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Schroeder glaubt zu meinen – oder: Was ist eigentlich Meinungsfreiheit?

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Ein Gastbeitrag von Hella Schwartz.

Der Kabarettist Florian Schroeder überraschte vor einigen Tagen durch einen satirischen Beitrag im NDR. Die Überraschung kam zustande, weil Schroeder dem Mainstream zugerechnet wird und plötzlich auf der Seite der Anti-Coronisten zu stehen schien. Im Beitrag schafft er es, deren Ansichten sehr gut auf den Punkt zu bringen und zu bestätigen, gleichzeitig aber auch manches zu übertreiben und lächerlich zu machen. Am Ende war nicht klar, ob er sich für eine Seite entschieden hatte, aber er eröffnete viele Denkanstöße, die ein Zusammenkommen von Coronagläubigen und den Ketzern unserer Zeit (satirische Überspitzung) hätten ermöglichen können. Folgerichtig und mutig erschien dann auch der Auftritt Schroeders bei der Stuttgarter Querdenken-Demonstration am letzten Wochenende. Der 40jährige dozierte mit Hilfe des Philosophen Hegel über die Meinungsfreiheit, überbrachte letztlich aber vor allem die Kunde, dass er an Corona als gefährliche Krankheit glaubt. Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit gehören in Deutschland zur Idee einer offenen Gesellschaft, soll er also glauben, was er will. Am Ende jedoch predigte er Masken und Abstand und vor allem das Denken, das er, in dem er es in diese Dreifaltigkeit packte, den Maskenverweigeren quasi absprach.

Was ist eigentlich diese Meinungsfreiheit von der alle reden? Was ist Meinung? Zunächst: Es gibt keine Volks- Meinung. Es gibt deine Meinung, meine Meinung, eine Mehrheit-, eine Minderheitsmeinung, eine gewünschte Meinung – im Grunde gibt es so viele Meinungen, wie es Menschen gibt. Meinung ist die Sichtweise auf die Realität, die beeinflusst ist von Sozialisierung, Umfeld und vor allem medialen Inhalten, zu denen auch historisches Wissen zählt, da es medial vermittelt wird. Meinung ist also, was ich denke, wie etwas ist oder sein sollte. Die Basis meines Denkens wiederum ist Wissen, sind Informationen und persönliche Erfahrungen, die allesamt immer zur Debatte stehen, da ich nie weiß, ob meine Meinung tatsächlich dem entspricht, was ist. Oder noch kürzer: Wenn eine Blume blau ist, mir meine Mutter aber beigebracht hat, dass sie in hellstem Rot erstrahlt, dann kann das meine Meinung sein, sie stimmt aber nicht mit der Wahrheit überein. Sie ist nicht falsch, sie passt nur nicht zu Realität. So kann also jeder seine Meinung haben, sie auch äußern und für richtig halten. Das ist sie aber nur, wenn sie sich den Fakten der Realität stellen kann.

Die Dinge existieren auch ohne unsere Meinung, sie sind der Bezugspunkt, sie sind Realität. Am nächsten kommt man dieser durch den Austausch von Meinungen. Die Überprüfung subjektiver Sichtweisen auf Schlüssigkeit in der Diskussion mit anderen Sichtweisen führt uns bestenfalls zu einer Essenz, die nah an dem ist, was wirklich ist. Ist die Meinung unschlüssig, dann stimmen die Prämissen nicht und müssen überprüft werden. Meinungsbildung ist ein arbeitsamer Prozess – wenn man an Wahrheit interessiert ist. Meinungsabbildung hingegen ist nicht mehr, als andere Meinung wiederzukäuen und jemandem fertig verdaut vor die Stirn zu kotzen. Die Stirn, hinter der es seit Monaten arbeitet, wird erbost sein, wenn dieses Fast-Food-Meinungsprodukt auch noch den Anspruch erhebt, besser zu sein, als das hochgezogene Pflänzchen Widerstand, das aus einem Samen Zweifel inzwischen im eigenen Kopf gewachsen ist.

Die Abkürzmeinung agiert, da sie nicht durchdacht und rational erarbeitet wurde, mit Emotionen wie Angst und Schuld. Vor allem aber nutzt sie anstelle von Argumenten die Lächerlichmachung des Anderen durch Lacher auf der eigenen Seite. Die Bloßstellung des Andersdenkenden soll statt Logik das eigene Weltbild bestätigen. Applaus, Applaus. So las man dann auch in der Folge zu Schroeders Auftritt herzliche Glückwünsche dazu, es den Covidioten mal so richtig gezeigt zu haben.

Nun denn, jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Doch mit dieser vermeintlich weltoffenen Idee hätten vielleicht auch Benimmregeln implementiert werden sollen. Denn erst der inhaltliche Austausch führt zu konstruktiver Debatte: Ausreden lassen, zuhören, argumentieren, sachlich bleiben, offen sein, Prämissen abklären, um sicher zu stellen, dass man auf dem selben Wissenstand ist. Ausbuhen und Wegpfeifen sind keine Meinungsäußerungen, sondern dienen der Unterbrechung des Redenden. Es sind legitime Mittel in einer asymmetrischen Situation, in der man vor einer Bühne steht, auf der einer in ein Mikrofon redet. Wer Meinungsfreiheit fordert, muss sich jemanden auf einer Bühne anhören, der etwas über seinen Glauben erzählt. Wer jedoch meint, seinen Glauben als Grundlage gesellschaftlicher Ordnung etablieren zu müssen, die vielen unlogisch erscheint, der hat sich im Jahrhundert geirrt.

Gastautor
Gastautorhttps://staging.neulandrebellen.de/
Der Inhalt dieser Veröffentlichung spiegelt nicht unbedingt die Meinung der neulandrebellen wider. Die Redaktion bedankt sich beim Gastautor für das Überlassen des Textes.

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