Die Zwangseinweisung der Rechtsanwältin Beate Bahner schlägt hohe Wellen. Und einmal mehr muss man sich fragen, woher die ganzen Informationen über Bahner kommen. Schließlich waren die Pressemeldungen übersichtlich und nicht sehr aussagekräftig.
In der „Welt“ ist nachzulesen:
Die Anwältin aus Heidelberg hält die Corona-Regeln für überzogen und plädiert offensiv für deren Aufhebung. Ihrer Meinung nach sind durch diese Maßnahmen „der Erhalt des Rechtsstaats, die Bewahrung der Grund- und Menschenrechte und der Erhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ gefährdet. Sie argumentiert, dass die Infektion für 95 Prozent der Bevölkerung harmlos verlaufe. „Ich bin wirklich entsetzt und will mir nicht vorwerfen müssen, als Rechtsanwältin nicht gehandelt und den Rechtsstaat nicht mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt zu haben!“, schrieb sie in einem Statement.
Zudem erfahren wir, dass Bahner laut eines Polizeibeamten „einen verwirrten Eindruck gemacht“ habe. Wie es scheint, habe auch eine Gefahr bestanden, sich und/oder andere zu gefährden:
Die Frau habe sich gewehrt und körperliche Gewalt gegen Polizisten ausgeübt.
Zumindest theoretisch könnte eine Audiodatei mehr verraten. Diese soll ein Telefonat Bahners mit ihrer Schwester enthalten.
So viel zur Vorgeschichte.
Bahner, die Heldin?
So spärlich die Informationen auch sind, sie reichten aus, um einen bundesweiten (oder sagen wir: facebookweiten) Streit auszulösen.
Auf der einen Seite die, die in Bahner eine Heldin sehen, die – getrieben von den Mächten des neuen Faschismus – „ausgeschaltet“ werden sollte. Bahner habe sich eingesetzt für die Demokratie und die Menschenrechte, sie habe erkannt, dass im Schatten von Corona massive Menschenrechtsverletzungen stattfinden, die uns alle in eine Diktatur führen.
Für diese Seite ist Bahner nur der Anfang, und am Ende werden wir alle als Sklaven verkümmern und ein tristes Dasein führen.
Bahner, die Durchgeknallte?
Auf der anderen Seite finden wir die, die sofort erahnen, dass mit dieser Bahner irgendwas nicht stimmen kann. In der Audiodatei spricht sie immerhin von „dunklen Mächten“, die kann doch unmöglich alle Latten am Zaun haben.
Wahrscheinlich, so die Vertreter der kritischen Seite, hatte Bahner schon vorher massive Probleme, und der von ihr eingereichte Eilantrag auf Aufhebung der einschränkenden Maßnahmen habe auch noch Formfehler enthalten.
Und dann habe sie auch noch irgendwelche Killer vermutet, die sie verfolgten, also nein, wirklich, die tickt doch nicht richtig.
Und die Faktenlage?
Die ist mal wieder sehr dünn. Die Medienberichte ähneln sich (wenn sie nicht gleich den gleichen Wortlaut haben), und man kann aus ihnen tatsächlich herauslesen, was immer man will. Je nach schon vorher ausgeprägter Einstellung ist Bahner eben tatsächlich eine Heldin oder eine Verrückte.
Nur: Was fangen wir damit an? Wir spekulieren, bis der Arzt kommt (der vermutlich im Moment genügend andere Dinge im Kopf hat). Auf Facebook entstanden in den Kommentarspalten ellenlange Diskussionen darüber, wer Recht hat oder nicht. Das Ergebnis steht noch aus.
Was tun?
Im besten Falle: gar nichts. Zumindest zunächst einmal. Niemand von uns kennt Beate Bahner, weiß mehr über ihre Hintergründe, darüber, ob sie bereits eine längere Entwicklung durchgemacht hat, derer wir alle uns nicht bewusst sind.
Auf Wikipedia wurde auf die Schnelle eine Seite eingerichtet, die allerdings auch nicht mehr Informationen bietet als die anderer Medien. Wir erfahren allerdings, dass Bahner als Anwältin durchaus erfolgreich war.
Wir erfahren darüber hinaus, dass es Bahners Aufruf zu Demonstrationen war, der zu einem Ermittlungsverfahren geführt hat. Immerhin sind Versammlungen, wie Bahner sie sich vorgestellt hatte, in Zeiten einer Pandemie rechtswidrig.
Und damit kommen wir der Sache schon näher.
Was dürfen wir noch?
Uli Gellermann von der „Rationalgalerie“ hat kürzlich von einem „Spaziergang“ in Berlin berichtet. Unter seinem Artikel ist auch ein Video zu finden, in dem man sieht, dass ein abseits der Absperrung geführtes Interview von der Polizei aktiv gestört wurde.
Neben der Demonstrationsfreiheit ist also auch die Versammlungsfreiheit derzeit eingeschränkt. Und die Stimmung in der Bevölkerung läuft darauf hinaus, dass das auch gut so sei. Menschenansammlungen seien eine Provokation, wer daran teilnehme, gefährde andere und sei somit ein ganz übler Bursche. Nebenbei klettern die Umfragewerte der Bundesregierung in ungeahnte (und: unverdiente!) Höhen.
Und damit sind wir bei der Frage angekommen, was wir noch dürfen: Derzeit wenig, extrem wenig. Schlimmer noch ist es in Frankreich, wo man sich immer darauf einstellen muss, angehalten und kontrolliert (und gegebenenfalls auch sanktioniert) zu werden. Auch in Deutschland spitzt sich die Lage langsam zu. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass der Fall Beate Bahner die Runde macht und entsprechende Reaktionen erzeugt.
Die Gefahr, sie ist da
Es sollte unbestritten sein, dass die derzeitige Situation Politik und Wirtschaft anregt, Maßnahmen in die Wege zu leiten, die in der Bevölkerung unbeliebt sind. Und da wir uns in einer speziellen Situation befinden, können Einschränkungen der Freiheit der Menschen auf einem sicheren Fundament erfolgen. Die Deutschen sind schon seit Langem nicht sehr demonstrationsfreudig, aber selbst, wenn sie jetzt wollten, könnten sie nicht.
Diese Ausgangssituation schafft Freiraum für jede Menge Maßnahmen, die uns auch in vielen Jahren noch beschäftigen werden. Denn wenn Freiheiten erst einmal aufgelöst wurden, wird später in aller Regel nicht mehr darin herumgerührt.
Daher müssen wir mehr als wachsam sein und alles hinterfragen, was wir derzeit erleben. Womöglich müssen wir auch irgendwann die Demonstrationsfreiheit durch Demonstrationen durchsetzen, weil sie uns dauerhaft genommen werden soll.
Und Bahner?
Sie ist meiner Meinung nach im Moment die falsche Figur, um sich ein Urteil über das derzeitige Bild zu machen. Eben weil die Faktenlage zu dünn ist. Was sie getan oder nicht getan hat, um die Lage zu eskalieren, ob sie ein Opfer oder eine Selbstdarstellerin ist, das mag jeder für sich selbst entscheiden.
Aber die Problemstellung des womöglich radikalen Umbaus der Gesellschaft ist zu groß, um sich auf Hörensagen zu beziehen und daraus das eigene Urteil abzuleiten.
Womöglich wird der Fall Bahner einmal richtig wichtig, womöglich stellt er sich als die befürchtete Richtung heraus, in die unsere Gesellschaft derzeit geht, ohne dagegen etwas unternehmen zu können. Aber das Schicksal von Beate Bahner ist eines, in dem wir uns nicht sicher bewegen können, weil wir zu wenig wissen.
Wir wissen aber, dass die Einschränkungen, die wir erleben, ein gravierendes Maß angenommen haben. Darauf sollten wir unser Augenmerk richten und die für Beate Bahner kämpfen lassen, die sie kennen und die Lage einschätzen können, die mit ihr im direkten Kontakt stehen und alles tun, um ihr zu helfen, sei es juristisch oder psychologisch.
Ich persönlich jedenfalls kann mir da kein Urteil erlauben. Wer es besser weiß als ich, der möge es tun.