In der Diskussion über den Nahostkonflikt geben sich die Parteien derzeit kein Pardon. Wer sich auf Seiten Israels positioniert, verurteilt die Hamas und hält jede Maßnahme gegen sie für legitim – auch den massenweisen Mord an Palästinensern. Umgekehrt gibt es aus dem Kreis der Verteidiger Palästinas auch deutlich hörbare antisemitische Anklänge. Als am Montag ein aufgestachelter Mob in der südrussischen Stadt Machatschkala den Flughafen stürmte, ging es tatsächlich darum, aus Israel kommende Staatsbürger ausfindig zu machen und … Nun, was dann gekommen wäre, weiß man nicht, denn dazu ist es zum Glück nicht gekommen. Machatschkala liegt in der islamischen Republik Dagestan im Nordkaukasus.
Ich habe dort einen Freund, den ich bei meinem ersten Besuch in Tschetschenien vor einigen Jahren kennengelernt habe. Ich nenne ihn hier Ali. Ali ist das, was man mit gutem Grund einen Antisemiten nennen kann. Von Zeit zu Zeit schickt er mir Links zu Videos, die belegen sollen, dass Juden muslimische Kinder töten und ihr Blut trinken. Man könnte nun einfach den Kontakt abbrechen, aber was würde das ändern? Ali hat mich noch nie beleidigt, wir hatten zwar Meinungsverschiedenheiten aber noch nie echten Streit. Er hat mir nur einmal gesagt, ich könne bei aller Ausbildung nicht der hellste in der Birne sein, wenn ich offensichtliche Zusammenhänge nicht erkennen würde. Nun gut. Er ist einfach Antisemit und ich bin es nicht.
Das Problem, das sich nun aus all diesen Verschwörungstheorien und Vorurteilen ergibt angesicht der Geschehnisse in Israel ergibt, ist offensichtlich. Mein muslimischer Freund fühlt sich in allem bestätigt, was er über Juden dachte. Das ist natürlich ein Kurzschluss im Denken. Aber wem ist das noch nie passiert?
Mein Freund ist Antisemit
Natürlich ist sein Antisemitismus irrational, doch was kann man ihm an Rationalität in diesen Tagen entgegenhalten? War es früher schon immer schwierig, zu argumentieren, ist es jetzt faktisch unmöglich, denn die Belege für seine Theorie muss er sich nun nicht mehr aus dubiosen YouTube-Kanälen zusammensuchen. Sie laufen in den Nachrichten und stehen in der Zeitung. Israel begeht ein Massaker an den Palästinensern, heißt es sogar bei den Vereinten Nationen.
Alis Antisemitismus wird sich in der nächsten Zukunft nicht mindern oder gar verschwinden. Im Gegenteil. Daran werden auch Verbote nichts ändern. Verbietet man Ali, das zu sagen, was er denkt, dann wird er nicht aufhören es zu denken, sich durch das Verbot sogar noch bestätigt sehen. Rassismen sind hartnäckig, wie man auch gerade an Deutschland zeigen kann.
Der Rassismus vom mordenden und vergewaltigenden Russen sitzt in manchem deutschen Kopf so fest, wie das Bild vom Kinderblut trinkenden Juden im Kopf von Ali. Genau so wie Ali sich durch das israelische Massaker in Gaza in seinem Urteil bestätigt sieht, sehen sich viele Deutsche durch die Bilder aus Butscha in ihrem Russenbild bestätigt. Dass es sich dabei um eine strategisch platzierte False-Flag handeln könnte, wird schlicht ignoriert.
Der alltägliche Rassimus ist …
Russland hatte der Ukraine unmittelbar nach Beginn der Kampfhandlungen am 24. Februar 2022 Verhandlungen angeboten. Ab dem 27. Februar traf man sich – zunächst in Weißrussland, dann in der Türkei. Zu der getroffenen Vereinbarung gehörte, dass sich russisches Militär aus der Region um Kiew zurückzieht, was es auch tat. Wenige Tage danach machten die grausamenen Bilder von Butscha die Runde und emotionalisierten die westliche Welt. Damit war die zwischen Kiew und Moskau getroffenen Friedensvereinbarung hinfällig. Selensky zog sich, wohl auch auf Druck des britischen Minsiterpräsidenten Boris Johnson und unter Hinweis auf die russischen Gräueltaten aus der Verinbarung zurück. Der Krieg geht bis heute weiter.
Mit den Bildern wurden in den Köpfen westlicher Beobachter jene rassistischen Reflexe ausgelöst, die bei Ali die Bilder des Bombardements von Gaza ausgelöst haben. Wer daher Ali verurteilt, ihn für einen rassistischen Vollidioten hält, sollte sich überlegen, wie im April 2022 die eigene Reaktion auf die Bilder aus Butscha ausgefallen ist. Wurde da nicht alles an Vorurteil aktiviert, was man als Deutscher oder Westeuropäer an Rassismus gegenüber Russen mit sich rumträgt? Unter normalen Umständen insgeheim mit sich rumschleppt, versteht sich. Normalerweise so gut verborgen, dass man es selbst kaum bemerkt?
Während man in Deutschland sich empört über den Antisemitismus von Muslimen äußert, über Verbote und Abschiebungen nachdenkt, weil man aufgrund der Geschichte des eigenen Landes die moralische Verpflichtung habe, sich dieses Mal an der Seite Israels und der Juden zu positionieren, bedient deutsche Politik und die deutsche Berichterstattung zum Ukraine-Krieg jedes rassistische Klischee über Russen, das jemals existiert hat. Der reaktionäre Deutsche unterschiedet sich in nichts von einem antisemitischen Moslem in dieser Zeit. Lediglich das Objekt des Hasses ist ein anderes.
… der ewige Rassismus
Wer von euch ohne Sünde, der werfe den ersten Stein, steht in der Bibel und man täte in Deutschland gut daran, angesichts der neu aufflammenden Verbots- und Zensurdiskussion dies zu beherzigen. Rassismus lässt sich vermutlich nicht ausrotten. Er lässt sich nur mäßigen. Dazu bedarf es Frieden und einer Gesellschaft, in der friedliches Zusammenleben gefördert wird. Austausch, Begegnung und eine Kultur der allseitigen Zuneigung, in der man die bedingungslose Achtung vor dem Menschen und seiner Rechte lehrt und für alle gleichermaßen verteidigt, sind dafür notwendig.
In Krisen bricht der Rassismus wieder auf, wie das Beispiel Ali, aber auch das Beispiel Deutschland zeigt. Bei Ali sind es die Juden. Im Falle vieler Deutscher ist es der ewige Russe. Ein grundlegender Unterschied besteht nicht.