Nach Chemnitz kamen sie alle aus ihren Löchern. Früher oder später jedenfalls. Die Seehofers, Merkels und Barleys. Und natürlich hatten sie alle den erhobenen Zeigefinger parat und zeigten eindeutig, dass sie mit diesen „Vorfällen“ nichts zu tun haben.
Doch was in Chemnitz passiert ist, war ja nun wahrlich kein plötzliches Unwetter, das selbst Meteorologen überrascht hätte. Es war der vorläufige Gipfel eines Prozesses, der nicht nur nicht verhindert, sondern aktiv befeuert wurde. Die BILD taugt hier als vorbildliches Beispiel, wie man Hass Schritt für Schritt in den Köpfen erzeugen kann. Und hinterher ist das Gejaule groß. Und so falsch und unaufrichtig, dass sich die Balken biegen.
Ja, wie kann sich denn nur so viel Hass BILDen?
Das Titelbild dieses Textes sagt eigentlich alles, und doch wird es nach den Ausschreitungen in Chemnitz kaum thematisiert. Im Gegenteil, das Symptom Gewalt reicht völlig aus, um sich ein politisch korrektes Bild zu machen. Zum Beispiel durch Seehofer:
Aber ich will auch ganz deutlich sagen, dass dies unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen rechtfertigt.
Oder Maas:
Es ist schrecklich zu sehen, was diejenigen in der Lage sind, anzurichten.
Oder Barley, die vor „rechtsfreien Räumen“ warnt und von SPD-Mann Lischka Unterstützung bekommt:
Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt und nehmen wird, seine Gewaltphantasien von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unsere Straßen zu tragen.
Oder Merkel:
Es darf auf keinem Platz und keiner Straße zu solchen Ausschreitungen kommen.
Ist das so? Nun, es gibt diesen Platz aber in den Medien, allen voran besetzt durch die Vorreiterin BILD, die nicht müde wird, Ausländerhass zu schüren, wo es nur geht. Es ist schon grotesk, dass sich nun darüber gewundert wird, dass der geschürte Hass tatsächlich Früchte trägt.
Und wie viele Talk-Shows mit den Themen „Werden wir islamisiert? „oder „Wie kriminell sind Flüchtlinge?“ waren nötig, bis Chemnitz wahr werden konnte? Viele, sehr viele, aber letztlich hat es doch funktioniert.
Kaum noch jemand denkt darüber nach, dass Straftaten Taten einzelner Personen sind, unabhängig davon, ob sie Deutsche oder Ausländer sind. Zwar käme niemand auf die Idee, alle Deutschen ausweisen zu wollen, weil jeden Tag 50 Kinder sexuell missbraucht werden und im Schnitt jede Woche zwei Kinder durch Gewalt sterben. Da klappt es ganz gut mit der sogenannten Differenzierung. Schlimme Fälle, ja, aber doch nicht stellvertretend für alle Deutschen.
Bei Ausländern aber, zumal wenn sie Geflüchtete sind, die womöglich auch noch den Wunsch haben, dass es ihnen hier besser geht als dort, wo sie bereits bis auf die Knochen ausgebeutet wurden (dank unserer tatkräftigen Unterstützung), ist dann ganz schnell Schluss mit dieser unnötigen Differenzierung. Getreu dem Motto „Kennste einen, kennste alle“ wird jede Straftat, über die berichtet wird, als grundlegendes Merkmal aller je geborenen Syrer oder Iraker in Stein gemeißelt. Wie das geht, führen uns BILD & Co. ja täglich vor.
Alles Nazis!
Man muss schon blind und taub sein, um zu leugnen, dass in Chemnitz Neonazis unterwegs waren, der Hass und die Parolen sind nicht anders zu deuten. Die Sippenhaft macht es allerdings problematisch, ein vollständiges Bild zu kreieren. Die Mitläufer, die teils den Hass direkt begleitet und nichts dagegen unternommen haben, sind jedoch ebenso anders als die Neonazis zu bewerten wie die, die etwas weiter weg waren und so hautnah gar nicht mitbekommen haben, was da passiert ist. Trotzdem ist die mediale Verurteilung aller Anwesenden omnipräsent und äußerst praktisch. Bei den oben dargestellten Zitaten einiger Politiker sieht man deutlich, dass das Problem auf eine kleine Gruppe reduziert werden soll, die Mitläufer kommen aber mit in „den Sack“, schlägste drauf, triffste immer den Richtigen.
Doch die breit angelegte Debatte darüber, wer nun die wahren Neonazis sind, oder auch wer nicht, verdrängt die Tatsache, dass den Ausschreitungen zahlreiche Ereignisse und Entwicklungen vorausgingen. Die Berichterstattung der BILD und anderer Medien sind eine Seite der Medaille, die gesellschaftspolitischen Auswirkungen einer stetig dünner werdenden Decke von Sozialleistungen und einem Arbeitsmarkt, der immer mehr in Richtung Sklaverei abdriftet, ist die andere. Doch würde man diese Dinge betrachten, müsste man über das Symptomdenken hinausgehen, müsste breiter aufgestellte Analysen betreiben und die konkrete Frage nach den Verantwortlichen stellen, die die fatalen Entwicklungen nicht nur hingenommen, sondern aktiv „mitgestaltet“ haben.
Da ist es deutlich einfacher, „Alles Nazis!“ zu brüllen und sich medienwirksam und mit weißer Weste (die weiße Weste des weißen Mannes) zu positionieren.
Man müsste mindestens zwei Diskussionen führen. Die eine darüber, wie mit Neonazis umzugehen ist. Dafür würde schon eine strikte Anwendung der Gesetze reichen. Das hätte zudem den Effekt, dass nur die Straftäter (ob deutscher oder ausländischer Herkunft) zur Rechenschaft gezogen und nicht ganze Bevölkerungen oder Bevölkerungsschichten angeklagt werden.
Und die andere darüber, woher der Hass kommt, wie er sich aufgebaut hat, oder besser: stetig aufgebaut wurde und von wem.
Würden wir diese beiden Debatten führen, ergäbe sich bereits ein etwas anderes Bild. Eines, das tatsächlich differenzierter ist. Und das die BILD und ihre zahlreichen Verwandten als das entlarvt, was sie sind, als Hetzblätter übelsten Ausmaßes. Doch die zweite Debatte würde auch bis zu den oben genannten Politikern reichen und ihre fadenscheinigen und heuchlerischen Statements als das entlarven, was sie eben sind: Ablenkungen von der eigenen Verantwortung. [InfoBox]