19.4 C
Hamburg

Konfusion im Konsulat

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Einen Reisepass zu erhalten kann ein schwieriges Unterfangen sein. Speziell für Niederländer in Frankfurt. Aber die Waffeln sind gut.

Ein Gastbeitrag von Mathilde van der Linden.

Wenn man ins Gebäude eintritt, in dem sich das niederländische Pop-up-Konsulat in Frankfurt befindet, sieht man als erstes ein Schild, worauf auf Niederländisch erklärt wird, dass man bis zur vereinbarten Zeit auf dem Sofa neben der Küche warten kann. In der Küche gibt es Kaffee, Tee und stroopwafels.

»Toll«, dachte ich, »aber wo kann ich mich anmelden?«

Ich folgte Pfeilen auf dem Boden, ans Sofa vorbei, ging durch eine Tür, folgte weiteren Pfeilen, bis ich das Pop-up-Konsulat erspähen konnte: Ich sah eine Beamtin in einem Büroraum, die gerade mit einer Familie redete. Sonst nichts. Ich wollte nicht stören, drehte mich um und ging zurück Richtung Tür. Da sah ich die Toiletten und realisierte, dass ich mal musste, aber es gelang mir nicht, die Tür zu den Damentoiletten zu öffnen. Eine Putzfrau, die gerade vorbeikam, sagte mir, dass die Toiletten nur mit einer Karte geöffnet werden konnten und dass ich ihr folgen sollte zu Toiletten ganz hinten im Flur. Während ich ihr folgte, liefe ich an anderen Büroräumen, die alle für einen kurzen Zeitraum einzeln gemietet werden können, vorbei. Die Leute in den Räumen sahen alle grausam beschäftigt und ernsthaft aus. Auf den Toiletten gab es nur englischsprachige Schilder. Bald gibt es auch hier in Deutschland, sowie jetzt schon in den Niederlanden, Geschäfte, in denen man nur noch Englisch sprechen kann. Sagen Sie nicht, dass Mathilde van der Linden Sie nicht gewarnt hat!

Termine, Termine

Nach meinem Toilettenbesuch ging ich zurück Richtung Sofa. Es gelang mir aber nicht, die Tür neben dem Sofa zu öffnen. Gottseidank war da wieder die Putzfrau, die mir sagte, dass auch die Tür zum Warteraum nur mit einer Karte geöffnet werden kann, was sie netterweise für mich machte.

»Danke! Schön, dass Sie wieder da sind«, sagte ich ihr, »aber es ist schon merkwürdig, dass es einfacher ist reinzugehen als rauszukommen.« Die Putzfrau zuckte mit ihren Schultern. Die Türpolitik lag außerhalb ihrer Zuständigkeit.

Ich setze mich mit einer Tasse Tee und stroopwafels aufs Sofa und versprach mir, nur aufzustehen, wenn ich abgeholt wurde. Auf dem Tisch vor dem Sofa lagen Bücher über die besten Maler der Menschheitsgeschichte, die natürlich aus den Niederlanden kamen. »Schade, dass ich nicht zeichnen und malen kann, sonst wäre ich selber inzwischen auch weltberühmt«, sagte ich mir in aller Bescheidenheit.

Ich war vertieft in ein Buch über Vermeer, als eine andere Niederländerin sich neben mich setzte. Wir wünschten einander einen goedemorgen.

»Wann ist Ihr Termin?«, fragte sie.

»Wie spät haben wir es?«, fragte ich.

»10:31 Uhr«, antwortete sie.

»Mein Termin war vor einer Minute«, sagte ich.

»Mein Termin ist um 10:45 Uhr«, erwiderte sie. »Aber wenn Sie schon zu spät dran sind, bin ich auch zu spät dran und ich habe auf der Arbeit so viel zu tun.« Sie öffnete einen Laptop, auf dem sie anfing laut zu tippen. Ich fragte sie, was für Arbeit sie hatte. Sie antwortete mir, ohne mich anzugucken, dass sie in einer Anwaltskanzlei arbeite. Ich wollte sie zuerst fragen, ob es stimmt, dass in Anwaltskanzleien viel gekokst wird, um den Arbeitsdruck bewältigen zu können, aber entschied mich dann doch gegen diese Frage.

Ein altes, niederländisches Ehepaar kam einige Minuten später rein. Sie hatten auch einen Termin um 10:45 Uhr. Die Dame von der Anwaltskanzlei war empört. Wie konnte es zwei Termine um 10:45 Uhr geben? Wie viele Mitarbeiter arbeiteten wohl im Pop-up-Konsulat?

»Nur eine Mitabeiterin habe ich vorher drinnen gesehen«, sagte ich. Die Dame von der Anwaltskanzlei fing an zu schimpfen.

Gebühren, Gebühren

Die alte Frau, die gerade reingekommen war, musste aufs Klo. Ich erklärte ihr, dass sie zum Ende des Flurs gehen müsse, wo es rechts hinten Toiletten gab, aber dass sie auf dem Rückweg dann nicht mehr die Tür zum Warteraum öffnen konnte. Ihr Mann, so ein Schatz, bot an, während des Toilettenbesuchs, die Tür zum Warteraum aufzuhalten, damit sie wieder den Warteraum betreten konnte. Einige Augenblicke nachdem sie durch die Tür verschwunden war, kam die alte Frau zurück und sagte, dass die Beamtin drinnen nichts zu tun hatte. Ich nahm meine Sachen und ging in ihren Büroraum.

»Ich dachte, man wird abgeholt«, sagte ich ihr.

»Das steht nicht auf dem Schild vorne«, antwortete sie.

»Da steht auch nicht, dass man nicht abgeholt wird.«

»Sie sind die Erste, die es nicht kapiert.«

»Und wenn keiner kommt, denken Sie nicht, ich gucke mal, was los ist?«, erwiderte ich.

»Wenn die Leute kommen, kommen sie. Wenn die Leute nicht kommen, kommen sie nicht. Sowieso habe ich keine Karte, mit der ich die Tür zum Warteraum aufmachen kann.«

»Ernsthaft?«

Sie nickte zur Antwort.

»Na ja, weil ich auch was Positives sagen möchte: die stroopwafels sind lecker.«

»Danke. Wir bemühen uns. Wann haben Sie Ihren Termin?«

»Um 10:30 Uhr.«

»Sie sind zu spät, aber gut, ich helfe Ihnen trotzdem, weil man für Ihr Anliegen nicht viel Zeit braucht.«

Sie überprüfte die Passbilder und Dokumenten, die ich mitgenommen hatte, und fragte mich, warum ich jetzt schon einen neuen Reisepass und einen neuen Personalausweis beantragte.

»Weil ich nicht weiß, ob Sie in zwei Jahren auch noch nach Frankfurt kommen.«

»Wir haben vor weiter zu kommen. Für den nächsten Monat haben wir den Raum schon gebucht.«

»Ich rede nicht vom nächsten Monat, sondern von zwei Jahren.«

»Warum wollen Sie einen dicken Reisepass mit zusätzlichen Seiten? Ich sehe, dass Sie in den letzten Jahren nicht viel gereist haben.«

»Es scheint eine Pandemie gegeben zu haben.«

Meine Antwort war anscheinend befriedigend und sie fing an, meine Fingerabdrücke zu scannen. Als sie damit fertig war, musste ich zahlen: Die normalen Gebühren für Reisepass und Ausweis, zusätzliche Gebühren für die zusätzlichen Reisepass-Seiten, zusätzliche Gebühren für den Reisepass, weil die Beamtin aus Luxemburg nach Frankfurt gekommen war, zusätzliche Gebühren für den Personalausweis, weil die Beamtin aus Luxemburg nach Frankfurt gekommen war, und die UPS-Versandgebühren für den Reisepass und die DHL-Versandgebühren für den Ausweis. Nur die stroopwafels waren umsonst.

Vorgaben, Vorgaben

»Kann ich den Pass und den Personalausweis nicht einfach hier abholen?«, fragte ich.

»Wann denn? Wir sind hier doch nur ein paar Tage im Monat«, sagte sie erschrocken. »Den Pass schicken wir direkt mit UPS aus Luxemburg zu Ihnen. Den Personalausweis schicken wir zur Botschaft in Berlin. Von dort wird der Ausweis per DHL-Einschreiben eigenhändig zu Ihnen geschickt.« Sie sprach Einschreiben eigenhändig mit einem Vergnügen auf Deutsch aus, das ich nur empfinde, wenn ich das Wort Sachertorte sage.

»Warum schicken Sie mir auch nicht den Personalausweis direkt aus Luxemburg?«, fragte ich.

»Vorgaben«, sagte sie.

»Vorgaben?«

»Da kann man nichts machen«, sagte sie und sie zuckte mit ihren Schultern. Die Versandpolitik lag außerhalb ihrer Zuständigkeit.

»Wann sind meine Dokumente fertig?«

»Spätestens in fünf Wochen.«

»Das dauert gar nicht so lange«, sagte ich, worauf die Beamtin zum ersten und letzten Mal lächelte.

 

Mathilde van der Linden ist Buchhalterin aus den Niederlanden. Sie arbeitet und wohnt in Frankfurt am Main.

Gastautor
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Der Inhalt dieser Veröffentlichung spiegelt nicht unbedingt die Meinung der neulandrebellen wider. Die Redaktion bedankt sich beim Gastautor für das Überlassen des Textes.

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