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Der große deutsche Warntag: Gut gewarnt ist halb geängstigt

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Am Donnerstag, den 10. September 2020 findet in Deutschland der erste große Warntag statt. Pünktlich um 11.00 Uhr (jedenfalls kann man davon ausgehen) machen im ganzen Land alle nur denkbaren Sirenen und Warntöne Krawall, Radiosender berichten, digitale Werbeflächen tun endlich mal etwas Gutes, um die Bevölkerung darauf hinzuweisen, dass hierzulande nichts lustig ist.

Erst kürzlich wurde die Bevölkerung vor der Bevölkerung gewarnt. Vor diesen ganzen Verschwörungsideologen, Nazis, Antisemiten, kurz: vor Corona-Leugnern, in SPD-Kreisen auch gern mehr oder weniger offiziell als „Covidioten“ bezeichnet.

Am Donnerstag wird dann die Bevölkerung vor anderen Dingen gewarnt. Naturkatastrophen, Brände, Überflutungen, Terroranschläge, Corona, es kann ja so viel passieren. Da kann es doch nicht schaden, einen Warntag zu installieren, um – so die Beschreibung auf der entsprechenden Website – die Menschen für die „Warnung der Bevölkerung zu sensibilisieren“.

Und der Sinn der Übung?

Die Antwort kennt Christoph Unger vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Er sagt: „Es hat sich gezeigt, dass Menschen in Krisensituationen vor allem auf Bekanntes und bereits Erlerntes zurückgreifen.“ Was auch immer damit meinen mag. Für Überlebende eines Krieges oder sonst wie traumatisierte Menschen dürfte dieses „Bekannte“ allerdings wohl eher nicht das sein, worauf sie gern zurückgreifen möchten.

Unger weist aber auch auf die Hitzewellen der Jahre 2018 und 2019 hin, außerdem erwähnt er die Terroranschläge in Hanau und Halle. Und in der Tat sind das Ereignisse, die uns allen leider sehr bekannt vorkommen. Das laute Geheul von Sirenen hat an den Fakten allerdings nichts geändert. Wobei man entgegnen könnte: „Eben, es heulten in allen Situationen ja auch keine Sirenen!“

Das ist ein bisschen wie der Witz von dem Mann, der pausenlos in die Hände klatscht und einem anderen erklärt, er tue das, um die Elefanten zu vertreiben. Auf den Hinweis, dass es aber doch hier gar keine Elefanten gebe, entgegnet der Klatschende siegesgewiss: „Genau! Ich klatsche ja auch“

Warum jetzt?

Ob und was der bundesweite Warntag bringt, mag dahingestellt bleiben. Aber selbst, wenn man der Idee wohlwollend gegenübersteht, bleibt doch eine Frage im Raum: Warum ausgerechnet jetzt?

Ich höre schon die ersten Seufzer, kombiniert mit der Belehrung:

Jetzt stell’ dich mal nicht so an, ein paar Minuten Sirene und dieses App-Zeug, daran stirbt ja nun keiner.

Mag sein. Aber dennoch frage ich mich, warum in einer Situation wie der, in der wir uns befinden, noch der Warntag obendrauf gesetzt werden muss. Wir leben in einer allgemeinen Stimmung der Angst, ständig verraten uns Experten wie Söder, dass wir uns in der „zweiten Welle“ befinden oder Lauterbach, dass das große Geschäft im Erdgeschoss die Bewohner in den oberen Etagen irgendwie, auf eine merkwürdige Art töten kann, könnte, nicht muss, aber sicher ist sicher. Und während wir noch überlegen, ob es Masken gibt, die man während des erwähnten großen Geschäfts tragen kann, wenn auch an ungewohnter Stelle, tönt es womöglich zeitgleich aus dem ganzen Land mit Sirenen, die uns verkünden, das Ende sei nah.

Nein, das tun sie natürlich nicht, ist ja nur eine Übung. Man will sicherstellen, dass beim nächsten Waldbrand, Terroranschlag oder der Hitzewelle im kommenden Jahr auch wirklich alle Warnhinweise funktionieren. Eine andere Frage ist die, ob durch den Warntag auch nur ein einziger Brand gelöscht oder Terroranschlag verhindert wird. Aber gut, wir wissen dann zumindest, dass die Lage ernst ist.

Geteilte Angst ist doppelte Angst

Derzeit ist die Angst im Land recht gleichmäßig verteilt. Corona schwebt über uns, und sieht man einmal von ein paar hunderttausend Unbelehrbaren ab, die sich trotzdem nicht „vernünftig und verantwortungsvoll“ verhalten wollen, vereint uns die Angst wie nie zuvor.

Dennoch, es tut sich was. Selbst einige Medien fragen sich inzwischen, wann denn nun endlich die ganzen Krankheits- und Todesfälle über uns hereinbrechen, von denen die, die sich so wahnsinnig gut auskennen, immer reden. Sie lassen weiterhin auf sich warten, und sogar Jens Spahn (der keinen leichten Job hat, aber als Bankkaufmann kennt er sich eben besser mit grünen als mit gelben Scheinen aus) rudert ein wenig zurück und sagt, dass es keinen weiteren Lockdon geben wird. Nicht mit den heutigen Erkenntnissen.

Da kann man sich schon fragen, wie Markus Söder (CSU) das sieht. Denn der hielt es nicht für nötig, über seine akrobatischen Aktionen in seinem geliebten Bayern mal eine Akte anzulegen. Alle Corona-Maßnahmen wurden gewissermaßen aus dem Bauch heraus getroffen, und da Söder offenbar sein Geschwätz von gestern nicht interessiert, lag es nahe, auf das Anlegen auch nur einer einzigen Akte zu verzichten.

Aber was soll’s!
Jetzt also der Warntag. Er wird uns in unserer Angst weiter vereinen, wenn auch nur für ein paar Minuten. Danach können wir uns dann wieder der allgegenwärtigen Angst vor Corona widmen.
Angst essen Seele auf?
Von wegen! Angst ist das neue Wir!

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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