Ich bin in Westdeutschland geboren und sozialisiert. Das heißt, ich weiß über Russland und seine Geschichte eigentlich nichts. Wir wurden davon gut abschirmt. Inzwischen lebe ich in Russland und habe daher das dringende Bedürfnis, dieses Defizit zu beheben. Aus diesem Grund habe ich mir ein Buch mit dem Titel “Die russische Geschichte. Vom Altertum bis zur Gegenwart”, gekauft. Es ist als Bestseller gelistet, der Autor Boris Jakemenko ist ein bekannter russischer Historiker. Das Buch hat rund 1600 Seiten und beginnt damit, dass sich irgendwelche Stämme, von denen man nicht so genau weiß, woher sie kamen, links und rechts der Dnpr ansiedeln.
Inzwischen bin ich auf Seite 135 und in den 40 Jahren des dreizehnten Jahrhunderts angelangt. Aleksander Newski kämpft gerade gegen die Deutschen, die im Rahmen der Kreuzzüge in sein Fürstentum Nowgorod eingefallen sind.
Die deutschen Ritter waren der Überzeugung, über den wahren Glauben und damit die einzig richtige Sicht auf zu Welt zu verfügen. Sie dachten, die ganze Welt müsste so leben, wie man das auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation für richtig und geboten hält. Schon damals glaubte man an Werte-Export und daran, dass man irgendwie besser und der Welt leuchtendes Vorbild sei. Daraus leitete man das Recht ab, anderen Regionen der Welt vorzuschreiben, wie es zu laufen hat. Deutschland war damals schon Deutschland.
Deutschland war schon immer Deutschland
Beseelt von missionarischem Eifer richten die Ritter des Deutschen Ordens ein Gemetzel unter der Nowgoroder Zivilbevölkerung an, bezahlten das aber schließlich mit dem Tod. Der Fürst kreist mit seiner Streitmacht das Heer der Ritter des Deutschordens ein. Er trieb sie auf den im April noch zugefrorenen Peipussee. Aufgrund des Gewichts ihrer Rüstungen brechen die Ritter im tauenden Eis ein und ersaufen, viele werden einfach erschlagen oder mit Speeren durchbohrt. Ende der Episode.
Diese Geschichte beantwortet aber auch, warum deutsche Politik den Ukraine-Konflikt eskaliert, der Ukraine Waffen liefert und in diesen Tagen erlaubt, mit deutschen Waffen Russland anzugreifen: Es ist eine achthundert Jahre alte Gewohnheit – eine alte deutsche Tradition, sozusagen. Mit alten Gewohnheiten ist nur schwer zu brechen. Man denkt in Deutschland seit achthundert Jahren alle paar Dekaden, “dieses Mal klappt’s”, wir überfallen Russland, zeigen denen Mal, wo der Hammer hängt und wie es zu laufen hat, sichern uns zudem den Zugang zu den russischen Bodenschätzen und den Reichtümern des Landes, knechten und unterdrücken die russische Bevölkerung. Aber es klappt dann schließlich wieder nicht.
Offensichtlich ist am Ereignishorizont der Geschichte nun erneut das Momentum erschienen, das die deutsche Nation dazu nötigt, sich ihren Reality Check im Osten abzuholen, um im Anschluss wieder für eine gewisse Zeit zu einer relativen Friedfertigkeit zu finden. Deutschland tritt nun wieder in einen Krieg mit Russland ein. Die Erlaubnis, die Ukraine dürfe mit deutschen Waffen Ziele in Russland angreifen, setzt voraus, dass die Zieldaten von Deutschland geliefert werden. Deutschland ist damit Kriegspartei. Man bettelt geradezu darum, wieder kräftig eins auf die Fresse zu bekommen.Russland ist vorbereitet, denn all das passiert nicht zum ersten Mal, wie die Geschichte lehrt. Es ist eine tragische Zeitschleife, in der das deutsch-russische Verhältnis gefangen ist. Der Zyklus tritt jetzt in einen neuen Durchlauf des ein. Das deutsche Karma ist ein ganz schlechtes.
Das Land mit schlechtem Karma
Deutschland ist damit natürlich zudem ein tragisches Land. Offensichtlich ist es unfähig aus der eigenen Geschichte zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Es ist unterliegt mit dieser Unfähigkeit dem Zwang der Wiederholung gemachter Fehler. Was sich allerdings mit jedem neuen Durchlauf durch die Zeitschleife erhöht, ist die Zahl der Opfer. Waren es im Jahr 1242 einige tausend Tote, stieg die Zahl bei den weiteren Versuchen, Russland zu überfallen und zu unterjochen, immer weiter an.
Hinsichtlich des aktuellen Versuchs, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, um dem Land im Anschluss die Bedingungen diktieren zu können, wird in Russland über den präventiven Einsatz von Nuklearwaffen diskutiert. Da der Westen und mit ihm auch Deutschland immer weiter eskalieren, sie zudem der russischen Drohung, im Zweifelsfall nuklear zu antworten, keinen Glauben schenken, bleibe nur die Demonstration, dass die Drohung durchaus ernst gemeint ist, ist ein in Russland in diesen Tagen vorgebrachtes Argument.
Vermutlich geht es nicht anders, denn die jetzige Politikergeneration verfügt nicht über das intellektuelle Vermögen und die Kenntnisse der Geschichte, die eine Korrektur des eigenen Verhaltens auf der Grundlage von Einsicht ermöglichen würde. Sie sind auch alle in Westdeutschland geboren, wissen aber nicht, dass das umfassende Bildungsdefizite mit sich bringt. Das unterscheidet uns.
Das häufig vorgebrachte Argument, Deutschland sei ein Vasall der USA, setze daher lediglich deren Vorgaben um, halte ich für zu kurz gegriffen. Den politischen und medialen Eliten in Deutschland geht bei der Vorstellung, einen Sieg über Russland erringen zu können, sichtlich einer ab. Jede Zurückhaltung ist aufgegeben, jedes Nachdenken über mögliche Folgen unterbleibt.
Es braucht daher erneut den Schlag in die Fresse, damit wieder für ein paar Dekaden Ruhe einkehrt. Je heftiger er ausgeführt wird, desto nachhaltiger die Wirkung und desto länger der sich daran anschließende Frieden. Vielleicht klappt es angesichts der absehbar hohen Verluste dieses Mal sogar mit dem Lernen und Deutschland gelingt es, aus der Zeitschleife herauszuspringen, in der seine Geschichte seit nunmehr 800 Jahren kreist. Das ist zwar unwahrscheinlich angesichts der deutschen Halsstarrigkeit, aber die Hoffnung stribt ja bekanntlich als letztes.