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Terror-Theater versus Politik-Inszenierung (Teil I)

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Der Terrorismus bedroht uns nicht, jedenfalls längst nicht so sehr, wie es uns die Politik und die Medien immer wieder versichern. Letztlich sind Terroranschläge zwar schlimm, fordern aber deutlich weniger Opfer als andere Dinge, außerdem bedrohen sie uns nicht in dem Sinne, dass unsere Zivilisation auf dem Spiel steht. Trotzdem steckt uns die Angst tief in den Knochen. Und das ist gut so, zumindest aus der Sicht derer, die uns die Angst einreden.

Seit dem 11. September 2001 kamen in der Europäischen Union durch terroristische Taten jedes Jahr rund 50 Menschen ums Leben*, weltweit sind es ca. 25.000 Opfer, wobei ein großer Teil davon in Afghanistan, im Irak, in Pakistan, Syrien und Nigeria zu beklagen ist. Bei Verkehrsunfällen sterben dagegen jedes Jahr rund 80.000 Europäer, 40.000 Amerikaner und 270.000 Chinesen. Zuckerkonsum und Diabetes fallen jährlich weltweit 3,5 Millionen Menschen zum Opfer, 7 Millionen Menschen sterben an den Folgen der Luftverschmutzung. Man könnte noch die Todesopfer in Krankenhäusern hinzurechnen, die aufgrund von schlechter Hygiene ihr Leben verlieren, Drogenopfer, Unfallopfer, Hungertote und und und.

Von den Toten durch Verkehrsunfälle, Diabetes oder schlechte Luft bekommen wir in der Regel nicht viel mit, es sei denn, es handelt sich um Todesfälle, die besonders spektakulär sind und deshalb mediale Aufmerksamkeit bekommen. Wenn aber ein Lastwagen auf einem Weihnachtsmarkt eine schreckliche Tat anrichtet, können wir uns darauf verlassen, dass tagelang darüber berichtet wird (was für die Medien ein sehr langer Zeitraum ist, insbesondere, wenn kaum Hintergrundinformationen vorhanden sind und Schreiber und Kommentatoren sich in Spekulationen ergießen). Auch die täglichen Hungertoten oder die Menschen, die jeden Tag im Krieg oder durch Folter sterben, sind nur selten eine Schlagzeile wert. Der Grund ist einfach: sie sind weit weg. Außerdem haben wir mit ihrer Lebenswirklichkeit nichts zu tun. Daher sind wir zwar schockiert, wenn auf einem Weihnachtsmarkt Menschen sterben, wenn Krieg, Folter oder Krankheiten ganze Landstriche auslöschen, können wir das effektiv ignorieren. Wir beweisen bereits Empathie, wenn uns ein „Mein Gott, wie schrecklich“ entweicht, um danach in aller Ruhe den heimischen Tisch zu decken oder unser Smartphone zu checken.

All das ist im Grunde nur bis zu einem gewissen Punkt verwerflich. Schließlich würden wir vor die Hunde gehen, wenn wir uns mit dem täglichen Leid und Tod immerzu mit all unseren Emotionen befassen würden. Es liegt mir daher fern, hier mit geschwungener Moralkeule zu hantieren und mit erhobenem Zeigefinger zu mahnen: Seht Euch das Leid auf der Erde an, und dann können wir immer noch über Terrorismus sprechen. Mir geht es um etwas anderes. Um die Fokussierung von Politik und Medien auf den Terror, als könnte der unsere Freiheit, unsere Werte, unsere Kultur und unsere gut sortierten Kühlschränke gefährden.

Die Zahlen oben sprechen eine deutliche Sprache, aber sie geben eben auch Auskunft über die fehlende Macht, die vom Terror ausgeht. Dass er punktuell dennoch immer wieder „erfolgreich“ ist, liegt in der Natur der Sache. Wäre dem nicht so, hätten wir auch keine Straßenmorde, Vergewaltigungen, Diebstähle, Einbrüche und sonstige Verbrechen zu beklagen. Mit einem Unterschied: Wegen der alltäglichen Gewaltverbrechen werden nicht alle Nase lang schärfere Gesetze gefordert, und niemand führt eine Debatte darüber, alle Männer auszuweisen, weil es Männer sind, die Frauen vergewaltigen. Allein die Vorstellung wäre ja auch absurd, es ist ja auch nicht so, dass alle dünnen, kleinen Brillenträger in der Lage sind, intelligente und humorvolle Filme zu realisieren. Woody Allen hat mehr zu bieten als ein paar äußerliche Merkmale. Der Terror allerdings führt zu Verallgemeinerungen, die eigentlich so unhaltbar sind, dass wir alle nur die Köpfe schütteln müssten ob der Vorstellung, dass fast alle Muslime (oder auch nur ein Großteil von ihnen) Terroristen sind.

Terror-Theater

Terroristen sind uns gedanklich sehr zugewandt. Sie benutzen Smartphones, sie kaufen sich Dinge ein, die sie für Anschläge benötigen, sie nutzen stinknormale Lkw, um ihre Taten auszuführen. Gleichzeitig sind sie aber auch ziemlich hilflos. Denn den ganz großen Effekt erzielen sie (erfreulicherweise) fast nie, und selbst die mehr als 2.000 Toten nach 9/11 sind im Vergleich zu den vielen Toten, die durch Kriege umkommen, nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das mag womöglich herzlos klingen, ist aber keineswegs so gemeint. Jedes Opfer des Terrors ist beklagenswert, und gäbe es rückwirkend eine Möglichkeit, daran etwas zu ändern, es wäre eine menschliche Pflicht, dies auch zu tun. Die gibt es allerdings nicht, ebenso wenig, wie es diese Möglichkeit für Kriegs- oder Hungertote gibt. Doch wurde weltweit der politische Wille (und zwar inklusive der entsprechenden Handlungen!) bekundet, Kriege oder Hunger zu beenden, damit nicht mehr so viele Menschen sterben? Die Frage ist Rhetorik.

Jeder Terroranschlag aber hat genau das zur Folge. Sofort werden die Fäuste in die Luft gestreckt, sofort fordern Politiker schnellere Ausweisungen, schärfere Gesetze und gleich noch eine allgemeine Debatte darüber, wie wir denn zum Islamismus stehen. Das ist gleich dreifach absurd, denn wenngleich schnellere Ausweisungen in klaren Fällen sicher sinnvoll sind, haben diese in der Regel mit dem gerade beklagten Anschlag nichts zu tun. Schärfere Gesetze kann man formulieren, allerdings auch für Ladendiebstahl, ändern werden sie gar nichts, weil die Täter – ob Terroristen oder Ladendiebe – nicht aufhören mit dem, was sie tun, wenn ein zusätzlicher Paragraph in irgendeinem Gesetzbuch steht.

Und die Diskussionen über den Islam sind an Absurdität nur schwer zu übertreffen, denn das könnte man auch über das Christentum oder den Hinduismus tun – wenn Menschen einen Anschlag verüben wollen, machen sie das, die Religion dahinter spielt keine Rolle, eher die krankhafte und irrige Annahme, man tue etwas Gutes mit dem Anschlag, den man verübt. Aus der Tat eines Einzelnen eine Grundsatzdebatte über die Religion zu führen, auf die er sich beruft, ist schlicht lächerlich. Und genau das denken sicher auch die Millionen Gläubigen, die nicht mal eine Fliege töten würden, selbst wenn es nur daran liegt, dass diese sich einfach nicht töten lässt, weil sie zu schnell ist.
Um es zu verdeutlichen: Führen wir eine Grundsatzdebatte über die Daseinsberechtigung von Männern, weil Männer Frauen vergewaltigen? Tun wir nicht, und wer den Versuch unternehmen will, eine solche Debatte anzustoßen: viel Erfolg!
Zudem hätten wir zu den aktiven Zeiten der RAF eine intensive Diskussion über atheistische Deutsche führen müssen, denn eine religiöse Motivation musste man damals ja ausschließen. Ich erinnere mich nicht, dass eine solche Debatte stattgefunden hätte. Warum auch? Sie wäre komplett lächerlich gewesen!

Schärfere Gesetze, mehr Überwachung und der Kampf der Kulturen

Eigentlich wissen wir es ja alle: Der Terror wird genutzt, um schärfere Gesetze durchzuboxen und um die flächendeckende Überwachung Schritt für Schritt auszubauen. Das ist tatsächlich inzwischen sehr durchschaubar geworden. Insbesondere, weil die Politik wenig subtil ist und Vorurteile so oberflächlich verbreitet, dass kein Mensch bei Verstand die abstruse Logik dahinter nicht durchschauen würde.

Trotzdem lassen wir uns auf die Grundsatzfrage der gegensätzlichen Kulturen letztlich doch ein. Es geht ja inzwischen um weit mehr als nur den Terror. Es geht um die Frage, ob der Islam uns alle vereinnahmt, unsere Kultur, unsere Art zu leben, dabei auf der Strecke bleiben. Aber auch das macht keinen Sinn. Als die „Gastarbeiter“ damals zu uns kamen, hatte kaum jemand Angst davor, dass wir plötzlich alle Türkisch sprechen müssen oder unsere Frauen zur Verschleierung genötigt würden. Sie kamen, um unsere Wirtschaft zu stärken, und sie nahmen uns dabei nichts weg, sondern trugen zu unserem Wohlstand bei. Das machte aus „dem Ali“ einen Kumpel, der mal ruhig abends zu Hause seine Rituale durchführen sollte, das war nicht weiter schlimm, solange wir damit nichts zu tun hatten.

Die Menschen, die heute zu uns kommen, sind meistens auf der Flucht. Schon das macht sie verdächtig, denn wer auf der Flucht ist, sucht nach etwas Besserem, und das könnte ja bedeuten, dass er uns etwas wegnehmen will. Waren zu „dem Ali“-Zeiten die Arbeitsplätze sicher, die Bezahlungen gut und der Wohnraum nicht knapp, sieht es heute anders aus, und die ewigen Beteuerungen der Politik, wie gut es uns allen gehe, kommen bei denen nicht so gut an, denen es nicht so gut geht, und das sind eben immer mehr. Die sind dann oft auch noch arbeitslos oder befürchten, es zu werden, die können den Mieten beim Wachsen zusehen und spüren einen ganz anderen Druck als zu „dem Ali“-Zeiten.

Es ist schlicht weniger da. Oder, anders formuliert: Es wurde dafür gesorgt, dass es weniger zum Verteilen gibt. Und das nutzt die Politik, die genau dafür verantwortlich zeichnet, um Vorurteile und Hass zu schüren. Auch das wissen wir im Grunde, aber durch die ständigen Wiederholungen und durch Terroranschläge als „Sahnehäubchen“ wird es in unsere Köpfe eingehämmert, bis wir es glauben, bis wir die Angst in uns tragen, dass plötzlich alles den Bach runtergeht: unsere Jobs, unsere Kultur, unsere Werte (was auch immer das heißen mag), unsere Frauen mit knappen Röcken und coolen Frisuren, unsere Rente, unsere Hartz-IV-Bezüge, unsere Pfandflaschen. Verantwortlich sind „die Flüchtlinge“ oder „die Islamisten“. Die aber haben daran keinerlei Interesse. Da sie jedoch mit den paar Leuten, die Terroranschläge verüben, in einen Topf geworfen werden, stecken sie in der unangenehmen Situation, diesen Vorwürfen ausgesetzt zu sein.

Geboten wäre vielmehr ein Slogan wie der: Proletarier, Muslime und Flüchtlinge aller Länder, vereinigt Euch! Denn für Eure Probleme sind im wesentlichen die gleichen Machtgruppen verantwortlich, die es so effizient schaffen, Euch zu Feinden zu machen.

***

Im zweiten Teil wird es um die Frage gehen, wie die Politik mit Terror umgeht und wie es anders aussehen könnte. Darüber hinaus werden Gefahren thematisiert, die heute kaum Erwähnung, finden, die aber Handlungsbedarf erfordern. Gefahren übrigens, gegen die Amokfahrten in Weihnachtsmärkte nicht mehr als eine Randnotiz sind.

* Quelle: Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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