Nachtrag, 11.8.2018: Die ursprüngliche Headline zu diesem Text lautete „Nie war Wagenknecht so rechts wie heute!“ Leider musste ich daraufhin in den sozialen Netzwerken feststellen, dass offenbar von 9 Lesern 10 nur diese Headline gelesen haben. Mir wurde unterstellt, der Artikel sei gegen Sahra Wagenknecht gerichtet. Zu diesem Schluss kann man allerdings nur kommen, wenn man sich auf die Lektüre der Überschrift beschränkt.
Echt jetzt: ich fass‘ es nicht!
Die einzig wahren Linken haben es schon immer gewusst. Und die Rechten, die doch ganz tief im ihrem Herzen, irgendwie auch links sind, die, ja, die sowieso. Die Wagenknecht ist rechts, so rechts wie die AfD und Pegida zusammen. Seit „#aufstehen“ angekündigt hat, bald loszulegen, schlagen urplötzlich in Deutschland alle Herzen links. Die SPD definiert sich seit gefühlten 800 Jahren als Sammlungsbewegung, die Grünen sowieso, und Flüchtlinge hat man im August 2018 wieder richtig lieb. Alles wegen Sahra. Und alles, weil man sie nicht versteht, nicht verstehen will.
Wer ein guter Linker ist, lädt geflüchtete Menschen ein, komme, was da wolle. Selbst wenn es besser wäre, die Rahmenbedingungen in deren Heimatländern zu verbessern, selbst wenn man weiß, dass Krieg und wirtschaftliche Ausbeutung die Hauptursachen Nummer 1 sind, die zu beheben humanitäre Pflicht wären, selbst dann rückt man als gute Linker*in nicht von ihrer Willkommenskultur ab (oder wie auch immer man das politisch korrekt schreibt).
Es ist schon grotesk, dass als rassistisch gilt, wer die Ausbeutung anderer Länder anprangert und als Menschenfreund durchgeht, wenn er die Ausbeutung stillschweigend hinnimmt. Würde man mich in einer vergleichbaren Situation fragen, was mir lieber wäre, als Flüchtling in einem anderen Land aufgenommen zu werden oder in meinem Heimatland unter lebenswürdigen Bedingungen bleiben zu können, ich bin mir sicher, ich würde lieber nicht auf Reisen gehen. Nicht mal mit dem Zug, geschweige denn in einem Schlauchboot.
Dabei sind Fluchtursachen gar nicht der wesentliche Programmpunkt von „aufstehen“. Vielmehr sind es soziale Themen, Arbeit, Rente, Pflege, um die sich die Anhänger aufstellen. Und genau dafür wurde es längst Zeit. Denn Wagenknecht wird nicht müde, Jahr für Jahr, Talkshow für Talkshow und Interview für Interview immer wieder auf die sozialen Missstände hierzulande hinzuweisen, mit dem Finger darauf zu zeigen und … das Mikro abgedreht zu bekommen.
Soziale Themen sind Totschläger, das haben Politik und Medien stillschweigend verabredet. Geht allen gut und so, das wird rauf und runter gebetet, bis es selbst der letzte Hartz-IV-Empfänger in seiner Einzimmerwohnung ohne heißes Wasser endlich kapiert. Und wenn er es dann doch nicht schnallt, dann ist er eben einer von denen, die sich abgehängt fühlen. Mit der Betonung auf „fühlen“. Denn niemand wird hier abgehängt, allen geht es prächtig, und wenn nicht, muss man halt mehr an sich arbeiten.
Ich hoffe, dass „aufstehen“ sich nicht darauf einlässt, tagein, tagaus in eine Rechtfertigungshaltung wegen der geflüchteten Menschen zu verfallen. Ich hoffe, dass durch die Sammlungsbewegung endlich die sozialen Themen, die die Basis aller Unzufriedenheit, allen Frustes und aller Hoffnungslosigkeit sind, so sehr in den Fokus der Menschen rücken, dass ihre Bedeutung endlich klarer wird.
Von dort aus ist es thematisch gar nicht mehr so weit bis zu den Ursachen für die Flucht unzähliger Menschen. Wenn die Problematik des sozialen Zerfalls unseres Systems in den Köpfen angekommen ist, wird es leichter, die thematische Brücke zu den Fluchtursachen zu schlagen. Und die Verantwortlichen zu benennen, statt die Opfer zu verfolgen.
Letztlich ist „aufstehen“ nicht viel anders aufgebaut als die Friedensbewegung. Damals, in der heute gerne verklärten Zeit, ging es den Menschen darum, das Wettrüsten zu beenden, gegen Pershing II und Cruise-Missiles zu demonstrieren, einen Krieg abzuwenden. Dafür ging man auf die Straße. Konflikte und Streit folgten dann später.
Warum denn nicht für den sozialen Frieden auf die Straße gehen, warum nicht deshalb die Sammlungsbewegung unterstützen?
Danach kann man sich ja immer noch fetzen. [InfoBox]