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Krieg und Abschied

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Es folgen einige Worte zum Krieg und zum inneren Abschied. Es sind persönliche Worte, die einem Gefühl des Realismus und der Resignation entspringen.

Teil I: Der Krieg

Zur Sicherheit distanziere ich mich vom Krieg. Eigentlich müsste ich das nicht tun, denn niemand, der aus Kriegen keinen Profit schlägt, kann dieser Distanzierung widersprechen. Aber wir leben in einer Zeit, in der man sich distanzieren muss. Also will ich dem heute mal Genüge tun.

Krieg verursacht Tod, Leid, Angst, Hunger, Traumata, Blut, offene Eingeweide, entrissene Gliedmaßen, zerschossene Köpfe, Folter, Vergewaltigung und vieles mehr. Wie kann jemand dafür sein? Wie kann jemand, der von diesen Folgen weiß, Krieg unterstützen? Oder als Maßnahme zur Friedensbildung interpretieren, wenn man ihn nur lange genug führt? Das ergibt keinen Sinn, der gesunde Menschenverstand sagt das.

Ich sollte mich jetzt wohl politisch korrekt auch von dem Krieg distanzieren, der gemeinhin als „Putins Krieg“ bezeichnet wird. Das kann ich aber nicht, das werde ich nicht. Aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen ist der Krieg in der Ukraine nicht Putins Krieg. Es zeugt von bodenloser Kurzsichtigkeit, Boshaftigkeit oder Dummheit, eine so oberflächliche Sicht auf die Dinge vorzunehmen. Schon die kindliche Sichtweise, dass zu einem Krieg immer zwei gehören, müsste ausreichen, um zu verstehen, dass es nicht „Putins Krieg“ sein kann. Wäre dem so, hätte die Ukraine mit dem Beginn des Krieges nichts zu tun, hätten die USA, die NATO, der Westen damit nichts zu tun. Niemand bei klarem Verstand kann das ohne den notwendigen Anflug eines schlechten Gewissens behaupten.

Zum anderen muss man sich fragen, wem der Krieg in der Ukraine nützt. Es ist in Zeiten wie diesen nicht mehr gestattet, nach dem Cui bono zu fragen, weil wir gelernt haben, dass Kriege nicht mehr geführt werden, um einen Nutzen im Sinne eines persönlichen oder wirtschaftlichen Gewinns zu erzielen. Seit Beginn des aktuellen Krieges in der Ukraine wissen wir, dass Kriege nur geführt werden, um Demokratie, Menschenrechte und Freiheit zu verteidigen. Wer kann sich also erdreisten, die Frage nach profanen Vorteilen zu stellen? Wer erlaubt es sich, die guten Gründe in Frage zu stellen? Es muss ein Feind sein, jemand, der selbst nichts mit den Werten zu tun hat, die es zu verteidigen gilt.

Ich gehe da nicht mit. Und schon gar nicht beim Ukraine-Konflikt. Wer sich ein wenig mit den historischen Hintergründen dieses Krieges beschäftigt, muss von Sinnen sein, wenn er zum Schluss kommt, dass vor dem 24. Februar 2022 nichts passiert wäre, was als Vorarbeit und Auslöser des Krieges bezeichnet werden muss. Natürlich war die Ukraine schon seit vielen Jahren ein Instrument des Westens, um Russland zu provozieren und zu einem Angriff zu treiben. Ich erspare mir an dieser Stelle Details, sie können bei uns nachgelesen und nachgehört werden.

https://staging.neulandrebellen.de/?s=ukraine

Doch auch wer der Meinung ist, nicht nach weiterführender Literatur oder vertiefenden Medienquellen suchen zu müssen oder zu wollen, sollte beim Konsum der etablierten Medien einen einfachen Reflex zu Rate ziehen: den der Skepsis. Wenn um einen Krieg herum eine Erzählung aufgebaut wird, die die eine Kriegspartei (Russland) zu einem menschenfressenden Monster und die andere (Ukraine) zu einem Ort, wo Milch und Honig fließen, macht, ist Skepsis das Mindeste, was ein Mediennutzer fühlen sollte. Wer sich weigert, diese Skepsis aufzubringen, sollte vernünftigerweise die eigene Medienkompetenz hinterfragen und selbstkritisch mit seinem Weltbild ins Gericht gehen.

Und so distanziere ich mich nochmals vom Krieg. Und der Vollständigkeit halber auch von denen, die ihn provoziert haben, ihn anfachen, eskalieren und die unzähligen menschlichen Opfer als Notwendigkeit betrachten. Selbst, wenn wir hypothetisch annähmen, Russland sei der alleinige Aggressor, und selbst wenn wir hypothetisch davon ausgingen, russische Soldaten seien für all die Kriegsverbrechen verantwortlich, die ihnen ohne hieb- und stichfeste Beweise in die Schuhe geschoben werden – selbst wenn wir das also täten (und ich tue das ausdrücklich nicht!), so bliebe doch als einzige angemessene Reaktion des Westens nur die Deeskalation. Zumindest, wenn zu den bereits gestorbenen Menschen nicht weitere dazukommen sollen.

Stattdessen wird auf infantile Weise eine Lüge nach der anderen aufgetischt, um dann in schon pathologisch dummer Weise darauf zu drängen, noch mehr Tote zu produzieren, und zwar mit dem irrwitzigen Anspruch, dadurch weniger Tote zu produzieren.

Niemand kann überrascht sein über die feindseligen Aktivitäten unserer Politiker. Sie haben zahlreiche Gründe, den Krieg anzuheizen und in die Länge zu ziehen. Keiner von ihnen dient aber dem, was uns erzählt wird. Es sind ausnahmslos egoistische, geopolitische, finanzielle und wirtschaftliche Gründe, die die Kriegstreiber motivieren.

Alle anderen aber – die Menschen, die leben wollen, lieben wollen, Sicherheit brauchen und nicht an Kriegen interessiert sind -, sollten überrascht sein ob ihrer Bereitschaft, sich in das Kriegsgebrüll im Gleichschritt einzureihen. All jene, die applaudieren, wenn die Becks und Röttgens und Baerbocks und Habecks dem eingeknickten Scholz folgen bei der Zuspitzung weiterer Konflikte und Toten, sie sollten sich Gedanken über ihren Applaus machen. Denn am Ende klatschen sie Leuten zu, die es weder mit ihnen noch mit sonst wem gut meinen.

Und noch ein Wort zur Medienkompetenz: Fast seit dem Beginn des aktuellen Ukraine-Konflikts lesen und hören wir, dass die Ukraine den Donbass befreien will. Den Donbass, den die West-Ukraine seit acht Jahren beschossen und bombardiert hat. Sich allein diesem „kleinen“ Detail ein wenig genauer zu widmen, würde vermutlich vieles in den Köpfen ändern.

Teil II: Der Abschied

Mein innerer Abschied hat bereits stattgefunden. Aber ich bin hier, in Deutschland. Noch. Ich weiß nicht, wie lange es noch funktionieren wird. Und ich bin mir sicher, dass diese Zeilen laute Kritik hervorrufen können, Kritik, die lautet:

Wenn es dir hier nicht gefällt, dann geh doch! Nach Russland, oder wohin auch immer. Niemand zwingt dich, hier zu bleiben. Also hau ab oder sieh zu, dass du damit klarkommst, wie es hier ist.

Doch so einfach ist es nicht. Ich bin hier geboren, aufgewachsen, bin hier zur Schule gegangen, habe mich das erste Mal verliebt, mit dem ersten Kater „Nie mehr Alkohol!“ geschworen, ich war verheiratet, geschieden, bin wieder verheiratet, habe Freunde hier, Familie, hier, hier ist meine Geschichte beheimatet. Es ist eine Geschichte mit dunklen Phasen, mit hellen, eine Geschichte des Schmerzes und der Freude.

Wer bitte schön will mir den Befehl erteilen, wegzugehen? Mit welchem Recht?

Darf man nur dort sein, wo man ist, wenn man nichts daran kritisiert? Sollte dem so sein, muss ich mich dem stellen, denn ich werde bleiben, vorerst, so lange, wie möglich. Mit dem bereits stattgefundenen inneren Abschied ist das nicht leicht, denn mir tut dieses Land weh, es tut weh, zu sehen, in was für eine Stimmung es sich begeben hat.

Viele gute Leute haben Deutschland bereits verlassen. Ich kann sie verstehen und habe auch mit dem Gedanken gespielt. Doch ich bleibe. Mit einem unangenehmen Pochen in der Brust, wenn ich die Nachrichten sehe oder den Mainstream lese. Mit einer stillen Sehnsucht, wenn ich auf der Straße jemanden Russisch sprechen höre und diese Melodie genieße. Mit dem Gefühl des Vertrauten, Bekannten, mit dem Wissen, mich mit meiner Muttersprache ausdrücken zu können, gut genug, um die meisten meiner Gedanken und Gefühle zu formulieren.

Was mir aber fehlt, ist die Liebe zum Land, zu Deutschland. Das war früher anders. Auch in den recht frühen Jahren meiner Politisierung habe ich das Land, in dem ich geboren wurde, geliebt. Ich habe es kritisiert, wollte Veränderungen, eine andere Politik. Doch der Gedanke an ein anderes Land ist mir in meinem ganzen Leben nie gekommen. Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich die gegenseitige Liebe ein wenig abgenutzt, war Routine gewichen und dem Wissen, die Fehler des anderen zu kennen, und zu wissen, dass man sich gegenseitig wohl nicht mehr ändern wird können. Auf meiner Seite habe ich das irgendwann akzeptiert, zu Teilen auch respektiert.

Die Liebe ist erloschen. Und an die gerichtet, die ohnehin der Meinung sind, man solle oder könne kein Land lieben: Doch, ich habe es ja getan, ich habe mir das also nicht eingebildet. Möge über seine Gefühle jeder entscheiden, wie er mag, wenn das Gefühl überhaupt eine Entscheidung erlaubt.

Ich bin hier, und ich fürchte mich inzwischen davor. Fürchte mich davor, irgendwann ins Visier derer zu geraten, deren Leidenschaft oder auch nur Job es ist, Andersdenkende zu diffamieren, auszugrenzen, vielleicht dafür zu sorgen, dass ich weitere Nachteile zu spüren bekomme. Das mag an der fehlenden Liebe liegen, die mich erfüllt, denn mit ihr einher geht der Verlust des Vertrauens.

Auch das hatte ich viele Jahre: Vertrauen. Gepaart mit Skepsis und unheilvollen Momenten der Sorge, wohin wir gehen, aber es war doch vorhanden. Vielleicht könnte man es Urvertrauen nennen, ich weiß es nicht genau. Es ist weg, hat sich aus dem Staub gemacht.

Wir drehen uns um die Krisen, sie sind unsere stetigen Begleiter geworden, es scheint, als ginge es ohne Krisen und Angsterzeugung nicht mehr. Aber es sind nicht die Krisen, die so bedenklich sind. Meistens entstehen sie nämlich erst durch den Umgang mit ihnen, wachsen zu Krisen heran, weil es so gewollt ist. Erst die Reaktion auf ein Ereignis macht daraus eine Krise.
Ich habe diese Krisen nicht gemacht. Aber ich spüre die Folgen.

Mal sehen, wie lange noch …

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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