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Corona und das gesellschaftliche Trauma des Verlassenseins

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Traumatische Erfahrungen hat jeder Mensch schon einmal erlebt, die einen stärker, andere schwächer. Es gehört gewissermaßen zur menschlichen Natur, Traumata verarbeiten zu müssen. Und naturgemäß gelingt das nicht immer. Doch das kollektive Trauma, das uns durch die Corona-Politik auferlegt wird, ist besonders schwerwiegend.

In einem sehenswerten Interview spricht Michaela Huber über Traumatisierungen.

Ein wesentliches Merkmal des Traumas, stellt Huber fest, ist das Gefühl, verlassen zu werden. Jeder kennt das, hat es im privaten, familiären oder auch beruflichen Umfeld schon erlebt. Doch meist kommen wir aus dieser Situation wieder heraus. Die Zeit mag nicht alle Wunden heilen, aber doch viele, und durch Gespräche mit nahestehenden Menschen oder weil wir neue Menschen kennenlernen, ist es uns meist möglich, den Schmerz des Verlassenwerdens zu ertragen und irgendwann zu besiegen. Doch ein gesellschaftliches Trauma ist komplexer.

Verschweigen ist nicht verschwinden

Was wir derzeit erleben, ist das Verdrängen, das Verschweigen bestimmter Themen. Wir erleben es, wenn uns gesagt wird, dass die Maßnahmen (welcher Art auch immer) nicht hinterfragt werden dürfen. Wir spüren es, wenn bestimmte Meinungen nicht zugelassen, totgeschwiegen oder diffamiert werden, und jeder, der womöglich ähnliche Fragen haben könnte, überlegt es sich zweimal, ob er dieses Wagnis begeht. Wir sehen es auch (und besonders) in der medialen Berichterstattung. Sie wirkt gleich, ohne geschaltet werden zu müssen, denn das Kollektiv der Medien lässt es nicht zu, andere als die gemeinsam entwickelten Ansichten darzustellen.

Doch das Unterdrücken bestimmter Ansichten (auch die freiwillige Teilnahme etwa durch Selbstzensur daran) lässt diese nicht verschwinden. Die Kritik, die Angst, die fehlende Überzeugung und das fehlende Vertrauen werden weiter ausgebaut, wenn auch nicht sofort sichtbar.

Huber spricht von Positionen, die in traumatisierten Kollektiven entstehen, Positionen, die vorher gar nicht denkbar waren und die selbst für diejenigen, die sie vertreten, verwirrend sind. Bezogen auf Corona sieht man das sehr gut. Nicht umsonst entzweien sich Freundschaften, gehen Familien in die Brüche und outen sich scheinbar progressive Menschen als der Autorität zugeneigt und vermeintlich konservative Köpfe als wehrhafte Geister.

Das erhöht die Verwirrung jedoch nur um einen weiteren Faktor. Links denkende Menschen stellen verunsichert fest, dass „die LINKE“ nicht mehr ihre Überzeugungen widerspiegelt, stattdessen sind es die AfD oder Journalisten wie Boris Reitschuster, die zu den „Vernünftigen“ zu gehören scheinen. Andererseits will man mit der AfD nichts zu tun haben, und so verschweigt man, dass ausgerechnet die ehemals verhasste Partei plötzlich ähnliche Forderungen vertritt, wie man selbst (das Prinzip funktioniert auch in die entgegengesetzte Richtung).

Und so wird immer mehr verschwiegen, totgeschwiegen, sogar die eigenen Überzeugungen sind uns nicht mehr geheuer, weil wir sie nun mit den vermeintlich Falschen teilen. Das wollen wir aber nicht, und so entsteht Orientierungslosigkeit. Hinzu kommen weitere Themen, die scheinbar im Moment zweitrangig sind, weil Corona alles überdeckt, die aber dennoch massive emotionale Auswirkungen haben. Man denke an den Streit um Lisa Eckhart, der sicherlich auch schon vor Corona hätte stattfinden können, der aber an Heftigkeit jedes vernünftige Maß überschritten hat. Man denke aber auch an den Klimawandel oder auch „nur“ den Diesel-Skandal, beides spielt inzwischen eine noch viel unbedeutendere Rolle als zuvor ohnehin schon.

Zugelassen wird politisch alles, was den Hass schürt, die extremen Haltungen und Positionen verstärkt und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung unterstützt. Gleichzeitig hat die Politik eine Sprache (weiter)entwickelt, die sie als Retter und moralische Instanzen dastehen lässt. Die Sorge um die Gesundheit ist das, was sich alle Politiker auf die Fahne geschrieben haben, die Rettung vor dem Tod unzähliger Menschen wird genutzt, um noch eine viel größere Zahl von Menschen in den Ruin zu treiben, in psychologische Krisen zu stürzen, vereinsamen zu lassen und das soziale Gefüge in erheblichem Ausmaß zu stören. Die Toten durch Corona – im Sinne von Suiziden, einsamen Toden, Hungertoten oder dem Sterben wegen nicht erfolgter Behandlungen anderer Krankheiten – werden – sozusagen – ebenfalls „totgeschwiegen“.

All das wird verschwiegen, wenngleich es nicht unbekannt ist. Die Auswirkungen der Corona-Politik sind mittlerweile global zu erkennen und oft auch zu beziffern.

Zum Beispiel hat die UNICEF Mitte September vorgerechnet, dass infolge des durch den quasi globalen Lockdown im Frühjahr provozierten ökonomischen Zusammenbruchs zusätzlich 150 Millionen Kinder in Armut gestürzt wurden. Schon im Juli warnten Experten des Welternährungsprogramms WFP, durch die Corona-Krise könnten in diesem Jahr 130 Millionen Menschen zusätzlich von Hunger bedroht sein. Für den indischen Subkontinent konstatierte im August die State Bank of India, je nach Bundesstaat werde die Wirtschaftskrise vier- bis zwanzigmal so viele Tote fordern wie die Krankheit Covid-19. In ärmeren Regionen wie Uttar Pradesh stünden pro 1.000 Einwohnern 0,16 Covid-19-Tote statistisch 3,41 ökonomisch bedingte Todesopfer gegenüber.

Man liest so etwas nicht, wenn man die Mainstreammedien „aufschlägt“, in den öffentlich-rechtlichen Fernseh- oder Radiosendern Informationen verfolgt. Ist das so, weil wir vor den schlimmen Folgen von Corona geschützt werden sollen? Kaum, denn die Folgen der Maßnahmen überragen ja längst die des Virus. Die wirtschaftlichen, psychologischen, pädagogischen und soziologischen Konsequenzen, die die Corona-Krise hat und haben wird, sind erst ansatzweise sichtbar, aber sie zeichnen sich bereits heute ab (schon viel früher als heute sogar). Kommuniziert wird das aber nicht.

Politik als Spaltungsinstrument

Es vergeht kein Tag, an dem uns die Politik nicht darauf konditioniert, Solidarität zu üben. Gleichzeitig wird aber jede neue Fallzahl (ob es sich dabei um eine Krankheit handelt oder nicht, spielt keine Rolle) als ein Ereignis eingeordnet, das in jedem Fall zu vermeiden gewesen wäre. Ralf Stegner (SPD) hat das auf erschreckende Weise demonstriert, als er twitterte:

Offenkundig werden die Fronten, die es seit einigen Monaten in der Bevölkerung gibt, bewusst weiter verstärkt. War das Virus zu Anfang eine Naturgewalt, für die niemand etwas konnte, wird jetzt für jeden neuen Fall (und auch hier gilt: ob es sich dabei um eine Krankheit handelt oder nicht, spielt keine Rolle) ein Teil der Bevölkerung verantwortlich gemacht.

Mit „Leichtsinn und Rücksichtslosigkeit mancher Zeitgenossen“ kann dabei jeder gemeint sein, der entweder auf eine Demo gegangen ist oder auch einen positiven PCR-Test vorweisen muss. Einfacher lässt es sich aber zusammenfassen, wenn man sagt, dass jeder gemeint ist, der sich nicht der offiziellen Meinung anschließt.

Die Bundesregierung tritt nicht nur als spaltendes Element auf, sie geriert sich darüber hinaus zu einer Art Erziehungsberechtigten der Bevölkerung. Maßnahmen jeder Art werden nach Gutsherrenart beschlossen, wer aufmuckt, wird diffamiert und als Lügner beleidigt.

Gleichzeitig wird durch Politik und Medien offen – wenn auch zwischen den Zeilen – kommuniziert, an wen bei all dem gedacht wird: an die, die sich eine Krise leisten können. Deutlich wird das in einem Artikel im „Tagesspiegel“, zu dem es noch ein wenig mehr zu sagen gibt:

Es ist natürlich sehr bedauerlich, dass wir wegen Corona nicht in Kneipen, Bars und Clubs gehen können und nicht in Kinos und Theater und Museen, nicht in den Skiurlaub fahren und nicht zum Baden in die Tropen fliegen dürfen. Und dass Unternehmen schließen müssen, Arbeitsplätze verloren gehen und vieles mehr.

Nun sind es nicht so viele Menschen, die in erster Linie darunter leiden, zum Baden nicht in die Tropen fliegen zu dürfen, es ist eine Minderheit. Dass Unternehmen schließen müssen und Arbeitsplätze verloren gehen, ist ebenfalls lediglich „bedauerlich“, und wer ohnehin keinen Job hat, hat auch nichts zu verlieren. Überspitzt könnte man sagen: Wer nichts zu verlieren hat, braucht auch nicht gleich ein Fass aufzumachen. Daher spielt er in der Gedankenwelt des Redakteurs auch keine Rolle. Und womöglich ist es sogar der Redakteur selbst, der wehklagend auf seinen Tropenurlaub verzichten muss und es dennoch tapfer übersteht.

Hand in Hand gehen Medien und Politik zur Sache, und mit vereinten Kräften werden die Widerstandskräfte der Bürger – bildlich und im wahrsten Sinne – geschwächt, indem ohne Rücksicht auf Verluste oder Fakten Angst geschürt wird. Schon die Überschrift des Artikels im Tagesspiegel spricht Bände:

Die Zahl der Covid-19-Toten zu Weihnachten steht jetzt schon fest

Das ist nicht mehr ambitioniert, das ist pure Panikmache. Zur Begründung heißt es im Text:

Die traurig-brutale Pandemie-Wahrheit lautet: Wie viele Corona-Tote es über die Weihnachtsfeiertage geben wird, steht bereits unumstößlich fest. Denn die Menschen, die während der Feiertage an Covid-19 sterben werden, sind jetzt bereits infiziert.

Zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass jeder infizierte Mensch ein kranker Mensch ist, sonst könnte man nicht behaupten, die genaue Zahl der Corona-Toten zu Weihnachten nennen zu können (wobei der Artikel interessanterweise keine Zahl nennt).* Und eigentlich sollten selbst die Hardliner inzwischen über diesen Punkt hinaus sein. Selbst wer die Berichte über Corona nur am Rande verfolgt oder kein Experte ist (Letzteres trifft auf die meisten Menschen zu, vermutlich inklusive des Redakteurs des Artikels aus dem Tagesspiegel), müsste eigentlich wissen, dass eine Infektion nicht mit einer Krankheit, und schon gar nicht mit einem Todesfall gleichzusetzen ist.

„Pandemie-Wahrheit“ ist übrigens ein bezeichnender Begriff. Er transportiert, dass es nur eine Wahrheit geben kann, die „Pandemie-Wahrheit“ eben. Und ins gleiche Horn blasen die Politiker, die uns eintrichtern, die Pandemie dauere bis zum Impfstoff (und, wie wir inzwischen wissen, bis weit darüber hinaus). Und um das Narrativ der vermeintlichen „Wahrheit“ zu untermauern, wird jede abweichende Meinung als verantwortungslos, rücksichtslos und (natürlich!) rechts tituliert.

Die verbotene Wahrnehmung

Zurück zu Michaela Huber, die sagt:

Trauma heißt immer: Es gibt Widersprüchliches, aber das darf ich nicht wahrnehmen.

Und in diesem Kreislauf befinden wir uns. Dabei tritt das Widersprüchliche teils offen zutage, etwa bei den nicht mehr nachvollziehbaren Handlungen der Bundesregierung. Oder bei offenen Fragen bezüglich des PCR-Tests. Bei der Frage, wer an, wer mit oder wer durch oder im Zusammenhang mit Corona gestorben ist. Bei der wissenschaftlichen Einordnung der angemessenen Reaktion auf das Corona-Virus.

All das und noch viel mehr löst innere Fragezeichen bei den Menschen aus, das Widersprüchliche ist offenkundig, darf aber nicht in Frage gestellt oder auch nur hinterfragt werden.

Diese Regeln dürfen nie hinterfragt werden.

Dieser Satz von Lothar Wieler (RKI) darf wohl schon als abstoßender Klassiker bezeichnet werden. Man stelle sich vor, einem Kind zu sagen, dass es die Regeln der Eltern nie hinterfragen darf (hier kommt übrigens wieder die Rolle des Erziehungsberechtigten, diesmal in Gestalt des RKI-Chefs, zum Ausdruck). Wer würde in diesem Zusammenhang ernsthaft sagen wollen, dass sich dieses Kind künftig gut entwickeln und zu einer eigenständigen Persönlichkeit wird?

Was Wieler ausgesprochen hat, ist nichts anderes als ein Denkverbot. Und Politik und Medien stimmten fleißig mit ein. Doch Denkverbote führen zu Traumatisierungen, wer Widersprüchliches nicht benennen, hinterfragen und in Frage stellen darf, wird hilflos, ratlos, tatenlos, er beginnt, sich auf die Worte des Erziehungsberechtigten zu verlassen, während er zugleich das Gefühl hat, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Man muss die nüchterne Frage stellen, ob es nicht genau dieser Effekt ist, der erzielt werden soll.

Und so entstehen die Fronten, deren Verhärtung durch Politik und Medien gezielt verstärkt werden. Mittendrin die „Wahrheit“, die einzige. Der Großteil der Menschen erkennt diese Wahrheit an, der relativ kleine Rest wird als Demokratiefeinde und Corona-Leugner verunglimpft, mit feindlicher Unterstützung der Medien.

Gewonnen hat letztlich niemand, denn auf beiden Seiten der Frontlinie (man muss es wohl mittlerweile so nennen) bleibt die fehlende Offenheit für die andere Perspektive. Wir alle haben uns in eine Spirale begeben, aus der wir nur wieder herauskommen, wenn wir mit Empathie und vor allem Offenheit und Neugier aufeinander zugehen.

Am Ende – und das ist keineswegs wertend gemeint und kann natürlich in der Nachschau widerlegt werden – werden womöglich die mit der größeren inneren Belastung leben müssen, die sich nicht getraut haben, Widerworte zu erheben. Denn in ihnen tobt ein deutlich wilderer Kampf um die Wahrheit, die Lüge, um Fragen und Antworten, und es ist ein Kampf, der nicht bis zum Ende ausgefochten werden darf, weil nicht genügend Platz für die Bandbreite an möglichen Meinungen zugelassen wird. Oder aber es werden die Kritiker der Corona-Politik sein, die zum Schluss das größere Trauma haben, weil sie gesellschaftlich geächtet sind.

Gewinner wird es, wie gesagt, trotzdem nicht geben, abgesehen von denen, die von den Ängsten und den Traumata profitieren. Man kann aber davon ausgehen, dass wir von denen wenig mitbekommen – wahrscheinlich, weil sie sich im Badeurlaub in den Tropen befinden.

***

* Man könnte natürlich gemäß einer Vorherbestimmung argumentieren, dass auch feststeht, wie viele Tote es am 14. März 2021 geben wird, die durch Unfälle, Selbstmorde oder herabfallende Gesteinsbrocken unfreiwillig ihr Leben beenden müssen. Das dürfte der „Tagesspiegel aber eher nicht gemeint haben. Und es wäre selbst dann nicht zielführend, weil diese Zahl – selbst wenn sie vorherbestimmt feststeht – heute niemand nennen kann.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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