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Von Top-Ökonomen, Werbeanzeigen und privater Altersvorsorge: Wir werden alt aussehen

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… und sind wir nicht willig, so braucht es Gewalt. So könnte man die Idee beschreiben, die die CDU auf ihrem letzten Parteitag erarbeitet hat. Es geht um die Altersvorsorge, um die private, versteht sich. Die soll (langfristig) notfalls als verpflichtende Maßnahme durchgesetzt werden. Anders kapiert es das dumme Volk ja nicht.

Wir müssen das jetzt mal ganz realistisch sehen. Seit Jahren wählen wir immer wieder die, die sich um alles Mögliche kümmern, nur nicht um unsere Interessenten. Wir erleben seit Jahren Privatisierungen, müssen mit ansehen, wie uns Bildungs- und Gesundheitssystem um die Ohren fliegen, wir sehen staunend zu, wie durch Cum-Ex-Geschäfte und ähnliche Konstruktionen Gelder an uns vorbeigeschleust werden, die wir dringend bräuchten, wir lesen regelmäßig über Steuerbetrug, wundern uns über die Sorglosigkeit, mit der der „Diesel-Skandal“ im politischen und medialen Nebel verschwindet, können beobachten, wie die Rüstungsausgaben immer weiter in die Höhe schnellen, obwohl wir damit nicht einverstanden sind, lauschen andächtig Politikern, wenn sie die x-te Diskussion darüber führen, dass es weder eine Vermögens- noch eine Erbschaftssteuer geben darf, stehen offenen Mundes da, wenn es heißt, dass Abzocker des Wohnungsmarktes nicht enteignet werden dürfen, weil das ja Investoren abschrecken könnten und wir leben seit Schröder und seinen Gesellen mit einer privaten Altersvorsorge, die so wohlklingende Namen wie „Riester“ oder „Rürup“ tragen.

Von Top-Ökonomen und Werbeanzeigen

Im Focus lesen wir dann Artikel, in denen Bert Rürup als „Top-Ökonom“ den Segen der privaten Altersvorsorge predigt, und das auch noch ohne den dezenten Hinweis, dass es sich um eine Anzeige handelt, obwohl das Geschreibsel doch nichts anderes ist.

Im Fernsehen wird uns erzählt, was für ein cooler Typ Friedrich Merz (CDU) ist, der mit viel Sachverstand und guten Vernetzungen vieles erreichen könne. Tja, aber vieles für wen? Für BlackRock?

Im Radio verfolgen wir, dass Ursula von der Leyen eine gute EU-Präsidentin sei, obwohl sie doch eigentlich vor Gericht gehört. Gleiches gilt für Andreas Scheuer (CSU), die Milliarden von Steuergeldern einfach so hat verpuffen lassen, weil es um sein Lieblingsprojekt Maut ging.

Und wir sehen munter zu.

All das geschieht direkt vor unseren Augen, und wir stehen da, sind verwirrt, erschreckt, geschockt und … wählen alle vier Jahre erneut die Kandidaten, die uns diesen ganzen Müll eingebrockt haben. Zumindest bis vor Kurzen lief das so. Inzwischen verschwinden die etablierten Parteien zunehmend in der Bedeutungslosigkeit, und sie verdienen dieses Schicksal in der ganzen Härte.

Ach, ja, ganz sicher wird sich jemand an dem häufig verwendeten Wort „Wir“ stoßen. Ich höre es schon: „Ich hab die Merkel nicht gewählt.“ Ist ja richtig, geschenkt, aber in der Summe sind es eben doch „wir“, die die Mitverantwortung dafür tragen, was wir ertragen müssen.

Aber zurück zum Thema. Statt endlich links zu wählen, neigen nun große Wählergruppen dazu, die AfD zu favorisieren, eine Partei also, die inhaltlich ebenso neoliberal (vielleicht sogar noch schlimmer) ist als die Parteien, die damit bestraft werden sollen. Das ist nicht schlüssig, und das ist nicht gut, wenn man wirklich Besserung will.

Ohne Frage, die Linkspartei könnte in ihrer Außenwirkung besser sein (und das ist noch geschmeichelt). Aber da sie ja eh nur „der äußere Rand“ sei, könne man sie nicht wählen. Das ist wirklich billige Psychologie, aber wir fallen haufenweise drauf rein. Ausgerechnet mit dem anderen „äußeren Rand“, der AfD, haben aber immer weniger Wähler Probleme (was im Übrigen eine Gleichsetzung der Parteien, wie es ja gern gemacht wird, vollends ad absurdum führt, es liegen Welten zwischen AfD und Linkspartei).

Die verpflichtende Altersvorsorge wird kommen

Zurück zur Altersvorsorge: In den Medien tauchte der Vorschlag der CDU, die private Altersvorsorge mittel- bis langfristig verpflichtend einzuführen, kaum auf. Und auch die CDU thematisierte den Plan nach dem Parteitag nicht weiter öffentlich. Aber er liegt in der Schublade, und die Union wäre nicht die Union, wenn sie nicht früher oder später an die Umsetzung gehen würde.

Ich betrachte den Beschluss des CDU-Parteitages als Test. Irgendwann liegt das Thema wieder auf dem Tisch. Womöglich nochmals zaghaft. Und dann wird die Frage sein, wie die öffentlichen Reaktionen ausfallen. Wir erinnern uns an die Grundrente, die mal Respekt-Rente hieß, dieser Titel war aber einfach nicht tragbar, weil die Grundrente mit Respekt so viel zu tun hat wie wie Hubertus Heil mit einem Hochspringer. Letztlich ging sie durch, diese Grundrente, und verkauft wurde sie uns als großer Schritt, als Belege für die Lebensleistung von Menschen, die unterm Strich 80 Euro mehr in der Tasche haben sollen.
Aber: Es hat funktioniert. Die Grundrente ist schon wieder Schnee von gestern. Ebenso wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen „Sanktionen bei Hartz-IV“ zwar ein Urteil gesprochen hat, die Bundesregierung (in Gestalt von Hubertus Heil) aber Mittel und Wege gefunden hat, eben doch höher zu sanktionieren, als das Bundesverfassungsgericht es vorgesehen hatte.

Die verpflichtende private Altersvorsorge wird kommen, es sei denn, der Widerstand ist zu groß. Aber wir müssen erneut ganz realistisch sein: Großen Widerstand wird es voraussichtlich nicht geben. Auf den sozialen Medien wird gemurrt, vielleicht kriegt jemand einen Shitstorm zustande, an den Stammtischen wird geschimpft, bis ausreichend Promille den Ärger in ruhige Bahnen steuern. Viel mehr wird es aber wohl nicht geben, und somit können wir uns schon jetzt darauf einstellen, dass in einer nicht so fernen Zukunft die Verpflichtung bestehen wird, privat fürs Alter vorzusorgen.

Wenn nicht endlich anfangen, den Verantwortlichen für unsere Lage klar zu signalisieren, dass wir uns das alles nicht mehr gefallen lassen, wird die Altersvorsorge über Kurz oder Lang unser geringstes Problem sein. Spätestens wenn wir wieder weltweit an Kriegen beteiligt sind, wenn unsere Soldaten Menschen töten und/oder selbst sterben, spätestens dann werden wir feststellen, dass wir etwas verpasst haben, was dringend notwendig gewesen wäre. Und sei es nur, das Kreuz am Wahlsonntag nicht bei den Parteien zu machen, die uns ihre neoliberale Agenda Jahr für Jahr neu verkaufen.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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