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Hamburg

Kuchen essen!

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Die Sozialdemokratie ist zurück: Und flugs übt sie sich schon wieder in Klassismus und Dekadenz. Nudeln werden teurer? Dann bestellen Sie doch einfach Sushi bei Lieferando. Die Heizkosten setzen Ihnen zu? Ein warmer Pullover wirkt Wunder! Den Satz, dass die, denen das Brot zu teuer ist, halt Kuchen essen sollten, hat bekanntlich nicht Marie Antoinette gesagt: Es war Katarina Barley.

Denn diese Katarina Barley war neulich zu Besuch aus Europa bei uns in Deutschland, besser gesagt: Zu Besuch im deutschen Fernsehen. Nämlich bei Frank Plasberg, »Hart aber fair« heißt seine Quasselbude im Ersten. Thema waren die hohen, nun ja die steigenden Verbraucherpreise. So eine Runde braucht freilich die Stimme des Volkes, einen Vertreter oder eine Vertreterin einer Arbeiterpartei, die weiß, wie es Menschen wie dir und mir geht. Frau Barley, die wegen ihrer politischen Brillanz und regen Bürgernähe ein Mandat im Europäischen Parlament übertragen bekam – Zynismus? Ach wo! -, schien da die gebotene Wahl zu sein. Und so sprach sie dort vor und erteilte den Zuschauern einige findige Sparfuchsideen.

Wer zum Beispiel seine Heizölrechnung künftig nicht bezahlen könne, so fachsimpelte sie, der sollte sich halt – mit etwas staatlicher Subvention natürlich – einfach neue Fenster einsetzen lassen. Überhaupt sei immer jene Kilowattstunde die billigste, die man gar erst nicht verbrauche. Als es dann auch noch um Lebensmittel ging, die nun teurer würden, muss ihr irgendwer zugeflüstert haben, dass es keine gute Idee sei, jetzt nochmal Kuchen oder Sushi von Lieferando zu empfehlen. Hätte sie es jedoch getan: Gewundert hätte das auch keinen mehr.

Der hässliche Sozi

Das ist bei den Sozialdemokraten ja nicht ein ganz unbeliebter Sport. Die Stilfigur des hässlichen Sozi hatte seine beste Zeit damals, als die Agenda 2010 mit Zähnen und Klauen verteidigt werden musste. Der Sozialdarwinist hatte damals Hochkonjunktur. Einen ganz besonders hässlichen Sozialdemokraten kennen wir heute fast nur noch als Mann, der mit ausländischen Mitbürgern fremdelte. Die Rede ist von Thilo Sarrazin. Was man heute aber fast vergessen hat: Er teilte auch gegen die Armen im Lande aus. Nur tat er das nicht per Rundumschlag, sondern er verbrämte das als Lebensberatung. So riet der den Hartz-IV-Empfängern Pullover statt Heizung an.

Und er erstellte außerdem einen Wochenspeiseplan, der sich streng am Regelsatz orientierte. Getränke kamen dabei gar nicht vor – aber Flüssigkeitsaufnahme wird ohnehin überbewertet. Der Mann war eben ganz besonders als Sozialdarwinist ersten Ranges engagiert. Er bekämpfte die Armut, indem er die Armen bekämpfte. Denn wenn es die nicht mehr gäbe, wäre ja auch die Armut abgeschafft.

Sein Berliner SPD-Kollege Buschkowsky verstieg sich auch immer wieder dazu, Hartz-IV-Empfänger als faul zu skizzieren. Er begründete das mit seiner Erfahrung als Bürgermeister von Neukölln. Ihm ging es um die begrenzten Mittel, die man zur Eindämmung von Armut zur Verfügung hatte. Auch er verwechselte die Gegner. Erkannte sie nicht in der Hochfinanz und der fehlenden Steuermoral deutscher Konzerne. Nein, die Armen seien quasi in Nehmerlaune – da sei es lobenswert, dass der Kollege Sarrazin mal ausgerechnet hat, wie gut es diesen Leuten tatsächlich geht, wenn sie sich in der eiskalten Wohnung einen Wollpulli überziehen. Aus dem fernen Hamburg klatschte zu jener Zeit der greise Adelssozi Klaus von Dohnanyi diesem lebensberatenden Vorstößen Beifall.

Damals litt diese Arbeiter- und Volkspartei schon an jener tragischen Krankheit, an der sie jetzt bei lebendigem Leibe dahinsiecht: Sie kennt überhaupt keine Arbeiter, kein Volk. Sie weiß nichts über Lebenswirklichkeiten und den Dschungel der Arbeitswelt. Sie guckt aus der Ferne zu, wie genau dort der Rollback des Feudalismus wütet. Im Zuge des pandemischen Notstandes hat man Arbeitnehmerrechte aufgeweicht, den Datenschutz gelockert und den Arbeitnehmer dem Zugriff seines Arbeitgebers ausgesetzt. Und am Ende sitzt eine Sozialdemokratin im TV und rät zu völlig weltfremden Vorgehensweisen.

Welche Laterne hättens denn gern?

Kaum hat diese Partei wieder Oberwasser, reaktiviert sie alten Reflexe und zeigt, wieviel Ahnung sie vom Leben der Menschen im Lande wirklich hat. Die eigene Bubble hat sie nie verlassen. Sie hat in den letzten Jahren neben der schwindenden Union, der immer ältlicher wirkenden Bundeskanzlerin und den Missständen, einer Bundesregierung, in der sie zwar Mitglied war, von der sie sich aber gleichsam distanzierte, einfach nur immer besser ausgesehen, lebenserprobter gewirkt, als das Pendant zu Merkel. In Wahrheit weiß die Sozialdemokratie jedoch nicht, wie es sich lebt, wenn man arbeitet – oder eben keine Arbeit mehr hat. Sie ahnt nichts von den Sorgen, Sehnsüchten und Stressoren, eines Normalo-Alltages. Sie simuliert nur eine Kümmererin zu sein – kümmert sich aber nicht, sondern verkümmert als Ansprechpartner für die kleinen Leute.

Und dann wirken diese Simulanten natürlich schnell mal wie ganz besonders schlaue Oberlehrer, die den ganz normalen Menschen im Lande einfach mal aufzeigen, wie einfach man das Leben und seine Fährnisse meistern und umschiffen kann. Ein Pullover hier, ein neues Fenster da: Mensch, reißt euch doch zusammen, Leute – das Leben kann doch so einfach sein!

Immer wenn jemand aus dem politischen Betrieb so auftritt, kommt mir ein mittlerweile alter Text von Friedrich Küppersbusch in den Sinn. Eigentlich nur eine Passage, die ich mir ob ihrer bildlichen Leuchtkraft über Jahre gemerkt habe. Damals zog er über Guido Westerwelle her, der Leistungsempfänger maßregelte und ihnen »spätrömische Dekadenz« unterstellte. Küppersbusch kommentierte das seinerzeit so: »Parteiamtssalär, Diäten, Ministergehalt: Der Mann hat nie ernsthaft von etwas anderem als Staatsknete gelebt. Dass nun ausgerechnet er wirklich Bedürftige als überfressene Orgiasten schmäht – im vorrevolutionären Frankreich wäre das als der mannhafte Wunsch verstanden worden, sich immerhin die eigene Laterne auszusuchen.«

Einen so drastischen Satz muss man heute vermutlich zitieren, will man von den Netzwerken, wo Texte wie dieser geteilt werden sollen, nicht ausgeschlossen werden. Denn es sind eben genau diese Gesichter, die kein Wissen über das Leben von dir und mir haben, die uns dann, wenn wir wütend werden, damit drohen, drastischer gegen Hasskriminalität im Netz vorzugehen. So eine Vorgehensweise dient nur einer Sache: Sie soll die Abschottung von uns Normalos weiter gewährleisten.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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