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Der Klempner aus Usbekistan

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Einmal im Jahr muss hier in meiner Wohnung in Moskau die Wasseruhr überprüft und eventuell auch ausgetauscht werden, wenn ihre Zeit gekommen ist. Davor bekommt man täglich Werbung von Sanitärfirmen in den Briefkasten geworfen, die wie offizielle Dokumente aussehen und um einen dringenden Rückruf zur Terminvereinbarung bitten. Darauf sollte man nicht reagieren, denn das sind zahlungspflichtige, private Angebote, wurde mir von meinem Vermieter gesagt. In der Tat nahm die Flut an Werbung, die nicht wie Werbung aussah, mit jedem Tag zu und brach nach dem Besuch des Klempners abrupt und vollständig ab.

Der Sanitärtechniker, der sich um meine Wasseruhr zu kümmern hatte, war von asiatischen Aussehen und schlecht gelaunt. Er grummelte irgendwas vor sich hin und fand den Weg zur Wasseruhr selbständig. Offensichtlich machte  er das nicht zum ersten Mal. Er werkelte etwas vor sich hin, suchte nach irgendwas in seiner Tasche und wandte sich dann an mich. Ob ich mit einem Lappen aushelfen könnte, wollte er wissen. Er hätte seine wohl im Auto vergessen. Ich ging in die Küche, holte ein Spültuch und ging zurück ins Bad. Er hatte inzwischen sein T-Shirt ausgezogen, was ich einigermaßen erstaunlich fand. Allerdings wusste ich nicht, ob es einfach üblich ist oder ob es ein Wink mit dem Zaunpfahl war, mal wieder die Fenster zu öffnen und die Wärme auf die Straße zu lassen. Wie mir später gesagt wurde, war das Verhalten überhaupt nicht üblich und wir rätselten lange, was es zu bedeuten hatte. Vermutlich einfach nichts.

Jedenfalls entwickelte sich ein Gespräch. Woher ich komme, wollte mein Gegenüber wissen. Ich sei aus Deutschland. “Aha”. Was ich hier machen würde? Ob der Ton wirklich feindselig war, darüber mag man sich streiten, auf jeden Fall gefiel er mir nicht. Ich arbeite. “Was?” Als Journalist. “Ob ich einer von denen sei, die in Deutschland Lügen über Russland verbreiten”, wollte er wissen. Ups! Zum Glück gehöre ich nicht zu dieser Gruppe.

Deutsche Journalisten lügen über Russland

Ich sagte, ich arbeite für RT und ich berichte nicht ideologisch. Der Ton wurde plötzlich freundlicher.

Er sei aus Usbekistan, meinte mein Klempner. Ich sollte eins wissen und auch den Deutschen sagen: „Die Usbeken stehen geschlossen hinter Russland. Wenn Russland ruft, werden wir alle kämpfen“, ließ er mich wissen. Ob das stimmt, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber seinem Wunsch, das in Deutschland zu verbreiten, bin ich jetzt nachgekommen. Es war auf jeden Fall mal eine krasse Stellungnahme, ungefragt und authentisch.  Es ist übrigens nicht immer so, dass einem die Menschen in Russland freundlich gesinnt sind, wenn man sagt, dass man für RT arbeitet. Die westliche Propaganda tut auch hier ihre Arbeit. Aber es passiert deutlich häufiger als in Deutschland, wo es außer westlicher Propaganda eigentlich nichts anderes mehr gibt.

Jetzt kam er ins Plaudern. Erzählte von der uralten Beziehung zwischen Usbeken und Russen. Russland wäre wie eine Mutter, die auch die Usbeken nährt, meinte er. Die enge Verbindung durchziehe die Geschichte über alle Unterschiede hinweg und durch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Systeme hindurch, die sich in den Jahrhunderten ausgebildet hätten. Wenn der Westen es drauf anlegen würde, stünde man bereit. Man habe schon einmal gemeinsam gegen den Faschismus gekämpft und ihn besiegt, man würde das wieder tun.

Ich muss zugegeben, ich war ziemlich erstaunt. Zwar ist mir klar, dass die Solidarität der Welt im Ukraine-Konflikt nicht auf Seiten Deutschlands, der EU und des kollektiven Westens ist. Aber so klar und eindeutig, mit so viel persönlicher Emotion von einer Person, die per Herkunft gar nicht an dem Konflikt beteiligt ist, habe ich das noch nie gesagt bekommen. Der Klempner aus Usbekistan hätte sich auch bedeckt halten können. Für sein Bekenntnis bestand überhaupt kein Anlass. Aber er ließ all seine Abneigung gegen den kollektiven Westen raus, schimpfte über das enorme Maß an moralischer Verrohung, das er im Westen und der EU verortete, ließ seiner Verachtung gegenüber dem Imperialismus der EU und der USA freien Lauf.

Die Solidarität der Usbeken mit Russland

Man sollte das in Deutschland zur Kenntnis nehmen. In Deutschland wird die moralische Pflicht zur Unterstützung täglich angerufen. Die Ukraine muss in ihrem Kampf gegen Russland von den Ländern des Westens unterstützt werden. Russland bittet noch niemanden um Unterstützung in seinem Kampf gegen den kollektiven Westen, der militärisch in der Ukraine ausgetragen wird. Aber der Wille zur Unterstützung ist allem Anschein nach auch schon ungefragt vorhanden.

Der Austausch der Wasseruhr dauerte geschätzt eine Minute. Der usbekische Klempner blieb jedoch über eine halbe Stunde. Schließlich räumte er sein Werkzeug auf, zog sein T-Shirt an und verließ mich – inzwischen freundlich gestimmt und gut gelaunt.

Auch das ist übrigens ein Unterschied zu Deutschland. Wenn in Berlin beispielsweise mein Wärmeverbrauch abgelesen wurde, rannte der Ableser wie von der Tarantel gestochen durch meine Wohnung. Offensichtlich arbeitete er wie auch seine Kollegen von den diversen Paketdiensten unter enormem Zeitdruck. Von irgendeinem Zeitdruck war beim Besuch des Klempners in Russland nichts zu spüren. Auch die Kassiererinnen im Discounter um die Ecke verfügen hier über ein erstaunliches Maß an Zeit. Das allerdings ist einen weiteren Text wert.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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