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Das ist nicht Ihr Sozialstaat, Herr Lindner!

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FDP-Chef Christian Lindner hat Angst. Vor ausufernden Sozialausgaben in Deutschland. „Der deutsche Sozialstaat gerät außer Kontrolle“, sagte er dem „Handelsblatt“. Das könnte heuchlerischer kaum sein. Und widerlicher auch nicht, denn Lindner unterstellt letztlich, dass all jene, die den Sozialstaat in Anspruch nehmen, eigentlich das Recht dazu gar nicht haben und außerdem viel zu verschwenderisch mit seinen vermeintlichen Wohltaten umgehen. Dabei kommt ein Großteil der Einnahmen des Sozialstaates von den Bürgern, die sind es schließlich, die jeden Monat einzahlen.

Für Lindner sind es die Alten und die Migranten, die die Verantwortung für die ausufernden Ausgaben tragen. Und dabei würden weder „Ergebnisse sozialer“ noch „die Zufriedenheit besser“, weiß Lindner. Die „planlose Umverteilung“ müsse beendet werden, sagt Lindner, die „“Treffsicherheit sozialer Ausgaben“ verbessert. Treffsicherheit? Direkt zwischen die Augen?

Der stellvertretende Unionsfraktionschef Carsten Linnemann (CDU) sieht das wenig überraschend ähnlich. „Wir werden irgendwann nicht umhinkommen, über alternative Finanzierungsformen des Sozialstaats nachzudenken“, sagte der CDU-Mann. Und im Gesundheitssystem müssen „marktwirtschaftliche Reformen“ angepackt werden, so wie das bei der Rente ja schon sei.

Nun könnte man sagen, ok, das ist das übliche neoliberale Geschwätz zweier neoliberaler Politiker. Geschenkt, kennt man schon. Aber es ist eben doch mehr als das, und es ist wirkmächtig, weil es dem Prinzip folgt, das uns allerorts in der Gesellschaft begegnet. Denn Linnemann fügte hinzu, man müsse „das System effizienter“ machen und „damit die Kosten“ eindämmen. Und an dieser Stelle wird es doppelt zynisch.

Denn – auch das muss immer wieder wiederholt werden – die „marktwirtschaftlichen Reformen“ sind nichts anderes als Geldverbrennung auf der einen und Geldvermehrung auf der anderen Seite. Während die Bürger gezwungen werden, in private Rentenmodelle einzuzahlen und bei der Gesundheit Zusatzversicherungen abzuschließen, die nicht nur ausgesprochen hohe Verwaltungskosten als Folge haben, sondern den Konzernen satte Gewinne und den Vermittlern üppige Provisionen bescheren, labern Linnemann und Lindner von zu hohen Kosten bei der Sozialversicherung. Doch dort wird nicht auf Rendite oder Provisionen hingearbeitet, dort sind die Verwaltungskosten deutlich geringer als in der privaten Wirtschaft.
Das Zynische ist, dass all das bekannt ist, auch den Herren, über die wir hier sprechen. Sie blenden es nicht nur aus, sie lügen bewusst, und sie schaffen so ein neues Feindbild: die Menschen, die den Sozialstaat brauchen und die es sind, die dafür sorgen, dass es ihn gibt. Denn Sozialausgaben gehen Einnahmen voraus, und die kommen von uns.

Doch der Zynismus wird noch überboten von der moralischen Keule, die Lindner und Linnemann schwingen. Ihre panisch wirkenden Aussagen kommen als Vorwürfe daher, als Unterstellung, dass die, die den Sozialstaat in Anspruch nehmen, etwas Anrüchiges tun, sich etwas nehmen, wovon nicht mehr genug da ist, das ihnen nicht zusteht. Lindner würzt diesen Vorwurf noch mit dem Hinweis auf die Alten und Migranten und lenkt so endgültig von den eigentlich Verantwortlichen ab: von denen, die seit Jahren den Sozialstaat aushöhlen, untergraben, verkaufen an die Lobbys, die sich daran gesundstoßen.

Auch das muss immer und immer wieder wiederholt werden: Der Sozialstaat ist deshalb in einem so schlechten Zustand, weil er immer mehr Mittel aus der Hand gibt. Würden alleine die Riesterbeiträge statt der privaten Versicherungswirtschaft in den Rachen geworfen der gesetzlichen Rente zugeführt werden, sähe die Sache schon viel entspannter aus. Riester übrigens, eines der Produkte, die kläglich gescheitert sind. Wegen „planloser Umverteilung“, Umverteilung hin zu den Konzernen und weg von den Menschen, die Sicherheit brauchen.

Lindner und Linnemann haben natürlich gut reden. Sie sind abgesichert und nicht angewiesen auf ein System, das für die Masse gedacht ist. Und da die beiden, stellvertretend für ihre Zunft, mit den Massen eh nichts am Hut haben, können Sie Vorschläge machen, die sie selbst sowieso nicht betreffen. Und die die soziale Lage in Deutschland weiter verschärfen. Die von Naomi Klein beschriebene Schock-Strategie läuft auch hierzulande. Die Schocks sind kleiner, dafür zahlreicher, und am Ende auf jeden Fall zerstörerisch und höchst effizient.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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