Heute habe ich eine Kolumne von Jan Fleischhauer gelesen. Es war die erste, die ich bis zum Ende durchgehalten habe, denn ich mag Jan Fleischhauer als Kolumnisten nicht. Seinen zur Schau gestellten Konservativismus finde ich unerträglich, seine Abneigung gegen alles Linke noch mehr.
Hier in dieser Kolumne bekennt er sich dazu, dass es ihm reicht. Es reicht ihm mit Coronahysterie. Ihm reicht dieses deutsche Leben in Angst vor der Angst vor Corona, das in Deutschland als rationaler und vernünftiger Umgang mit der Pandemie gilt.
Ich gebe zu, die Kolumne hat mich beeindruckt, denn es muss Fleischauer klar sein, dass er damit in der aktuellen geistigen Atmosphäre ein großes Risiko eingeht. Jeder, der nicht das maximal Schreckliche annimmt, jeder, der nicht die Ängste und Befürchtungen seiner Mitmenschen noch zu steigern weiß, gilt als Coronaleugner, als Querdenker, als jemand, der leichtfertig mit dem Leben anderer spielt – kurz als asozialer gesellschaftlicher Abschaum, den es zu isolieren gilt. Die Reaktionen auf Twitter auf seinen Beitrag sind entsprechend. Die Hysterie und Irrationalität kennt in Deutschland keine Grenzen mehr.
Dass in Deutschland mit seiner spezifischen Geschichte eine Bundesregierung Regelungen erlässt, die bei Einhaltung dazu führen müssen, dass sich die Bürger gegenseitig kontrollieren, um ermitteln zu können, ob sie jetzt zu zehnt oder nur zu zweit in einem Raum sein dürfen, hätte ich mir bis vor zwei Jahren noch nicht alpträumen lassen. Jetzt ist das Realität. Ab wann, frage ich mich, sind Faschismus- und Totalitarismusvergleiche eigentlich legitim? Darf man schon oder muss man noch warten?
Ich bin gerade in Moskau. Auch hier ist, wie das von Fleischhauer in seinem Urlaub auf Lanzarote erlebt wurde, alles entspannt. Alles ist geöffnet, es gibt keine diskriminierenden Maßnahmen. In manchen russischen Städten gibt es sowas wie 3G. So etwas wie verordnete, umfassende gesellschaftliche Spaltung und Trennung in Geimpfte und Ungeimpfte gibt es nirgendwo. Das ließe sich in Russland auch nicht durchsetzen.
Das große Paradox dabei ist, dass jene, die nach noch härteren Maßnahmen rufen, denen es mit einer Impfpflicht gar nicht schnell genug gehen kann, eine große Schnittmenge mit der Gruppe haben, die Deutschland zum liberalen, demokratischen Vorbild erklärt, an dem sich andere Länder zu orientieren haben. Besondere Herablassung widerfährt dabei in der Regel Russland, das als autokratischer Gegenentwurf zu den liberalen Werten Deutschland gilt.
Dabei, das beweist die Pandemie eben auch, ist Russland deutlich freier, deutlich liberaler als Deutschland, in dem dank völlig verfehlter Maßnahmen wieder ein Misstrauen untereinander herrscht, wie man es nur aus dunkelsten Zeiten kennt. Morgen fliege ich zurück. Ich tue es ungern und nur schweren Herzens, denn Deutschland ist auf einem ganz unguten Weg. Dorthin zurück ist für mich inzwischen wie Luft anhalten, untertauchen, dulden, aushalten, Tage zählen und so schnell wie möglich wieder in einem Flieger nach Russland auftauchen und tief und frei durchatmen.
Dieser Text erschien bereits kürzlich auf der Seite des Autoren.