Marco Wanderwitz (CDU) hatte eine Idee! Wenn die Impfquoten in Ostdeutschland niedrig sind und gewissermaßen traditionell die AfD eher im Osten als im Westen gewählt wird, dann kann das nur bedeuten, dass die Alternative für Deutschland einen schlechten Einfluss auf die hilf- und hirnlosen Ossis hat.
Man kann das allerdings auch anders sehen.
Fummeln wir zunächst einmal das, was man wohlwollend Argumentationskette nennen könnte, zusammen.
Wanderwitz dachte sich sinngemäß: Die meisten AfD-Funktionäre sind kategorisch gegen das Impfen und lehnen die uns alle vor dem Tod schützenden Maßnahmen der verantwortungsvollen und liebevoll agierenden Bundesregierung ab. In der Folge sind auch die Menschen im Osten gegen Impfen und Maßnahmen. Zumindest die, die die AfD wählen.
Und Wanderwitz blickt auch in die Zukunft: Er geht davon aus, dass
wir in Ostdeutschland im Herbst aufgrund der Delta-Variante eine Corona-Welle sehen werden, die das Gesundheitssystem erneut an seine Grenzen bringen wird.
Und als wäre das nicht schon suboptimal genug, fügt er hinzu:
Wenn sich zeigt, dass auch Jüngere schwer erkranken und es für Ungeimpfte in Richtung eines Teillockdown geht, kann ich mir zwar vorstellen, dass es sich viele doch noch überlegen und sie sich gegen Covid-19 impfen lassen.
Doch alles in allem seien die gruseligen Wähler der AfD nicht für Argumente empfänglich. Und womöglich nicht einmal für Drohungen, denn nichts anderes ist das, was Wanderwitz hier rausgehauen hat.
Treppenwitz I
Wanderwitz lügt. Und das ist das Schöne an Corona-Zeiten. Man kann das ziemlich einfach sagen, weil die Lügen so offensichtlich sind. Wenn ein Lauterbach von „nebenwirkungsfreien Impfungen“ spricht und ein Wanderwitz darüber sinniert, dass das Gesundheitssystem „erneut an seine Grenzen“ gebracht wird, dann lässt sich dem einfach entgegnen: Ihr lügt!
Das Gesundheitssystem stieß (zumindest wegen Corona) nicht an seine Grenzen, ebenso wenig wie clevere Krankenhausmanager, die ihre Intensivbetten nach Lust und Laune und Lukrativität hin und her schoben. Man könnte (und müsste!) einräumen, dass unser Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) regelmäßig an seine Grenzen stieß. Aber keine Intensivstation der Welt kann für die Inkompetenz eines Bankkaufmanns, getarnt als Gesundheitsminister, verantwortlich gemacht werden.
Treppenwitz II
AfD-Wähler sind für Argumente nicht empfänglich. Das ist sehr interessant. Denn die „Argumente“, die uns tagein, tagaus vorgelegt werden, heißen:
• Wir dürfen unser Gesundheitssystem nicht überlasten.
• Wer die Maßnahmen kritisiert, ist ein Corona-Leugner.
• Wer dem Impfen skeptisch gegenüber steht, ist ein Impfverweigerer.
• Wer die menschenunwürdige Quälerei von Kindern nicht in Ordnung findet, trägt seine Bockigkeit auf dem Rücken der Kleinsten aus.
• Wer gern andere Experten als die Hofberichtbestatter wie Drosten, Brinkmann, Priesemann und Co. hören möchte, ist ein Schwurbler.
Argumentativ sind diese Punkte eher in der Rubrik „Noch alle Latten am Zaun?“ einzuordnen. Schließlich sind es keine, das kann man drehen und wenden, wie man will.
Die Schmuddelkinder
Wir haben es mal wieder mit Schmuddelkindern zu tun. Also mit jenen, die aus der Reihe tanzen, die einfach nicht hören wollen und fühlen müssen, wozu das führt. Die AfD und ihre Wähler sind solche Schmuddelkinder. Boris Reitschuster auch. Nena, natürlich. Jan-Josef Liefers nicht zu vergessen.
Und die wiederum klammern sich an Nazis, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker bzw. sind selbst welche. Es wird also Zeit, den „Volkslehrer“ zu nennen, Attila Hildmann und Bodo Schiffmann. Oh, der Wendler darf auch nicht fehlen. Ihre schützenden Hände halten Ken Jebsen und Michael Ballweg über all diese Figuren, und der König von Deutschland, Peter Fitzek, lädt alle zum Essen in seinem Restaurant ein, das er auf sein Land gebaut hat.
Ganz unten in der Nahrungskette stehen die gemeinen Bürger, genauer: die, die ebenfalls nicht empfänglich für die oben genannten Argumente sind. Die, die nach Berlin oder sonst wohin fahren, um für ihre Grundrechte zu demonstrieren. Also die, die die Gesundheit aller gefährden, wenn sie über Straßen laufen, um ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen. Die ganz Radikalen unter ihnen mischen sich womöglich noch unter die Teilnehmer des Christopher-Street-Days und gefährden so eine schützenswerte Minderheit.
Unmöglich, solche Leute!
Neue Allianzen
Verabschieden wir uns an dieser Stelle von Ironie und Zynismus und betrachten die „neuen Allianzen“ einmal ganz nüchtern.
Was Wanderwitz mit seinen Mutmaßungen deutlich gemacht hat, weiß er sicher nicht. Sonst hätte er es gelassen. Er hat nämlich aufgezeigt, dass kritische Menschen in diesen Zeiten fast überall diffamiert und drangsaliert werden. Wer das heute noch bestreitet, muss ein Realitätsleugner sein (um im Bild zu bleiben). Schon vor der faktischen Einführung einer Impfpflicht wurden Menschen, die auf andere Aspekte der Krise hinweisen wollten, zu Unpersonen erklärt, und selbst Wissenschaftler, die früher hoch angesehen und gern als Gäste in Talkshows eingeladen wurden, verloren plötzlich in der Öffentlichkeit ihre Glaubwürdigkeit.
Doch die Diffamierung ging weit über Wissenschaftler hinaus, und nahezu jeder, der nicht voll und ganz auf Linie war, erlebte schnell und heftig, was es heißt, von der Gemeinschaft ausgegrenzt oder gar ausgeschlossen zu werden. Die Konsequenz ist naheliegend.
Es fanden sich neue Allianzen. Allianzen, die man vorher kaum für möglich gehalten hätte. Zusammenschlüsse, die quasi aus der Not entstanden. Aus der Not heraus, die Grundrechte dahinziehen zu sehen. Aus der Not heraus, die ganze Konstruktion der Demokratie gefährdet zu sehen. Das sind keine Peanuts, und wer sich ernsthafte Gedanken machte, kam schnell (oder auch weniger schnell) zum Schluss, dass hier eine große Gefahr auf uns zurollt, eine Gefahr, die nicht vergleichbar ist mit Diesel-Skandalen, Verkehrsministern mit krimineller Energie, ja, eine Gefahr, die sogar ähnlich bedeutend ist wie die Gefahr eines Krieges. Denn wenn die Demokratie im Totalitarismus mündet, ist das nicht nur ebenfalls eine Form des Krieges, sondern darüber hinaus die gesteigerte Möglichkeit, auch in andere kriegerische Auseinandersetzungen zu geraten. Eben, weil der Totalitarismus nicht gerade eine friedvolle Gesellschaftsform ist.
Daher ist es auch nur auf den ersten Blick verwunderlich, wenn plötzlich Menschen, die vorher die BILD nicht einmal mit einer Kneifzange angefasst hätten, jetzt Artikel lesen und teilen, die unsere Kinder um Entschuldigung bitten wollen oder Videos verfolgen, in denen Julian Reichelt feurige Reden für die Grundrechte hält.
Ich war nie ein Freund der These, links und rechts seien nicht mehr wichtig, solange man nur gemeinsame Ziele hat. Links ist – Professor Mausfeld folgend – das Ziel von Gleichwertigkeit, rechts das Gegenteil davon. Gleichwertigkeit bedeutet, gleiche Chancen zu haben (nicht das, was den angeblichen Tellerwäscher zum Millionär macht, denn diesen Tellerwäscher gibt es faktisch so gut wie nie), es bedeutet, Wertschätzung zu erfahren und ein Recht auf ein gutes Auskommen zu haben (so interpretiere ich das jedenfalls). Rechts zu sein dagegen setzt auf die Ungleichheit im Sinne von Wertschätzung, die bestimmten Menschen entzogen wird, weil sie sie nicht „verdienen“.
Doch in dieser Krise geht es tatsächlich nicht um die Frage, ob man links oder rechts tickt. Es geht um etwas Größeres, Grundsätzliches. Konnte man vor Corona noch vortrefflich darüber streiten, wie große Konzerne besteuert werden, ob die Rente privatisiert werden soll oder das Schulsystem eine dringende Reform braucht, stehen jetzt andere Fragen im Vordergrund. Fragen nach der Demokratie, den Grundrechten, der Freiheit, und die Frage danach, was der Staat systembedingt darf oder nicht darf.
Hier gibt es eine durchmischte Gruppe von Menschen, die die Gefahr erkennen und sich dagegen wehren. Die Fragen, die sich diese Menschen stellen, sind tatsächlich nicht links oder rechts, sondern grundlegend. Sie stellen das System, wie es sich seit Corona entwickelt, in Frage, sehen die Gefahr des Zerfalls und schließen sich aus diesem Grund zusammen. Sie können gar nicht anders, denn nur wenige erkennen, dass wir wirklich gefährdet sind, alles zu verlieren, was wir bisher als Demokratie bezeichnet haben. Doch die Tatsache, dass es eine Minderheit ist, die die Auslöschung der Demokratie fürchtet, macht die Gefahr nicht kleiner, im Gegenteil.
Letztlich werden sie sich auch wieder auflösen, diese Allianzen, das sollten wir jedenfalls hoffen, denn sie werden das wohl erst können, wenn die Gefahr abgewendet ist.
Um es plakativ zu formulieren: Wenn ich bei „die Linke“ kein Verständnis für meine Ängste und Befürchtungen finde, weil die Partei sich weitgehend dem allgemeinen Narrativ angepasst hat, bleibt mir nichts anderes übrig, als nach Verbündeten zu suchen, die ich nur woanders finden kann.
Tue ich das nicht, bleibe ich allein. Und das ist das Schlimmste, was in einer solchen Krise passieren kann.
Und der Wanderwitz?
Wanderwitz? Bleibt ein Treppenwitz. Aber er ist in bester Gesellschaft, denn die Diffamierungen funktionieren bei ihm wie auch bei zahlreichen anderen Politikern. Die Tatsache, dass er der AfD und AfD-Wählern fehlende Argumente vorwirft bzw. auf solche nicht einzugehen, ist billig und bezeichnend. Denn wie oben schon angemerkt, sind es Figuren wie Wanderwitz, die mit den immer gleichen hohlen Floskeln argumentieren, obwohl diese längst entkräftet sind.
Tobias Riegel hat es auf den NachDenkSeiten gut auf den Punkt gebracht:
Auch solche Haltungen sind beispielhaft für die Corona-Episode. Es wird, wenn das Ergebnis die destruktive offizielle Corona-Politik „rechtfertigt“, auf dem Feld „der Wissenschaft“ zum Teil intensiv gebogen und getrickst: So werden mit unfassbarer Sturheit seit 18 Monaten absolute Zahlen als aussagefähig hingestellt, es werden einfachste Regeln der Statistik glatt ignoriert, es wird (vorsätzlich) eine „Daten-Erhebungs-Katastrophe“ und ein gewollter Zustand des „Nichtwissens“ angerichtet. Zusätzlich werden all die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse ignoriert, die allesamt der Corona-Panikmache und dem Prinzip Lockdown entgegenstehen: etwa die unseriöse Zählweise der „an oder mit dem Virus Verstorbenen“ oder die fragwürdigen Aussagen der PCR-Tests oder die unbegründete Angst vor der vernichteten Lebenserwartung oder die unbegründete Angst vor zu wenig Intensivbetten oder die (ausbleibende) Übersterblichkeit oder die „Unwissenheit“ der Regierung zu den konkreten Wirkungen von Lockdowns.
Und weiter:
Neben dem durch die Corona-Maßnahmen (nicht durch das Virus) gesteigerten Welthunger muss außerdem auf die Reichtums- und Armuts-Explosion, den Grundrechtsentzug, die Protest-Verbote, die sich anbahnende Massenkontrolle und Überwachung, die eingesperrten Kinder und die zum einsamen Sterben verdammten Alten hingewiesen werden. Und darauf, dass mittlerweile ohne jeden Zweifel festgestellt werden kann, dass die extrem destruktiven Wirkungen der Lockdown-Politik in keinem angemessenen Verhältnis zum Gefahrenpotenzial des realen Corona-Virus stehen.
Die Liste der Fehler, Fehleinschätzungen und der bewussten Lügen ließe sich fortsetzen und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Also, noch mal: Argumente?
Wanderwitz, und auch damit ist er nicht allein, pickt sich ein funktionierendes Feindbild (hier: die AfD) heraus und unterstellt jedem, der im konkreten Fall der Corona-Episode ähnlich argumentiert, auf der falschen Seite zu stehen und den falschen (oder gleich: gar keinen!) Argumenten zu folgen.
Dabei ist die AfD in diesem Fall ebenso wenig das Problem wie die BILD. Im Gegenteil, sie gehören zu den Wenigen, die auf die Gefahren des Demokratieverlustes hinweisen.
Sollten wir es schaffen, aus dieser Demokratiekrise wieder herauszukommen (was jeder von uns inständig hoffen und alles dafür tun möge, dass es gelingt), werden die heutigen Allianzen sich auch wieder auflösen. Die BILD und die AfD werden vermutlich wieder zurückkehren zu ihrer vor der Krise bekannten Praxis. Und viele von uns werden sie so kritisieren, wie es vor der Krise der Fall war. Ist dann alles wieder beim Alten, können auch alte Kämpfe ausgefochten werden. Kämpfe, die im Moment an die zweite oder dritte Stelle gerückt sind.
Spannend ist weniger die Frage, welche Allianzen sich wieder in Wohlgefallen auflösen. Interessanter ist die danach, welche Zusammenschlüsse sich auch nach der Krise als fruchtbar und zielführend erweisen werden.
Wenn es denn ein „Danach“ geben wird.