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Hamburg

Ein neuer Reisepass

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Auch Niederländer brauchen dann und wann einen Reisepass. Den zu erlangen, ist eine Reise ins Ungewisse.

Ein Gastbeitrag von Mathilde van der Linden.

Der niederländische Staat hasst die Niederländer im Ausland. Früher gab es ein niederländisches Konsulat in Frankfurt. Das wurde geschlossen. Für einen neuen Reisepass musste ich daher zum niederländischen Konsulat in Düsseldorf. Das wurde auch bald darauf geschlossen, so wie die niederländischen Konsulate in anderen europäischen Großstädten. Das nächste Mal musste ich am Flughafen von Amsterdam einen neuen Reisepass beantragen. Dort arbeitete am Schalter eine Bürokratin, die keinen einzigen Fehler in den Unterlagen verzieh und es genoss, anderen das Leben schwer zu machen. Sie fand es sogar sehr geil, dass ich ihr sagte, dass sie ein fürchterlicher Mensch sei!

Als ein niederländischer Kollege mir erzählte, dass die niederländische Botschaft in Luxemburg ein paar Tage im Monat einen Büroraum in Frankfurt mietet, um Niederländer im Rheinmain-Gebiet konsularisch beizustehen, habe ich sofort einen Termin vereinbart, um einen neuen Reisepass und einen neuen Ausweis zu beantragen. Es ist mir nämlich nicht klar, wie lange die niederländische Botschaft in Luxemburg noch nach Frankfurt kommt, beziehungsweise selber noch aufhat. Wenn man nicht schon paranoid ist, wird man es wohl durch die Launen der niederländischen Bürokratie.

Treffen auf hohen intellektuellen Niveau

Man kann nicht die Botschaft in Luxemburg anrufen, um einen Termin zu vereinbaren und nebenbei ein bisschen gemütlich zu plaudern, wie man das so gerne macht, wenn man endlich mal wieder mit einem anderen Niederländer spricht. Die Terminvereinbarung geht nur online. Das Recht auf ein analoges Leben hat ein Niederländer im Ausland schon ganz lange nicht mehr.

Für meinen neuen Reisepass und meinen neuen Personalausweis brauchte ich neue Passbilder. Der Mitarbeiter im Fotogeschäft in Frankfurt war sich sicher: die Vorgaben für ein niederländisches Passbild sind genau dieselbe als für ein deutsches Passbild.

»Wirklich?«, fragte ich.

»Beide biometrisch, beide dieselbe Größe«, sagte er mit einer Miene, die zu verstehen gab, dass er wohl der Experte war und nicht ich. Er bat mich in einen Raum hoch, in dem es eine Kamera gab.

»Es gibt oben einen Spiegel. Ich gebe Ihnen ein bisschen Zeit, damit sie sich zurechtmachen können, bevor ich hochkomme.«

Ich guckte oben in den Spiegel und lächelte mich an. Dazu sind Spiegel ja da. Sonst hatte ich nicht das Bedürfnis irgendwas an meinem Aussehen zu ändern. Als der Mitarbeiter die Treppe hochkam und fragte, ob ich fertig war, antwortete ich »schon eine Weile.« Er guckte mich an, zog eine Augenbraue hoch, aber sagte weiter nichts. Ich setzte mich auf den vorgesehenen Stuhl. Der Mitarbeiter bat mich zu lächeln.

»Bei uns in den Niederlanden darf nicht mehr gelächelt werden, zumindest nicht auf den Passbildern. Früher schon, jetzt nicht mehr.«

»Früher war alles besser« sagte er, während er mich fotografierte. Er zeigte mir mein Bild auf dem Display seiner Kamera. Ich sah aus wie jemand, dem am selben Tag das Konto gesperrt und das Auto abgeschleppt worden war. Solche Tage gibt es.

»Wollen wir es nochmal probieren?« fragte er.

»Nein, aus Erfahrung weiß ich, dass das nichts bringt. Und es ist sowieso nur ein Bild für einen Reisepass, nicht für eine Dating-Site«, antwortete ich.

»Man muss sich annehmen, so wie man ist«, sagte er philosophisch.

»Es ist, was es ist«, antwortete ich genauso philosophisch. Dies war ein Treffen auf hohem intellektuellem Niveau geworden.

Seelenverwandt

Unten im Geschäft bearbeitete der Mitarbeiter mein Bild, um dafür zu sorgen, dass es den amtlichen Vorgaben entsprach.

»Meine Coiffure ist nicht vollständig sichtbar. Sind Sie sicher, dass das korrekt ist?«, fragte ich, obwohl »Coiffure« ein großes Wort ist für das ist, was meine kleinen Nichten frech so umschreiben: »Tante, haben Sie wieder Ihren Finger in die Steckdose gesteckt?«

»Es geht nicht anders. Ihr Gesicht muss genau so viel Millimeter groß sein, wie es biometrisch vorgeschrieben ist.«

»Die Biometrie ist kein Fortschritt«, sagte ich.

»Früher war alles besser«, sagte der Mitarbeiter wieder. Erst jetzt fiel mir auf, dass er ein Trikot der niederländischen Fußball-Nationalmannschaft trug.

»Sie tragen ein Trikot von Oranje. Sind Sie vielleicht ein akzentfreier Niederländer – oder einfach ein Fan?«

»Ich bin halbwegs ein Fan«, antwortete er.

»Halbwegs? Das geht schon mal in die richtige Richtung«, antwortete ich.

»Früher war ich ein richtiger Fan, vor allem von Frank Rijkaard«, sagte er. Dass er gerade ein Fan war von dem Mann, der Rudi Völler bespuckt hat, fand ich merkwürdig. Da ich manchmal auch merkwürdig bin, wollte ich dies nicht thematisieren und sagte ich nur, dass früher alles besser war. Er guckte mich an, als wäre ich eine Seelenverwandte.

Als er mich fragte, ob ich bar oder mit Karte für die neuen Passbilder zahlen wollte, antwortete ich, dass nur Bares Wahres ist, was er sehr lustig fand. Mit einem niederländischen Akzent klingen altbackene Klischees ja ofenfrisch.

Biometrisch korrekt behindert

Zwei Tage nach meinem Besuch im Fotogeschäft bekam ich eine E-Mail von der niederländischen Botschaft in Luxemburg. Darin stand, dass die niederländischen Vorgaben für Passbilder sich deutlich unterscheiden von den deutschen. Merkwürdig, dass man sich in Europa über eine Währungsunion schon, über Angaben für Passbilder aber nicht verständigen kann.

Die niederländische Botschaft empfahl mir ein Fotogeschäft im Zentrum von Frankfurt, wo man nur mit einem vorher vereinbarten Termin vorbeikommen kann, nachdem man für die gewünschte Leistung online im Voraus bezahlt hat. Die spinnen wohl!

Eine Freundin empfahl mir stattdessen, ein Fotogeschäft in ihrem Viertel zu besuchen. Die Dame hinter der Theke dort hatte eine dicke Mappe mit den Vorgaben von den meisten Passbildern der Welt. Sie erklärte mir, dass auf den niederländischen Passbildern das Gesicht kleiner ist als auf den deutschen Passbildern. Als ich zuguckte, wie sie mein Bild digital in das niederländische Raster presste, sah ich erleichtert, dass meine Coiffure jetzt vollständig in Bild gebracht worden war, auch weil ich inzwischen einen Frisör besucht hatte. Der Stand meines Kopfes war aber schief, was sie nicht korrigierte, indem sie mich nochmal fotografierte, aber indem sie das Bild auf dem Computer in seiner Achse drehte.

Jetzt war mein Kopf gerade, meine Schultern aber nicht. Irgendwie sah ich behindert aus. Egal, das Ergebnis war biometrisch korrekt. Mit den Bildern und einem Stapel Papiere, die ich zu Hause runtergeladen, ausgedruckt und ausgefüllt hatte, ging ich zum sogenannten Pop-up Konsulat, das die niederländische Botschaft in Luxemburg ein paar Tage im Monat in Frankfurt betreibt.

Wird fortgesetzt …

 

Mathilde van der Linden ist Buchhalterin aus den Niederlanden. Sie arbeitet und wohnt in Frankfurt am Main.

Gastautor
Gastautorhttps://staging.neulandrebellen.de/
Der Inhalt dieser Veröffentlichung spiegelt nicht unbedingt die Meinung der neulandrebellen wider. Die Redaktion bedankt sich beim Gastautor für das Überlassen des Textes.

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