Die Morddrohungen gegen Cem Özdemir und Claudia Roth sind ein erneutes Zeichen dafür, dass das Klima immer rauer wird. Die Reaktionen von Horst Seehofer & Co. allerdings stehen für Heuchelei und bewusste Passivität.
Ein kurzer Erfahrungsbericht.
Als ich auf einer Facebook-Seite mit recht hoher Reichweite einen Kommentar schrieb, kam der nicht sehr gut an. Das kommt vor. Ich hatte mich auf der Seite über ein Posting geärgert, das in meinen Augen offen hetzerisch war. Während der „Austausch“ mit dem ersten Kommentator im Rahmen des Üblichen auf Facebook lag, wusste der zweite genau, was er von mir zu halten hatte. Und so schrieb er:
Tom, dich sollten sie direkt an die Wand stellen. Der Tag wird kommen.
Der Tag kam bisher nicht. Aber ich erstattete Anzeige gegen den Kommentator. Das war Anfang Februar 2018.
Im Gespräch mit der Polizei
Die Beamtin, mit der ich es zu tun bekam, betonte, dass sie keine Einschätzung zur rechtlichen Lage abgeben könne, ihr schien der Kommentar aber doch so deutlich, dass sie der Meinung war, diese Sache würde die Staatsanwaltschaft interessieren.
Da ich vom Profil des Kommentators Screenshots gemacht hatte (der hatte recht freimütig Angaben zu sich, seinem Wohnort und seiner Familie gemacht), seien die Chancen, dass gegen den Mann vorgegangen werden könne, groß. So die Beamtin.
Warten auf die Staatsanwaltschaft
Und so geschah: nichts.
Ich wartete weiter, und es geschah: nichts.
Ich wartete bis zum 21. Juni 2018 und fragte bei der Polizistin nach, wollte wissen, wie der Stand der Dinge sei.
Der Vorgang sei an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden, und zwar direkt nach meiner Anzeige im Februar. Ich müsse mich leider noch ein wenig gedulden.
Das tat ich.
Post von der Staatsanwaltschaft
Im November 2018 war dann endlich Post von der Staatsanwaltschaft im Briefkasten. Damit hatte ich schon gar nicht mehr gerechnet, also riss ich den Brief hektisch auf. Der Inhalt war ernüchternd.
Man teilte mir mit, dass der Täter leider nicht ermittelt werden könne. Freundlicherweise durfte ich zudem den Hinweis nachlesen, dass man mich unverzüglich informieren würde, wenn weitere Erkenntnisse zur Verfügung stünden.
Der Täter konnte nicht ermittelt werden? Er war mit seinem Klarnamen unterwegs, hatte Angaben zu seinem Wohnort und seiner Familie gemacht, die für mein Empfinden leicht hätte kontaktiert werden können.
Aber so war es dann eben: der Täter konnte nicht ermittelt werden. Weitere Erkenntnisse liegen offenbar bis heute nicht vor, denn ich habe seitdem nichts mehr von der Staatsanwaltschaft gehört.
Zur Einordnung
Ich will nicht behaupten, dass der Fall von Cem Özdemir und Claudia Roth direkt mit meinem vergleichbar ist. Mir geht es um etwas anderes.
Ich meine die Begründung. Mit allem Möglichen hatte ich gerechnet, aber dass der Täter nicht zu ermitteln sei, das ist in diesem konkreten Fall einfach nicht glaubwürdig. Naheliegender ist die Vermutung, dass die Staatsanwaltschaft einfach überlastet war und sich mit den „Peanuts“, wie ich sie vorzutragen hatte, nicht weiter befassen wollte und konnte.
Unter diesem Eindruck sind die empörten Reaktionen auf die aktuellen Morddrohungen gegen Özdemir und Roth noch heuchlerischer als sie sich eh darstellen in Anbetracht der Tatsache, dass die Gerichte seit Jahren hoffnungslos überfordert sind.
Eine Erklärung für den Personalnotstand der Gerichte lässt sich in der „Welt“ nachlesen:
Die Justizbehörden kämpfen vielerorts um Nachwuchs – und konkurrieren dabei häufig mit der freien Wirtschaft und den lukrativen Jobs dort. „Der Arbeitsmarkt für Juristen ist hart umkämpft“, sagt der Vorsitzende des niedersächsischen Richterbunds, Frank Bornemann. Viele Jurastudenten würden es vorziehen, nach einem Bachelorabschluss in die Wirtschaft zu gehen. Die Richterbesoldung sei für viele Berufsanfänger nicht attraktiv.
Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Feuerwehrleute, Erzieher, Pfleger – für alle gilt, dass ihre Arbeit in aller Regel gesellschaftlich sehr anerkannt ist. Mehr aber auch nicht. Es ist ein bisschen wie mit den Ehrenamtlichen oder den Tafeln, die gelobt werden, bis der Arzt kommt. Und von denen man weiß, dass es ohne sie noch viel düsterer aussehen würde.
Immerhin, die Staatsanwaltschaft hat reagiert
Ein anderer Fall liegt inzwischen fast zwei Jahre zurück, und auch er hat mich mit offenem Mund dastehen lassen. Es ging um die unrechtmäßige Verwendung eines Fotos, das bei Ebay und auf Facebook (und wer weiß, wo noch!) verwendet worden war. Wir wollten mit der Hilfe einer Anwältin gegen diese Verwendung vorgehen. Die wiederum schätzte die Erfolgsaussichten aufgrund der eindeutigen Lage als recht hoch ein.
Ich muss dazu sagen, dass diese beiden Fälle die ersten in meinem Leben waren, die mich mit der Staatsanwaltschaft in Berührung haben kommen lassen (eine oder zwei Jugendsünden meinerseits will ich hier nicht weiter ausbreiten, ich war jung und brauchte das Geld, wie es im übertragenen Sinne so schön heißt).
Bezüglich der Sache mit dem Foto fragte ich noch drei- oder viermal bei der Anwältin nach. Zunächst antwortete sie noch, schrieb, dass es nicht mehr lange dauern könne, bis wir etwas hören würden.
Irgendwann antwortete die Anwältin dann nicht mehr.
Und von der Staatsanwaltschaft haben wir bis heute nichts gehört.
Aber wir sollten zuversichtlich bleiben – die Sache liegt ja noch keine zwei Jahre zurück.