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Die Evolution würfelt nicht

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Wenn man nochmal nullen, neu starten könnte: Würde die Welt anders aussehen? Wäre die tonangebende Spezies unter den Paarhufern zu finden oder wären es dann doch die Delphine, die die Geschicke lenkten? Und gäbe es dann keinen Kapitalismus?

Als Jugendlicher war ich ja ein richtiger Trekkie. Ich mochte die Idee des Formats, wonach die Menschheit irgendwann zusammenfindet und wir mit anderen Spezies »unendliche Weiten« erkunden. Nur eine Sache nervte mich an der Serie: Warum zum Henker mussten all die Außerirdischen, die man uns präsentierte, als Humanoiden gezeigt werden. Ganz ohne wissenschaftlichen Beweis, mehr vom Bauchgefühl her war ich mir sicher, dass Lebewesen von einem anderen Planeten auch anders aussehen konnten. Bei der Next Generation gab es dann auch eine Folge, in der erklärt wurde, warum alle Lebensformen so ähnlich aussehen: Irgendeine Urspezies hat das so angelegt. Originell war diese Erklärung nicht gerade.

Später, bei Voyager und der Enterprise um Captain Archer, gab es dann auch andere Lebensformen. Gasförmige zum Beispiel. Das CGI eröffnete da ungeahnte Möglichkeiten. Die Zeiten angeklebter Spitzohren waren endgültig passé.

Als junger Trekkie saß ich mit einem Jugendfreund in meinem Zimmer, wir wollten einen Star Trek-Roman schreiben. Und der sollte freilich auch andere Aliens beinhalten. Unser Problem war nun, das wir die ganze Story schon nach fünf Seiten abgewickelt hatten. Wir kamen halt schnell auf den Punkt. Wenn man so will, war das übrigens mein erster Ausflug ins schreibende Fach. Seinerzeit war ich jedenfalls noch Feuer und Flamme für die Vielfältigkeit, die es meiner Ansicht nach geben musste. Wenn da draußen mehr war, dann musste man doch alle denkbaren und undenkbaren Formen annehmen können. Heute zweifle ich daran – und die aktuellen Theorien rund um die Evolution legen nahe: Sie ist wesentlich weniger ergebnisoffen, teilweise sogar vorhersagbar.

Konvergente Evolution: Die Zwangsläufigkeit von dem was ist

Einen schönen Überblick zur Wissenschaft bietet aktuell Jonathan B. Losos‘ Buch »Glücksfall Mensch. Ist Evolution vorhersagbar?« – ich nehme es vorweg: Ja, ist sie. Jedenfalls wenn es nach jenem Professor für Evolutionäre Biologie geht. Nicht, dass er diese These alleine vertritt. Er steht da wie jeder Forscher auf den Schultern derer, die vor ihm das Fach beackerten. Aber Losos reichert die Theorie um seine Empirie an. Ihm fiel nämlich bei einem Afrika-Aufenthalt auf, dass das afrikanische Stachelschwein dem nordamerikanischen Baumstachler in fast allen Facetten gleicht. Nur die Körpergröße unterscheidet beide. Kurios ist das, weil beide Spezies nicht in direkter Linie von einem Ur-Stachelschwein abstammen. Sie haben jeweils einen eigenen Entwicklungsstamm. Beim Anden-Greifstachler ist es nicht anders, auch mit ihm teilen sie sich keine Verwandten.

Nun ist Losos ein Experte für Eidechsen. Im Laufe vieler Jahre fiel ihm bereits vorher auf, dass es ein Prinzip konvergenter Entwicklung geben musste. Überall auf der Erde entstanden Varianzen kleiner Echsen, die nicht alle auf einen Ahnen zurückzuführen sind – und dennoch fast dasselbe Aussehen aufweisen. Der Autor liefert noch einige Beispiele aus der Fauna, hat aber auch was Florales im Angebot: Koffeinhaltige Pflanzenarten wie Kaffee, Tee oder Kakao stammen allesamt aus verschiedenen Pflanzenfamilien ab. Das Koffein hat sich unabhängig entwickelt – die molekulare Breite ist bei bestimmten Voraussetzungen recht eingeschränkt: Das lässt sich jedenfalls so ableiten.

Für die Menschwerdung gilt das ebenso. Würde man alles auf Anfang stellen können: Würde nach einer langen Entwicklung immer genau das Wesen die dominante Spezies werden, die humanoide Züge aufweist? Wahrscheinlich ja. Der Paläontologe Dale Russell behauptet gar, hätten sich Velociraptoren weiterentwickelt, wären sie Hominiden sehr ähnlich geworden. Sie hätten große Schädel für das wachsende Hirn und den aufrechten Gang entwickelt. So viel Möglichkeiten gibt es nämlich nicht, wie sich Wesen mit großen Gehirnkapazitäten entwickeln könnten. Die »Menschwerdung« ist quasi stringent.

Eine ganz andere Welt ist nur sehr bedingt möglich

Die wunderbare Welt der Evolution, so glaubt man unter Fachleuten mittlerweile, ist gar nicht so vollkommen offen nach vorne. Sie ist sicherlich ein schmaler Korridor möglicher Entwicklungsmöglichkeiten. Aber keine Wundertüte. Man kann das jetzt nicht absolut auf alle anderen Themen münzen, Evolutionäres als Antwort für andere Sachgebiete anzubringen, hat ja schon mal ein unrühmliches Kapitel in der menschlichen Geschichte eingeleitet. Aber was ist eigentlich, wenn es in der Syntax menschlichen Handelns gar keine so breite Varianz gibt? Ist denn dann eine völlig andere Welt überhaupt noch denkbar?

Stellen wir die Frage provokativer, weil politischer: Könnte es eine Welt ohne ein System geben, in dem die Akkumulation von Profiten nicht als Präambel allen Handels steht? Oder ist der Kapitalismus nicht irgendwie zwangsläufig? Darüber hatte ich vor über einem Jahr auch schon kurz in meinem Buch gerätselt. Dort stellte ich die Frage so: »Könnten wir als Menschheit heute nochmals ganz von vorne beginnen, würde die Gesellschaft anders als heute aussehen? Oder noch dreister: Würden wir im Gedächtnis an das kapitalistische Unrecht einen absoluten Neubeginn machen, wären ähnliche Strukturen gänzlich ausgeschlossen?«

Ist also der Kapitalismus im menschlichen Wesen determiniert? So einfach möchte ich das nun auch nicht beantworten. Ulrike Herrmann wies mal darauf hin, dass der Kapitalismus geschichtlich nicht zwangsläufig war, es hätte auch anders kommen können. Ob ich das allerdings so unterschreiben würde, wage ich zu bezweifeln. Denn letztlich glaube ich, dass sich stets Produktionsprozesse herauskristallisieren, die die gewissen kapitalistischen Werte begünstigen. Ich sage nicht, dass ich ein Fan dieser Prozesse oder dieses Systems an sich bin. Nur weigere ich mich zu glauben, dass es so viele offene Wege gibt, wie sich die Menschen gemeinhin einreden. Das Spektrum scheint mir wesentlich enger.

Nach dem Schweinesystem ist vor dem Schweinesystem

Ich gebe es ja zu: Mein Faible für diesen Determinismus ist nicht gerade spannend. Vielleicht auch ein bisschen traurig. Ich finde Leibnitz‘ Einschätzung von der besten aller Welten natürlich viel zu optimistisch. Es klittert bloß die Geschichte. Aber ich bin eben auch nicht der Ansicht, wie einige da draußen, dass die Geschichte ganz falsch und von sich entfremdet verlaufen sei. Ohne hegelianische Zwangsläufigkeiten bedienen zu wollen: Ich glaube halt, dass der Spielraum viel enger war, als man das zugeben möchte. Dies zuzugeben ist ja auch doof, man gibt damit die Kontrolle ab – und ich möchte ja auch nicht, dass man sich zurücklehnt und »es geschehen« lässt.

Nun bin ich eben nicht der Ansicht, dass der Kapitalismus eine falsche Abzweigung der Geschichte war – Marx dachte das übrigens auch nie, aber das ist eine andere Baustelle. Er hat so oder ähnlich kommen müssen. Eine andere Welt war nie möglich. Und wenn, dann nur in Nuancen. Genau um diese Nuancen geht es mir. Sie sind für mich die Spielräume, die eine moderne linke Politik einnehmen muss. Die »Abschaffung des Kapitalismus«, die oft bemüht wird: Das ist eine Sackgasse – sie führt zu nichts. Was wäre denn danach? Ich bin mir fast sicher, das nächste System entwickelte sich über kurz oder lang zu einem neuen hierarchisch-profitorientierten System, dem man nur mit Regulierung beikommen könnte. Nach dem Schweinesystem ist vor dem Schweinesystem.

Nein, dieser Text behauptet nichts, was nicht auch ganz anders sein kann. Wir reden hier von einer ganz persönlichen Einstellungssache: Wie hältst du es mit der Kapitalismusfrage? So zu tun, als sei eine gerechtere Welt nicht möglich, solange es den Kapitalismus gibt, halte ich für eschatologischen Wahnsinn. Erst wartete man auf den Messias, dann auf die Weltrevolution und nun auf den Zusammenbruch des Kapitalismus: Und am Ende übernehmen andere das Ruder, weil man nur zuwartete. Ich bitte an dieser Stelle um Diskussion, nicht so sehr um Glaubensbekenntnisse. Die haben wir in diesen Zeiten weiß Gott genug. Amen.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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