Idee der Menschheitsrettung eifrig zustimmen und dabei tun, was ihr am liebsten ist: nichts.

Mehr noch, da FFF in die Falle getappt ist, können so profane Dinge wie soziale Fragen ohne Not in den Hintergrund gerückt werden (Neubauer zum Beispiel interessieren sie eh nicht sonderlich).
Und eine CO2-Bepreisung, die in erster Linie die trifft, die sie sich ohnehin nicht leisten können, mag für FFF wie eine gute Maßnahme wirken. Solange aber die größten Dreckschleudern nicht wirklich schmerzhaft mithelfen müssen – und das sind eben nicht die Leute, die bei Penny einkaufen müssen und ein altes Auto fahren -, sind alle glücklich, die sich mit prallen Bankkonten ausgestattet einen schlanken Fuß machen können … alle, bis auf die Leute, die die politischen Ideen auf ihren schwachen Schultern tragen müssen.

Ganz ehrlich: Wäre ich ein Regierungspolitiker, ich würde FFF mit offenen Armen empfangen und ihnen meine volle Unterstützung zusagen.

Und ich würde mit Begeisterung durchs Land fahren und Reden halten, die sich darum drehen, das Klima zu schützen, die Menschheit zu retten, die Jugend glücklich zu machen und das alles in spätestens 20, 30 oder 40 Jahren realisiert zu haben.

Idealerweise.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

Related articles

spot_img

Recent articles

spot_img