Vorbemerkung: Dieser Text ist unter teilweise nicht politisch korrekten Rahmenbedingungen entstanden. Menschen, die das verstört, sollten den Artikel nicht lesen oder zumindest vorher eine Pipamperon einnehmen, sofern diese zur Verfügung steht und ärztlich von einem Mediziner verordnet wurde, der über die notwendige Kompetenz verfügt, um dieses Medikament verschreiben zu können, jedoch nicht, ohne zuvor über sämtliche möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt zu haben.
Es ist noch nicht sehr lange her, da starteten wir ein neues Podcast-Format. Während wir zuvor nur Audio-Podcasts gemacht hatten, probierten wir es nun auch mit Video-Gesprächen. Eigentlich waren die Rückmeldungen insgesamt eher positiv. Aber dann kam „Wokeness“ um die Ecke und eröffnete eine neue Diskussion.
Zunächst eine kurze Definition dessen, womit wir es zu tun haben:
Wokeness oder woke (engl. ,erwacht‘, ,wach‘, Aussprache: [ˈwoʊk]) ist ein seit 2008 verwendeter Begriff, der ein erhöhtes Bewusstsein für Rassismus und gesellschaftliche Privilegien umschreibt.[1] Aktivistisches oder militantes Eintreten für den Schutz von Minderheiten kann damit einhergehen. Er leitet sich von dem englischen Verb ,to wake‘ (,wecken‘, ,aufwachen‘) ab, um einen Zustand des Erwachens angesichts von Ungerechtigkeit zu beschreiben.
Zuletzt hatte Lisa Eckhart mit diesem Begriff zu tun, auch wenn es hier eher um Cancel Culture ging, also den Versuch, Eckart als Künstlerin gleich gänzlich aus der öffentlichen Wahrnehmung zu streichen.
Doch was hat das mit unserem Video-Podcast zu tun?
„Was ich noch zu sagen hätte …
… dauert eine Zigarette
und ein letztes Glas im Stehen.
So sang es einst Reinhard Mey. Das war um das Jahr 1996 herum. Eigentlich sollte es verwundern, dass dieses Lied heute nicht längst verbannt oder zumindest umgetextet worden ist, etwa so:
Was ich noch zu sagen hätte
dauert eine Netiquette
und ein letztes Glas aus kompostierbarem Material.
Klingt etwas sperrig, ist aber politisch weitgehend in Ordnung (soweit ich das beurteilen kann).
Unser neues Podcast-Format könnte man auch als „Helmut-Schmidt-Gedächtnis-Talk“ bezeichnen. Denn ich rauche während des Gesprächs. Und da ich aus beruflichen Gründen meine Podcasts meist am Abend aufzeichne, mach ich mir auch regelmäßig ein köstlich gekühltes Weizenbier auf. Wohlgemerkt, ich besaufe mich nicht während des Podcasts, dann würde ich wahrscheinlich jede Menge dummes Zeug reden. Ich nippe zwischendurch an meinem Weizen und … und … stelle gerade fest, dass ich schon mittendrin im Rechtfertigungsmodus bin …
Und das nur wegen ein paar Kommentaren (die ich in ihrer Form hier ohne Korrekturen übernehme) nach einem Podcast, in dem es ausgerechnet um Cancel Culture und Wokeness ging.
Eigentlich grotesk:
40 Minuten habe ich geschafft, dann musste ich wegen Nikotinqualm ausmachen. Wie können sich zwei so intelligente Menschen ihren Körper sowas antun. Gespräch bis dato aber gut.
Sehr schön auch diese Anmerkung:
Wenn zwei Autoren, deren Geschäftsmodell, dass kritisieren und hinterfragen der Regierung ist und auch bei Themen wie Gesundheit drauf hauen wie die Kesselflicker, und sich im 10 MinutenTakt das wohl mit schädlichste Gift reinzieht, ist für mich unglaubwürdig.
Und um das Problem endgültig deutlich zu machen, noch das hier:
Die beiden müssen hochgerechnet am Tag 30 – 40Kippen rauchen. Kann mir nicht vorstellen, dass die beiden“ drehen“. Nur die Kohle für den Dreck, davon träumt jeder Hartz 4ler.
Ok, wir sind Egoisten! Wir denken weder an das Gesundheitssystem noch an Hartz-IV-Empfänger. Auch machen wir uns keine Gedanken darüber, dass unsere Intelligenz im Widerspruch zu unserem Drogenkonsum vor der Kamera steht.
Kurz: Wir sind ganz üble Gesellen!
Kein Vergehen ist zu klein!
Im „schweizer monat“ (Ausgabe 1077, Juni 2020) war ein Artikel über Denunziation zu lesen. Er war von Bernd Stegemann, und wer sicher sein will, ob man Stegemann lesen darf oder nicht, sei auf die Wikipedia verwiesen, die ja Persönlichkeiten so einzuordnen weiß, dass auch den Lesern die Bewertung leichter fällt.
Nachzulesen ist auf Wikipedia:
Anfang 2017 veröffentlichte er das Buch „Das Gespenst des Populismus“. Ein Essay zur politischen Dramaturgie (Verlag Theater der Zeit). „Das Zeitalter des Populismus“ nennt er das beginnende 21. Jahrhundert und sieht als eindeutige Zeichen „Trump, Brexit und Wahlsiege rechtspopulistischer Parteien in Europa“. Die üblichen Reaktions- und Lösungsvorschläge greifen seiner Ansicht nach zu kurz. Stegemann fordert eine grundsätzliche Auseinandersetzung und sieht die einzige Lösung in der Selbstkritik des Liberalismus; im Kern gehe es um die Auseinandersetzung „zwischen der globalen Macht des Kapitals und den Menschen“.[3]
Um die Einordnung Stegemanns etwas zu erleichtern, greift Wikipedia auf eine „seriöse“ Quelle zurück, die den Stegemann ins richtige Licht rückt:
Der Tagesspiegel resümiert, dass Stegemann einen „linken Populismus [fordert], der sich gegen den rechten und gegen den liberalen Populismus der Mehrheitsgesellschaft stellt“
Ich hoffe, dass nun alle in der Lage sind, sich ein politisch korrektes Bild von Ralf Stegemann zu machen.
Was aber schreibt Stegemann denn nun im „schweizer monat“?
Der Moralist hat aus der Moral eine Waffe gemacht, die ihm helfen soll, seine Gegner zu schädigen und selbst wertvoll zu erscheinen. Dass der Moralismus überhaupt zu solch einer Macht gekommen ist, ist wiederum ein bedenkliches Zeichen für den Zustand der Gesellschaft.
An anderer Stelle führt Stegemann aus:
Die besondere Eigenart der Wokeness besteht darin, dass kein Vergehen zu klein ist, als dass man es nicht doch skandalisieren könnte. Höchste Sensibilität beim Aufspüren von Fehlern und größte Aggressivität beim Verfolgen der Übeltäter arbeiten hier eng zusammen.
Im Falle meines Podcast-Formats bringt mich diese Form der politischen Korrektheit nicht um (wohl eher die Zigaretten, die ich während der Aufnahme rauche). Sie hat keinerlei Konsequenzen, außer dass da jemand meinen Kommentarbereich in eine Debatte hereinzieht, die meiner Meinung nach völlig unwichtig und – vor allem überflüssig – ist.
In anderen Fällen aber sieht das ganz anders aus.
Es ist diese Erhöhung über andere und dem, was sie zu sagen haben, was sie denken oder fühlen, die das eigentliche Problem ausmacht. Denn wer ernsthaft versucht (und das ist ein Unterfangen, das faktisch nicht gelingen kann), sich so korrekt zu verhalten, dass er keine Angriffsfläche für Wokeness oder vergleichbare Phänomene bietet, schränkt sich ein, zensiert, stellt sich schon bei den ersten Gedanken zu einem Thema die bange Frage, wie es wohl ankommen mag. Ob es einen Shitstorm gibt. Ob womöglich der Arbeitgeber davon erfährt. Ob sein „Fall“ in die Presse kommt.
Wie gesagt: Mein eigenes Beispiel ist keine große Nummer. Aber es ist ein Beispiel, das zeigt, dass und wie sich die Prioritäten in den Köpfen der Menschen verschieben. Da stehen Oberflächlichkeiten im Vordergrund, Äußerlichkeiten und teils winzig kleine Äußerungen, Gesten oder die Mimik, die zum Anlass genommen werden, um einen Menschen in eine bestimmte Schublade zu stecken.
Und – ebenso wichtig – das eigentliche Thema geht unter, spielt keine Rolle mehr, wenn man die Diskussion erst einmal in die Wokeness-Richtung lanciert hat. Dahinter mag der innige Glaube stecken, man könne Rassismus bekämpfen, wenn man Straßen oder Restaurants umbenennt. Das klingt nicht nur irre, dass ist es auch. Denn wer rassistisch denkt und fühlt, wird das auch mit politisch korrekten Vokabeln tun.
Unter meinem Podcast ist das zu beobachten. Zwar gibt es (herzlichen Dank dafür!) Widerworte zu den hier zitierten Äußerungen eines Kommentators. Aber die Debatte wird dennoch dadurch dominiert. Der Podcast selbst gerät in den Hintergrund.
Was sich an meinem Podcast-Format ändern wird
Um es kurz zu machen: nichts. Es sei denn, ich entscheide mich dafür. Doch das ist derzeit keine Option, offen gestanden: schon aus Prinzip nicht.
Ich könnte mir selbst nur noch schwer gegenüber treten, wenn ich auf Grund von Leuten, die morgens mit einem wasserlöslichen, kompostierbaren, fair hergestellten und gehandelten Stift „Wokeness“ auf ihren Badezimmerspiegel schreiben, mein Format ändern bzw. anpassen würde.
Bis auf Weiteres rauche ich also weiter bei meinen Video-Gesprächen. Und wenn sie abends aufgezeichnet werden, schlürfe ich auch an meinem Weizenbier.
Mehr noch: Jeder Gast, der zu mir kommt, darf das selbstverständlich ebenso machen. Ich möchte eine Gesprächsatmosphäre schaffen, in der sich meine Gäste wohlfühlen. Das hat Priorität.
Wer sich dadurch gestört fühlt, darf gern abschalten. Und er darf auch politisch korrekt kommentieren und die Debatte in eine abseitige Richtung bringen. Mir passt das zwar nicht, aber ich komme damit klar.
Den Text lasse ich jetzt, um 12.36 Uhr, erst einmal liegen, das Korrekturlesen werde ich dann heute Abend machen – bei einem leckeren Bier und während ich in Ruhe eine Zigarette dabei rauche.