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Digitalisierung, Grundeinkommen und Politik: Der Mensch auf dem absteigenden Ast?

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Was passiert mit den Menschen in einer Zukunft, die immer stärker durch die Digitalisierung geprägt ist? Wo gehen Arbeitsplätze verloren? Wo entstehen neue? Reicht das aus, um einen fließenden Übergang hinzubekommen, der dafür sorgt, dass es allen besser geht? Und führt der Weg an einem Bedingungslosen Grundeinkommen vorbei oder ist ein solches gar unverzichtbar?

Es sind Fragen wie diese, die die Angst vor der Digitalisierung kennzeichnen. Doch was für einen Wert hat der Mensch in einer massiv digitalisierten Zukunft überhaupt noch?

Die Sache mit den Arbeitsplätzen

Je nachdem, in welche Studie, Untersuchung oder Befragung man schaut, stellt sich ein immer ähnliches Bild dar: Millionen von Arbeitsplätzen werden in der Zukunft keinen Platz mehr haben. Versicherungsvertreter, Telefonisten, Bäcker, Fleischer, Bank- oder Unternehmensberater (wobei nicht wenige die am wenigsten vermissen werden), aber auch Jobs in der Fertigung oder im Transport werden womöglich (wahrscheinlich) künftig keine großen Rollen mehr spielen. Zahlreiche Apps werden etliche Aufgaben übernehmen, die Künstliche Intelligenz (KI) schreitet weiter voran und wird sich in der Produktion breitmachen, und auch das autonome Autofahren wird sich seinen Weg bahnen.
Optimisten entgegnen gern, dass alles nicht so wild ist, denn schließlich entstehen auch neue Jobs, Jobs, die es heute noch gar nicht gibt, Jobs, die künftig die digitalisierte Gesellschaft zusammenhalten werden. Schließlich war das doch immer so, meinen die Optimisten, jede Revolution in der Arbeitswelt hat zwar Arbeitsplätze zerstört, Berufe aussterben lassen, aber eben auch neue geschaffen. Also alles im grünen Bereich.

Oder auch nicht. Denn die Feststellung, dass in der Vergangenheit immer ein gewisser Ausgleich stattgefunden hat, bedeutet nicht zwingend, dass das auch in Zukunft so sein muss, insbesondere, weil das Tempo heute ein anderes ist als zu früheren Zeiten. Die Tatsache, dass künftige Jobs zu einem Großteil im Bereich Computer, KI, Automation, Robotisierung oder IT zu finden sein werden, heißt einerseits, dass es fraglich ist, ob wirklich genügend neue Aufgabenbereiche entstehen. Doch selbst wenn das andererseits gelingen sollte, steht fest, dass gewisse Qualifikationen unabdingbar sind, um in den schon heute aktiven und in der Zukunft noch viel aktiveren Branchen Fuß zu fassen, die dann das Sagen haben. Dazu ist Qualifizierung notwendig, und Bildung. Doch ein Blick auf die aktuelle Politik ernüchtert fast so sehr wie einer auf den Ausbau des Breitbandnetzes oder der Netzabdeckung für Handys. Deutschland befindet sich mittlerweile schon fast an der Peripherie der Länder, die in die Digitalisierung investieren. Hierzulande beschränkt man sich im wesentlichen auf das Reden darüber, was alles zu tun ist. Um sich dann nach gefühlten Ewigkeiten darauf zu einigen, dass man das alles noch mal durchgehen muss.

Doch die Frage, ob und wie viele neue Jobs in der nahen und ferneren Zukunft entstehen, ist eigentlich zweitrangig für die heutige Diskussion. Viel wichtiger erscheint die, welche Rolle der Mensch denn überhaupt noch spielen wird.

Was vom Menschen übrig bleibt

Der Mensch hat drei wesentliche Funktionen in der Gesellschaft, die ihn wichtig machen:

• Er produziert Waren.
• Er kauft Waren.
• Er wird in den Krieg geschickt.

Sicher, der Mensch ist auch ein Künstler, er sorgt für eine gewisse kulturelle Vielfalt, er malt Bilder, komponiert Musik und schreibt Bücher. Doch etwas anderes als produzierte Waren sind diese Dinge auch nicht, wirtschaftlich betrachtet.

Für die Produktion von Waren ist (war) der Mensch unverzichtbar. Bis jetzt. Um in den Krieg zu ziehen, braucht(e) man ihn auch. Bis jetzt. Denn die Fertigung übernimmt nach und nach die digitalisierte Welt, also KI, Roboter und Automatisierung. Man muss kein Genie sein, um zu erahnen, dass das menschliche Geschick immer stärker in den Hintergrund rücken wird, die Produktion nach und nach von den Fähigkeiten der Menschen abgekoppelt wird.

Und der Krieg? Auch der wird in Zukunft wohl vollautomatisiert geführt werden, heute ist das ja schon zu sehen (die Frage nach der Notwendigkeit und Perversion von Kriegen sei hier ausgeklammert). Warum haufenweise Menschen in den möglichen Tod schicken, wenn Drohnen das emotionslos und effizienter erledigen können (und das, ohne später psychische Wracks zu sein, deren erfolglose Therapie Unmengen an Geld verschlingt)?

Bleibt der Konsum, also das Kaufen der produzierten Waren. Zumindest dafür wird der Mensch doch auch in Zukunft gebraucht, oder? Jein. Denn wenn man sich heute die Vermögensverteilung ansieht, reduziert sich diese auf immer weniger Menschen. Die Kluft zwischen Armut und Reichtum wächst, während die einen sich einen Tesla als Zweitwagen zulegen, können sich die anderen nicht einmal einen Urlaub an der Nordsee leisten. Geht die Entwicklung so weiter wie bisher, wird sich die Schere noch weiter öffnen, und irgendwann wird ein Großteil der Bevölkerung sich nur noch das Nötigste leisten können (womit wir natürlich längst über die Gegenwart sprechen), während Großverdiener – oder solche, die zwar keine Verdiener, aber dafür verdammt reich sind – am großen Konsumrad drehen.

Damit sind wir bei der Frage: Was ist der Mensch wert? Heute und in Zukunft.

Wenn der Mensch für die Produktion, für den Krieg und für den Konsum kaum noch gebraucht wird, liegt die Frage nahe: Wofür denn dann?

Und da liegt der Hase im Pfeffer, denn die Notwendigkeit des Menschen als funktionsfähiges Wesen nimmt ab, quasi jeden Tag mehr. Daher ist auch die seit Jahren geführte Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen eigentlich an der Problematik vorbeigeführt. Und sie wird geradezu grotesk, wenn man den Anspruch der Bedingungslosigkeit mit einbezieht. Wenn sich das Vermögen künftig noch stärker als heute auf eine kleine Gruppe von Menschen reduziert, ist die Vorstellung, dass ausgerechnet diese, die ja letztlich für die (Be-)Wertung des Menschen an sich verantwortlich zeichnen, ein Bedingungsloses Einkommen beziehen sollen, fast schon eine Provokation. Denn sie geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Das ist ein löblicher, aber naiver Ansatz (schon heute, übrigens), denn in Zukunft wird die Verteilung von Geld und Macht noch stärker radikalisiert werden, wird die Einflussnahme derer, die am unteren Rand der Einkommensskala stehen, massiv abnehmen (was, von Alibi-Wahlen abgesehen, auch heute schon der Fall ist). Warum sollten heute oder in Zukunft Vermögende, die das Grundeinkommen mit Leichtigkeit selbst für alle Bedürftigen finanzieren könnten, selbst ein solches erhalten?

Dennoch ist die Frage nach einem Grundeinkommen künftig nicht nur interessant, sondern womöglich notwendig. Nehmen wir einmal an, dass das vermeintliche „Naturgesetz“ nicht greift und in der digitalisierten Zukunft eben nicht alle oder die meisten Menschen einen Job haben, weil es einfach nicht mehr genügend gibt. In diesem Fall – der nicht eintreffen muss, aber kann -, muss der Konsum geregelt werden. Die Reichen alleine werden das nicht schaffen können, also muss dem „wertlosen Fußvolk“, das zu großen Teilen beschäftigungslos, aber eben doch da ist, eine Möglichkeit geschaffen werden, irgendwie, in irgendeiner Form am konsumorientierten gesellschaftlichen Leben „teilzunehmen“. Ein Grundeinkommen könnte helfen, denn wenn die Produktion und zahlreiche andere Berufsbereiche automatisiert oder sonstwie digitalisiert sind, mag die Produktvielfalt im Vergleich zu heute sogar noch zunehmen. Allein die notwendige Zahl von Abnehmern, sprich: Käufern wird im kleinpreisigen Bereich fehlen.

Allerdings: Sollte es zutreffen, dass der Mensch insgesamt an Wert verliert bzw. nur noch wenige Vermögende die Konsumgesellschaft am Laufen halten, wäre die Einführung eines Grundeinkommens längst kein Gewinn oder Erfolg mehr für jene, die es fordern. Denn schwindet der Wert des Menschen weiter (und auch für diese Annahme muss man kein Prophet sein, wenn man sich die Gegenwart anschaut), werden auch die Gesundheitsversorgung und die Ermöglichung von Bildung abnehmen. Schon heute befinden wir uns in einer Gesellschaft, die Wohlhabende bevorzugt und Ärmere benachteiligt. Zum Kassieren im Supermarkt, für stupide Arbeiten in der Fertigung, für nervenaufreibende Telefonjobs, dem Verkauf von Lebensversicherungen oder schlicht dem Putzen von Klos auf der Chefetage sind größere Menschengruppen noch immer relevant. Doch was, wenn auch diese Tätigkeiten automatisiert sind? Wozu werden dann noch Menschen benötigt, die Tätigkeiten ausüben, die sonst niemand machen will? Und wozu sollten diese Menschen dann noch mehr als eine minimalisierte Gesundheitsversorgung und eine ebensolche Bildung erhalten?

Nimmt die Zahl der minder oder gar nicht mehr qualifizierten Menschen zu (und das ist durchaus denkbar), bringt auch ein Grundeinkommen nichts mehr. Denn die Idee dahinter ist ja, dass Menschen eine Grundversorgung erhalten und sich – um ihr Einkommen zu steigern – Jobs suchen können, die ihnen Spaß machen, die sie ausfüllen und zusätzliches Geld in ihr Portemonnaie spülen. Stehen aber solche Jobs nicht mehr oder kaum noch zur Verfügung, geht die Idee nach hinten los. Und wenn dann auch noch die Gesundheitsversorgung und die Bildung zurückgefahren werden (ist ja beides nicht mehr nötig, wenn alles andere läuft), bleibt vom Grundeinkommen im wesentlichen eines: ein schaler Beigeschmack und eine Existenzsicherung auf einem so niedrigen Niveau, dass damit niemandem geholfen ist.

Zu düster?

Es kann alles ganz anders kommen. Die künftige Gesellschaft kann auch Wohlstand für alle bedeuten, auch für jene, denen die Qualifikationen fehlen, aktiv an der Gestaltung teilzunehmen. Die Frage ist gar nicht, ob es künftig genügend Arbeitsplätze für alle geben wird (denn das wird – wann auch immer – voraussichtlich nicht der Fall sein), sondern die nach dem Wert jedes Menschen. Im liberalen Zeitalter wird der Wert des Individuums ja immer wieder betont, auch die Freiheit, die das Individuum besitzt oder besitzen sollte. Doch wenn nicht mehr jedes Individuum einen messbaren Wert hat, wird es interessant. Und eben doch eher düster.

Denn ein Blick in die Gegenwart reicht ja völlig aus, um zum Schluss zu kommen, dass jedes Individuum nur so lange etwas zählt, wie es seinen Beitrag zum allgemeinen Wohlstand oder auch nur Wohlbefinden leistet. Der Umgang mit arbeitslosen, alten, kranken oder behinderten Menschen, der Umgang mit Menschen, die gering qualifiziert sind oder nicht als „Leistungsträger“ tituliert werden, zeigt, wohin die Reise, die wir längst angetreten haben, gehen wird.

Eine eher untergeordnete Rolle (und das ist noch geschmeichelt) hat in diesem Text bisher die Politik gespielt. Das liegt daran, dass sie in der gesamten Entwicklung eine untergeordnete Rolle spielt. Einerseits tüftelt die (neo)liberale Politik seit Jahren daran, wie man öffentliche Bereiche immer weiter privatisiert und somit über weite Strecken der eigenen Einflussnahme entzieht. Alleine das hat ja schon verheerende Folgen. Andererseits spricht sie zwar wortreich über Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz. Allerdings, ohne auf den Verlauf dieser Dinge Einfluss zu nehmen. Das mag historisch bedingt sein, denn Politik trifft Entscheidungen (im besten Fall) nach Abwägung der Vor- und Nachteile. Sie trifft (im besten Fall) zudem ihre Entscheidungen im Sinne derer, die sie regiert, und auch das führt zu Prozessen, die ihre Zeit brauchen. Doch faktisch trifft sie (wenn überhaupt) Entscheidungen mit Blick auf all das, was uns die Digitalisierung weiterhin bringen wird, erstens ohne Kompetenz und zweitens ohne Mut.

Letztlich läuft es auf die Frage hinaus, ob die Politik in Zukunft überhaupt noch „mitmischen“ oder lieber als Zuschauer agieren will. Die Entwicklungen, die ihr gegenüberstehen, lassen dazwischen nicht viel zu. Und je schneller die Dinge passieren, desto weniger politischer Spielraum bleibt.
Für all jene Menschen, die in der Gesellschaft der Zukunft ihren Platz finden müssen, sind das keine berauschenden Aussichten. Von der Gegenwart ganz zu schweigen. [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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