Bist Du der Meinung, genug für Dein Land zu tun? Ich kann das nicht beurteilen, aber ich kann Dir empfehlen, Dich einmal zu fragen, was Dein Land denn eigentlich so für Dich tut. Und ob das genug ist.
Seid Ihr alle da, Ihr Fleißigen, die Ihr jeden Tag aufsteht und hart arbeitet? Nicht die anderen, die einfach liegenbleiben, weil sie keinen Job finden oder sich irgendwann weigerten, an absurden und völlig sinnfreien Job-Center-Maßnahmen teilzunehmen. Das sind, das wissen wir ja inzwischen, die „faulen Hunde“.
Was tut Dein Land für die Fleißigen?
Unsere Bundesregierung spricht immerzu davon, die Lage „zu verbessern“. Es soll den Menschen besser gehen, das beten sie runter, Tag und Nacht.
Aber was wird für die Fleißigen eigentlich getan? Ich meine, für all jene, die sich mit Fug und Recht als Leistungsträger bezeichnen können: für die Erzieher, Pfleger, Reinigungskräfte, Paketzusteller, Fließbandarbeiter (und kommt mir jetzt nicht mit Automatisierung, es gibt noch genügend Leute, die am Fließband oder ähnlichen „Errungenschaften“ stehen und schuften), Kassierer, Müllwerker, aber auch Lehrer, Ingenieure, Verwaltungsangestellte und und und …
Der Arbeitsmarkt wird den Raubtieren überlassen, seit Jahren geht das so. Tarifverträge entwickeln sich zur aussterbenden Art, Festanstellungen sind viel zu riskant für Unternehmen, die immer mit bösen wirtschaftlichen Einbrüchen rechnen müssen (sind die eigentlich alle zu blöd, nachhaltig erfolgreiche Geschäftsideen zu entwickeln??), der Mindestlohn ist an sich schon der Tod des Wohlstands, und wenn er auch noch auf ein Maß erhöht würde, das eine auskömmliche Rente zur Folge hätte, schreien alle Unternehmer: „Hilfe, wir können das nicht bezahlen, das kostet Unsummen, und die Globalisierung, die Digitalisierung, die Robotisierung, die Spazilisierung*, das geht nicht, wir können einfach nicht mehr bezahlen als den Mindestlohn, besser noch weniger, dann ist allen geholfen.“
Hinzu kommen Werkverträge, Leiharbeit, Praktika und Subunternehmerregelungen. Alles bestens geeignete Maßnahmen, um die Fleißigen an den Rand des Wahnsinns und der Existenznot zu treiben. Um sie dann zum Schluss mit einer Grundrente abzuspeisen, die auch noch großkotzig „Respekt-Rente“ genannt wird. Was ein Leben knapp über der Armut nach 35 oder mehr Jahren Arbeit mit Respekt zu tun hat, das möge mir mal jemand erklären.
Was also tut das Land für die arbeitende Bevölkerung, für den größten Teil der Fleißigen**? Faktisch nichts, sie lässt die Bedingungen mit vollem Tempo gegen die Wand fahren, sanktioniert die Fleißigen, die arbeitslos geworden sind, sie tut nichts, was regulierend eingreifen würde, weil dann Unternehmer und Elite-Journalisten sofort „Planwirtschaft!“ oder – noch schlimmer – „Sozialismus“ schreien.
Die Frage, was Dein Land auf diesem Gebiet für Dich tut, kann mit einer Benotung beantwortet werden: setzen, sechs!
Was tut Dein Land für die Rentner und die Rente?
Es macht zweierlei: Erstens wird es nicht müde, den heutigen Rentnern zu erzählen, wie gut es ihnen geht (was schön wäre, beträfe es wirklich alle heutigen Rentner; und was nicht als Vorwurf taugt, weil diese Rentner jahrzehntelang hart gearbeitet haben). Zweitens sagt es den Menschen, die später einmal in Rente gehen, dass sie das heutige Niveau sowieso vergessen können. Und dann sagt es noch den ganz Jungen, die noch später in Rente gehen, dass sie heute schon viel zu viel für die anderen zahlen müssen, dass das noch viel schlimmer wird, und dass sie besser privat vorsorgen sollen. Ein Teufelskreis, den unser Land nicht nur einfach an die Wand malt, sondern zunächst mit viel Fantasie entwickelt hat.
Würden wir die Versicherungswirtschaft fragen, was ihr Land für sie tut, die Antwort wäre einfach: alles, was möglich ist. Dein Land füttert sie, unterstützt sie, wo es nur geht, arbeitet hart daran, dass sie unerträglich hohe Umsätze macht. Gleichzeitig rammt sie der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) einen Bock nach dem anderen in die Magengrube, lässt die Beiträge für die GKV absinken, was sie gleichzeitig mit dem Rentenniveau tut. Währenddessen entwickeln sich die Löhne stetig auf bleibendem Niveau (wenn wir Glück haben) oder nach unten, die Inflation frisst die Einkommen auf, durch schlechte Löhne werden zu wenig Beiträge in die GKV gezahlt.
Die Frage, was Dein Land für Deine Rente tut, kann also nur folgende Note erhalten: setzen, sechs!
Was macht Dein Land fürs Wohnen?
Es redet. Es wehklagt. Es gelobt Besserung. Und verkauft seine Wohnungsbestände, um sie dann – wenn überhaupt – teuer wieder zurückzukaufen. Die Wohnungsnot zeichnet sich seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten ab, doch die Bundesregierung (also: Dein Land) schaut zu. Sie schaut zu, wie die Mieten explodieren, beobachtet interessiert, wie Maßnahmen wie die Mietpreisbremse von gierigen Heuschrecken weggewischt werden, sie will etwas tun, so sagt sie, aber faktisch fällt ihr nichts ein.
Immer mehr Menschen können sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten, müssen wegziehen, wissen oft nicht mehr, wohin, denn eine neue Wohnung ist noch teurer als die alte, die man sich nicht mehr leisten kann, die Obdachlosigkeit nimmt zu, dadurch bedingt auch die Zahl bedürftiger Menschen, die Hunger haben und sich von Tafeln helfen lassen müssen. Dein Land sagt, dass die Tafeln eine tolle Sache sind, die den Sozialstaat sinnvoll ergänzen. Aber das sind sie nicht. Sie sind notwendig geworden, weil Dein Land nicht in der Lage ist, eine Versorgung herzustellen, die die Tafeln überflüssig macht.
In Sachen Wohnen kann die Benotung also nur lauten: setzen, sechs!
Was tut Dein Land für die Infrastruktur?
Was also tut Dein Land für die Schulen, den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, die Straßen, Radwege, öffentliche Gebäude, Spielplätze, Kindergärten, Brücken, Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen? Beinahe nichts. Die dümmste Idee des Jahrhunderts, die „schwarze Null“, macht jedes noch so sinnvolle Vorhaben kaputt, bevor erste Ideen formuliert wurden.
Hinzu kommt massenhafte Privatisierung, die einzig auf Renditen ausgerichtet ist und den Staat oberflächlich betrachtet entlastet, jedoch an anderer Stelle wieder belastet. Denn irgendwann, wenn gar nichts mehr geht, weil die Gier alles zerstört hat, muss der Staat eben doch wieder ran. So wie wir es bei der Bankenkrise erlebt haben, als plötzlich haufenweise Banken zu wichtig waren, um fallengelassen zu werden (was volkswirtschaftlich betrachtet sogar zum Teil stimmt, doch auf dem Weg zu diesem Wahnsinn hat Dein Land entweder die Äuglein geschlossen oder sogar selbst davon profitiert).
Bankenkrise ist übrigens ein schönes Stichwort, denn ob man nun auf die Infrastruktur blickt oder auf das Bankenwesen, im Zweifel rackert Dein Land sich nicht für Dich ab, sondern für die, die Dich ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.
Bezogen auf die Infrastruktur kann es nur eine Note für Dein Land geben: setzen, sechs!
Was macht Dein Land für den Frieden?
Nun, das ist schnell erklärt: nichts. Im Gegenteil, es mischt sich in Konflikte überall auf der Welt ein – immer an der Hand geführt durch die USA, die den Weg vorgeben -, es eskaliert, provoziert, dominiert und spricht gleichzeitig von Diplomatie und Frieden. Ach, und von Demokratie, womit allerdings Diplomatie und Frieden auf die Plätze zwei und drei verdrängt werden, weil die Demokratie das mit Abstand Wichtigste überhaupt ist. Auf die Definition dessen, was damit genau gemeint ist, hat Dein Land übrigens – gemeinsam mit einigen anderen Ländern – auch das Vorrecht. Ob andere Länder womöglich andere Gesellschaftsformen favorisieren, ist eine Frage, die nicht gestellt wird, weil das grundsätzlich immer nie nicht möglich ist.
Dafür werden dann auch Waffen exportiert, in aller Herren Länder, selbst wenn die für alles Mögliche eingesetzt werden, aber ganz sicher nicht für die Demokratie. Dein Land unterstützt aktiv und passiv Kriege, Tote und Diktatoren, es stellt beispielsweise in Ramstein auch noch freundlich Platz für die USA zur Verfügung, damit die von dort aus besser agieren können.
Dein Land hat sich nicht für ein Atomwaffenverbot ausgesprochen, Dein Land fühlt sich berufen, darüber zu entscheiden, wer in welchem Land Politik machen darf und wer nicht. Als Ratgeber (oder besser: Taktgeber) stehen die NATO und die USA mit breiter Brust vor Deinem Land und lachen es aus, wenn sich irgendwo leiser Widerstand dagegen regt. USA und NATO – das muss der Vollständigkeit halber erwähnt werden – müssen aber nur selten lachen, weil Dein Land, Deine Bundesregierung es mit dem Widerstand nicht so hat.
Dein Land basht völlig sinnlos, voller Unwissen und – nennen wir es mal – „faktenneutral“ alles, was irgendwie mit Russland oder Putin zu tun hat. Dein Land hat einen Feind ausgemacht, der sicher kein Waisenknabe ist (welche Großmacht ist das schon?), der aber keinesfalls die Absichten hat, die Dein Land ihm unterstellt. Oder glaubst Du ernsthaft, dass Russland Dich bedroht? Falls das der Fall sein sollte, gehörst Du einer Minderheit an, denn der Großteil der Bevölkerung sieht das ganz anders.
Was so etwas wie Friedensbemühungen, Entspannungspolitik oder gelebte Diplomatie betrifft, rufe ich Deinem Land zu: setzen, sechs!
Kannst Du mir helfen?
Ich habe ja zugegebenermaßen nur ein paar Bereiche gestreift, daher muss ich selbstkritisch anmerken, dass ich womöglich etwas Wesentliches vergessen habe. Vielleicht tue ich Deinem (und meinem) Land ja auch Unrecht und habe einfach nur ein paar peinliche Beispiele herausgegriffen. Vielleicht bin ich ja unfair, und vielleicht kannst Du mir ja kurz (oder lang) erklären, was Dein Land so alles für Dich tut.
Falls Du mir da helfen kannst, ich wäre Dir wirklich dankbar!
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* Ja, ok, ich geb‘s zu: Spazilisierung habe ich mir ausgedacht, Du musst nicht extra Google bemühen in der Hoffnung, eine Definition für dieses Wort zu finden.
** Zu den Fleißigen: Ich bin der Meinung, dass nicht jeder fleißig sein muss. Eine reiche Gesellschaft muss auch ein paar Faule akzeptieren (die gibt es immer, aber sie nehmen keinen entscheidenden Einfluss). Abgesehen davon wird die Fokussierung auf „die Fleißigen“ benutzt, um die Menschen gegeneinander auszuspielen, denn: Wer ist fleißig, wer ist faul? Und muss jeder alles machen, um bloß nicht als faul gebrandmarkt zu werden? Als Beispiel eignen sich die Sanktionen für Arbeitslose bestens: Wer sich ihnen nicht fügt, wird sanktioniert, steht schnell als „fauler Hund“ da. Ich kann jeden „Faulen“ verstehen, der sich nicht irgendwelchen blödsinnigen Maßnahmen ausliefern will. Und ich kann gut mit denen leben, die nun einmal einfach faul sind. Von mir aus kann ich sie auch mit meinem Beitrag über das Sozialsystem mitfinanzieren, herrjeh, es gibt 1.000 andere Dinge, die ich wahrlich nicht mitfinanzieren will, doch ich habe darauf keinen Einfluss.
Zum Thema Faulheit habe ich einen Podcast gemacht, der da heißt: „Fünf Minuten für die Faulheit“.