Es gibt eine Auswirkung des Krieges hier in Russland, die im Westen kaum beachtet wird, weil es einen Einblick in die russische Pop-Kultur voraussetzt. Ich finde russischen Pop super. Er ist witzig, oftmals unglaublich pathetisch oder sentimental, manchmal schrill und queer, kurzum, russischer Pop ist von einer unglaublichen Vielfalt.
Viele der Pop-Größen kommen aus der Ukraine. Einigen von ihnen hat eine Positionierung zum russischen Einmarsch in die Ukraine die Karriere gekostet. Ukrainische Pop-Stars, die vor dem 24. Februar 2022 in Russland gefeiert wurden und Konzertsäle füllten, werden in Russland nicht mehr gespielt. Ihre Karriere ist zu Ende. Zumindest dann, wenn sie sich öffentlich zum russischen Einmarsch negativ geäußert haben.
Das betrifft beispielsweise Svetlana Loboda. Sie war viele Jahre einer der Lieblinge der russischsprachigen Pop-Szene. Svetlana Loboda spielte virtuos auf der Klaviatur der Pop-Kultur, wusste gut inszenierte Skandale wirkungsvoll zu platzieren. Sie hat ein gemeinsames Kind mit dem Lead-Sänger der deutschen Band Rammstein, Till Lindemann, oder vielleicht auch nicht. Loboda hatte ein sexuelles Verhältnis mit ihrer Visagistin – oder vielleicht auch nicht.
Kollektiver Boykott
Sie arbeitete lange und hart an ihrer Karriere, wandelte ihr Image mit viel chirurgischer Unterstützung von der schwarzhaarigen Wilden, die sie bei der ukrainischen Girl-Band Via-GRA darstellte, zur blonden, grazilen und beinahe unnahbaren Schönheit. Dann hat sie einen kurzen Clip auf Facebook veröffentlicht, in dem sie heulend aber wunderschön wie immer den Einmarsch Russlands in die Ukraine verurteilte. Ihre Karriere ist tot. Man hört absolut nichts mehr von ihr. Nichts Altes, nichts Neues, einfach nichts, weder im Radio noch im Fernsehen. Es gibt kein Verbot, sie ist einfach durch, in Ungnade gefallen. Aus. Sie tingelt jetzt durchs Baltikum.
Das betrifft auch den ukrainischen Pop-Star Max Barskih, der nach dem 24. Februar allen seinen Musik-Clips eine Verurteilung des Krieges vorangestellte. Während man den Clip schaut, war dort zu lesen, würden friedlichen Zivilisten in der Ukraine getötet. Der Text fordert russische Zuschauer auf, gegen den Krieg Stellung zu nehmen. Seine Karriere istt zu Ende.
Es ging mit seiner Karriere in den letzten Jahren davor steil bergauf. Corona versetzte ihr den ersten Schlag, denn sie verhinderte seine Welttournee. Ich hatte Karten für sein Konzert in Berlin. Es wurde zweimal verschoben und dann schließlich ganz abgesagt. Aber er wurde weiterhin gespielt, war präsent und hatte Auftritte im russischen Fernsehen. Nach seiner Parteinahme für die Ukraine hört man von ihm nichts mehr. Ich muss das wiederholen, denn das Phänomen ist wirklich erstaunlich. Es gibt kein Verbot, keinen Index, auf dem die beiden gelandet wären. Es gibt lediglich eine kollektive Verweigerung, sie weiterhin zur Kenntnis zu nehmen.
Dass dies etwas mit ihrer Haltung zum Krieg und nichts mit ihrer Nationalität zu tun hat, beweist die Präsenz andere ukrainischer Stars. Ani Lorak und Elka laufen nach wie vor in den Radio-Stationen.
Wie der kollektive Boykott genau funktioniert, welcher Mechanismus sich dahinter verbindet, kann ich nicht sagen. Es ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Aber eindrucksvoll ist es allemal.