In den letzten Tagen fällt etwas auf, das ganz im Sinne derer ist, die sich in Form eines Narrativs daran abarbeiten. Man könnte es – ganz im Sinne der Grundrente, aber weit über diese hinaus – das „Meilenstein-Paradoxon“ nennen.
Nach dem absurden „Klimapaket“, das im Wesentlichen den Teil der Bevölkerung belastet, der am wenigsten Anteil an der Schadstoffentwicklung hat, ist der nächste „große Wurf“ die Grundrente. Auch die ist nicht mehr als ein schlechter Witz. Aber was auch immer die Bundesregierung macht, sie schafft es – auch dank der großen Medien und den Talkshows – ihre Desaster wie Bonbonpackungen zu verkaufen.
Und das Netz reagiert inzwischen darauf wie gewünscht.
„Immer dieses Gemecker!“
Nachdem die Grundrente durch ist und vollmundig als ein starkes Zeichen für Respekt verkauft worden ist, häufen sich im Netz die kritischen Stimmen dazu. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich, zumal, wenn man sich bewusst macht, dass die Grundrente das große Ganze völlig außen vorlässt. Sie ist – so formulierte ich es kürzlich – vergleichbar mit einem Knochenbrecher, der nach seiner Tat freundlich eine Krücke reicht und dafür Dankbarkeit erwartet.
Doch unter die kritischen Stimmen mischen sich immer mehr von denen, die von der „Meckerei“ genug haben, die anprangern, dass man auch mal das volle, statt immer nur das leere Glas sehen müsse. „Klar“, heißt es dann, „die Grundrente ist nicht perfekt, aber sie ist doch immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Man kann aber auch wirklich alles schlechtreden!“
Zumindest in meiner Filterblase sind diese Stimmen zwar noch in der Minderheit, aber es werden mehr, das beobachte ich schon eine ganze Weile.
„Nicht alles schlechtreden“ – es funktioniert
Wenn wir genau hinschauen, erleben wir es überall: in der Zeitung, in Talkshows, in Nachrichtensendungen, den sozialen Medien, Interviews und Pressekonferenzen. Immer, wenn Kritik an was auch immer geäußert wird, kommt ein Politiker (und/oder Journalist) daher und sagt, dass nun wirklich nicht alles so schlecht sei, im Gegenteil. Sicher, man könne hier und da etwas besser (noch besser!) machen. Aber im Großen und Ganzen passe das schon. Niedrige Arbeitslosigkeit, gute Wirtschaft, freie Meinungsäußerung, gute Löhne, gute Renten, gute Bildung, gute Infrastruktur.
Nur dass das nicht stimmt, geht immer mehr unter in der Kakophonie der Jubel-Tenöre. Doch das Es-geht-uns-allen-so-gut-wie-nie-zuvor-Prinzip, es greift. Und besonders in Talkshow-Formaten zeigt sich hin und wieder, dass selbst kritische Gäste (so sie denn überhaupt einmal eingeladen werden, tendenziell kommt das immer seltener vor) an den Weisheiten der schönen neuen Welt nicht mehr zu zweifeln scheinen. Erklingen die Lobeshymnen in den üblich verdächtigen Formaten, sind auch die vermeintlich unbequemen Gäste sehr still.
Es ist ein bisschen wie die Syrien-Erzählung, die uns weismachen will, dass allein Putin und Assad die finsteren Mächte sind, die von den strahlenden Helden der Demokratie in die Schranken gewiesen werden müssen. Sofern nicht einmal irrtümlich ein Michael Lüders in einer Talkshow landet, wird es da faktisch keine Widerworte geben.
Es geht uns also gut …
… und das ist auch im Netz, vornehmlich in den sozialen Medien angekommen. Kritik, „Meckerei“, das wird immer häufiger nicht gern gesehen und lautstark als Schwarzmalerei abgetan.
Wir gehen sehenden Auges auf ein Ausmaß an Altersarmut zu, das uns noch sehr schwer auf die Füße fallen wird (in welcher Form auch immer), die Demokratie ist nur noch eine Hülle, in der wir schwerelos und einflusslos schweben, ohne die Richtung bestimmen oder auch nur wechseln zu können. Die Arbeitslosigkeit basiert auf geschönten bzw. gefälschten Zahlen und/oder unsinnigen Maßnahmen, die die Statistik zwar hübsch aussehen lassen, das eigentliche Elend aber vertuschen.
Die Lohnentwicklung ist ein Witz, prekäre Beschäftigungsverhältnisse die Regel, die Bildung bröckelt an den Wänden der Schulen, an der Personalausstattung und nicht zuletzt den Klos gleichermaßen. Die Infrastruktur wurde längst verkauft, Grundbedürfnisse wie das Wohnen, die Gesundheit, die Rente, selbst das Trinken wurden oder werden privatisiert.
Und auf Facebook freut sich eine wachsende Gemeinde darüber, dass die Grundrente doch ein richtiger Schritt sei oder das Klimapaket besser als sein Ruf.
Also hört auf zu meckern, Ihr Stümper!
Dem sei entgegnet: Nein, hört nicht damit auf, fangt jetzt erst richtig an, zeigt mit dem Finger auf die Missstände, die immer schlimmer werden!
Lasst Euch nicht einreden, dass Ihr Schwarzmaler seid, dass Ihr immer das Haar in der Suppe sucht!
Glaubt es nicht, wenn Euch von morgens bis abends eingeredet wird, dass es Euch bestens gehe, wenn Ihr doch wisst, dass es nicht so ist!
Fallt nicht darauf herein, wenn es heißt, andere hätten es doch auch geschafft, Ihr könnt das auch, wenn Euch die Rahmenbedingungen einfach kein Fortkommen erlauben!
Gebt Euch nicht damit zufrieden, wenn Ihr hört, dass alles „noch besser“ gemacht werden kann, wenn Ihr doch wisst, dass es zunächst einmal gut werden muss, bevor es besser werden kann!
Und wer mir jetzt vorwerfen möchte, ich würde meckern, dem sei gesagt: Ja, das tue ich. Es gibt genügend Gründe dafür. Wenn sie behoben wurden, stimme ich gern mit ein in das Lied der kollektiven Glückseligkeit.