Inselbegabungen gibt es meist in Zusammenhang mit kognitiven Einschränkungen und Störungen in der Entwicklung. Das Wort beschreibt ein Phänomen, bei dem geistig behinderte Personen in einem einzelnen Bereich eine hohe Begabung aufweisen, die nicht mit ihrem allgemeinen Fähigkeitsprofil korrespondiert.
Ob man psychiatrische Diagnosen auf Gesellschaften übertragen kann, ist strittig. Sigmund Freud hat in seinen kulturkritischen Schriften versucht, seine Erkenntnisse aus der Psychoanalyse auf Kulturen zu übertragen. Die Bücher sind lesenswert, auch wenn die wissenschaftliche Erkenntnis, auf der sie beruhen, heute weitgehend in Zweifel gezogen wird.
Das ist übrigens kein Makel. So ist das nunmal mit der Wissenschaft – sie liefert nur vorläufige Erkenntnisse, was allerdings nicht bedeutet, dass sie damit als Ganzes hinfällig wäre. Im Gegenteil ist die Vorläufigkeit ihr Wesenskern. Wer glaubt, Erkenntnisse insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften seien endgültig, hat das Prinzip von Wissenschaft nicht verstanden. Ein bisschen anders sieht es im Bereich der Geisteswissenschaften aus, aber das ist ein anderes Thema, das hier nicht besprochen werden soll.
Wichtig ist, dass wissenschaftliche Erkenntnisse vorläufig sind.
Das psychische Profil Deutschlands
Vielleicht erinnert sich noch der ein oder die andere an die Diskussionen, die zur Zeit der Corona-Krise geführt wurden. Es wurde so getan, als gäbe es zu einem erst kürzlich entdeckten Virus und zu neu entwickelten Impfstoffen abschließende wissenschaftliche Erkenntnisse an denen sich die gesamte deutsche Gesellschaft gefälligst auszurichten habe. Wer dem widersprach wurde beschimpft, verunglimpft, gesellschaftlich isoliert und mit Berufsverbot belegt.
Heute wissen wir, dass all das, woran viele Deutsche bis hinein in die Regierung und die Medien damals geglaubt haben, nicht stimmte – es war lediglich vorläufig wahr und selbst das auch nur dann, wenn man jeden wissenschaftlich begründeten Einwand medial ausgeklammert hat. Die Impfstoffe sind nicht sicher, die Maßnahmen waren überzogen, die sich aus all dem Terror gegen Kritiker resultierende Spaltung der deutschen Gesellschaft war unnötig. Man hätte es entspannter angehen können und auch sollen.
Hier hat sich allerdings eine ganz besonderen deutsche Inselbegabung gezeigt: Immer rein in die Vollen. Immer die volle Packung Ideologie. Immer alles rigoros und bis zum bitteren Ende durchziehen. Immer die totale Konsequenz, selbst dann, wenn sie absehbar absolut schädliche Folgen hat. Und was man mit den in aller Hysterie zig-millionenfach bestellten Impfdosen machen soll, weiß auch kein Mensch. Irgendwie scheint es auch egal zu sein, dass dafür unglaublich viel Geld rausgeschleudert wurde.
Wiederholungszwang
Dass es sich dabei um eine Störung der kollektiven deutschen Psyche handelt, wird aktuell offensichtlich. Denn statt aus den Fehlern der Corona-Krise zu lernen, sie aufzuarbeiten und zu versuchen, das kollektive Verhalten zu ändern, werden sie einfach wiederholt. Diesmal geht es nicht um einen Virus, sondern ums Klima. Auch dieses Mal gilt in Deutschland: Immer rein in die Vollen ohne Rücksicht auf Verluste. Zwar hat das, was man in Deutschland entscheidet und tut, auf das Klima als Ganzes kaum Einfluss, denn Deutschland ist viel zu klein. Aber an Fakten stört man sich in Deutschland schon lange nicht mehr. Das Motto ist, wir werden alle sterben, wenn wir jetzt nicht sofort und umfänglich handeln. Das sagt die Wissenschaft. Wer das nicht einsieht und nicht mitmachen will ist ein Arschloch, der die Zukunft verspielt.
Es ist genau das gleiche Muster wie zur Zeit von Corona. Wer damals meinte, es wäre alles etwas übertrieben, was den Deutschen vorgeschrieben wird, und man solle zudem die Gesellschaft als Ganzes in den Blick nehmen, der wurde beschimpft. Man wolle wegen einem Bier in der Kneipe das Leben anderer aufs Spiel setzen, war ein beliebtes Argument, das gern im Ton absoluter moralischer Empörung vorgetragen wurde. Vielleicht erinnert man sich noch an die Zero-Covid-Fraktion? Die wollte die gesamte Nation für mehrere Wochen, eventuell Monate einsperren. Wer dagegen argumentierte, wurde massiv beschimpft. Im Gegenteil hielt sich diese Gruppe für die Guten, die Moralischen und glaubte sich auf Seiten der Wissenschaft. Der Schaden wäre immens gewesen, hätte man es durchgezogen. Lerneffekt aus all dem Versagen? Null!
Blick von außen
Jetzt verfolgt man die gleiche Strategie angesichts des Klimawandels. Entspannung ist keine in Sicht. Alles läuft wieder so, wie es in Deutschland immer läuft. Rechthaberei und Besserwisserei regieren. Warum geht es in Deutschland nie so ein bisschen entspannter, gelassener? Immer volle Kanne die Empörung auf Hochtouren fahren, die ganze Packung Hysterie. Die deutsche Gesellschaft ist krank. Sie hat eine tiefe Störung. Eine Inselbegabung zur Einseitigkeit, zum teilwissenschaftlichen Blick, dem die Fähigkeit das Gesamte in dem Blick zu nehmen fehlt. Die deutsche Gesellschaft ist tief irrational. Das trifft natürlich nicht für alle Deutschen zu, aber die Ergebnisse, die von der deutschen Gesellschaft als Ganzes produziert werden, sind der Realität nicht angemessen.
In Deutschland mag das kaum auffallen, weil man sich innerhalb des Systems befindet. Man streitet, man setzt sich auseinander, man reibt sich aneinander – alles scheint zu funktionieren wie in jeder anderen Gesellschaft auch. Aber wenn man wie ich von außen auf Deutschland blickt, wird es offenbar. Deutschland ist ein krankes Land, das auf Veränderungen nicht angemessen reagieren kann, denn es schadet sich mit seiner Reaktion selbst.
Klimawandel in Deutschland gefühlt schlimmer
Der Klimawandel ist ein globales Phänomen. Was und wer ihn verursacht, will ich hier gar nicht thematisieren, denn dann fängt die ganze Streiterei sofort an. Genau das aber ist hier in Russland fundamental anders. Auch in Russland ist der Klimawandel ein Thema. Die Permafrostböden tauen auf, ist beispielsweise eine Folge mit weitreichenden Konsequenzen. Politik muss darauf reagieren und tut es.
Aber die Diskussion wird nicht mit dieser Verbissenheit, dieser Bitterkeit im Ton, diesem Irrationalismus geführt, wie es das in Deutschland passiert. Man ist auch als Einzelner bescheidener. “Keine Ahnung”, “Kann sein, weiß ich nicht so genau”, all das geht den Menschen hier in Russland einfacher von den Lippen. Mir hat hier auch noch nie jemand eine Studie zum Beleg seiner Thesen unter die Nase gehalten, wie das in Deutschland in aller Absurdität inzwischen üblich ist. Es fehlt diese typisch deutsche Aggressivität, dieses Recht-Haben-Wollen, dieses Beharren auf der Richtigkeit der eigenen Position. Seid entspannt, ihr Deutschen. Denn eines ist sicher: Eines Tages werden wir alle sterben. Aber an allen anderen Tagen nicht. Macht es euch schön.