Warum man Ebay-Kleinanzeigen vermeiden sollte und Herr De Lapuente in einem sadistischen Universum lebt.
Ein Gastbeitrag von Mathilde van der Linden.
Einmal nur habe ich versucht etwas über Ebay-Kleinanzeigen zu verkaufen: einen weißen Sessel, dessen Maße ich explizit in der Anzeige vermeldete. Trotzdem bekam ich nur Anfragen, mit der Bitte um Antwort, wie groß der Sessel denn sei. Einige Personen wollten zudem die Farbe des Sessels in Erfahrung bringen, obwohl die Anzeige ein Bild des Sessels enthielt. Ich kam zu der Schlussfolgerung, dass das Ebay-Kleinanzeigen-Portal hauptsächlich von einem Menschenschlag benutzt wird, der fragt, wo die Toilette ist, während er neben der Toilette steht. Ich habe nichts gegen diesen Menschenschlag, nur will ich nicht mit ihm in Kontakt treten.
Meine gute Freundin, Frau Meyer, machte dieselbe Erfahrung, als sie ihren Crosstrainer über Ebay-Kleinanzeigen verschenken wollte. Ich habe übrigens keine Ahnung, was ein Crosstrainer genau ist. Ich nehme an, es handelt sich um eine Art Folterinstrument, das man euphemistisch als Fitnessgerät vermarktet. Jedenfalls hatte Frau Meyer ihren Crosstrainer satt, fand es aber trotzdem Schade, ihn beim Sperrmüll abzustellen und versuchte deshalb über Ebay-Kleinanzeigen einen Masochisten zu finden, der vielleicht Lust hätte, das Gerät aus ihrer Wohnung, weit oben im fünften Stock, über das Treppenhaus runter zu schleppen, es durch die Stadt zu transportieren, um sich damit zu Hause weiter peinigen zu können. Wenn man versucht so einen Masochisten über ein Portal zu finden, in dem größtenteils Menschen unterwegs sind, die auf einem Bild die Farbe ihrer eigenen Unterhose nicht erkennen würden, dann bittet man darum, sich Probleme einhandeln zu dürfen. Und die bekam Frau Meyer.
Einem geschenkten Gaul, haut man direkt aufs Maul
Erstens bekam sie natürlich unzählige Anfragen bezüglich der Größe und der Farbe des Crosstrainers – trotz detaillierter Angaben und Bilder in der Anzeige. Die Interessenten, die die Maße und die Farbe des Gerätes gut genug für ihre sportlichen Ansprüche fanden, waren dann aber nicht sportlich genug, um es aus dem fünften Stock runterschleppen zu wollen. Nach einer Weile blieb nur eine Interessentin übrig, die das Gerät tatsächlich bei Frau Meyer abholen wollte. Das Problem war nur, na ja, lesen Sie selber die Nachricht der Interessentin:
»Ich könnte am nächsten Donnerstag den Crosstrainer vormittags kurz abholen. Wäre dies möglich? Wie lautet die Adresse in Frankfurt? Ist die Adresse sehr weit außerhalb? Ich bin sehr beschäftigt und habe nicht viel Zeit, um kurz vorbeizukommen. Wenn die Anfahrt sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, nehme ich den Crosstrainer nicht.«
Ich hätte nach so einer Nachricht schon keine Lust mehr gehabt, mit der Interessentin zu kommunizieren, aber Frau Meyer ist ein besserer Mensch als ich.
Frau Meyer hatte an dem genannten Donnerstagvormittag keine Zeit und schlug der Interessentin einen anderen, einen abendlichen Termin vor. Weil keine Rückmeldung von der Interessentin kam, akzeptierte Frau Meyer eine andere Einladung von einem Freund für den genannten Abend, war aber trotzdem so freundlich, der Interessentin zu schreiben, dass der vorgesehene Termin nicht mehr zur Verfügung stand. Frau Meyer, die sehr viel Geduld hat mit Menschen, die sehr wenig Zeit haben, bot einen Ersatztermin an einem anderen Abend an.
Auf den neuen Terminvorschlag antwortete die Interessentin folgendes: »Der Termin abends war verbindlich vereinbart worden. Die kurzfristige Umentscheidung von Ihnen ist unangemessen. Ihr neuer Vorschlag ist eine verbindliche Aussage. Ich würde bitten den nächsten Termin einzuhalten und dies ohne mehrmalige vorherige Bestätigung von mir. Ich habe keine Zeit jeden Tag, jede Stunde, jede Minute in Kleinanzeigen zu chatten und nachzuschauen. Ich bin auch jetzt sehr beschäftigt und schreibe Ihnen lediglich aus oben genanntem besonderem Anlass des Absagens eines Termins von Ihnen.«
Herr De Lapuente im sadistischen Universum
Frau Meyer, deren Geduld inzwischen aufgezehrt war, antwortete, dass sie das Fitnessgerät nicht mehr verschenken möchte. Die Interessentin schrieb darauf, dass Frau Meyers Entscheidung unverhältnismäßig sei. Wegen der Absage des ersten abendlichen Termines hätte sie sogar eine Entschuldigung von Frau Meyer erwartet: »Denn Sie wollen etwas von mir, da ich Ihnen den Crosstrainer abgenommen und sogar ohne Fahrstuhl mehrere Stockwerke transportiert hätte … macht nämlich niemand, noch nicht mal Sie selbst … Sie kommunizieren nicht adäquat und verstehen weder Social-Media-Chats noch verbindliche offizielle reale Absprachen und Termine. Ich sehe von weiteren Kommunikationen mit Ihnen ab.«
Als Frau Meyer mir empört die Korrespondenz mit der Interessentin vorlas, konnte ich mit dem Lachen nicht aufhören. Herr De Lapuente, der auch mit Frau Meyer befreundet ist, fand das Ganze aber nicht so lustig. Er behauptete, die Interessentin gehöre nicht zu der Gemeinschaft der Vernünftigen und solle aus dem Sozialverkehr verbannt werden und weiter unter Steinzeitbedingungen in einer Höhle leben – oder Ähnliches. (Herr De Lapuentes Tiraden sind mir zu barock, ich höre nicht immer richtig zu.) Jedenfalls war es nicht die Reaktion, die man von einem selbsternannten gelassenen Katholiken erwarten würde. Das darf nicht erstaunen, da Herr De Lapuente ist weder katholisch noch gelassen ist.
Gewiss behauptet Herr De Lapuente, dass das so nicht stimme – aber gleichwohl: er ist ein Atheist. Die Tatsache, dass er Kirchensteuer zahlt, ändert daran nichts. Nur weil ich dem deutschen Staat (so wenig wie möglich) Steuer zahle, bin ich noch keine Deutsche. Und nur weil er Kirchensteuer zahlt, ist er noch nicht katholisch. Ein Atheist, der Kirchensteuer zahlt, ist übrigens genau so absurd wie jemand ohne Führerschein, der für die ADAC-Mitgliedschaft zahlt. Mit Herr De Lapuentes Kirchensteuerentrichtung ist aber wahrscheinlich bald Schluss, da ich, als die Buchhalterin seines Vertrauens, ihm erzählt habe, dass er nicht nur ein Prozent Kirchensteuer zahlt, wie er irrtümlich dachte.
Als Atheist lebt Herr De Lapuente natürlich in etwas, was der niederländische Schriftsteller W.F. Hermans ein »sadistisches Universum« nannte. Kein Wunder, dass Herr De Lapuente oft schlecht gelaunt ist. Trotzdem hätte ich gehofft, dass er nach seinem jüngsten Sommerurlaub ein bisschen fröhlicher sein würde als sonst. Als ich ihn kurz nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub traf, war er aber noch schlechter gelaunt als vor seinem Urlaub. Er jammerte nur: Die Straßenbahn war zu spät gewesen, nichts in diesem Land funktioniere mehr, draußen auf der Terrasse war es zu nass, drinnen im Restaurant war es zu warm und zu laut, die multikulturelle Gesellschaft sei gescheitert, die Pizza sei zwar gut aber nicht außergewöhnlich – und immer so weiter. Irgendwann hörte ich nicht mehr zu und sagte mir, dass nur Euthanasie Herrn De Lapuente helfen würde.
Verdi ohne Beine
Als die Rechnung kam, musste ich für ihn zahlen, weil die Pizzeria nur Bargeld akzeptierte und er wieder mal nicht genug Bargeld bei sich hatte. Ich wollte ihn eigentlich die Teller waschen lassen, aber Herr De Lapuente klagte die ganze Zeit über eine Wunde an seinem linken Bein und ich hatte dann doch ein bisschen Mitleid mit ihm. Das war jedoch wieder schnell aufgebraucht, als er im Café, in das wir danach hingingen, der Kellnerin erklärte, dass das Biersortiment seinen hohen Geschmacksansprüchen nicht entgegenkomme. Sie guckte mich zurecht bemitleidend an: Es ist nicht einfach mit Herrn De Lapuente befreundet zu sein. Ich bat ihn, mir die Beinwunde zu zeigen und er zog sein Hosenbein hoch.
»Schade, die Wunde ist nicht schwarz«, sagte ich enttäuscht. »Es wäre schön, wenn man das Bein amputieren könnte. In einem Rollstuhl könntest du eine Opernvorstellung für nur sechs Euro besuchen. Als deine Begleitperson würde ich nur zehn Euro zahlen. Wenn man nur oft genug in die Oper geht, lohnt sich eine Amputation total.«
Herr De Lapuente fand das einen lustigen Gedanken. »Denkst du die Wunde wird irgendwann noch schwarz?«, fragte er hoffnungsvoll. Ich psychoanalysiere meine Freunde ungerne, aber ich denke, dass Herr De Lapuente unbewusst schon weiß, dass es ihm nicht schaden würde, mehr Verdi und weniger Nirvana zu hören.
»Du hast so viel Pech im Leben. Ich glaube eher nicht«, antwortete ich.
»Vielleicht ist es ist doch besser, dass ich beide Beine behalte«, sagte er. »Ich habe nämlich einen Heimtrainer bestellt.«
»Warum hast du nicht Frau Meyers Crosstrainer genommen?«
»Ich bin doch nicht verrückt! Ich gehe doch nicht fünf Stockwerke hoch, um einen Crosstrainer fünf Stockwerke runterzuschleppen und durch die ganze Stadt zu transportieren. Das machen nur Idioten.«
»Du hast den Heimtrainer bestimmt bald statt.«
»Du bist immer so negativ«, antwortete Herr De Lapuente.
Ich bin nicht negativ, ich bin ein Realist. Meine Vorhersage lautet: In zwei Monaten hat Herr De Lapuente den Heimtrainer satt. Das wäre nicht schlimm, weil er dann mehr Zeit hätte, die Bücher von W.F. Hermans zu lesen. Wenn Sie, liebe Leser, Interesse an einem kostenfreien Heimtrainer haben, notieren Sie das bitte unten im Kommentarbereich. Zu Ihrer Beruhigung: Herr De Lapuente wohnt in einer Erdgeschosswohnung.
Mathilde van der Linden ist Buchhalterin aus den Niederlanden. Sie arbeitet und wohnt in Frankfurt am Main.