ckeDie deutsche Parteienlandschaft ist schon lange aus dem Gleichgewicht. Seit der Agenda 2010 und der Durchsetzung der Hartz-Gesetze hat der Deutsche Bundestag eine starke marktradikale Schlagseite. Mit dem wirtschaftspolitischen Schwenk nach rechts durch die SPD saßen plötzlich vier neoliberale Parteien im Bundestag, die vor allem in ihrer wirtschaftspolitischen Ausrichtung alle untereinander koalitionsfähig waren, wie die Jahre nach dem Jahr 2000 zeigen sollten. Der Bundestag bestand unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten aus einer Einheitspartei mit unterschiedlichen Flügeln.
Alle Parteien können miteinander, nur mit dem Wähler können sie immer weniger, denn der Fokus auf die vermeintlich regelnde Kraft des Marktes richtet sich gegen die vitalen Interessen der Bürger, die eine funktionierende Infrastruktur ebenso benötigen wie ein funktionierendes Sozial- und Gesundheits- und Bildungssystem. Der anhaltende wirtschaftliche Niedergang Deutschlands ist dem neoliberalen Schwenk der Parteien geschuldet. Seitdem alle relevanten Parteien die angeblich heilenden Kräfte des Marktes für sich als politischen Markenkern entdeckt und sich von aktiver Wirtschaftspolitik verabschiedet haben, geht’s mit Deutschland stetig bergab. Die Wachstumsraten sind niedrig, Deutschland ist in zahlreichen Bereichen inzwischen abgehängt. Die Gesellschaft driftet auseinander.
Als die Linke als Antwort auf den neoliberalen Schwenk der SPD aus der Wahlalternative soziale Gerechtigkeit (WASG) und der Partei des Demokratischer Sozialismus (PDS) durch Zusammenschluss gegründet wurde, war das Ziel, die politische Leerstelle, die von der SPD hinterlassen worden war, zu schließen.
Leerstellen in der Parteieinlandschaft
Es ist wichtig, das zu verstehen. Die Linke wollte nicht den Kapitalismus grundsätzlich abschaffen, nicht die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel, keine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Sie wollte nicht die Diktatur des Proletariats. Das waren Ideen, die es in der Linken gab und die dort auch ihren Ort hatten. Aber Die Linke wollte zunächst vor allem die SPD ersetzen, weil die SPD aufgegeben hatte, sozialdemokratische Politik zu machen und ihre Wähler in die politische Obdachlosigkeit entlassen hat. Sie war daher eine sozialdemokratische Partei mit sozialistischen und kommunistischen Anklängen.
Der Versuch, die SPD zu ersetzen, ist gescheitert. Die Linke hat sich in politischen Moden verlaufen. Das Klientel, dem die SPD die politische Repräsentation entzogen hatte, ist weiterhin politisch ohne Obdach. Die Linke wollte den Job, für den sich sich eigentlich beim Wähler beworben hatte,schließlich doch nicht machen. Er war ihr nicht chic genug, das Klientel zu piefig. Sie wollte lieber queer, bunt und woke sein.
An keiner Personalie wird so sehr deutlich, dass die Linke sich nicht um ihr eigentliches Klientel kümmert, wie an der Nominierung von Carola Rackete zur Spitzenkandidatin für den EU-Wahlkampf. Carola Rackete ist Seenotretterin. Sie vertritt keine linke, sozialistische oder auch nur sozialdemokratische Position. Rackete will offene Grenzen durchsetzen und verfolgt das Ziel mit ihren Mitteln. Sie nimmt Menschen, die nach Europa wollen, vor der Küste Afrikas auf, bringt sie nach Italien und erzwingt dort ihre Aufnahme. Freizügigkeit, offene Grenzen und der ungehinderte Strom von Arbeitskräften ist aber eine neoliberale und keine linke Idee.
Jetzt versucht Sahra Wagenknecht erneut, die Leerstelle, die inzwischen von sowohl der Partei Die Linke als auch der SPD hinterlassen wurde, zu füllen und eine sozialdemokratische Partei in der deutschen Parteienlandschaft zu verankern. Die vielfachen Klagen aus linken Kreisen, dass Wagenknecht offensichtlich nicht die reine Lehre umzusetzen plant, wie sie von Lenin und Marx formuliert wurde, sind angesichts der Vorgeschichte verwunderlich. Das war schon bei der Gründung der Linken nicht das anvisierte Ziel.
Normale Politik für normale Bürger
Die Kritik an Wagenknecht geht daher an der Sache vorbei. Es braucht eine sozialdemokratische Partei in der deutschen Parteienlandschaft, die auch tatsächlich soziale Politik macht. Ansonsten ist die Parteienlandschaft in Deutschland nicht vollständig. Man kann das als zu wenig radikal kritisieren – mag sein. Dann aber ist das zugrundeliegende Problem noch nicht gelöst. Es braucht übrigens auch eine konservative Partei in Deutschland. Auch diese Stelle war nach dem Schwenk der CDU und bis zu Gründung der AfD unbesetzt.
Der enorme Zuwachs an Zustimmung zur AfD hat paradoxerweise auch damit zu tun, dass es diese sozialdemokratische Leerstelle in der deutschen Parteienlandschaft gibt. Wer einen Job im unteren Lohnsegment hat, seine sexuelle Orientierung politisch völlig unkorrekt mit „normal“ angibt, eine klassisches Familienmodell für erstrebenswert und erfüllend hält, der wird aktuell von der AfD angezogen. Wer sich obendrein ein gutes Verhältnis zu Russland, ein Ende der Spirale der Eskalation in der Ukraine wünscht und sich für Frieden einsetzt, dem bleibt aktuell nur die Wahl der AfD, auch dann, wenn das Herz eigentlich links schlägt. Diese Menschen brauchen eine politische Repräsentation. Was sie in Deutschland aber bekommen, ist mediale Stigmatisierung und ein Abkanzeln von der Politik als rechts.
Wagenknecht will, soweit sich das bisher absehen lässt, genau diesen Menschen wieder eine Stimme in der deutschen Parteienlandschaft verschaffen. Auch wenn sich das von noch weiter links alles und alles auch aus gutem Grund kritisieren lässt, ist die Partei-Gründung wichtig und vor allem richtig. Sie füllt eine Leerstelle, die schon viel zu lange unbesetzt ist und die eben auch von denen, die von noch weiter links Wagenknecht kritisieren, auch nicht besetzt werden konnte. Auch dafür gibt es gute Gründe.