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Hamburg

Bratwürste zum Ersticken

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Zehn Gramm Fleisch am Tag sollen künftig reichen. Dann hat das große Grillen vielleicht endlich ein Ende.

Ein Gastbeitrag von Mathilde van der Linden.

»Was hasse ich die Nachbarn«, sagte mein flämischer Kumpel Jan während wir in seinem Garten in einem Dorf unweit von Frankfurt saßen.

»Was ist jetzt wieder los mit denen?«, fragte ich.

»Merkst du es nicht?«, fragte er.

»Was denn?«

»Die grillen wieder.«

»Was ist daran so schlimm?«

»Ach, Jan übertreibt wieder«, seufzte seine Frau Veerle. »Jedes Jahr ist sein Gemecker ein bisschen schlimmer als das vom vorherigen Jahr.«

»Wie lange kennt ihr einander eigentlich schon?«

»Viel zu lange«, sagte sie und Jan lachte.

Zur Beruhigung: So kommunizieren die Flamen immer miteinander. Während Jans Großvater im Sterben lag, sagte der seiner Ehefrau, dass sie mit dem Weinen aufhören und das Zimmer verlassen solle, weil er sie nicht leiden könne und er endlich mal seine Ruhe haben wolle. Die Flamen machen die Sachen nun mal nicht schöner als sie sind.

Das deutsche Billigfleisch stinkt

»Wird in den Niederlanden auch so viel gegrillt wie hier?« fragte Jan mich.

»Ich nehme das Grillen nicht als Phänomen wahr. Ist mir Wurst sozusagen«, antwortete ich.

»Du blöde holländische Kuh, das riecht man doch, das Billigfleisch? Jeden Tag im Sommer fressen die Nachbarn gegrillte Bratwurst. Und nicht nur die Nachbarn nebenan. Die ganze Straße grillt jeden Tag Bratwurst. Es ist ein rein deutsches, pathologisches Verhalten. Kein Mensch, der bei Sinnen ist, würde jeden Tag bei uns in Flandern grillen. Kein Mensch! Jeden Tag riechen wir das deutsche Billigfleisch. Jeden Tag! Wer mehr als einmal im Monat grillt, sollte eigentlich die Nachbarn des Gestankes wegen um Erlaubnis bitten.«

»Und wenn deine Nachbarn dich fragen würden, ob es okay wäre, dass sie mal wieder grillen, würdest du wirklich nein sagen, du flämischer Volltrottel?«

»Absolut«, antwortete Jan. »Oder ich würde ja sagen und daran hinzufügen, dass sie bitte an ihrer Billigbratwurst ersticken.«

»Das ist schon extrem, Jan. Die Deutschen sind doch auch Menschen«, beschwichtigte Veerle. »Aber es stimmt, dass die Nachbarn Billigfleisch essen. Ich sehe die nie in der Bio-Metzgerei.«

»Die Deutschen sind was sie sind und sie können alle meine Eier küssen«, sagte Jan, während Veerle seufzte (jedes Jahr ein bisschen mehr als das vorige Jahr).

Schade für Jan, dass er schon zurück in Flandern ist, jetzt, da die Grünen, das Billigfleisch hier in Deutschland scheinbar verbieten wollen. In den Schwurblerkreisen, in denen ich mich bewege, war schon eine Weile die Rede davon, dass wir in Zukunft nur noch zehn Gramm Fleisch pro Tag essen dürften.

Am Bratwurst-Strich

Ich konnte das nicht ernst nehmen. Dann schickten mir zwei Verschwörungstheoretiker gleichzeitig ein Video von Julian Reichelt, in dem Reichelt in der Tat bestätigt, dass wir in der Zukunft nur so wenig Fleisch pro Tag essen sollen. »Gottseidank habe ich über eine AfDlerin Kontakte in Thüringen, die uns Thüringer Bratwurst besorgen könnten«, war mein erster Gedanke. »Vielleicht könnte man ein illegales Geschäft daraus machen«, war mein zweiter.

Es gibt in einer schäbigen Bar in Frankfurt eine Person unbestimmten Geschlechts, die aus ihrer großen Louis-Vuitton-Tasche die Kundschaft in den Damentoiletten mit Drogen versorgt. Vielleicht könnte ich mich mit einer Louis-Vuitton-Tasche mit Thüringer Bratwürsten daneben stellen? Mein dritter Gedanke war: »Die Deutschtürken lassen sich ihre Döner doch nicht nehmen?« Ich muss dazu sagen, dass wenn die Bio-Deutschen sich ihre Bratwürste nehmen lassen, sie einfach selber schuld sind.

Aber nur weil Julian Reichelt sagt, dass wir in Zukunft nur zehn Gramm Fleisch pro Tag essen dürfen, braucht das doch nicht wahr zu sein? Ich googelte und fand heraus, dass der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Özdemir die Zehn-Gramm-Fleisch-Geschichte im ZDF eine »bewusste Unwahrheit« genannt hat. Ich gehe aber davon aus, dass Politiker nur ganz selten bewusst die Wahrheit erzählen und dass die Zehn-Gramm-Fleisch-Geschichte also stimmt.

Geimpfte Würstchen

Reichelt zitiert die Maßnahmen, die der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einem Sondergutachten empfiehlt, um den Fleischkonsum zu reduzieren: unter anderem das prominente Platzieren vegetarischer Optionen an Buffets. Das klingt mir zu analog. Wir brauchen eine digitale Lösung, die die innige Beziehung zwischen Impfung und Bratwurst berücksichtigt: wer nicht per QR-Code beweisen kann, dass er ungeimpft ist, bekommt nirgendwo ein Bratwurst oder sonstiges Fleisch (außer vielleicht in den Toiletten schäbiger Bars). Die Geimpften haben ihre Portion schon bekommen – und wie wir seit der sogenannten Pandemie wissen, ist es sowieso keine Diskriminierung zwischen Geimpften und Ungeimpften zu unterscheiden. Wer was anderes behauptet, ist bekanntlich ein Verfassungsfeind. Zudem wollen wir ja nicht, dass die Geimpften an einer Bratwurst ersticken könnten. Sicher ist sicher. Und dass ein Ungeimpfter an einer Bratwurst erstickt? Sowas nimmt man bei Sozialschädlingen einfach billigend in Kauf.

Gerade rief ich den flämischen Volltrottel mal an, um über den Krieg gegen die Bratwurst zu reden. Er konnte nicht direkt den Anruf beantworten und schrieb mir eine Nachricht, dass er heute später zurückrufen würde. »Später geht nicht«, antwortete ich ihm. »Dann treffe ich einen ungeimpften Freund und meine ungeimpften Freunde sind mir wichtiger als die geimpften, wie du.«

»Alles gut«, kam als Antwort zurück. »Ich rufe dich morgen an.«

Sehen Sie, die Flamen mögen es, wenn man die Sachen nicht schöner vorstellt als sie sind.

 

Mathilde van der Linden ist Buchhalterin aus den Niederlanden. Sie arbeitet und wohnt in Frankfurt am Main.

Gastautor
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Der Inhalt dieser Veröffentlichung spiegelt nicht unbedingt die Meinung der neulandrebellen wider. Die Redaktion bedankt sich beim Gastautor für das Überlassen des Textes.

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