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Umzüge

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Ich bin in meinem Leben schon sehr oft umgezogen. Von meinem Geburtsort in Süddeutschland nach Frankfurt am Main, wo ich Zivildienst gemacht anschließend studiert und schließlich viele Jahre gearbeitet habe. Dieser Umzug nach Frankfurt war mein erster Aufbruch, denn mir klar, in der schwäbischen Enge möchte ich nicht bleiben. Ich bin auch kein Schwabe. Zumindest hat man mir das in Schwaben immer zu verstehen gegeben. Du bisch neigschmeckt. In der zweiten Generation zwar, aber eben doch “nicht von hier”.

Die Herkunft ist in Schwaben eine wichtige Angelegenheit. Meine Eltern sind aus der DDR. Sie haben noch vor dem Mauerbau rüber gemacht, wie man damals sagte. Das war ihr großer Umzug. Sie wollten in den freien Westen und landeten in der besagten schwäbischen Enge. Sie konnten keinen Ton Schwäbisch, was ein Integrationshindernis darstellte. Schwaben können dafür kein Hochdeutsch. Auch das stellt vielfach ein Integrationshindernis dar, wenn sie sich außerhalb ihrer Region aufhalten. Außerhalb von Schwaben gilt Schwäbisch als unsexy, in Schwaben dagegen als höchste und edleste Manifestation menschlicher Kultur.

Das richtige und das nicht richtige Deutschland

Es gab in der alten BRD die Ansicht, es gäbe das richtige Deutschland und das nicht richtige Deutschland. Meine Eltern waren aus dem nicht richtigen Deutschland und gehörten damit irgendwie auch nicht richtig dazu. Diskrimninierung war schon immer eine besondere Stärke der Deutschen – auch untereinander.

Innerhalb Frankfurts bin ich ebenfalls vielfach umgezogen, zwischenzeitlich auch mal ins Ausland, dann wieder zurück. Der Wohnungsmarkt in Frankfurt ist dauerhaft schwierig, Wohnraum knapp und teuer. Ich habe in WGs gewohnt, dann mal zusammen mit meinem Freund, mal allein, dann wieder WG. Frankfurt ist insgesamt deutlich besser als sein Ruf.  Ich habe mich dort  wohl gefühlt.

Berlin ist scheiße

Dann zog ich nach Berlin. Das war ein Fehler, denn Berlin ist scheiße. Berlin ist dreckig, assig, drogensüchtig, verseucht, korrupt. Wenn man für ein Wochenende in die Stadt kommt, sich die Birne kräftig fett macht und durch die Clubs zieht, mag man die Stadt cool und sympathisch finden. Wenn man hier ein normales Leben führen möchte, dann nervt Berlin einfach nur. In Berlin funktioniert nichts außer die narzistische Spiegelung. Berlin findet sich selbst toll, obwohl es absolut nichts auf die Reihe bekommt. Berlin glaubt, das hätte Charme – ich kann versichern, das hat es nicht.

Jetzt ziehe ich wieder um, packe Sachen, entledige mich vieler Dingen, sortiere aus. Es befreit. Man braucht eigentlich nur wenig, besitzt aber viel. Ich reduziere mich wieder einmal. Ich verlasse Berlin und bin nicht traurig. Ich verlasse auch Deutschland und auch das stimmt mich nicht traurig.

Das, was kommt, ist selbstverschuldet …

Das, was dieser Stadt und was auch Deutschland in den nächsten Jahren bevorsteht, ist nicht schön. Das Schlimme ist, es ist selbstverschuldet. Man könnte das bevorstehende Schicksal ganz einfach abwenden, wenn Politik etwas vernünftiger agieren würde. Aber Deutschland will gerade nicht vernünftig sein. Auch Deutschland glaubt, diese Idiotie hätte Charme. Auch hier kann ich versichern, das hat es nicht. Es ist bedauernswert und dumm.

Ich wünsche mir für mich bessere Zeiten als die, die Deutschland bevorstehen. Ich wünsche auch den Deutschen von Herzen bessere Zeiten als die, die bevorstehen.  Dazu müssten aber noch viel mehr Deutsche die deutsche geistige Enge verlassen. Sie müssten Gedanken zulassen, die aktuell in Deutschland unzulässig sind. Auch deshalb ziehe ich um. Ich ziehe vor allem aber deshalb um, weil es in Deutschland immer gefährlicher wird, eine vom Mainstream abweichende Meinung zu haben. Und ich habe bei vielen Themen eine stark abweichende Meinung. Ich habe sie mir gebildet, in dem ich mich auseinandergesetzt habe. Meine Meinung  ist daher begründet. So etwas geht in Deutschland in dieser Zeit nicht. Man muss mit der Menge schreien, sonst gilt man als Querulant, Außenseiter und Störer.

…denn Deutschland fehlt es an Freiheit. 

Wer aber mit dem Strom schwimmt, der merkt diesen Konformitätsdruck freilich nicht, hält sich selbst und Deutschland für frei. und die Speerspitze der Demokratie. Das ist das Tragische an der Konstellation. Das ist auch das Tragische an Berlin. Man kann hier so viel machen. Drogen nehmen, die Nächte durchtanzen, nichts arbeiten, in Drag auf die Straße gehen, überall Sex haben – das erleben viele als Freiheit. Wer das aber nicht für den letzten Ausdruck der Freiheit hält, wird schnell die Enge Berlins fühlen. Denn wenn man das benennt, dann wird das tolerante queere Berlin zur rasenden Furie, welche dir mit aller Kraft auf die Fresse haut, damit du nie wieder dein dummes Maul aufmachst. Die Toleranz der Toleranten ist ein beklemmend enger Korridor.

Als ich damals die schwäbische Enge verlassen habe, dachte ich, ich hätte den Konformitätsdruck hinter mir gelassen. Ich dachte, es wäre das Schwäbische, was einengt. Aber das war falsch. Es ist das Deutsche. Deutschland trägt in diesen Jahren eine aufgesetzte Toleranz gegenüber LGBT und PoC zur Schau. Refugees jeder Art sind welcome. Aber die deutsche Kultur ist in ihrer jetzigen Verfassung absolut intolerant gegenüber abweichenden Meinungen, wobei der Ton und Duktus gegenüber Menschen mit abweichenden Meinungen immer rauer und aggressiver wird. Das ist eine ungute Entwicklung. Ich glaube, meine Eltern sind damals in den Westen gegangen, weil sie die aktuelle Entwicklung hier damals für  ihr Leben in der DDR befürchteten. Jetzt ziehe ich um, den Deutschland ist ein sehr enges und unfreies Land. Und Berllin? Berlin ist scheiße.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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