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Der Umgang mit Kinderpornographie: Wenn alle Dämme brechen

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Kinderpornographie gehört zu den schlimmsten Dingen, die Menschen tun können, keine Frage. Eine Tat dieser Art rangiert auf Augenhöhe mit Mord, Folter oder Vergewaltigung (zwischen Erwachsenen). Aber haben Täter, selbst wenn sie bereits verurteilt wurden, ein Recht darauf, weiterhin zu leben? Oder gibt es Vergehen, die den Tod verdienen? Eine verstörende Frage, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Todesstrafe hierzulande eigentlich kein Thema ist.

Was für einen Wert hat ein Menschenleben? Und was für einen hat das eines Pädophilen? Ist die zweite Frage überhaupt zulässig? Eher nicht, zumindest dann nicht, wenn man sich in den sozialen Medien umsieht (an Stammtischen dürfte das aber auch nicht anders aussehen). Dort hatte eine reichweitenstarke Seite folgenden Einleitungstext gepostet und somit eingeleitet, was dann folgte:

Es fällt einem schwer darüber bestürzt zu sein, wenn man bedenkt wie viele Kinder fürs Leben schwerst traumatisiert wurden bzw. zu früh auf fürchterlichste und brutalste Weise aus dem Leben geschieden sind.

Verlinkt wurden auf einen Artikel, der sich um den Chef eines Kinderporno-Rings drehte. Dieser war im Gefängnis von Mitinsassen getötet worden. Laut Anwalt des Täters hätte die Tat verhindert werden können. Nicht mehr zu verhindern sind dagegen die Taten des inzwischen toten Inhaftierten, der im Netz Jugendliche zu sexuellen Handlungen vor der Webcam gebracht und diese aufgezeichnet hatte. Eines der Opfer sagte nach dem Urteil, das den Täter für 40 Jahre hinter Gitter bringen sollte, sie sei zufrieden mit dieser Strafe: „Das ist im Grunde das Leben“, sagte das Opfer nach der Urteilsverkündung.

Soviel zur Tat und den Hintergründen, die aus dem Artikel hervorgehen. Doch die interessierten die Kommentatoren wenig. Ein Auszug:

Da hat wohl ein wärter im richtige moment nicht hingeschaut …
Kein Verlust. Jeder bekommt, was er verdient.
Irgendwie werden da Glückshormone frei….moralisch verwerflich, aber geil…..
Hoffentlich hat er vorher richtig gelitten !!!
Jetzt wisst ihr wo das Gesetz durchgesetzt wird!!!
Endlich mal gute Nachrichten…. von mir aus darf das Schule machen…. sorry wenn ich das so sage…
Wer behauptet, darüber traurig zu sein, lügt, spinnt, oder ist seine Mutter!

Die Liste ließe sich fortsetzen, und es gab nahezu keinen Kommentar, der versuchte, ein wenig zu deeskalieren.
Gut so?

Rechtfertigt die Tat den Tod?

Das ist die immer wieder in den sozialen Netzwerken gestellte Frage, die schnell eine Antwort findet: „Ja, tötet das Dreckschwein, leiden soll er außerdem!“
Nun könnte man versuchen zu differenzieren, könnte tausendfache Tode durch Drohnenangriffe ins Feld führen und zynisch fragen: „Was für eine Strafe verdienen diese Taten?“
Aber ich denke nicht, dass dieser Vergleich sinnvoll ist. Insbesondere, weil er womöglich darauf hinausläuft, diese Antwort zu provozieren: „Stimmt eigentlich, ist genauso übel, auch alle abknallen, die so etwas machen!“

Sinnvoller als die Frage nach der Rechtfertigung des Gefühls des verdienten Todes ist die nach dem Effekt. Sicher, der Täter ist tot, und sicher, bei der Facebook-“Gemeinde“ hat das allgemeine Zufriedenheit ausgelöst, mehr noch, in den Köpfen entstanden Szenarien, die den Tod des Täters als quälenden Prozess beschreiben, als größtmögliches Leid, Schmerzen, Folter und mehr. Der Tod alleine reichte vielen nicht aus, sie wollten die Qual des Täters in die Länge gezogen wissen, damit … Ja, damit was? Damit er, während er dem Tod ins Auge blickt, spürt, wie schrecklich seine Taten waren? Damit der eigene Wunsch nach Genugtuung befriedigt wird? Damit den Opfern signalisiert wird, dass dem Täter vor der Hölle unendlicher Schmerz zugefügt wird? Das mögen Gründe sein, aber zeugen diese Gedanken eigentlich von Zivilisation?

Den Einwand, der jetzt kommt, sehe ich vor mir: „Was heißt hier Zivilisation? Der Täter hat diese doch gänzlich hinter sich gelassen, oder wollen wir darüber ernsthaft diskutieren?“

Nein, will ich nicht. Die beschriebene Tat, die Taten sind unentschuldbar, es gibt keine Rechtfertigung dafür. Aber ist die Tatsache, dass ein Mensch die Zivilisation verlassen und eine so schlimme Tat verübt hat, ein guter Grund, dasselbe zu tun? Der Wunsch des Todes allein ist schon eine gedankliche Leistung, die diejenigen, die diesen Wunsch verspüren, ins Grübeln bringen sollte. Man überschreitet eine Schwelle, wenn man einem Menschen – unabhängig davon, was er getan hat – den Tod wünscht. Man überschreitet jedoch eine weitere, wenn man ihm den Tod auch noch so langsam und qualvoll wie möglich wünscht. Ist das noch ein Zeichen der Zivilisation?

Zudem stellt sich bei jedem Tod immer die Frage, was damit erreicht wird. Gut möglich, dass nicht wenige der Kommentatoren bei einer allgemeinen Debatte um die Todesstrafe ganz anders argumentieren, denn die Todesstrafe ist bei den meisten Menschen etwas, das sie nicht befürworten. Doch das ist eine allgemeine Diskussion, eine, die zunächst einmal keinen konkreten Anlass hat, sich auf keine konkrete Tat bezieht. Da wird abgewogen, ob die Schuld wirklich feststeht, da wird auch abgewogen, was es denn bringt, den zum Tode verurteilten Mörder mittels Giftspritze oder elektrischem Stuhl zu killen.

Doch hier, bei diesem Fall, sind die übelsten und längsten Foltermethoden gerade gut genug, um mit dem Täter umzugehen. Sicher, weil es sich um eine konkrete Tat handelt, bei der auch noch Kinder die Opfer waren. Und in diesem Fall bestimmt auch wegen des Einleitungssatzes:

Es fällt einem schwer darüber bestürzt zu sein, wenn man bedenkt wie viele Kinder fürs Leben schwerst traumatisiert wurden bzw. zu früh auf fürchterlichste und brutalste Weise aus dem Leben geschieden sind.

Ohne Frage sind die Kinder und Jugendlichen, um die es hier geht, traumatisiert, in höchstem Maße sogar. Aber die Einleitung ist irreführend, ob gewollt oder nicht. Denn weder der Artikel in „der westen“ noch der von „The Detroit News“ berichtet über den Tod von Opfern, erst recht nicht darüber, dass die Jugendlichen auf „brutalste Weise aus dem Leben geschieden“ sind. Man kann einwenden, dass die Einleitung damit Opfer sexueller Gewalt an sich meint, Kinder und Jugendliche, die missbraucht und getötet wurden. Doch das wird nicht klar. Und selbst dann kann man fragen, ob die Bereitschaft zur Gewalt, die sich in den Kommentaren auftut, Rechtfertigung sein kann.

Müssen wir über die Todesstrafe sprechen?

Ist hierzulande wirklich jemand für die Todesstrafe? Und wenn, in welchen Fällen? Und ist die Todesstrafe allein dann ausreichend? Oder muss der Tod langsam und schmerzhaft eintreten? Sollten Pädophile gezielt in bestimmte Gefängnisse kommen, weil dort die Wahrscheinlichkeit, dass sie das nicht überleben, am größten ist? Wäre es besser, ihnen die Schwänze abzuschneiden oder gleich den Kopf?

Können Sie diese Fragen für sich beantworten?

Eine Kommentatorin hat das Dilemma sogar gut auf den Punkt gebracht:

Wer behauptet, darüber traurig zu sein, lügt, spinnt, oder ist seine Mutter!

Gibt es in einem Fall wie dem beschriebenen nur Trauer oder Wut? Oder lässt sich auch ein Gefühl dazwischen ausmachen? Eines, das zu einem inneren Widerspruch führt? Das die Wut, auch den Hass auf den Täter zulässt, aber dem Wunsch, seine Tat mit größtmöglicher Brutalität zu beantworten, Einhalt gebietet? Wegen der Zivilisation?

Gut möglich, dass dieser Artikel ein weiteres „Opfer“ nach sich zieht, eines, das im Vergleich mit denen, die womöglich ihr Leben lang unter den Taten des Verurteilten leiden, aber eher harmlos erscheint. Dieses Opfer könnte der Autor sein, könnte ich sein. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass jemand, der über ein so heikles Thema schreibt, in Sippenhaft mit den Tätern genommen wird. Nicht etwa, weil das eine sachliche Grundlage hätte. Aber weil er sich nicht in die Kommentare einreiht, die man normalerweise nach so einer Tat liest.

Ich habe das Wort „Opfer“ in diesem Zusammenhang bewusst in Anführungszeichen gesetzt, denn ich bin natürlich weit entfernt davon, eines zu sein. Vor massiven Angriffen wird mich das aber womöglich auch nicht schützen.

Es lebe die Zivilisation!  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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