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Demontage deutschen Denkens: Habermas und der Genozid

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Deutschland ist das Land der Denker. Bedeutende, Epoche machende Philosophen hat das Land hervorgebracht. Kant, Hegel, Marx, werden in dem Zusammenhang regelmäßig aufgezählt. Es gibt natürlich noch die andere Linie von Schopenhauer über Nietzsche zu Heidegger, das Dunkle des Denkens in deutscher Sprache. So viel Streit es zwischen den Strömungen geben mag, von allen geteilt wird die Auffassung, dass Denken eine Tätigkeit ist, zu der die Deutschen in besonderer Weise befähigt sind.

Inzwischen wird der deutschen Philosophie allerdings immer häufiger abgesprochen, zu großem Denken wirklich imstande zu sein. Aktueller Anlass für weitere Kritik am Geltungsanspruch ist eine Einlassung von Jürgen Habermas zum Nahost-Konflikt. In einem offenen Brief, datiert auf den November 2023, verteidigt Habermas gemeinsam mit drei weiteren Geisteswissenschaftlern die bedingungslose Solidarität Deutschlands mit der israelischen Regierung. Habermas verurteilt den Überfall der Hamas am 7. Oktober.

Im Konflikt, der durch  „den an Grausamkeit nicht zu überbietenden Angriff der Hamas“ geschaffen wurde, sei es die Pflicht Deutschlands, sich an der Seite Israels zu positionieren. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen. Die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt bleiben, allerdings sei eine Genozidabsicht Isreaels gegenüber den Palästinensern leugnen Habermas und seine Mitautoren.

„Bei aller Sorge um das Schicksal der palästinensischen Bevölkerung verrutschen die Maßstäbe der Beurteilung jedoch vollends, wenn dem israelischen Vorgehen genozidale Absichten zugeschrieben werden.“

Der Brief hat eine rege Diskussion ausgelöst, die zeigt, dass Habermas die deutsche Philosophie international isoliert und sich selbst unglaubwürdig gemacht hat.Habermas würde gegen die Prinzipien seiner eigenen Philosophie des offenen Diskurses verstoßen. Er schränkt das Sagbare aus politischen Gründen ein, ist einer der Vorwürfe.

Es sei zwar bewundernswert, dass Habermas und die deutschen Intellektuellen hartnäckig auf die Erinnerung an die deutsche Schuld beharren, schreibt der aus Ägypten stammende Soziologe Asef Bayat, der in den USA lehrt.

„Aber Ihre Formulierung und Fixierung auf den deutschen Exzeptionalismus lässt praktisch keinen Raum für Gespräche über die Politik Israels und die Rechte der Palästinenser. Wenn Sie Kritik an ‘Israels Vorgehen’ mit ‘antisemitischen Reaktionen’ verwechseln, ermutigen Sie zum Schweigen und ersticken die Debatte”, fügt er hinzu.

Er sei erstaunt über die Tatsache, dass sich an den deutschen Universitäten bis hinein in die Unterrichtsräume, die eigentlich Räume des freien Diskurses sein sollten, sofort Schweigen einstellt, wenn das Thema Palästina aufkommt. Bayat beklagt eine Art mediale Gleichschaltung in Bezug auf das Thema Israel und das Schicksal der Palästinenser in Deutschland.

Besonderes Gewicht in seiner Argumentation legt Bayat auf die Leugnung der Genozid-Absicht Israels durch Habermas. Immerhin laufen Verfahren gegen Israel vor dem IGH und dem IStGH in Den Haag. Ihn interessiere diese absolute moralische Kälte, die Habermas mit seiner Stellungnahme offenbare. Wie viele Menschenleben müssten noch ausgelöscht werden, bevor das Leid für Habermas relevant werde.
Leben habe für Habermas je nach Herkunft unterschiedliche Wertigkeit. Der moralische Doppelstandard sei das Ergebnis der Logik des deutschen Exzeptionalismus, schlussfolgert Bayat.

Noch weiter in seiner Interpretation geht Hamid Dabashi, Professor für Iran-Studien und vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University in New York. Dabashi versucht den Nachweis, dass Rassismus, die unterschiedliche Wertigkeit menschschlicher Existenz dem Denken nicht nur von Habermas inhärent ist. Wie der Faschismus dem Denken Heideggers innewohnt, so wohne der Zionismus dem Denken zahlreicher europäischer Denker inne. Dabashi zieht eine Linie von Kant, über Hegel und Habermas bis hin zu Zizek. Ihr Denken sei tief eurozentrisch und damit kontaminiert.

Der offene Brief sei im Geist der deutschen Regierung und der deutschen Linken abgefasst, im Geist des dort herrschenden Rassismus, der Islamophobie und des Hasses auf Araber und Muslime sowie im Geist der Unterstützung der Völkermordabsicht.

„Diese moralische Verrohtheit ist nicht nur ein politischer Fauxpas oder ein ideologischer blinder Fleck. Sie ist tief in die philosophische Vorstellung eingeschrieben, die unheilbar völkisch geblieben ist.“

In Deutschland wird die Debatte selbstverständlich nicht geführt. Dort suhlt man sich in moralischen Überlegenheitsgefühlen. Dass inzwischen eine internationale Community von Intellektuellen und Künstlern zum Boykott Deutschlands aufruft, kehrt man in Deutschland ebenfalls unter den Teppich.

Tja, was soll man sagen. Die geopolitischen Verschiebungen sind grundlegend. Der Ansehensverlust deutscher Außenpolitik ist in der arabischen Welt umfassend. Mit Deutschland redet eigentlich niemand mehr. Deutschland unterstützt Genozid, setzt auf militärische Lösungen, lehnt Diplomatie sowie die Suche nach Kompromissen ab. In Deutschland herrscht ein Geist wie vor 1945, der seine Auferstehung dem Versuch verdankt, ein neues 1933 zu unterbinden. Den poltischen Verschiebungen folgt die Demontage deutscher Denker. Am Ende dieser geopolitischen Umwälzungen wird den Deutschen noch weniger bleiben als nach dem letzten Mal, denn selbst die Fähigkeit zu Denken wird den Deutschen inzwischen abgesprochen.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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