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Die regulierte Bevölkerung oder: Die Angst der „Mutigen“

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Wenn man als Kritiker der Corona-Politik nach spätestens zwei Atemzügen nicht als „Corona-Leugner“ verunglimpft wird, kann man sich heute freuen. Man gehört dann mit etwas Glück nicht zu den verabscheuungswürdigen Nazis, Reichsbürgern und AfD-lern, sondern wird lediglich als „verantwortungslos“ bezeichnet. Und wenn der Gesprächspartner einen richtig guten Tag hat, räumt er womöglich sogar ein, dass er verstehen könne, dass man ängstlich sei und Sorgen habe. Das sei dann schon in Ordnung. Darüber könne man reden.

Häufig endet hier das Gespräch, das doch so gut begonnen hatte. Weil man nun einmal verantwortungslos ist und bleibt. Sich und andere schützen, Masken tragen, mitmachen, was beschlossen wurde. Die Politik habe sich schließlich eine Menge Gedanken gemacht. Und wenn im Zuge dessen Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, Polizisten suspendiert und Kritiker als potenzielle Mörder an den Pranger gestellt werden, dann sei auch das im Sinne aller. Da müsse der Kritiker der Corona-Politik seine Ängste dann eben mal Ängste sein lassen und im Sinne der Gemeinschaft handeln.

Allerdings hat diese Sichtweise einen kleinen Fehler. Die Kritiker sind es in der Regel gar nicht, die Angst haben. Es sind die, die sie kritisieren.

Alles regeln lassen

In der „Leipziger Volkszeitung“ war am 10. August 2020 folgende Einleitung zu lesen (der Rest befindet sich hinter einer Bezahlschranke, die mir aber aufgrund des Teasers Angst machte, so dass ich den Rest den ganzen Artikel aus Selbstschutz nicht gelesen habe).

Im April hat LVZ-Reporterin Katharina Stork sich nach Normalität gesehnt. Jetzt stören sie all die Menschen, die ihre Masken nicht tragen und den Mindestabstand nicht einhalten. Und so unangenehm es ihr auch ist, stellt sie fest: Vielleicht wäre ein bisschen mehr strengere Regulierung nicht schlecht. Immerhin müsste man dann vieles nicht mehr selbst entscheiden.

Katharina Stork hat offenbar Angst. Und sie ist – anders als die meisten Kritiker der Corona-Politik – ziemlich verantwortungslos. Verantwortungslos im Sinne von: Sie ist die Verantwortung los, möchte keine tragen, überlässt das lieber anderen. Masken oder andere Einschränkungen stören sie schon ein bisschen, aber wenn alle sie tragen, ist das schon in Ordnung. Fragen über die Sinnhaftigkeit dieser umstrittenen Maßnahme lässt Stork nicht so gern an sich heran.

Ich will hier nicht auf der Autorin herumhacken, im Grunde ist es ja fast schon ein Zeichen von Mut, dass sie zu ihrer Angst steht. Schade nur, dass sie sie nicht so benennt. Aber sie demonstriert eindrucksvoll, was in unserer Gesellschaft passiert.

Wir mögen zwar keine Herdenimmunität haben, aber eine Herdenangst ist nicht zu leugnen – vor steigenden Fallzahlen, vor den Infizierten, vor zu viel Nähe und Kontakt, vor der Frage, ob es rechtzeitig einen Impfstoff geben wird, der von Bill Gates, nicht von Wladimir Putin kommt, vor Fußballspielen und Konzerten, vor Festen und Hochzeiten, vor der zweiten Welle, der dritten und der nächsten Pandemie, die Bill Gates bereits frech grinsend angekündigt hat, vor Wolfgang Wodarg, der uns Angst macht, indem er sagt, wir brauchen keine Angst zu haben, vor Karl Lauterbach (was allerdings berechtigt ist), vor Tröpfcheninfektion, Übertragung durch die Luft, durch Jeans-Hosen und womöglich, wenn wir überschüssige Luft still und heimlich (und verantwortungslos!) nach hinten entweichen lassen.

Vor allem aber haben wir vor Corona-Leugnern Angst. Vor diesen ganzen Leuten, die sich nicht fürchten, wenn sie auf die Straßen von Berlin gehen, um für das Ende der Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Keine Angst haben wir vor der gleichen Anzahl von Leuten, die nach dem Mord an George Floyd gegen Rassismus auf die Straßen gegangen sind, auch nicht vor denen, die in Weißrussland zu Tausenden demonstrieren. Im Grunde unterscheiden sich vom Gefahrenpotenzial die Veranstaltungen nicht voneinander, aber Katharina Stork hat es ja auf den Punkt gebracht: Sie wünscht sich Regulierungen, damit sie

vieles nicht mehr selbst entscheiden

muss.

Es ist eben kompliziert. Wenn die eine Demo „gut“ und die andere „schlecht“ ist, ist guter Rat teuer, wenn man keinen grundsätzlichen Unterschied ausmachen kann (weil es übrigens auch keinen gibt). In einer solchen Situation selbst entscheiden zu müssen, welche Demo man für „gut“ oder „böse“ hält, ist eine Herausforderung. Insbesondere, wenn man zum Schluss kommen müsste, dass entweder alle Demos „böse“ sind oder keine. Das allerdings führt endgültig in die Konfusion.

Da ist die gedankliche Regulierung schon besser. Kommen Politik und Medien daher und verkünden, dass sie bei der Einordnung von richtig und falsch behilflich sein können, nehmen wir das gern an. Erleichtert stellen wir also fest, warum das eine gut und das andere schlecht ist, lehnen uns zurück und ärgern uns über all jene, die mit dieser Regulierung nicht zufrieden sind. Schließlich wurde es doch gesagt, erklärt, als Axiom festgelegt.

Verunsicherung macht hörig

Die ganze Welt ist verunsichert. In allen Ländern herrscht ein Gefühl zwischen Angst, Panik, Wut und Aggression. Vor allem aber: Ratlosigkeit.

Wie umgehen mit dieser Pandemie? Was ist richtig, was falsch? Werden wir alle sterben, wenn wir uns nicht an die staatlichen Vorgaben halten? Wer hat einen Rat für uns?

Im Falle Deutschlands tut die Bundesregierung so, als hätte sie einen Rat, mehr noch, als hätte sie die Lösung. Sie umringt sich mit ein paar Virologen, lässt diese über Monate bedrohliche Zahlen vortragen und warnt vor einer Eskalation, der eine Eskalation, der eine Eskalation folgt. Es sei denn, wir verhalten uns vernünftig, hören auf das, was uns gesagt wird. Dann können wir das dicke, tödliche Ende vielleicht noch so gerade eben abwenden.

RKI-Chef Lothar Wieler äußerte vor einigen Wochen sogar, dass es nicht zulässig sei, die Regeln in Frage zu stellen. Meinungsregulierung auf Champions-League-Niveau.

Ausgeblendet wird dabei, dass die Bundesregierung sich faktisch noch nie wirklich für unsere Gesundheit interessiert hat. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, dass – wegen welcher Krankheit mit wie vielen Todesfällen auch immer – eine komplette Wirtschaft lahmgelegt worden wäre und dass die Folgeschäden billigend in Kauf genommen worden wären. Sollte ich mich täuschen, bin ich für Hinweise dankbar, aber mir fällt keine vergleichbare Situation ein.

Der „Trick“ an der Sache ist die Einbeziehung der ganzen Bevölkerung. Inzwischen ist ja klar, dass an Corona nicht über die Maßen mehr Menschen sterben als an anderen Krankheiten. Und dass es bestimmte Risikogruppen gibt, die besonders gefährdet sind. Aber die Bundesregierung (und weltweit zahlreiche andere Regierungen) stellt uns ein Risiko dar, das jeden betrifft, vom Kleinkind bis zum Greis. Jeder kann also sterben, und jeder, der sich nicht an die Regeln hält, ist zusätzlich dafür verantwortlich, dass womöglich andere sterben.

Das macht uns verletzlich, angreifbar und zwingt uns Disziplin auf.

Und diese Disziplin nehmen viele Menschen gerne an. Die Autorin, die oben zitiert wurde, mag nicht repräsentativ für die ganze Bevölkerung stehen. Aber sie zeigt mit ihrem Reflex auf, dass sie Hilfe braucht, und viele andere Menschen fühlen sich ähnlich hilflos. Das allein ist gar nicht das Problem, denn bei komplexen Lagen ist Hilflosigkeit nur folgerichtig, verständlich und nachvollziehbar.

Das Problem ist vielmehr, dass die Politik (ich kann hier nicht für andere Länder sprechen, wenngleich die Maßnahmen sich ja oft gleichen oder ähneln) diese Hilflosigkeit für ihre Zwecke missbraucht. Und ich vermute – anders als viele andere Kritiker der Corona-Politik – dass das nicht von Anfang an der Plan war. Eher haben führende Politiker nach und nach erkannt, was für ein unglaubliches Potenzial Corona für sie bedeutet. Und jetzt – gleich einer Sucht – können sie nicht mehr aufhören.

Die Angsterzeugungs-Dilettanten

Was so erstaunlich und erschreckend zugleich ist, ist der Dilettantismus, mit dem die Bundesregierung inzwischen vorgehen kann. Da werden uns „zweite Wellen“ angekündigt (oder wahlweise als bereits vorhanden bekanntgegeben), es werden „Fallzahlen“ mit Erkrankungen gleichgesetzt und neue Infektionen als akute Bedrohung verkauft.

Dabei braucht es nicht viel, um herauszufinden, dass die aktuelle Test-Situation höchst unsauber und somit unzuverlässig ist, wie beim „multipolar-magazin“ nachzulesen ist.

Doch es ist wie bei den „guten“ und den „bösen“ Demos, die Faktenlage ist kompliziert und überfordert schnell. Die Politik macht sich das zunutze. Sie hat die Möglichkeiten, die mit der Erzeugung von Angst einhergehen, längst erkannt. Und sie hat keinerlei Interesse daran, das zu ändern.

Zudem: Inzwischen erkennen immer mehr Menschen, dass die Politik unfähig und die Gefahr kleiner ist, als propagiert wird. Auch das ist ein Grund dafür, dass in Berlin so viele Menschen auf der Straße waren. Und Ende August werden es vermutlich noch mehr. Die gilt es, in Schach zu halten, und das ist am einfachsten, wenn sie medial verunglimpft, diffamiert und verurteilt werden. Bei 100.000 oder 200.000 Menschen auf einer Demo (wie viele es auch gewesen sein mögen) große Polizeieinsätze zu initiieren, ist politisch gewagt und birgt die Gefahr einer Eskalation, bei der viele Unschuldige zu Schaden kommen.

Daher wird Zwietracht gesät, von Politik und Medien gleichermaßen. Doch das ist gefährlich, denn wir haben es auf der Seite der Gegner der Demonstranten mit Menschen zu tun, denen ein Großteil an Orientierung fehlt, bedingt durch Angst und Unwissenheit. Sie wünschen sich, wie die oben zitierte Autorin, Regulierungen, Vorgaben, die verbindlich und unumstößlich sind.

Dazu passt dieser Tweet:

(Tweet und Profilkopf habe ich zusammengeschnitten)

Es wäre ja schön, wenn man diese drastischen Worte als Ausnahme titulieren könnte, aber die allgemeine Stimmung – insbesondere in unzähligen Mainstreammedien – geht in genau diese Richtung. Und die Menschen nehmen sie an, weil es immer schon so war, dass Feindbilder funktionieren.

Tanz auf der Rasierklinge

Die Maßnahmen hören nicht auf, inzwischen sind auch Schulkinder betroffen, ältere und alte Menschen sowieso, arme Menschen verlieren noch mehr von dem Wenigen, was sie haben, der Mittelstand verliert Jobs und Perspektiven, Insolvenzen kündigen sich bereits an, Unternehmen gehen pleite, Künstler melden sich auf dem Amt, berufstätige Familien und Alleinerziehende sind längst an die Grenzen des Machbaren gestoßen, die Angst ist omnipräsent.

Das muss aufhören! Die Politik überspannt den Bogen, wohl auch, weil sie vor lauter Lust an der sorglosen Macht endgültig den Blick für die Stimmung in der Bevölkerung verloren hat. Auf der anderen Seite hat sie keine Strategie, mit Corona umzugehen, macht planlos mal dies und mal jenes, und die Medien decken (nahezu) nichts davon auf. Im Gegenteil, sie plappern von dem guten Krisenmanagement der Bundesregierung und vermitteln das Bild, dass das, was jetzt passiert, nicht anders zu praktizieren, zu regulieren sei.

Die regulierte Bevölkerung, die zu Millionen freiwillig Masken trägt, nickt und reckt den Hals in die Richtung der Maskenverweigerer, der „Corona-Leugner“ und „Covidioten“. Wie um ihr Rechthaben zusätzlich zu untermauern, tragen sie die Masken auch allein im Auto, beim Joggen, im Wald, denn sie fühlen sich gut und sicher so reguliert, und sie wollen zum Ausdruck bringen, dass sie keinesfalls querschießen werden. Aber sie haben die, die es eben doch tun, die querschießen, genau im Blick, und der wird immer strenger, immer aggressiver, immer bereiter, zu denunzieren und womöglich, wenn es nicht mehr anders geht, selbst Maßnahmen zur Disziplinierung und Regulierung zu ergreifen. Es ist beim aktuellen Stand der Dinge nur noch eine Frage der Zeit, bis sich erste Bürgerwehren gegen „Corona-Leugner“ bilden.

Das ist eine gefährliche Ausgangssituation, denn parallel zur Strenge gegenüber den Kritikern bleibt die Angst im Raum. Die Angst vor der Krankheit, vor einer gescheiterten Existenz, auch vor der Einsamkeit, vor dem weiteren Verschwinden der gewohnten Normalität (oder was davon übrig ist) und letztlich vor dem Tod. Jeder Schritt, der unternommen wird, um das Leben wieder sicherer zu machen, wird akzeptiert, und jeder, der einen Schritt in eine andere Richtung macht, der also diese Aussicht behindert, wird zum Feind erklärt. Wer welche Schritte macht, wird politisch und medial festgelegt, nicht durch Diskurse.

Geformt wird von der politischen und medialen Seite ein Monster, das Monster der „Corona-Leugner“, und dieses Monster gilt es zu bekämpfen, im Moment noch mit verbalen Mitteln, aber wie lange noch?

Da die politisch Verantwortlichen keine ernsthaften Versuche unternehmen, zu deeskalieren, sondern, im Gegenteil, die Angst weiter schüren, wird es nicht bei verbalen Attacken bleiben. Früher oder später werden die Kritiker der Corona-Politik angegriffen werden, auch physisch angegriffen werden, das wird kaum zu verhindern sein, wenn sich die grundlegende Ausrichtung von Politik und Medien nicht ändert.

Wenn die gefährliche Regulierung, die wir derzeit erleben, nicht heruntergefahren wird, wird sie sich früher oder später nicht mehr regulieren lassen.

Nachtrag zum (vorläufigen) Demo-Verbot am 29.8.20 in Berlin, Stand, 27.8.2020, 18:00 Uhr:
Dieser Text entstand, bevor das Verbot der Demo am 29. August in Berlin bekanntgegeben wurde.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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