Wahlweise sind wir alle in fünf Tagen tot oder leben glücklich und zufrieden, bis das Universum keine Lust mehr hat. Es kommt immer drauf an, was man wo liest. Und während Corona zu Beginn des Ausbruchs eher paralysierend wirkte, kommt jetzt die unbarmherzige Welle der Erklärungsversuche.
Und die hat es in sich.
Da gibt es die Fraktion, die diese ganze Panikmache nicht versteht. Die einen Schnupfen auch nicht schlimmer finden als Corona. Nahe dieser Fraktion befinden sich jene, die nicht einmal daran glauben, dass wir es überhaupt mit einem Virus zu tun haben. Und natürlich reihen sich die in die Kette ein, die der festen Überzeugung sind, dass die Eliten (wer weiß, ob es nicht doch die Juden als solche sind?) uns dieses Virus beschert haben, um uns abzulenken, von was auch immer. Problematisch wird es, wenn diejenigen, die die Eliten für das Virus verantwortlich machen, im nächsten Satz steif und fest behaupten, es gebe überhaupt kein Virus.
Aber halten wir uns nicht mit Details auf.
Die andere Fraktion, das sind die, die sehr wohl an das Virus glauben. Aber nicht, dass es zufällig ausgebrochen ist. Das sind also die, die den Abbau des Sozialstaates vermuten und glauben, dass Corona einzig deshalb bei uns „eingeführt“ wurde. Und die, die darauf wetten würden, dass es demnächst eine Virus-Steuer gibt und die fürchten, dass die Wirtschaft uns alle vergiftet hat.
Problematisch wird es auch hier, wenn es um die Frage geht, wer denn im schlimmsten Falle die Virus-Steuer zahlen soll, da ja die Wirtschaft gerade am Stock geht und die Nachfrage wegbricht.
Aber auch hier gilt: Nicht zu viele Details, bitte!
Vielleicht sollten wir uns mal bewusst machen, dass wir es mit einem Phänomen zu tun haben, das wir uns nicht erklären können. Das ist schwierig, denn vor dem Unbekannten hat der Mensch naturgemäß Angst. Er will verstehen, was passiert, will wissen, womit er es zu tun hat. Daher liegt der Vergleich mit der Grippe oder gar einem Schnupfen nahe, die Symptome sind ja ähnlich.
Aber es ist nun einmal anders. Haarausfall kann man bekommen, weil es einem in den Genen steckt (ich weiß das aus eigener Erfahrung). Oder weil man sich einer Chemotherapie unterziehen muss. In beiden Fällen ist man die Haare los, aber aus sehr unterschiedlichen Gründen. Trotzdem können wir beides noch irgendwie verstehen. Fielen uns nun aber plötzlich die Haare ohne ersichtlichen Grund aus, stehen wir dumm da. Sind es die Gene? Eine massenhafte geheime Chemotherapie? Oder ist es einfach ganz normal, dass allen die Haare ausfallen? Die Eliten können es nicht sein, denen fallen die Haare ja auch aus.
Das verunsichert uns, verwirrt uns, und zwar zu Recht!
Es liefert aber keine Erklärung, diese verdammten Haare sind weg, und dafür muss es einen Grund, oder noch besser: einen Schuldigen geben. Vielleicht täuschen die Eliten den Haarausfall nur vor?
Man weiß es nicht.
Eines aber kann ich verstehen: Die Kritik an der Bundesregierung ist in Teilen gerechtfertigt. Sie hat zunächst einmal kollektiv die Raute gemacht und leise Beruhigungen in unsere Ohren geflüstert. Und sie hatte nicht den Mumm, etwa den Karneval abzusagen (oder Fasching, oder beides, ich bin da als Norddeutscher nun wirklich kein Experte). Ich würde sogar mitgehen, wenn jemand behaupten würde, dass die Maßnahmen, die jetzt eingeleitet wurden, nur deshalb zustande kamen, weil andere Länder viel radikaler vorgehen als wir. Aber das ist Spekulation.
Vermutlich hat schon mal jemand die Fehler der Bundesregierung seit Ausbruch der Krise aufgeschrieben, und es dürfte eine lange Liste sein, davon ist auszugehen (wer Genaueres weiß, möge es mich wissen lassen, ich bin sehr interessiert!).
Etwas anderes kann ich nicht verstehen: Die unzähligen Herleitungen und Erklärungen von Menschen, die von Virologie so viel Ahnung haben wie … ja, zum Beispiel wie ich. Ich habe keine Ahnung, was genau das Virus macht, wie es so stark werden konnte, was genau die Mediziner daran hindert, die Sache in den Griff zu kriegen. Ich kann hier und da etwas ahnen, vielleicht auch mit Teilwissen glänzen, wenn ich Experten lausche (die sich wiederum auch nicht einig sind, was die Sache schon wieder ein bisschen komplexer macht). Aber letztlich habe ich keinen Schimmer, und wenn wir ehrlich sind, gilt das für einen großen Teil anderer Menschen ebenfalls.
Deswegen wäre es ja so schön, wenn wir aufhören würden, alle Virologen sein zu wollen. Das ist nichts, was man an der Volkshochschule in ein paar Abendkursen lernt. Es ist eine Wissenschaft, die ein langes Studium und viel Erfahrung voraussetzt. Und beides haben die wenigsten.
Nun könnte man entgegnen: „Ich muss kein Virologe sein, um eine Meinung zu haben.“ Und das ist natürlich richtig. Man sollte aber Virologe (oder so etwas) sein, um sich eine fachgerechte Meinung zu bilden. Schaden kann das nicht.
Man kann natürlich auch die dritte Möglichkeit wählen und davon ausgehen, dass all das, was im Moment passiert, ganz normal ist, dass die Natur eben entschieden hat, mal Tabula rasa zu machen.
Gut möglich, wäre ja nicht das erste Mal. Aber daraus die Erkenntnis zu zimmern, man verstehe genau, was seit dem Ausbruch des Coronavirus passiert ist, wäre vielleicht eine Spur zu selbstbewusst.