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Solidarität aus der Portokasse

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Hubertus Heil (SPD) gibt sich als Kämpfer für Gerechtigkeit. Für die Grundrente setzt er sich seit Monaten ein, und trotz Gegenwind von Unionsseite bleibt der Mann standhaft. Doch ganz abgesehen davon, dass die Grundrente ohnehin eine Farce ist, zeigt sich Heils Partei weniger solidarisch, wenn die Mikros und Kameras ausgeschaltet sind.

All die Solidarität, die im Zuge von Corona immer wieder mit viel Außenwirkung in die Kameras gehaucht wird, hat auch eine andere Seite. Und zwar die, die Menschen betrifft, die wirklich Hilfe brauchen.

Wenn es richtig gut kommt, wird das in etwa so aussehen:

Als Beispiel für die Grundrenten-Berechnung nennt das Arbeitsministerium eine Friseurin, die 40 Jahre auf dem Niveau von 40 Prozent des Durchschnittslohns gearbeitet hat. Sie komme derzeit auf eine monatliche Rente von 528,80 Euro. Mit Grundrente seien es 933,66 Euro.

Das ist sie also, die Grundrente, im besten Fall, wie gesagt. Sie geht mit einer unsäglichen Selbstverständlichkeit davon aus, dass es völlig in Ordnung ist, nur 40 Prozent vom Durchschnittslohn zu erhalten. Das wird nicht hinterfragt, nicht thematisiert, nicht problematisiert. Es wird stattdessen gedanklich eliminiert bzw. hingenommen.

Die Friseurin, die letztlich auf gut 900 Euro Rente kommt, sollte sich freuen, so die Botschaft von Heil und seinen Mitstreitern. Ohne Grundrente sähe es deutlich düsterer aus. Ohne die SPD und ihre menschenverachtende Agenda 2010 müssten wir allerdings heute wohl gar nicht darüber diskutieren, ob und in welcher Höhe eine Grundrente nötig ist.

Ob Rentner den kleinen Happen aber überhaupt bekommen, ist inzwischen ohnehin fraglich. Die Corona-Krise muss als Begründung herhalten.

Grundrente und Corona: Zu teuer

Die Unionsparteien, die von Beginn an wenig begeistert von der Grundrente waren (aber wie irre auf Rüstungsausgaben abfahren), frohlocken nun über die neuen Möglichkeiten, die Corona ihnen bietet. Wegen der Milliardenausgaben in der Corona-Krise sei die Grundrente nicht finanzierbar, heißt es aus Unionskreisen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sieht die Notwendigkeit einer Grundrente sowieso nicht:

Ich würde alles auf den Prüfstand stellen, was nicht jetzt zwingend nötig ist. Dazu gehört auch die Grundrente.

Dass die generelle Verteilung von Vermögen in den letzten Jahrzehnten ein desaströses Ausmaß angenommen hat, verschweigt sowohl SPD als auch Union. Dennoch ist die Kritik der Union nicht auf ganzer Linie falsch.

Denn die Finanzierung der Grundrente soll über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer abgedeckt werden. Die gibt es aber noch immer nicht, und Olaf Scholz (SPD) ist in solchen Dingen nicht gerade für zügiges Arbeiten bekannt. Darüber hinaus ächzt die Deutsche Rentenversicherung schon jetzt in Anbetracht des bürokratischen Aufwandes. Sie hat bereits vor längerer Zeit in Aussicht gestellt, dass eine Auszahlung zum 1. Januar 2021 unrealistisch sei. Durch die Corona-Krise rückt dieser Termin in noch weitere Ferne, was die Realisierung angeht.

Hubertus Heil aber bleibt hartnäckig und argumentiert politisch sauber und korrekt, wie die „Berliner Zeitung“ schreibt:

Es gehe um eine ordentliche Rente für Pflegehilfskräfte, Paketboten, Lkw-Fahrer, Friseure, Beschäftigte in Supermärkten und Servicekräfte, sagte Heil. Diese würden jetzt als „Corona-Helden“ bezeichnet, sie hätten aber mehr verdient als Anerkennung. Die Grundrente sei nicht nur sozial geboten, sondern auch wirtschaftlich vernünftig, weil sie die Kaufkraft der Betroffenen stärke. „Deutschland kann es sich nicht leisten, die Grundrente zum 1. Januar nicht einzuführen.“

Das ist schon sehr zynisch. Die Corona-Helden sollen nämlich auch weiterhin unter miesen Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung arbeiten. Erst am Ende bekommen sie einen kleinen Bonbon, den Heil tatsächlich als Mittel betrachtet, die Kaufkraft zu stärken. Wir erinnern uns an die oben genannte Friseurin, die auf etwas mehr als 900 Euro im Monat kommt, wenn sie vorher „alles richtig“ gemacht hat. Wir beziehen in unsere Gebete mit ein, dass die Mieten in den nächsten Jahren nicht noch weiter steigen, wir hoffen inständig, dass die Lebensmittelpreise einigermaßen stabil bleiben, und wir führen einen Regentanz auf, um die Energiekosten nicht allzu sehr explodieren zu lassen. Und dann, am Schluss, denken wir eine Minute über die Kaufkraft der Friseurin nach.
Fertig!

Hartz-IV-Corona-Zuschlag als Schlag ins Gesicht der Betroffenen

Die Ärmsten leiden bekanntlich am stärksten unter der Corona-Krise. Klar, dass damit auch die große Gruppe der Menschen gemeint ist, die Hartz-IV beziehen. Es war unter anderem Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der einen Zuschuss für die Ärmsten von 100 Euro pro Monat forderte. Doch daraus wurde nichts.


Gegen den Zuschuss stimmten geschlossen die Unionsparteien, bei der SPD kannte nur ein Ausreißer Gnade, der Rest stimmte ebenfalls gegen den Zuschuss. (Vermutlichmuss der Unwillige der SPD mit einem Parteiausschussverfahren rechnen, oder mit dem Teeren und Federn vor dem Willy-Brandt-Haus.)

Die AfD zeigte, wie gut sie es mit „den kleinen Leuten“ meint, indem sie ebenfalls dagegen stimmte, und die FDP enthielt sich mehrheitlich (Motto: Besser gar nicht abstimmen als schlecht abzustimmen). Die SPD ist übrigens die Partei, in der auch der Wohltäter Hubertus Heil sein Unwesen treibt. Die Partei, die die „Corona-Helden“ beklatscht und die Grundrente als Akt des Respekts betrachtet.

Apropos Helden …

Die Tatsache, dass die Arbeitszeit in Pflegeberufen gerade kürzlich auf 12 Stunden pro Schicht angehoben wurde, muss man nüchtern und mit der nötigen Spur Enthusiasmus betrachten. So wie unser Bundespräsident das tut, wenn er sagt:

Sie leisten Enormes für unser Land. Dafür danke ich Ihnen aus tiefstem Herzen. Ich würde mir wünschen, dass wir alle uns auch nach der Krise daran erinnern, was Sie für diese Gesellschaft tun.

Und so lasst uns einen Knoten ins Taschentuch machen, unseren Online-Kalender aktivieren und an einem Freitagnachmittag, wenn die Krise vorbei ist, den Menschen in den Pflegeberufen gedenken, uns an sie erinnern und leise klatschen.

Etwas lauter klatschen dürfte erneut Hubertus Heil, der es erst möglich machte, dass die 12-Stunden-Schicht und die 60-Stunden-Woche in der Krise möglich werden konnten.

Surprise, surprise! In den Schlachtbetrieben sind die Arbeitsbedingungen schlecht!

Angela Merkel fiel kürzlich aus allen Wolken. Mit Erschrecken ließ sie sich die Information überbringen, die besagte, dass in deutschen Schlachtbetrieben nicht alles richtig rund läuft. Werkverträge, miese Bezahlung, unmenschliche Unterbringung und nun auch noch Corona in Schlachtbetrieben ließen Merkel zusammenzucken.

Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass kranke Osteuropäer uns die Corona-Statistik versauen. Das geht so nicht, da müssen wir ran.

Einerseits.
Andererseits nahmen schon vor 2019 die Kontrollen in Schlachtbetrieben ab. Am 12.7 2019 war auf „maz-online“ nachzulesen:

Überdies geht aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums hervor, dass dem Robert-Koch-Institut (RKI) einzelne Fälle von an Tuberkulose erkrankten Beschäftigten bekannt sind. Ein Fall aus Niedersachsen soll „demnächst“ in einer Veröffentlichung des RKI aufgegriffen werden.

Nun ist „demnächst“ ein dehnbarer Begriff, aber solange die Kontrollen nicht stattfinden, stetig heruntergefahren werden oder in telefonischer oder in Form schriftlicher Anfragen erfolgen, braucht man sich keinen Illusionen hinzugeben. Man könnte auch einem Crack-Dealer freundlich eine Mail schreiben, in der man ankündigt, morgen oder übermorgen mal seine Höhle etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Fazit

Was tagein, tagaus als Solidarität kundgetan wird, ist pures Marketing. Faktisch sind es die Menschen, die auch vor der Krise schon ganz unten waren, die jetzt erneut verlassen, ignoriert und gequält werden.

Wer tatsächlich die Hoffnung hegt, dass sich unser gesellschaftliches und politisches Leben nach der Corona-Krise ändern wird, der sollte zusehen, sich möglichst zeitnah den Wecker zu stellen, um aus diesem irren Traum rechtzeitig zu erwachen.

Wir befinden uns längst in einer „neuen Normalität“, und die sieht für Menschen unterer Einkommensgruppen und Bezieher von Hartz-IV schon jetzt noch ein bisschen schlechter aus als vorher. Wer glaubt, dass sich daran nach der Krise etwas ändert, der glaubt auch, dass man heißes Wasser einfrieren kann, damit es nicht zu schnell abkühlt.

Die Portokasse der Bundesregierung ist leer. Zumindest für die, die ein paar Taler daraus mehr als gebrauchen könnten.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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